Berufsverbote-Politik der 1970er/80er Jahre und kein Ende

 In FEATURED, Politik (Inland)

Ein dunkles, nicht aufgearbeitetes Kapitel bundesdeutscher Geschichte. „Berufsverbote“ hat es in der Bundesrepublik nach offizieller Lesart nie gegeben. Doch auch wer frühere Berufsverbote nicht leugnet, sitzt nicht selten der gängigen Meinung auf: Berufsverbote aus politischen Gründen gehören der Vergangenheit an. Doch es gibt sie immer wieder und auch heute noch.  Rolf Gössner

Erinnert sei insoweit an den Realschullehrer und Antifaschisten Michael Csaszkóczy in Baden-Württemberg: Ihm hatte die damalige CDU-Kultusministerin 2004 – trotz Qualifikation – wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue die Einstellung in den staatlichen Schuldienst verweigert. Zur Last gelegt wurde ihm sein linkspolitisch-antifaschistisches Engagement u.a. in der linken Rechtshilfe-Organisation „Rote Hilfe“ und in der „Antifaschistischen Initiative Heidelberg“. Deshalb musste er sich durch die Instanzen klagen: 2007 ist das Berufs-verbot nach fast vier Jahren in zweiter Instanz endlich für rechtswidrig erklärt und Michael C. daraufhin in den Schuldienst eingestellt worden. Auf gerichtlichem Wege konnte er Schadensersatz als Wiedergutmachung für erlittene Nachteile erzwingen – eine Ausnahme in der Geschichte bundesdeutscher Berufsverbotsfälle. Dennoch ist seine Überwachung durch den „Verfassungsschutz“ 2016 gerichtlich für rechtens und die Weigerung des „Verfassungsschutzes“, seine Akte aus Geheimhaltungsgründen offenzulegen für gerechtfertigt erklärt worden.

Insoweit ähnlich erging bzw. ergeht es Silvia Gingold, Tochter jüdischer Widerstandskämpfer, deren Berufsverbot als Lehrerin in den 70er Jahren u.a. wegen Mitgliedschaft in der angeblich linksextremistisch beeinflussten „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) schon lange zu¬rückliegt: Sie kämpft heute immer noch vor Gericht um ihre aus Geheimhaltungs¬gründen größtenteils geschwärzte Verfassungsschutz-Akte und um die Einstellung ihrer Beobachtung, die u.a. wegen ihres VVN-Engagements immer noch andauert.

Hinsichtlich neuerer Berufsverbote bzw. Berufsverbotsversuche sei weiterhin erinnert an Kerem Schamberger in Bayern, der aufgrund einer Überprüfung durch den „Verfassungsschutz“ 2016 wegen seiner Funktion als Sprecher der DKP sowie als Mitglied von SDAJ, Roter Hilfe und VVN lange auf seine Doktorandenstelle an der Münchner Universität warten musste – oder etwa an Benedikt Glasl, ebenfalls in Bayern, der 2017 nicht Lehrer-Referendar werden sollte, weil er früher zwei linken Gruppen angehörte: dem Sozialistisch-demokratischen Studierendenverband SDS und der Linksjugend Solid, die dem bayerischen VS als „linksextremistisch“ gelten. Inzwischen, 2018, wurde Glasl doch als Beamter auf Probe eingestellt; auch er bekam Schadensersatz zugesprochen.

Man fühlt sich bei solchen Fällen partiell zurückversetzt in vergangen geglaubte Zeiten: in die 1970er und 80er Jahre des vorigen Jahrtausends, als eine ausufernde Berufsverbote-Politik das politisch-kulturelle Klima der damaligen Bundesrepublik vergiftete. Betroffen war seinerzeit die gesamte Linke, von Kommunisten über Jusos bis zu jungen Links-liberalen, die eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst suchten oder aber dort bereits tätig waren – ob als Lehrer, Wissenschaftler, Juristen, Postboten, Lokführer oder Krankenhaus-personal.

Staatsautoritäre Traditionen

Diese Berufsverbote-Politik kam nicht aus dem Nichts – sie hatte einen Vorlauf in den 1950er und 60er Jahren, der aber mehr und mehr in Vergessenheit geraten ist. Deshalb möchte ich hier und heute bewusst an die frühen Auswüchse einer so genannten wehrhaften Demokratie erinnern, als die sich die Bundesrepublik von Anfang an versteht. Für mich war bereits mit der deutschen Einheit und dem Ende des Kalten Krieges Anfang der 1990er Jahre die Zeit gekommen, ein weitgehend verdrängtes Kapitel bundesdeutscher Geschichte rechtspolitisch aufzuarbeiten: nämlich die systematische politische Verfolgung von Kommunist_innen in der frühen Bundesrepublik. Ich wollte damals den abermaligen Versuch unternehmen, dieses Tabu-Thema ins öffentliche Bewusstsein zu heben – „eine Mahnung zur Un-zeit“, wie es die „Frankfurter Rundschau“ (FR) 1994 formulierte, anlässlich meines Buches über „Die Vergessenen Justizopfer des Kalten Kriegs. Verdrängung im Westen – Abrechnung mit dem Osten?“ (1994; akt. 1998). Allerdings, so die frühere FR-Politikredakteurin Astrid Hölscher, „eine bewusste Mahnung zur Unzeit an die Fehlleistungen des Rechtsstaats, während sich sonst seit der deutschen Wiedervereinigung alles Augenmerk auf den Unrechtsstaat DDR richtet“. Und auch von heute aus gesehen würde ich sagen: eine späte Mahnung und Erinnerungsarbeit zum historisch richtigen Zeitpunkt.

