„Bergmann der Liebesspiritualität“ mit Neil Young

 In FEATURED, Kultur, Spiritualität

Wie kann man Liebeslieder singen, die nicht kitschig und auch nicht konstruiert sind? Wie kann man sie hören, ohne in Klischees oder Blauäugigkeit zu verfallen? Wirklich intensive Liebeslieder sind spirituell, sie heiligen unser Gefühl. Nur Liebesspiritualität kann unser Leben und die Welt verändern. Thomas Quartier, Mönch, Theologe und Buchautor, folgt auf seiner Suche nach dieser Liebe und Spiritualität einem der Helden seiner Jugend: Neil Young.

Ich mag Liebeslieder, und ich bin Mönch. Das mit den Liedern war schon immer so, solange ich mich erinnern kann. Wenn Menschen ihr Gefühl singend zum Ausdruck bringen, dann berührt mich das zutiefst. Sollte das Mönchsein bei mir auch schon immer vorhanden gewesen sein? Warum nicht? Klostergesang ist eigentlich auch eine Art Liebeslied. Er ist eine vokale Art und Weise, Gefühle zum Ausdruck zu bringen, auch wenn er sich ganz anders anhört als ein Radio Hit. Mönche singen, um den Weg zu ihrem Herzen zu öffnen. Ihr Gesang ist nicht exhibitionistisch, nicht übertrieben, nicht schamlos.

Das hat mich schon lange fasziniert, bevor ich selber das erste Mal in einem Chorgestühl saß. Auch wenn ich in meinem Leben durchaus schamlose Perioden kannte, haben mich allzu oberflächliche und sentimentale Liebeslieder immer eher abgestoßen. Sie handelten nämlich gar nicht von Gefühlen, sondern eher von spontanen, leeren Neigungen. Sie gingen nicht in die Tiefe, entsprangen Instinkten, die längst nicht immer mit dem Herzen im Einklang waren.

Natürlich hat jeder Mensch emotionale Ausbrüche und sentimentale Momente, die sicher nicht verkehrt sind. Wer aber wirklich Liebe zum Klingen bringen will, muss weiter gehen. Nur wenn man tiefer schürft und einen sicheren Raum in der Tiefe seines Herzens erschließt, kann ein echtes Liebeslied erklingen. Die Liebe zu besingen ist für mich genauso heilig wie eine religiöse Hymne, und ja: das war schon immer so. Ich singe heute also Liebeslieder im Chorgestühl, und ich höre sie mir gleich danach im Radio an.

Es ist nicht immer einfach, diese Melodien miteinander zu kombinieren. Viele Texte aus dem Klosterrepertoire berühren mich eher weniger. Aber auch manche Schnulze im Radio, die augenscheinlich von Liebe handelt, lässt mich kalt, irritiert mich zuweilen sogar. Aber manchmal klingt wirkliche Leidenschaft in der Stimme eines Sängers oder einer Sängerin. So ein Gefühl kann einen bis ins Mark treffen und eine sichere Burg für jene zarten und zerbrechlichen Gefühle sein, die man Liebe nennt. Das sind Liebeslieder, wie ich sie mag. Sie sind für mich durch und durch spirituell, vielleicht göttlich. Sie klingen nicht immer schön, schon gar nicht romantisch, aber gerade dadurch berühren sie mich. Der “Gott” dieser Lieder verbirgt sich in der Tiefe meiner Gefühle, nicht an ihrer Oberfläche.

Wenn ich sie anbohre, begegnen ich dem Göttlichen. In meiner Jugend träumte ich beim Hören von Pophymnen davon, dass ich einmal der Liebe meines Lebens begegnen würde. Habe ich sie gefunden? Auf jeden Fall habe ich nicht aufgehört, nach ihr zu suchen, bis heute, auch als Mönch, der in einem Kloster lebt. Meine alten Weggefährten sind zum Teil verheiratet, zum Teil auch nicht. Ich hoffe, dass wir alle nie aufhören, nach der Liebe unseres Lebens zu suchen und sie zu besingen. Das tun wir nämlich in unserem Innern, zusammen mit den Menschen, die wir lieben, mit den Liedern der Helden unserer Jugend. In diesen Liedern haben wir sie vielleicht schon ein bisschen gefunden, von Zeit zu Zeit, im Kloster unseres Lebens.

