Außenschau, Innenschau

 In FEATURED, Spiritualität, Umwelt/Natur

„Was mir an vielen der Aufrufe, die Erde zu retten fehlt, ist die Forderung nicht nur nach einem anderen Verhalten der Konsumenten, sondern nach einer Änderung des Betriebssystems der Erdzivilisation. Das Wirtschafts- und Finanzsystem, das uns beherrscht, muss sich ändern.“ Wolf Schneider kam zu dieser Erkenntnis auch und gerade als Meditierender, als spiritueller Mensch. Er „predigt“ nicht nur Selbstbeschränkung, er lebt sie auch. Seit mehr als einem Jahr hat er kein anderes Zuhause als eine Wohnmobil, mit dem er unterwegs ist. Dies ist auch gelebter Anti-Konsumismus.   Wolf Schneider, www.connection.de

 

Seit nunmehr gut 16 Monaten lebe ich weitgehend im Wohnmobil, gehöre also zum „fahrenden Volk“. Habe keine Wohnung mehr und kein Haus, bin Nomade und insofern lustvoll Minimalist geworden, ein Steinzeitmensch im Internetzeitalter. Fahrzeug, Büro und Wohnung sind für mich eines, mit den Ausmaßen: 540 x 210 x 280 cm (Länge, Breite, Höhe).

Deutschland von der Straße her

Diese Lebensweise verbindet mich näher mit den Rhythmen Tag & Nacht, Sommer & Winter. In den warmen Monaten stelle ich mein Auto gerne an Flüsse oder Seen, wo ich morgens und abends joggen und schwimmen kann. Frei parkend, nicht auf Campingplätze. Im Auto zu duschen ist zwar möglich, aber aufwändiger und weniger komfortabel. Im Frühjahr & Sommer leiten die Solarzellen auf dem Dach meines Autos ausreichend Energie auf die beiden Wohnraumbatterien, im Herbst & Winter spärlicher. Heuer war es schon im Oktober manchmal so kalt, dass ich die Gasheizung im Auto angeschaltet habe.

So lerne ich Deutschland von der Straße her kennen und beheimate mich in Regionen, die ich vorher nie mit eigenen Augen – will sagen: mit meinen eigenen visuellen Filtern und meinem eigenen Fokus – gesehen hatte. Ich bekomme dabei ein Gefühl dafür, was Deutschland als Ganzes ausmacht und wie wir Erdenbürger in der modernen (westlichen) Welt so leben; in Deutschland, den USA, Argentinien, Neuseeland, Südkorea und all den anderen Ländern, aus denen uns täglich Nachrichten zuströmen.

Landschaftliche Schönheit berührt mich dabei ebenso wie die Zerstörungen durch Industrie, Abfall, Zersiedelung und Transport. ‚Nicht mehr wegzudenken’: die Schlangen von LKWs auf den rechten Spuren der Autobahnen und auf zu wenigen und überfüllten Raststätten.

In Bewegung sein, aber wo bleiben? Lust auf neue Eindrücke wechselt ab mit dem Bedürfnis nach Konstanz. Neue Rhythmen entstehen zwischen Einkaufen, Essen und Trinken und auch Kulturtechniken wie diese: im Sommer in einer Seenlandschaft mit Waschlappen in der Tasche zu joggen, so dass ich keinen Rucksack brauche und mich mit dem Lappen nach dem nackten Morgenbad abtrocknen kann ohne Handtuch; Kacken im Wald und den Kot verscharren wie die Katzen; Waschen im Fluss; Standplätze finden, die mir behagen, an die ich gerne wiederkehre, mich dort beheimate.

Optimismus in Zeiten der Cholera

Unterwegs höre ich die Bücher von Harari auf Englisch und Deutsch. Nun auch Eckhart Tolle, wie er sein Buch »Eine neue Erde« selbst aufspricht; süß ist er, auch ein bisschen kitschig; Harari hingegen aufrüttelnd faktennah. Dabei wünsche ich mir, dass sowas Schullektüre wird. Mein neunjähriger Sohn hört Harari mit und fragt nach. In einem Humorworkshop hatte ich ein elfjähriges Mädchen als begeisterte Teilnehmerin und fragte sie danach: Sowas auch für Teenies, wär’ das was? Ja, sagte sie, genial, aber nicht alle seien dafür offen. Fridays for Future, Wisdom for Future? Viele der Kinder scheinen mir weiser zu sein als wir apokalyptisch abgebrühten Erwachsenen, umweltsensibler und bereit für Veränderung. Leider werden sie überwiegend aus Quellen beeinflusst, die mehr versteifen als neue Optionen zu öffnen.

Greta Thunberg ist eine Ausnahme. Die Ausnahmen werden mehr, aber reicht das aus?