Zu dieser Erinnerungsarbeit gehören drei zusammenhängende Grundbelastungen der bundesdeutschen Frühgeschichte: die mangelhaft-verspätete Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die systematische Wiedereingliederung von Altnazis in Staat und Gesellschaft, in Bundeswehr, Polizei, Geheimdienste und Justiz (auf Grundlage des Art. 131 GG) sowie das düstere Kapitel politischer Verfolgung der ersten beiden Jahrzehnte.

Zunächst ein paar skizzierende Sätze zur anfänglichen Entwicklung des inneren Sicherheitssystems und zu seiner personellen Ausstattung: Ursprünglich sollte Westdeutschland unter dem Diktat der westlichen Besatzungsmächte umfassend entnazifiziert und entmilitarisiert werden. Das innere Sicherheitssystem sollte demokratisch organisiert und kontrolliert werden. Polizei und Geheimdienste wurden entflochten und strikt voneinander getrennt. So wollte man eine undemokratische Machtkonzentration, eine neue Geheimpolizei und erneute staatliche Verfolgung aus politischen Gründen von vornherein unterbinden.

Doch in den Wirren der Ost-West-Konfrontation und des eskalierenden Kalten Kriegs setzten sich die „neuen Herrschaften“ – bald schon in Übereinstimmung mit den Westalliierten – über solche Vorgaben hinweg. Angesichts der damaligen Bedrohungsszenarien, der Gefahr aus dem Osten auf Grundlage des alten Feindbilds Kommunismus, verlor die Gesellschaft die Gefahren einer übermächtigen und entfesselten Sicherheitsbürokratie rasch aus dem Blick. Schon Anfang der 1950er Jahre wurde die Polizei nach vordemokratischem Muster restauriert. Auch das neue Staatsschutz-Strafrecht lehnte sich an alte Vorbilder an. Unverkennbar zeigte es die Handschrift „entnazifizierter“ Nazis, die verstärkt ab 1951 wieder in Verwaltung, Sicherheitsbehörden und Justiz reintegriert wurden. Zeitgleich wurde der öf-fentliche Dienst auf Grundlage des „Adenauer-Erlasses“ von 1950 von so genannten kommunistischen Elementen gesäubert – es handelte sich dabei um die erste Berufsverbotswelle Westdeutschland.

Viele ehemals leitende Gestapo-Beamte, SS- und SA-Angehörige erklommen derweil auch hohe und höhere Posten bei Polizei und Geheimdiensten. Die im „Kampf gegen den Bolschewismus“ bewährten Fachleute, die in der Jagd auf politische Gegner bestens geübt waren, hielt man für berufen, die neue bundesdeutsche Verfassung zu schützen. Bereits zu Beginn der 50er Jahre konzentrierte sich der neue Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ auf die Bekämpfung des „Linksextremismus“, wobei die geheimdienstliche Beobachtung und „Durchdringung“ der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zu den Kernaufga-ben gehörte. Um die altnazistische Szene kümmerte er sich immer weniger, sie war schließlich weitgehend in Gesellschaft, Wirtschaft und insbesondere auch im Staatsapparat aufgegangen. Diese personellen „Altlasten“ im Staatsdienst hatten, so stellte sich rasch heraus, langfristig prägenden Einfluss auf Mentalität und Arbeit der bundesdeutschen Sicherheitsorgane.

Das NS-belastete Personal wirkte bei der inneren Aufrüstung der Bundesrepublik zum „Bollwerk gegen den kommunistischen Osten“ eifrig mit. Dabei diente ihm das neu-alte Strafrecht als Grundlage für politische Zensur und Verfolgung Tausender Menschen. Politische Verfolgung in Westdeutschland? So mögen sich manche ungläubig fragen. Ja, die gab es tatsächlich und davon betroffen waren in erster Linie Kommunist_innen, ihre Unterstützer und „Sympathisanten“ – aber auch Bündnispartner und bloße Kontaktpersonen.