Tiefschürfer

Mönche sind Tiefschürfer. Sie versuchen nicht, immer wieder etwas Neues auszuprobieren, sondern bleiben lieber wo sie sind, bei dem, was sie sind, um es zu vertiefen. Als ich selber Mönch wurde, bedeutete das für mich, dass ich meine musikalischen Jugendlieben loslassen wollte. Ich sang und hörte nur noch Klostergesänge, denn das war – so dachte ich – das musikalische Repertoire, mit dem ich mein wahres Gefühl würde erreichen können. Aber wie es mit Jugendlieben so geht: früher oder später erinnert man sich an sie. Dann will man sich diese Erinnerung bewahren und sie nicht wegdrücken.

Aber wie verhält sich der Klang der Liebe, an den man sich vielleicht so sehr gewöhnt hat, dass man ihn kaum mehr hört, dazu? Alte Liebeslieder und gegenwärtige Vorlieben können einen dissonanten Klang erzeugen. “Wie konnte ich mir das jemals anhören?” Sie können einen Kontrapunkt bilden. “Das ist eine ganz andere Richtung”. Aber sie können auch zu einem Raum werden, in dem wir Leidenschaften leben können, die wir ansonsten vielleicht schon längst verloren hätten – nicht sentimental, aber sehr emotional.

Wenn ich in den vergangenen Jahren, nach meinem zeitweiligen Bruch mit meiner musikalischen Vergangenheit, diverse Musikstile wiederentdeckt habe, könnte man das als ein Abflauen des klösterlichen Eifers interpretieren, als reine Nostalgie. In meiner Klosterzelle hängen Poster der Helden meiner Jugend: Bob Dylan, Joan Baez, John Lennon und andere. Ist das spätpubertär? Halte ich mich damit an einem früheren Leben fest, dass ich eigentlich besser loslassen könnte? Allmählich merkte ich, dass die Lieder dieser Barden genauso viel mit meiner Gottsuche im Kloster zu tun haben wie eine alte gregorianische Antiphon. Alle diese Helden singen von der Liebe, nicht platt, sondern in die Höhe und in die Tiefe! Wer ein Wagehals ist, der sucht in seinem Lied die sichere Burg, die ich “Gott” nenne, das offene Ende unseres Verlangens.

Neil Young

Ein Tiefbohrer, dessen Lieder ich schon seit Jahrzehnten höre, ist der kanadischen Sänger Neil Young, der 1945 in Toronto geboren wurde. Seine Liebeslieder sind nicht gefällig oder schmeichelnd, weil die Texte und die Art, wie er sie singt, eher wie missglückte Versuche rüberkommen: jemand, der eigentlich nur brüchige Erfahrungen mit der Liebe gemacht hat. Als ich am 23. Juni 2001 zum ersten Mal ein Konzert Youngs in Oberhausen besuchte, bestätigte seine mürrische Art auf der Bühne diese Vermutung. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich ihn nicht wirklich sympathisch fand. Mit Liebe hatte die Performance in meinen Augen wenig zu tun. Wohl fand ich schon damals, dass seine Gitarre und Stimme unverkennbar und der ganze Sound unglaublich intensiv waren. Später erst habe ich erkannt, dass der scheinbare Abstand des Künstlers nicht bedeutet, dass er die Liebe nicht besingt, im Gegenteil.

