âEs gibt nur einen Zeitpunkt, an dem es wichtig ist zu erwachen. Dieser Zeitpunkt ist jetztâ â Buddha.
Bruno hat mir Mut gemacht, ich werde ihn nie vergessen. Seit 19 Jahren gibt es von ihm kein Lebenszeichen mehr. Damals wollte er sich auf der Insel Borneo im malaysischen Gliedstaat Sarawak durch den Dschungel zu seinen Freunden durchschlagen, den letzten Penan-Waldnomaden. In Malaysia galt er als Staatsfeind, weil er die Eingeborenen im Kampf gegen die Abholzung des Regenwaldes unterstĂŒtzte.
Im Orwellschen Jahr 1984 reiste der Schweizer Umweltaktivist Bruno Manser erstmals nach Sarawak und wurde von den Penan als einer der ihren aufgenommen. Er passte sich ihrer Lebensweise an, sprach ihre Sprache, ging mit dem Blasrohr auf die Jagd, ernÀhrte sich von Sago und Affenfleisch. Doch die Ureinwohner waren besorgt: Internationale Holzfirmen walzten mit Bulldozern und MotorsÀgen den Wald nieder, um den Hunger der IndustrielÀnder nach edlen Tropenhölzern zu stillen. Bruno organisierte den Widerstand.
1988 setzten die Holzfirmen ein Kopfgeld auf ihn aus. Unter abenteuerlichen UmstĂ€nden gelang es ihm, in die Schweiz zurĂŒckzukehren, wo er die Ăffentlichkeit auf die Situation der Penan aufmerksam machte. Er setzte sich ein fĂŒr ein Tropenholz-Importverbot und eine klare Deklaration der Hölzer in den GeschĂ€ften.
Suizidgesellschaft
1993 erschien mein Buch âEgo und Gomorrha â Texte wider die Suizidgesellschaftâ. Bruno teilte meine Analyse der weltweiten Umweltzerstörung, die durch eine neoliberale Wirtschaft vollstreckt und durch opportunistische Politiker begĂŒnstigt wird. Wir haben der Natur den Krieg erklĂ€rt und damit den Samen gesĂ€t fĂŒr den kĂŒnftigen Krieg zwischen den Menschen. An der Ăko-Front stehen sich UmweltschĂŒtzer und -zerstörer gegenĂŒber: Hin und wieder fallen SchĂŒsse, vereinzelt explodieren Bomben, ein paar Schiffe werden ausgeschaltet, ein paar AnschlĂ€ge verĂŒbt und hin und wieder muss ein Mensch dran glauben.
Ich befĂŒrchte eine verhĂ€ngnisvolle Eskalation: Zunahme der Weltbevölkerung, Konzentration der Menschen in GroĂstĂ€dten, landwirtschaftliche und industrielle Ăberproduktion, Ăberfischung der Weltmeere, Vergiftung der Böden, Abholzung des Regenwaldes, PlĂŒnderung der Rohstoffe, Aufheizung des Klimas, Zerstörung des Lebensraumes. Diese Faktoren lösen eine ökologische Krise und soziale Unruhen aus. Die Unruhen fĂŒhren zu politischen Krisen und diese zu einer Weltwirtschaftskrise. Die Situation verschĂ€rft sich. Militante UmweltschĂŒtzer lehnen sich gegen jene auf, die die Natur zerstören.
Im ökologischen WeltbĂŒrgerkrieg bekĂ€mpfen sich Ăko-Rebellen und umweltfaschistische Einzelne, Betriebe, Konzerne, Organisationen und Regierungen.
Das ist die historische Entwicklung: AufklĂ€rung, industrieller und technologischer Fortschritt, Entfremdung der Empfindung, Verlust der Wirklichkeit, Umweltfaschismus, Suizidgesellschaft, Weltwirtschaftskrise, ökologischer WeltbĂŒrgerkrieg.
âSchau ins Licht!â
Wenn ich meiner BefĂŒrchtung eines ökologischen WeltbĂŒrgerkriegs Ausdruck gebe, sehe ich meinen Freund vor mir. Er lĂ€chelt. Bruno lehnte Gewalt als Mittel zum Zweck ab. Sein ziviler Widerstand war geprĂ€gt von kreativer Phantasie und einer entwaffnenden Menschlichkeit. Am 21. Mai 1990 schrieb er mir in einem Brief:
âDas Element des âPositivenâ ist elementar. HeiĂt es doch: âSchau ins Licht, und du wirst leuchten! Schau ins Dunkel, und das Dunkle verschlingt dich!â Also, schauen wir vorwĂ€rts und leisten wir beispielhaft den uns möglichen kleinen Teil im Dienste zum Ganzen. Vor allem in der AufklĂ€rung und VerĂ€nderung des Konsum-Verhaltens, nicht nur abstrakt, doch mit praktischen Hinweisen und Taten liegt ein erster Schritt: âWer begreift und nicht handelt, hat nicht begriffen!ââ
Drei nötige Schritte
Eine Gesellschaft, die sich selbst umbringt, ist die Summe von Einzelwesen, die sich selbst umbringen. Stichwort Klimakollaps. Die gesellschaftliche Degeneration ist ein Gradmesser fĂŒr die individuelle. So liegt das Schicksal der Menschheit, trotz Angst und OhnmachtsgefĂŒhlen, in der Hand jedes Einzelnen. Wer sich selbst demaskiert, demaskiert die Gesellschaft. Und wer sich selbst verĂ€ndert, verĂ€ndert das Ganze.