Das Ausmaß dieser staatlichen Verfolgung ist heute kaum mehr vorstellbar: Von 1951 bis 1968 gab es Ermittlungsverfahren gegen 150.000 bis 200.000 Personen. Mehr als doppelt so viele – etwa eine halbe Million – waren direkt oder indirekt von Ermittlungsmaßnahmen be-troffen: so u.a. von langfristigen Observationen, Abhöraktionen, Postkontrollen und Unter-suchungshaft. Selbst gewaltlose Proteste gegen die damalige höchst umstrittene Wiederaufrüstung und Atombewaffnung wurden als kriminelle Delikte verfolgt, weil sie als „kommunistisch gesteuert“ galten. Menschen wurden etwa wegen „Staatsgefährdung“ oder „Geheimbündelei“ bestraft, weil sie für ein entmilitarisiertes und neutrales Gesamtdeutschland eintraten oder weil sie deutsch-deutsche Kontakte pflegten. Etliche Frauen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, nur weil sie Ferienfahrten in die DDR für Kinder aus bedürftigen Familien organisiert hatten. Oft genug waren die Ankläger und Richter ehemalige Nazitäter, die über ehemalige Widerstandskämpfer_innen und Nazigegner richteten.

Zwar schloss nur etwa jedes zwanzigste Ermittlungsverfahren mit einer Verurteilung ab – das ergibt etwa 7.000 bis 10.000 Verurteilungen meist zu mehrmonatigen, bisweilen zu mehrjährigen Freiheitsstrafen ohne Bewährung. Doch auch wer nicht bestraft wurde, konnte Schaden nehmen, der an die Existenz ging – durch monatelange Einzelhaft, horrende Verfahrenskosten, jahrelange Einschränkungen der staatsbürgerlichen Rechte, Pass- und Führerschein-Entzug, Verlust des Arbeitsplatzes und Renteneinbußen. Ehemaligen NS-Opfern und Widerstandskämpfern sind im Fall kommunistischer Betätigung sogar die Wiedergutmachungsrenten für erlittenes Unrecht in der NS-Zeit aberkannt worden.

Der Höhepunkt der Kommunistenverfolgung war 1956 mit dem Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) durch das Bundesverfassungsgericht erreicht worden – ein Verbotsurteil, das nach neuerer Forschung anhand bislang geheim gehaltener Dokumente u.a. wegen exekutiver Einflussnahme der damaligen Bundesregierung als verfassungswidrig gelten kann – so der Freiburger Historiker Josef Foschepoth in seinem Buch von 2017 mit dem Titel: „Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg“. Praktisch die gesamte politische Betätigung von Kommunist_innen, ihren Organisationen und Bündnispartnern wurde seinerzeit auf dieser juristischen Grundlage kriminalisiert und bis auf wenige Reste unterbunden. Strafrechtlich verfolgt wurden damit Menschen, die »keine politischen Morde, keine Aufstandsversuche, keinerlei Gewalttaten« begangen hatten, wie der Anwalt und frühere Justizminister von NRW, Diether Posser, zu Recht hervorhebt.

Die Politische Justiz gegen Kommunistinnen und Kommunisten wirkte lange Zeit in stiller oder offener Übereinkunft mit der Mehrheit der Bevölkerung. Es gab – über das eigene politische Umfeld hinaus – nur relativ wenig Solidarität. Das tief verwurzelte Feindbild Kommunismus, der allgegenwärtige Kommunistenverdacht, die Angst vor „kommunistischer Unterwanderung“ lähmten bis hinein in SPD und Gewerkschaften, die sich mit so genannten Unvereinbarkeitsbeschlüssen und Gewerkschaftsausschlüssen selbst gegen (mutmaßliche) Kom¬munisten abzuschotten versuchten.

Diese 17 Jahre währende politische Verfolgung fand erst 1968 ein Ende: Die damalige Große Koalition aus CDU und SPD liberalisierte das politische Strafrecht teilweise und erließ eine so genannte Rechtskorrektur-Am¬nestie – was auch der geänderten Großwetterlage und der wenig später einsetzenden „neuen Ost- und Entspannungspolitik“ unter der sozialliberalen SPD-FDP-Regierung entsprach. Die Justizopfer des kalten Krieges wurden jedoch bis heute weder rehabilitiert noch entschädigt.

Berufsverbote-Politik: Vergiftung des politischen Klimas

Doch schon ab 1972 erfuhr die Kommunistenverfolgung ausgerechnet unter einer sozialliberalen Bundesregierung, die unter dem Motto „Mehr Demokratie wagen“ (Bundeskanzler Willy Brandt) angetreten war, eine Fortsetzung mit anderen Mitteln – als Staatsschutz-Reaktion auf Studentenbewegung, APO und Rudi Dutschkes Motto »Marsch durch die Institutionen«. Zwei Jahrzehnte lang erlebte die Alt-Bundesrepublik auf Grundlage des „Radikalenerlasses“ der Ministerpräsidenten von 1972, unter Führung des damaligen SPD-Bundeskanzlers Willy Brandt (der das später als schweren Fehler und Irrtum bezeichnete), eine extensive Berufsverbote-Politik gegen kommunistische und andere linksorientierte Stellenbewerber und Stelleninhaber im öffentlichen Dienst. Der Erlass stützte sich auf § 35 Beamtenrechtsrahmengesetz, wonach sich Beamte durch ihr gesamtes Verhalten jederzeit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhalt einzutreten hatten – gleiches galt für Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst gemäß tarifvertraglicher Bestimmungen.