In meinem Geburtsjahr 1972 schrieb Young sein berühmtestes Lied, das mir heute als Mönch aus der Seele spricht. Er kämpfte selber mit viele Einschränkungen. So wurde er wegen der Folgen einer Kinderlähmung operiert und musste seine Musik auf eine ganz eigene Art entdecken, weil seine linke Körperhälfte teilweise gelähmt blieb. Bis heute kommt die Bewegung in seinem Gitarrenspiel daher hauptsächlich aus der rechten Hand, wie er in Interviews erzählt. Was bedeutet Liebe für diesen Hippie, der scheinbar ziellos überall und nirgends auf der Suche war? Ständig in die Tiefe zu gehen, ist für Young eine Herzensangelegenheit. Man muss bei seinem eigenen Herzen anfangen, wenn man anderen Liebe geben und sie selber empfangen will:

I want to live, I want to give
I’ve been a miner for a heart of gold
It’s these expressions I never give
That keep me searching for a heart of gold – and I’m getting old.

Der Wunsch, das volle Leben zu erfahren, beinhaltet automatisch das Verlangen nach Liebe. Wahre Liebe bedeutet zu leben und zu geben. Man muss immer tiefer schürfen, wenn man ein Herz finden will, das diesen Wünschen gerecht wird. Der Sänger ist ein Bergmann, der nach Liebe gräbt. Es bleibt in seinem Lied offen, ob er nun nach seinem eigenen Herzen sucht oder einem anderen. Wir wissen lediglich, dass er der Suche nach seinen Gefühlen aus eigener Kraft nicht vollständig gerecht werden kann. Es gelingt ihm nicht, einfach so zum Ausdruck zu bringen, was er wirklich fühlt. Seine Ausdrucksmittel sind dafür unzureichend. Darum sucht er weiter, auch wenn er langsam alt wird. Liebe ist tief verborgen im eigenen Leben und dem des anderen. Vielleicht kann man ihr im Laufe eines langen Lebens auf die Spur kommen, in der Goldgrube des Herzens. Wenn man ein wenig davon gefunden hat, ist das buchstäblich Gold wert.

Sollte Neil Young insgeheim eine Art Pilger sein, der immer weiterzieht und auf seiner Suche immer tiefer schürft? Es scheint so. Aber auch als er die ganze Welt bereiste, fand er nicht, was er suchte. Eine äußerliche Irrfahrt ist noch keine Garantie, dass man bei der Liebe im eigenen Innern auskommt:

I’ve been to Hollywood, I’ve been to Redwood
I crossed the ocean for a heart of gold
I’ve been in my mind, it’s such a fine line
That keeps me searching for a heart of gold and I’m getting old.

Wo man auch ist, man bewegt sich stets auf einem schmalen Grat, wenn man das eigene Gefühl erreichen will. Die Versuchungen sind groß; aber welche Ferne man auch erreicht, man ist nie ganz angekommen. Nie ist die Geschichte der Liebe zu Ende erzählt. Nach einem Herz aus Gold zu suchen, erfordert Feingefühl und vor allem Standhaftigkeit, mitten im flüchtigen Leben all jener Orte, wo man bereits gewesen ist. „Bleib wo du bist, suche immer weiter!”, so verstehe ich den heimlichen Aufruf des Bergmanns. Wenn man in der Abgeschiedenheit des “Klosters” im eigenen Leben bleibt, ob das nun eine Abtei, eine Beziehung oder was auch immer ist, dann bedeutet das, nicht vor der eigenen Leidenschaft wegzulaufen. Es ist eine endlose Suche nach den goldenen Gefühlen im eigenen Herzen. Man ist ein Tiefschürfer, ob man will oder nicht.

Ich muss hier wieder an den mürrischen Neil Young auf der Bühne denken. Ist er ein hoffnungsloser Einzelgänger? Nein, denn alles, was er aus seiner Goldgrube zutage fördert, muss er zwangsläufig weitergeben. Einzelgänger zu sein bedeutet nicht, dass man keine Liebe geben und empfangen könnte. Im Gegenteil, der Einzelgänger ist wie kein anderer in der Lage, andere Menschen zu lieben. Das menschliche Herz möchte nämlich auch in der Zurückgezogenheit nicht alleine leben; es will auch geben, wie es am Anfang des Liedes heißt. Alt sein – und das war Young vor mehr als fünfundvierzig Jahren, als er das Lied schrieb, biologisch noch keineswegs – bedeutet vor allem endlos geduldig zu sein: stets darauf zu vertrauen, dass in jedem Menschenherz Gold verborgen liegt, in unserem eigenen Herzen und auch in dem all jener, die unseren Weg kreuzen. Wir werden ihnen in Liebe begegnen, in echter Liebe aus der Tiefe.