Um das globale UnglĂŒck abzuwenden, sind drei Schritte notwendig. Erstens mĂŒssen wir zugeben, dass wir persönlich mitbeteiligt sind an der Vernichtung von Pflanzen, Tieren und anderen Menschen, dass wir Mörder sind â im Begriff, Selbstmord zu begehen.
Zweitens sind die Hochleistungsmotoren der Suizidgesellschaft zu drosseln: Wir mĂŒssen die Voraussetzungen schaffen fĂŒr den sofortigen Stopp des real existierenden Wirtschaftswachstums. Und drittens mĂŒssen Ethik und Wertvorstellungen sowohl dem Menschen als auch der Natur verpflichtet sein und bestenfalls ein âorganischesâ Wachstum der Wirtschaft zulassen.
Aus Liebe radikal
Bruno Mansers Geschichte ist eine Geschichte von SelbstĂŒberwindung und VerstĂ€ndigung. Ein Mensch macht sich auf zu anderen Menschen, die von der Welt im Stich gelassen werden, und erfĂ€hrt etwas, das stĂ€rker ist als der Krieg, stĂ€rker als der Tod: die Freundschaft. Ăber alle Grenzen hinweg: Vertrauen und Freundschaft.
Bruno war radikal. RadikalitÀt ist nicht Militanz.
Radikal ist jemand, der nach den Ursachen eines Problems sucht, indem er sich nicht mit Stamm und Krone des Baumes begnĂŒgt, sondern vordringt bis zu seinen Wurzeln im Erdreich.
Militanz hingegen bleibt an der OberflĂ€che, sucht die einfachste Lösung fĂŒr das Problem, sie gibt sich zufrieden mit der KettensĂ€ge und fĂ€llt den Baum. Die Verteidigung der menschlichen Vernunft gegen die EntmĂŒndigung der Massen durch Finanzjongleure, Global Players und Politiker hat radikale Individuen nötig, die sich der Herausforderung des Geistes stellen. Sie hat den Einzelnen nötig, der sein Denken und FĂŒhlen von ökonomischen Fesseln befreit, der aufsteht und dem Wahn der Profitmaximierung die Bereitschaft zur SolidaritĂ€t entgegensetzt.
âDen allzu kalten Politikern können wir nur eine WĂ€rme entgegenhalten, die selbst losgelöst von allem noch ihren Sinn und Wert behĂ€lt: Die schlichte Liebe zum Leben!â
Diese Worte schrieb mir Bruno am 26. September 1994, sie beeindrucken mich bis heute. Aus ihnen sprechen Glaube und Hoffnung. Glauben heiĂt: sich dem Unglaublichen stellen. Ohne dieses seelische Wagnis wird die Wirklichkeit zum GefĂ€ngnis. Ohne Glauben gibt es keine Hoffnung. Und Hoffnung gibt es nur in Verbindung mit Verantwortung. Glaube, Hoffnung, Liebe â im Grunde eine religiöse Botschaft.
Digitale Erstarrung
Die kapitalistische Gesellschaft hat eine verhĂ€ngnisvolle Entwicklung durchlaufen. Was der Westen begonnen hat, wird der Osten vollenden. Die Vision ist beĂ€ngstigend: Die Menschheit wird mit Maschinen ĂŒberschwemmt, die die Natur endgĂŒltig zerstören; Dinge ersetzen menschliche Beziehungen und die Beziehung zu den Dingen fĂŒhrt in eine kĂŒnstliche GefĂŒhlswelt; Begriffe wie Wirklichkeit und Wahrheit gibt es nicht mehr, weil das, was sie benennen, nicht mehr existiert; in digitaler Erstarrung verlieren wir allmĂ€hlich unsere Lebendigkeit.
Die Motivation der Lebenden im 21. Jahrhundert ist der Suizidismus: der Selbsterhaltungstrieb des Einzelnen, der in den gesellschaftlichen Untergang mĂŒndet. Anders formuliert: Die Ăberlebensstrategie des Individuums fĂŒhrt zum kollektiven Selbstmord. Eine Todesspirale âŠ
Ethischer Quantensprung
Der bĂŒrgerliche Glaube an den Wert der IndividualitĂ€t sollte im Hinblick auf den Suizidismus â die Ăberlebensstrategie des Einzelnen, die zum kollektiven Selbstmord fĂŒhrt â hinterfragt werden. Muss die Individuation des Einzelnen kĂŒnftig beschnitten, wenn nicht sogar verhindert werden? Eine solche Verhinderung endete aber zwangslĂ€ufig in der UnterdrĂŒckung des Individuums, in der Verhinderung seiner Selbstwerdung. Und dies gipfelte in der Katastrophe â menschlich in der Vermassung des Einzelwesens, politisch in der Diktatur.
Die ökologische Selbstzerstörung der Menschheit und ihre Alternative, die Ăko-Diktatur, sind nur ĂŒberwindbar durch die geistige und praktische Einbindung des Einzelnen in eine Gemeinschaft, die der Bewahrung der Schöpfung verpflichtet ist. Es geht nicht ohne ein naturwissenschaftliches und ökonomisches Umdenken, eine âökologische Mentalmorphoseâ. Es braucht einerseits das ethische Bewusstsein des Einzelnen, anderseits die gesellschaftliche Hinwendung zum Leben, die sich in einer klaren und verbindlichen Gesetzgebung niederschlĂ€gt. Am Anfang des neuen Jahrtausends muss der Homo suizidens den ethischen Quantensprung vom ökologischen Bewusstsein zum ökologischen Handeln schaffen â jetzt oder nie!
Peter Fahr und Bruno Manser 1993. Fotograf: Titus Stern.