Vom Radikalenerlass betroffen war die gesamte Linke, waren Intellektuelle und Angehörige des linksliberalen Bürgertums, die eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst suchten oder dort bereits tätig waren. Wer etwa Mitglied in der 1968 zugelassenen, also legalen Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) war oder im Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW), bekam unweigerlich Ärger. Mitunter war es schon ausreichend, mit Kommunisten zusammen zu leben bzw. zu wohnen, in einer Organisation oder Partei aktiv zu sein, in der auch Kommunisten waren oder die mit Kommunisten zusammenarbeiteten – etwa im Sozialdemokratischen, später Sozialistischen Hochschulbund (SHB), in VVN/BdA, der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigten KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) oder der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ). Auch wer an „falschen“, weil angeblich „linksextremistisch“ beeinflussten Demonstrationen teilnahm, konnte rasch zum „Verfassungsfeind“ gekürt und ausgeschlossen werden.

Der Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ (VS) spielte bei all dem eine ganz herausragende Rolle: Denn der Radikalenerlass sah zwingend eine so genannte Regelanfrage bei den VS-Behörden des Bundes und der Länder vor. Im Rahmen dieser Anfragen kam es zu ausufernden Gesinnungsüberprüfungen auf der Grundlage der „Extremismustheorie“. Faktisch mutierte dieser demokratisch kaum zu kontrollierende Inlandsgeheimdienst damit zur Auswahl- und Einstellungsbehörde. Der Radikalenerlass und die daraus resultierende Ausfor-schung führten im Laufe von zwei Jahrzehnten bundesweit zu
• ca. 3,5 Mio. Regelanfragen an den „Verfassungsschutz“,
• zu etwa 11.000 Berufsverbote-Verfahren und
• etwa 1.500 konkreten Berufsverbote-Maßnahmen
• sowie zu 2.200 Disziplinarverfahren, ca. 1.250 Nichteinstellungen und mehr als 250 Ent-lassungen aus dem öffentlichen Dienst.

Einige der Berufsverbote konnten gerichtlich angegriffen und zu Fall gebracht werden – auch dank einer recht starken und rührigen Rechtshilfe- und Solidaritätsbewegung in der Bundesrepublik, aber auch international. Denn im In- und Ausland gab es starke Proteste gegen diese Praxis der Gesinnungsüberprüfung. „Le Berufsverbot“, dieser Negativ-Begriff wurde damals ins Französische übernommen, aber auch in andere Sprachen – so wie Autobahn, Blitzkrieg und Kindergarten. 1978 ist die Bundesrepublik wegen ihrer Berufsverbote-Praxis vom 3. Internationalen Russell-Tribunal symbolisch verurteilt worden und auch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) rügte mehrfach die Praxis der Berufsverbote. Demgegenüber hatten sämtliche bundesdeutschen Gerichte, auch das Bundesverfassungsgericht in seinem so genannten Radikalen-Beschluss von 1975, diese Berufsverbote-Praxis grundsätzlich als verfassungskonform abgesegnet.

Just an dieser Stelle sei auf eine späte, aber wichtige anderslautende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hingewiesen: Dieser hat 1995 im Berufsverbots-fall der Studienrätin Dorothea Vogt entschieden, dass
1. die gegen sie 1986 ausgesprochene Entlassung aus dem öffentlichen Dienst wegen ihrer Mitgliedschaft in der DKP und ihrer Kandidatur für diese Partei bei Landtagswahlen in Niedersachsen gegen Art. 10 und 11 (Meinungs- und Vereinigungsfreiheit) der „Europäischen Menschenrechtskonvention“ verstößt.
2. Da die DKP nicht verboten worden sei, seien Vogts Aktivitäten für und in der DKP „völlig rechtmäßig“ gewesen. Und
3. Verletzungen ihrer Berufspflichten – etwa eine unzulässige Indoktrinierung ihrer Schüler oder „verfassungswidrige Handlungen“ – habe es offenkundig nicht gegeben.

Mit diesem Urteil, das eine abweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts revidierte, war in diesem Fall der Weg frei für eine angemessene Entschädigung für entgangene Einnahmen und Renteneinbußen. Die Betroffene und das Land Niedersachsen haben sich über die Entschädigungssumme außergerichtlich geeinigt. Dorothea Vogt war bereits 1990 wieder als Beamtin auf Lebenszeit in den niedersächsischen Schuldienst aufgenommen worden.