Gegenüber

Liebe ist uferlos, aber sie setzt auch ein Gegenüber voraus. Nicht vage und ungreifbar, sondern im konkreten Umgang mit dem Anderen, in allen Stromschnellen des Lebens. Die können durchaus bedrohlich sein. Wie jedes Gefühl kann auch Liebe, wenn man sie mit Haut und Haaren lebt, gefährlich werden. Was ist, wenn man der Herausforderung, nach dem ultimativen Grund des Zusammenseins zu suchen, nicht gewachsen ist? Was, wenn man das Gold das auf diesem Grund schlummert, nicht finden kann? Jeder Mensch kennt Situationen, in denen eine Beziehung ihn so verwirrt, dass er nicht mehr weiß, was nun eigentlich sein wahres Gefühl ist.

Die Konfrontation mit dem Anderen führt dann eher zu Chaos und Unruhe, nicht zu Ausgeglichenheit und Ruhe. Man reagiert heftig, nicht wie man es selber gehofft hätte. Angst und Faszination liegen dann nahe beieinander, wie bei jedem großen Geheimnis (mysterium tremendum et fascinans). Aber setzt der schmale Grat, auf dem der Liebende geht, nicht Frieden mit sich selber und dem anderen voraus? In einem Lied, das Young 1977 schrieb, vergleicht er das Gegenüber seiner Liebe mit einem Orkan:

You are like a hurricane
There’s calm in your eye
And I’m gettin’ blown away
To somewhere safer
Where the feeling stays
I want to love you
But I get so blown away.

Wer mag hier jenes Gegenüber des Sängers sein? Wer stört seine Suche nach dem Innersten seines Herzens? Wir wissen es nicht. Wohl ist klar, dass er den ruhigen Pfad durch die anonyme Liebe aus den Augen verloren hat. Das Gefühl sorgt dafür, dass er vollkommen “weggeblasen wird”. Trotzdem hat die Person, die die Ursache seiner Unruhe und heftigen Reaktion ist, “Ruhe in ihren Augen”. Passen Unruhe und Ruhe denn zusammen? Kann es sie gleichzeitig geben? Wer die Liebe sucht, kennt diese Erfahrung: mitten im Orkan gibt es ein Auge des Sturms, wo Friede und Glück herrschen. Wenn man sich dahin mitnehmen lässt, ist jener Ort “sicherer”, so dass „das Gefühl bleiben kann“.

Wir neigen oft dazu zu denken, dass wir von einem Orkan nach außen geweht werden. Werden wir nicht auch zuweilen nach innen gezogen? Einkehr bringt uns näher zum anderen. Sich nach innen zu richten bedeutet nicht, zahm zu werden, sondern seine Leidenschaft, tiefschürfend und immer besser zu entdecken. Die Leidenschaft, die zur Liebe gehört, ist es, was man sucht. Aber es ist auch dieselbe Leidenschaft, die für viele Stürme sorgt. Man möchte Liebe leben, aber weiß eigentlich nur allzu gut, dass man jeden Moment weggeblasen werden kann: umfallen durch die eigene Leidenschaft oder die des anderen.

Den sicheren Ort im Auge des Sturms zu finden, verlangt Aufmerksamkeit und Mühe. Aber genau dort befindet sich die Liebe, nicht darüber oder darunter. Die liebevolle Lebensweise, nach der man strebt, bedeutet Frieden, trotz aller Turbulenzen. Dieser Friede steht immer auf dem Spiel, wenn man Liebe zulässt. Dennoch ist die Liebe die einzige Art, wahren Frieden zu finden. Schlecht handelt, wer der Liebe im Weg steht.

