Berliner Philharmoniker Kirill Petrenko Tschaikowsky Symphony No. 6 „Pathétique“

 In CD-Tipp

Peter I. Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 „Pathétique“ h-Moll op. 74 gehört zu den erschütterndsten Werken der symphonischen Literatur. Der neue Chefdirigent der Berliner Philharmoniker Kirill Petrenko überzeugt mit seiner ersten offiziellen ganzen CD Aufnahme mit seinem Orchester mit Natürlichkeit und klang- wie spieltechnischem Höchstniveau im Fluss des vielfach tragischen Geschehens. (Alexander Kinsky)

Tschaikowskys letztes Werk, 1893 unter Leitung des Konponisten in St. Petersburg uraufgeführt, erschüttert ja nicht nur von Anfang an durch seinen dramatischen Ablauf, zwischen Düsternis, Dramatik, großer Geste, vermeintlicher Tanzseligkeit, Pomp und tiefstem Seelenschmerz, es erschüttert vor allem durch die Entscheidung, nach dem für Unbedarfte aber sowas von applausheischendem Ende des fulminant auftrumpfenden 3. Satzes einen umso bewegenderen symphonischen Abgesang als Finale nachzusetzen, der die Hörerschaft hinabzieht in traurige, hoffnungslose Gefilde.

Tschaikowsky wollte kein dezidiertes Programm zu dem Werk veröffentlichen. Er akzeptierte nach der Uraufführung den Vorschlag seines Bruders Modest, der Symphonie die Bezeichnung „Pathétique“ beizufügen.

Das meist etwa eine Dreiviertelstunde dauernde Werk hat vier Sätze: 1. Satz (Adagio – Allegro non troppo – Andante – Moderato mosso – Andante – Moderato assai – Allegro vivo – Andante come prima – Andante mosso, der mit an die 20 Minuten längste Satz), 2 Satz (Allegro con grazia), 3. Satz (Allegro molto vivace) und 4. Satz (Finale. Adagio lamentoso – Andante).

Was für eine Schicksalssymphonie, für den Komponisten wie für die Hörerschaft! Nach der düsteren Einleitung folgen im 1. Satz das klagend wirkende Hauptthema und das melodisch groß auschwingende berühmte 2. Thema. Die dramatische Durchführung beginnt mit einem Orchesterschlag und mündet direkt in die Wiederkehr des 2. Themas. Überraschend positiv, irgendwie trotzig endet der 1. Satz.

Wie ein Walzer mutet der großteils freundlicher dahintanzende 2. Satz im 5/4 Takt an, aber auch hier gibt es wehmütige, schmerzliche Zwischenklänge.

Der quirlige Marsch des 3. Satzes schwingt sich zu einem Orchesterfurioso sondergleichen auf und scheut auch äußerlichen Pomp keineswegs. Absolut verzeihlich ist es, hört dies jemand unvorbereitet das erste Mal und applaudiert oder jubelt danach begeistert. Das klassische Publikum ist freilich so „abgerichtet“, hier völlig still zu bleiben, in Konzerten ein stets kurioser Moment.

Seufzend zieht das Finale unbarmherzig und ungemein bewegend in die Ausweglosigkeit musikalischer Erschütterung hinab.

Bald nach der Uraufführung starb Tschaikowsky ziemlich plötzlich. Seine 6. Symphonie entwickelte sich zu einem der berühmtesten Werke der symphonischen Literatur und liegt in ungezählten Aufnahmen vor, in Studioaufnahmen wie in Konzertmitschnitten.

Den Schreiber dieser Zeilen hat bisher Leonard Bernsteins 1986 mitgeschnittene Aufnahme mit dem New York Philharmonic Orchestra (DGG) am nachhaltigsten betroffen gemacht. Bernstein traut sich, das Plakative auszukosten, und er dehnt das Finale ins Ewige, aber der Sog ist extrem intensiv. Das ist „ganz“ gelebte Musik.

Nun haben die Berliner Philharmoniker im Mai 2019 die erste volle CD mit ihrem designierten Chefdirigenten im eigenen Label veröffentlicht, mit genau diesem Werk. Die Aufnahme entstand in den ersten Konzerten nach Petrenkos Ernennung zum Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker in der Berliner Philharmonie am 22. und 23.3.2017.

Petreko ist in der Klassikwelt umstritten, er gilt als medienscheu und als akribischer Arbeiter.

Die bisherigen Hörerfahrungen wie auch diese CD unterstreichen für den Schreiber dieser Zeilen: Petrenko geht es nicht um Selbstdarstellung, ihm geht es um die Musik, um die Substanz und die Psychologie der Musik. Der völlig natürlich wirkende, organische Fluss und Petrenkos Tempodramaturgie in dieser großteils ja so tragischen Musik bei gleichzeitig höchster Spiel- und Klangkultur machen diese Aufnahme zu einer ganz besonderen.

Auch aufnahmetechnisch, mit vollem, differenziertem Klang, lässt sie nichts zu wünschen übrig.

Die hochwertige Buchgestaltung mit Einführungstexten auf Deutsch und Englisch und reichhaltigem Bildmaterial macht diese Veröffentlichung vielleicht auch zu einer recht schönen Geschenkidee.

Vielfach gibt es Radioübertragungen und -aufzeichnungen von Konzerten der Berliner Philharmoniker, wohl auch mit dem neuen Chefdirigenten wird es diese geben. Es lohnt, mit ihm bekannte Werke neu zu erspüren und weniger Bekanntes kennenzulernen.

Die CD auf der Homepage des Orchesters: https://www.berliner-philharmoniker-recordings.com/petrenko-tchaikovsky-6.html

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