Es ist dies das erste Mal, dass eine Berufsverbots-Betroffene den langwierigen Gang durch sämtliche Instanzen gegangen ist und nach Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs, der ihre Menschenrechte nicht garantierte, den europäischen beschritten hat. Und es ist das erste Mal, dass sich die Bundesrepublik in der jahrzehntelangen Auseinandersetzung um Berufsverbote vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verantworten musste und dabei bescheinigt bekam, dass es sich dabei um Menschenrechtsverletzungen handelte. Die Entscheidung dürfte Maßstäbe gesetzt haben – auch wenn alle Wiederaufnahme-Anträge, die sich auf dieses Urteil stützten, abgelehnt, alle danach eingelegten Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen wurden.

In diesem Zusammenhang ist mit Rechtsanwalt Klaus Dammann, der Dorothea Vogt zusammen mit weiteren Kollegen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertreten hatte, zu fragen, weshalb nicht mehr Betroffene nach Ausschöpfung des Rechtswegs das Bundesverfassungsgericht und danach den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angerufen haben. Dammann meint, dass dafür parteitaktische Überlegungen verantwortlich waren: Die Betroffenen hätten sich der „Parteiraison der DKP unterworfen“ und fast ausschließlich davon Abstand genommen, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anzurufen – denn es sollte, so Dammann, „auf jeden Fall ein sog. kleiner Parteiverbotsprozess vor dem BVerfG vermieden werden.“ Auch im Fall von Dorothea Vogt soll sich die DKP ausdrücklich gegen eine Verfassungsbeschwerde ausgesprochen haben.

Die hier skizzierte Berufsverbote-Politik währte zwei Jahrzehnte lang bis Ende der 1980er Jahre. In einigen Bundesländern wurden den Betroffenen zwar wieder adäquate Stellen im öffentlichen Dienst angeboten. Doch mit der Wiedereinstellung waren weder Rehabilitierung noch Entschädigungen verbunden – also kein Schadensersatz in Höhe der entgangenen Einnahmen und keine Rentenanpassung. Denn die herrschende Meinung geht nach wie vor davon aus, dass die Berufsverbotsverfahren seinerzeit rechtmäßig und rechtsstaatlich durchgeführt worden seien.

Bis Ende der 1980er Jahre ist in den meisten Bundesländern auch die „Regelanfrage“ an den „Verfassungsschutz“ eingestellt worden; seitdem wird nur noch eine so genannte Bedarfsanfrage an den „Verfassungsschutz“ durchgeführt, nämlich dann, wenn sich Zweifel daran ergeben, ob der oder die Bewerber/in jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt. Und so kommt es bis heute immer wieder zu einzelnen neuen Berufsverbotsfällen – zumindest vorübergehend…

Zeiten- und Szenenwechsel: Berufsverbote als Vereinigungsfolgen

Kaum schien die Berufsverbotspraxis im noch Kalten Krieg der 1970er/80er Jahre überwunden, da zeichnete sich mit Anschluss der DDR an die Bundesrepublik Anfang der 1990er Jahre schon wieder die Gefahr einer neuen Berufsverbotspolitik ab. Auf Grundlage des Einigungsvertrags und des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wurden Stellenbewerber_innen aus der ehemaligen DDR praktisch einer Art Regelanfrage unterzogen. Es ging dabei u.a. um Stasi-Kontakte und SED-Mitgliedschaften – doch auch bloße DDR-Staatsnähe konnte zum Ausschluss aus dem Öffentlichen Dienst führen.

So hatte etwa die bayerische Staatsregierung, wie auch andere Landesregierungen, seinerzeit angeordnet, dass jede/r Bewerber/in für den öffentlichen Dienst aus Ost wie West einen „Fragebogen zur Prüfung der Verfassungstreue“ ausfüllen muss, der modifiziert bis heute weiter gilt. Insgesamt über 150 Organisationen und Vereine umfasst dieser Fragebogen – nach Linksextremis¬mus, Rechtsextremismus und Islamismus sortiert. Darin müssen die Aspiranten angeben, ob sie „extremistische“ bzw. „extremistisch beeinflusste“ Organisationen unterstützen bzw. unterstützten bzw. Mitglied sind oder waren (z.B. VVN-BdA oder Linksjugend solid), ob sie Mitglied einer DDR-Massenorganisation waren (z.B. „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ) oder „Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter“), ob sie für die Stasi spioniert hatten oder als inoffizielle Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit geführt worden waren – nicht jedoch westlicher Geheimdienste.

Tatsächlich sind nach der „Wende“ über eine Million Menschen aufgrund ihrer ehemaligen beruflichen Stellung oder politischen Betätigung in der DDR überprüft und weit über 10.000 Sonderkündigungen im öffentlichen Dienst ausgesprochen worden. In erster Linie hat diese Art der Abwicklung Lehrer und Wissenschaftler getroffen, aber auch Ärzte und Juristen. Erst einige Zeit später haben Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgericht solche Kündigungsfälle differenzierter beurteilt.