Wo Menschen zusammenleben, ist es verführerisch, stets spontan seinem Gefühl zu folgen. Das kann gut sein. Aber das Risiko besteht, dass man nicht mehr wirklich in die Tiefe geht, sein wirkliches Gefühl verpasst und so sein “Herz aus Gold” und das des anderen nicht mehr finden kann. Nur wenn man seine spontanen Affekte radikal vertieft, kann man näher zu jenen Herzen kommen und nicht mehr in alle Himmelsrichtungen entschwinden. Das Gefühl, dass man einem anderen Menschen – einem Orkan in unserem Leben – nicht gewachsen ist, weist uns vielleicht den Weg zu Frieden und Liebe: wenn wir uns immer wieder öffnen, wenn wir uns vom Wind zu unserem eigenen Kern mitnehmen lassen.

Neil Young wird ein ums andere Mal weggeblasen. Das eine Drama nach dem anderen sorgt dafür, dass er kaum mehr stehen kann. Dann helfen Ruhe, Stille und Einkehr, aber die scheinen oft weit weg, wenn das Leben auf dem Kopf steht. Dann braucht es ein “Kloster” im Leben, ein Auge des Sturms, eine Goldgrude der Liebesspiritualität. Der liebende wird zum “Mönch”, zum radikal offenen Einzelgänger.

Wunder

Es ist ein Wunder, dass Menschen trotz allem immer wieder aufs Neue die Liebe suchen. Das ist etwas ganz anderes, als ein Draufgänger zu sein. Den sicheren Platz findet man nämlich nur, wenn man an die Liebe glauben kann. Natürlich klingt das sehr idealistisch. Als ob es nicht mehr als genug Situationen gäbe, in denen das ganz und gar nicht funktioniert, gerade in einem Kloster – einem abgeschlossenen Raum-, so weiß ich heute als Mönch.

Wie kalt ist oft unser Umgang miteinander, wie verhärtet sind die Fronten – aus Angst oder Unsicherheit. Nicht nur in einem Kloster ist das so. Jeder Mensch kennt Phasen, in denen es schwer ist, einen sicheren Platz in seinem Herzen zu finden, wo man nah bei seinem Gefühl bleiben kann. Aber gerade wenn man von einem unbändigen Menschen in seiner Umgebung weggeblasen wird, wenn man Ruhe und Stille braucht aber nicht findet, gibt es ein Gegenüber, das man in den Augen des anderen entdecken kann. All die Irritation und Aggressivität, die die Liebe auch verursachen kann, können nur durch die Liebe selbst überwunden werden. Habe ich einen anderen schon einmal gehasst? Ich will es nicht leugnen, und wer könnte das schon? Dann darf man die Erfahrung machen, dass die Liebe uns letztendlich auch vom Hass befreien kann. Neil Young schrieb genau darüber 1990 ein Lied:

Long ago in the book of old,
Before the chapter where dreams unfold
A battle raged on the open page,
Love was a winner there overcoming hate
Like a little girl who couldn’t wait.

Die Weisheit der Liebe verlangt, dass man immer weiter auf die versöhnende Kraft des eigenen Gefühls vertraut. Das ist schon von alters her so und wird in jeder Beziehung aufs Neue Wirklichkeit. Liebe ist ein kleines Mädchen, das nicht abwarten kann, seine Zuneigung und Wärme mit anderen zu teilen. Ein befreiendes Gefühl – es ist nämlich sicher und geborgen, im Gegensatz zum Hass:

Love and only love will endure
Hate is everything you think it is
Love and only love will break it down
Love and only love, will break it down.

Dieses Lied handelt wirklich von der Liebe, so viel ist klar. Ich mag es, gerade als Mönch. Denn wird hier nun die Liebe zu Gott oder Liebe zum anderen besungen? Vielleicht ist das schlicht dasselbe. Sorgen wir also dafür, dass in all unseren dunklen Neigungen das echte Verlangen nach unseren Herzen aus Gold, nach dem Auge des Sturms, nicht verlorengeht. Finden wir das symbolische “Kloster in unserem Leben‘”, um wirklich lieben zu können. Ein Kloster, in dem Liebe verboten oder unterdrückt wird, taugt zu nichts. Es beraubt Menschen nämlich der Möglichkeit, ihr Gefühl wachzuhalten – dauerhaft, befreiend.

Andere Menschen sind keine Versuchung, sondern eine Bereicherung, ein Gegenüber, in dem das Göttliche aufleuchtet. Wenn wir das nicht sehen, können wir den Hass nicht überwinden. Nicht in einer Beziehung, nicht in einem relationalen Netzwerk und auch nicht in einer Abtei. “Gott” offenbart sich uns durch die Liebe. Nur mit liebenden Augen können wir wissen, wer oder was er für uns ist. Darf ich also als Mönch Liebeslieder mögen? Die Liebe zu besingen, ist die beste Art, spirituell in die Tiefe zu gehen und einen sicheren Platz zu suchen. Es ist ein Liebesgebot: Singe Liebeslieder!

Momente

Manchmal erinnern sonderbare Momente uns daran, dass wir dieses Gebot befolgen müssen. Allzu schnell fliehen wir, gehen der Konfrontation aus dem Weg und denken, besseres zu tun zu haben, als ständig das Herz aus Gold zu suchen. Am 3. Juli 2019 sah ich Neil Young zum zweiten Mal im Konzert, dieses Mal in der Berliner Waldbühne, zusammen mit meinem jüngsten Mitbruder Stijn (niederländisch für Augustinus – der ewig suchende Denker). Er ist siebenundzwanzig. Als ich den Sänger zum ersten Mal live hörte, war er also gerade mal zehn Jahre alt. Was macht der Auftritt, des mürrischen, in die Jahre gekommenen, aber unglaublich vitalen Sängers mit uns, die wir in ganz unterschiedlichen Lebensphasen verkehren und doch dieselbe Suche teilen?

Young ermöglicht mit seinen Liedern auf jeden Fall Gespräch und Begegnung: Was bedeutet es für uns, tief nach dem eigenen Gefühl zu graben, Jung und Alt beieinander? Wie können wir uns gegenseitig einen sicheren Raum bieten, als Menschen, als Mönche? Die Texte jenes Juliabends geben zu denken, sie machen und offen und empfänglich. Sollte das Göttliche in diesen Momenten schon in uns lebendig sein? Ganz bestimmt, denn Liebeslieder sind göttlich! Sie sind Ausdruck von Liebesspiritualität für alle, die sie wirklich hören. Seit dem Konzert hängt eine Lithographie von Neil Young auf meiner Zelle: er trägt einen schwarzen Hut – und verkörpert auf dem Bild genau jene spirituelle, auf den ersten Blick wenig attraktive Liebe, nach der ich in meinem Leben suchen möchte – gemeinsam mit anderen – in Berlin und überall. Wir sind alle „Bergleute der Liebe“, Mönche auf unsere ganz eigene Art und Weise. Lasst uns stets tiefer schürfen, für das Leben und für die Welt!

Anzeigen von 2 Kommentaren
  • heike
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    That keeps me searching for a heart of gold and I’m getting old.

    Ich habe immer verstanden : “… and I get one.” So hat mir das Lied gefallen. Die wirkliche Version tut dem Lied nun erheblichen Abbruch, finde ich. Ich werde es natürlich überleben, aber etwas schade finde ich es schon so.

  • heike
    Antworten
    Zum Erich-Kästner-Zitat, welches stimmt, fällt mir “….die Herzen sind verlöscht, die Pfeile blieben stehn … ” von A. Heller ein.

    Das Schöne und die (zumindest zeitweilige) Erinnerung daran verschwinden, wenn man, wie wiederum H. Grönemeyer so schön sang “…auf dem Trocknem schwimmt..”.

    Und wie badet man in Lebendigkeit? Indem man liebt.

    Man muss sich so klein machen, bis man etwas findet, was man lieben kann.

    Oder es muss etwas so großes Liebenswertes in unser Leben treten, dass wir davon überschwemmt werden.

     

     

     

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