„Antiterrorgesetze“: Berufsverbote nach Sicherheitsüberprüfungen?

Ein weiteres Kapitel, das jedoch nicht vollkommen mit der Berufsverbotspolitik der 1970 / 80er Jahre vergleichbar ist, aber trotzdem bei den Betroffenen einschneidende Spuren hinterlassen kann: In Einzelfällen mussten bzw. müssen Betroffene auch in anderen Zusammenhängen um ihre Jobs fürchten, wenn an ihrer Verfassungstreue oder Zuverlässigkeit Zweifel bestehen. So können nach den „Antiterrorgesetzen“ von 2002 ff. Tausende von Beschäftigten in so genannten lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen Sicherheits-überprüfungen unter Mitwirkung des „Verfassungsschutzes“ unterzogen werden – im öffentlichen Dienst, aber auch in privatwirtschaftlichen Betrieben. Es geht um Einrichtungen und sicherheitsempfindliche Stellen, so heißt es im Gesetz wörtlich, „die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung entstehen lassen würde“. Gemeint sind Einrichtungen, die der Versorgung der Bevölkerung dienen, wie Energie-Unternehmen, Krankenhäuser, pharmazeutische Firmen, Chemie-Anlagen, Bahn, Post, Banken, Telekommunikationsunternehmen, aber auch Rundfunk- und Fernsehanstalten können betroffen sein. Menschen, die sich um sicherheitsempfindlichen Stellen in solchen Betrieben oder Institutionen bewerben oder sie bereits innehaben, werden wesentlich mehr und intensiver als zuvor in geheimdienstliche Überprüfungen (in 3 Stufen) einbezogen – und nicht nur sie, sondern – je nach Sicherheitsstufe – auch ihre Lebenspartner und ihr soziales Umfeld.

Wozu solch ausgedehnte Überprüfungsverfahren führen können, das kann ich anhand einschlägiger Dokumente veranschaulichen, die mir bereits Mitte der 1990er Jahren zur Auswertung vorlagen: “Als besonderes Hobby sei erwähnt, daß er früher ein Karl-May-Leser war.” – “Sie raucht stark (sogar Tiparillos).” – “Er ist ein grundsolider, fast langweiliger Mensch, eher der Prototyp eines Beamten.” – “Hat zwei Kinder, davon eine unerwünschte Tochter.” – “Körperlich etwas anfällig mit leichtem Hang zur Wehleidigkeit. Die jüngere Tochter ist unehelich geboren. Der Vater ist ein Taugenichts. Kleidet sich zwar kontrastreich und manchmal zu jung, kauft aber stets preiswerte Kleidung.”

Was sich da wie Auszüge aus perfiden IM-Berichten der Stasi liest, stammt in Wahrheit aus Dossiers des niedersächsischen “Verfassungsschutzes”. Aufgedeckt hat diesen Skandal der damalige Niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte. Entstanden sind diese unglaublichen Personendossiers im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen in bestimmten Betrieben. Schon die “Besorgnis” möglicher Erpressbarkeit, also etwa Schulden oder sexuelle Normabweichungen oder aber „Zweifel an der Zuverlässigkeit oder am Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung”, reichten aus, um zu einem personellen „Sicherheitsrisiko” deklariert zu werden. Selbst „sicherheitserhebliche Erkenntnisse” über den Lebenspartner machten die überprüfte Person zum Sicherheitsrisiko.

Die gewonnenen Informationen wurden in Sicherheitsüberprüfungsdateien und -akten beim „Verfassungsschutz“ gesammelt und entsprechend bewertet: Ob der Hobby-Karl-May-Leser oder die Tiparillos-Raucherin zu “Sicherheitsrisiken” erklärt wurden, ist jedoch nicht überliefert; im Fall des grundsoliden, fast langweiligen Beamten-Prototyps dürfte die Entscheidung “kein Risiko” einfacher gefallen sein – es sei denn, der hatte sich nur perfekt getarnt. Doch wie mag es einem Bewerber ergangen sein, über den folgendes notiert worden ist: “Leidet vor allem in den Frühjahrsmonaten an Kopfschmerzen und Furunkeln an Kopf und Rücken. Das liegt wohl an dem zu dicken Blut”? Vielleicht ist der Betroffene ja zum saisonalen Teilzeit-Risiko erklärt worden?

Vor allem die gesammelten Aussagen gesprächiger Referenz- oder Auskunftspersonen über die Betroffenen erwiesen sich als wahre Fundgrube an Informationen über politische Betätigung, Hobbys, Krankheiten, angebliche Verschwendungssucht und Wirkung auf das andere Geschlecht. Die auf solchen „Erkenntnissen“ und auf Abfragen öffentlicher Dateien von Polizei und „Verfassungsschutz“ beruhenden Kündigungen oder Nichteinstellungen wegen Sicherheitsbedenken können im Übrigen arbeitsrechtlich kaum angegriffen werden, denn die Quellen der Erkenntnisse bleiben regelmäßig geheim, so dass anonymen Denunziationen Tür und Tor geöffnet sind.

Wie sich die Sicherheitsüberprüfungen in der täglichen Praxis auswirkten, ließ sich bislang kaum ergründen: Denn in aller Regel scheuen sich die Betroffenen, ihre Fälle öffentlich zu machen – sie haben verständlicherweise Angst, ihre berufliche Existenz noch mehr aufs Spiel zu setzen. Das gilt auch für den Depotleiter Johann H., der auf einem bayerischen Flughafen beschäftigt war: Die Regierung hatte ihm von heute auf morgen die Zutrittsberechtigung für nicht allgemein zugängliche und sicherheitsempfindliche Bereiche des Flughafens entzogen. Er musste seinen Flughafenausweis zurückgeben und konnte seinen Arbeitsplatz nicht mehr erreichen. Begründung: Die Feststellung seiner persönlichen Zuverlässigkeit werde widerrufen, weil er vor zwanzig Jahren für eine linksradikale Gruppierung Plakate geklebt haben soll.

In diesem Zusammenhang noch ein kurzer Hinweis auf das neue schwarz-grüne Hessische Verfassungs¬schutz-Gesetz von 2018: Der hessische „Verfassungsschutz“ wird darin ermächtigt, personenbezogene Überwachungsdaten an öffentliche Stellen zu übermitteln – und zwar zur „Überprüfung der Verfassungstreue von Personen, die sich um Einstellung in den öffent-lichen Dienst bewerben“. Auch wenn dies nur mit Einwilligung der Betroffenen geschehen soll, erinnert es doch fatal an Gesinnungsschnüffelei und die menschenrechtswidrige Berufsverbotspraxis früherer Zeiten. Auch Organisationen und künftigen Mitarbeitern staatlich geförderter Demokratie- und Präventionsprojekte, etwa gegen Rechtsextremismus oder Salafismus, drohen nach diesem Gesetz geheimdienstliche Überprüfungen. Damit gelten sie vorab als potentielle Sicherheitsrisiken und werden praktisch unter Generalverdacht ge-stellt.

Fazit und Thesen:

1. Berufsverbote und -verbotsähnliche Sanktionen gehören noch lange nicht der Vergangenheit an und müssen immer wieder skandalisiert und angeprangert werden. Ebenso wie die fortschreitende Aufrüstung der „Inneren Sicherheit“ im Zuge einer ausufernden Antiterrorpolitik seit 9/11 und in letzter Zeit etwa mit der drastischen Verschärfung von Geheimdienst- und Polizeigesetzen in Bund und Ländern.
2. Insgesamt betrachtet machte sich der Rechtsstaat in den letzten Jahrzehnten auf den Weg zu einem präventiv-autoritären Sicherheits- und Überwachungsstaat – einem demokratisch nur noch schwer kontrollierbaren Staat, in dem der Mensch zum Sicherheitsrisiko mutiert, in dem Rechtssicherheit und Vertrauen der Bürger_innen mehr und mehr verloren gehen. Dieser Angriff auf die Substanz der Grund- und Freiheitsrechte erfolgt nicht etwa von außen, von extremistischen oder terroristischen Kräften, sondern – im Namen von Freiheit und Sicherheit – aus dem Inneren des „Systems“: wie ein Autoimmun-Angriff, eine überschießende Reaktion des Immunsystems (hier “wehrhafte Demokratie“), das längst schädigt, was es eigentlich schützen soll: Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte.
3. „Angst ist das Schmieröl der Staatstyrannei“ – es ist diese bittere Erkenntnis, die darauf verweist, dass Verunsicherung und Angst als Herrschaftsinstrumente nutzbar sind und die uns warnen und veranlassen sollte, uns der politisch-massenmedialen Angstmacherei, dem Überwachungswahn, jedem Angriff auf die Bürgerrechte und jeder Kriegstreiberei zu widersetzen – auch und gerade in Zeiten grauenvoller Anschläge und Terrorwarnungen in Deutschland und Europa.
4. Die Berufsverbote-Politik der 70er und 80er Jahre verstieß in den meisten Fällen gegen Gleichheitsgrundsatz und Diskriminierungsverbot sowie gegen die Grundrechte auf Meinungs-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Berufsfreiheit. Die politisch motivierten Entscheidungen basierten auf den zweifelhaften Erkenntnissen und Bewertungen eines Inlandsgeheimdienstes mit dem Tarnnamen „Verfassungsschutz“, dessen geheimdienstlich-klandestines Wirken letztlich demokratiewidrig ist. Warum? Weil er selbst demokratischen Prinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit widerspricht und so als Fremdkörper in der Demokratie fungiert. Diese Berufsverbotspraxis mit Regelabfragen, Gesinnungsanhörungen, langwierigen Gerichtsverfahren, Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit und Renteneinbußen vergiftete das politisch-kulturelle Klima der Bundesrepublik, führte zu Einschüchterung, Abschreckung und Selbstzensur, zerstörte viele Lebensperspektiven und Berufskarrieren mit lebenslangen existentiellen Folgen – bis hin zu psychischen Krisen und Altersarmut.
5. Aus all diesen Gründen ist es so wichtig, diese Geschichte der gesellschaftlichen Verdrängung zu entreißen, eine rückhaltlose offizielle Aufarbeitung zu fordern – inklusive gesellschaftlicher Rehabilitierung der Betroffenen und materieller Entschädigung für erlittene Einbußen bei Renten und Pensionen. Zu diesem Zweck haben sich Betroffene, teils mit gewerkschaftlicher Unterstützung, vernetzt und organisiert, um über diese Skandalgeschichte aufzuklären – mit Veranstaltungen, Petitionen und einer sehenswerten Wanderausstellung; und auch um praktisch-solidarische Hilfe zu leisten, wie etwa mit dem Heinrich-Heine-Fonds, aus dem Betroffene, die heute in Altersarmut leben, finanziell unterstützt werden.
6. Als erstes Bundesland richtete das seinerzeit rot-grün regierte Niedersachsen 2016 die Stelle einer Landesbeauftragten für die „Aufarbeitung der Schicksale im Zusammenhang mit dem sogenannten Radikalenerlass“ mit wissenschaftlicher Begleitung ein – auch, um Möglichkeiten der politisch-gesellschaftlichen Rehabilitierung auszuloten. Begründet wurde dies in einem Landtagsbeschluss u.a. mit der Feststellung, es handle sich bei den Berufsverboten „um ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte Niedersachsens“ und das Geschehene sei ausdrücklich zu bedauern. Mit Mehrheit hat sich der Landtag bei den Betroffenen für erlittenes Unrecht entschuldigt. Den Betroffenen sei Respekt und Anerkennung zu zollen und auch denen zu danken, die sich „in Initiativen gegen Radikalenerlass und Berufsverbote, mit gro-ßem Engagement für demokratische Prinzipien eingesetzt haben“. Dies kann nur mit Nachdruck unterstrichen werden und sollte bundesweit Schule machen.
7. Die Aufarbeitungs- und Wiedergutmachungsforderung gilt auch für andere Tabu-Themen bundesdeutscher Geschichte, wie etwa völkerrechtswidrige Kriegseinsätze oder die skizzierte Kommunistenverfolgung der 1950er und 60er Jahre. Auch in diesem letztgenannten Fall gibt es bislang weder Rehabilitierung noch Entschädigung – obwohl diese Geschichte von dramatischen Grundrechtsverletzungen an Abertausenden von Menschen geprägt war, obwohl die Betroffenen zumeist wegen gewaltfreier Oppositionsarbeit verfolgt, verurteilt und bestraft wurden, obwohl die damaligen Staatsschutzprozesse mit rechtsstaatlichen Prinzipien und bürgerrechtlichen Maßstäben schwer zu vereinbaren waren. Jetzt zum 70. Jahrestag des Grundgesetzes wäre es allerhöchste Zeit, auch die weitgehend vergessenen Justizopfer des Kalten Kriegs West endlich zu rehabilitieren – auch wenn es in den allermeisten Fällen zu spät kommen dürfte. Nicht allein die Geschichte der DDR ist es wert, kritisch aufgearbeitet zu werden, auch die dunklen Flecken der westdeutschen Staatsschutz-Geschichte müssen endlich einer offiziellen Aufarbeitung und Kritik unterzogen werden.

Diese Erinnerungs-, Aufarbeitungs- und Rehabilitierungsarbeit ist unabdingbar, um geschichts- und verantwortungsbewusst hieraus geeignete Lehren und Konsequenzen ziehen zu können – und: um auch künftig wachsam und sensibel zu sein gegenüber bürgerrechtsschädigenden und freiheitsfeindlichen Entwicklungen.

 

Nachdruck, auch im Internet, nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Autors.

Dieser Beitrag ist in gekürzter Form zuerst in “Junge Welt” am 3.01.2020 erschienen


Heinz-Jung-Stiftung (Hg.)
Wer ist denn hier der Verfassungsfeind!
Radikalenerlass, Berufsverbote und was von ihnen geblieben ist

Erschienen Sept. 2019: 230 Seiten / 18 Euro

Papyrossa Verlag, Köln; www.papyrossa.de
Online-Bestellung: https://shop.papyrossa.de/Heinz-Jung-Stiftung-Wer-ist-denn-hier-der-Verfassungsfeind

 

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