Besetzte Gebiete sind nicht Israel… sagt der Europäische Gerichtshof

 In Politik (Ausland)

Die israelische Regierung weigert sich seit 2000, der Forderung der EU nach wahrheitsgemäßer Kennzeichnung der Produkte aus den israelischen Siedlungen in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten und den Golanhöhen nachzukommen, und deklariert sie stattdessen als Produkte aus Israel. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat nun erneut entschieden, dass die in die EU exportierten Lebensmittel aus israelischen Siedlungen und den Golanhöhen eindeutig als Produkte aus diesen gekennzeichnet werden müssen.  Quelle: BIP Jetzt

Der (EuGH) hat am 12.November geurteilt, dass in die EU exportierte Lebensmittel aus den seit 1967 besetzten Gebieten – israelischen Siedlungen im Westjordanland und den syrischen Golanhöhen – besonders gekennzeichnet werden müssen (Urteil v. 12.11.2019, Az. C-363/18). Der EuGH weist darauf hin, dass Israels Siedlungspolitik gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt. Da beim Kauf von Waren auch ethische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, seien aus den Siedlungen stammende Waren entsprechend zu kennzeichnen. Die Nichtkennzeichnung von Siedlungsprodukten täusche die Verbraucher darüber hinweg, dass Israel in den palästinensischen Gebieten eine Besatzungsmacht sei und die jüdischen Siedlungen nicht Teil des Staatsgebiets Israel seien. Die Verbraucher könnten daher in die Irre geführt werden, wenn auf Lebensmitteln „Israel“ als Ursprungsland angegeben werde, obwohl die Waren aus von Israel besetzten Gebieten stammen. Dagegen erlaube es die Angabe „israelische Siedlung“ auf Lebensmitteln den Käufern, eine fundierte Wahl zu treffen.

Auslöser des EuGH-Urteils ist ein Rechtsstreit, in dem eine jüdische Organisation und ein Weinbauer aus Frankreich gegen einen Erlass der französischen Behörden von 2016 geklagt hatten, der eine Kennzeichnung von Produkten aus israelischen Siedlungen in den 1967 von Israel besetzten Gebieten verlangte. Der Erlass stützte sich auf EU-Vorgaben zur Ursprungskennzeichnung von Lebensmitteln (Verordnung (EU) Nr. 1169/2011).

Dass das EuGH-Urteil längst überfällig war, zeigt die lange Geschichte der zögerlichen Bemühungen der EU in dieser Sache. Das seit 2000 gültige Assoziationsabkommen mit der EU ermöglicht die zollfreie Einfuhr von Waren, die tatsächlich aus Israel, nicht aber aus den besetzten Gebieten stammen. Im Jahr 2004 forderte die EU daraufhin die verbindliche Herkunftsbezeichnung. Durchgesetzt wurde die Regelung aber nicht. Erst 2012 veröffentlichte die EU eine „Herkunftsliste“ mit den Postleitzahlen der Orte, deren Erzeugnisse keine Zollfreiheit genießen, und seit Mitte 2013 bemühte sich die damalige EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton immer noch, die Kennzeichnung der Waren aus den besetzten Gebieten durchzusetzen. Es dauerte dann noch bis 2015, dass die notwendige Zustimmung der EU-Staaten vorlag. Aber selbst jetzt, vier Jahre später, kann von einer Durchführung der Maßnahme keine Rede sein, wie eine vor kurzem veröffentlichte Untersuchung belegte. Demnach werden beispielsweise lediglich 10 Prozent der Weine aus Siedlungen im Westjordanland ganz oder wenigstens teilweise so etikettiert, wie es die EU forderte: „Product of West Bank/Golan Heights (israelische Siedlung)“.

Da die Frage politisch brisant ist, hält sich die offizielle Meinung der israelischen Regierung nicht mit Gegenargumenten zur Sache auf, sondern nennt eine besondere Kennzeichnung von Siedlerprodukten „diskriminierend“. In diesem Sinne beklagen nationalistische Kritiker in Israel, die Kennzeichnung bilde die Grundlage für Boykotte gegen Israel. Rechtsprofessor Eugene Kontorovich sprach gar davon, dass nun ein „gelber Stern auf jüdische Produkte“ zur Pflicht geworden sei.
Israels nationalistische Mehrheitsmeinung weigert sich also, die völkerrechtliche Unterscheidung zwischen Israel und den von ihm besetzten Gebieten anzuerkennen.

Dieses Reaktionsmuster ist nicht neu. Mitte 2013 hatte die EU beschlossen, die israelische Regierung müsse in allen künftigen Verträgen mit der EU klarstellen, dass diese ausschließlich für Israel in den Grenzen von 1967 gelten. Damit sollten israelische Siedlungen im Westjordanland, in Ostjerusalem und auf den Golanhöhen aus künftigen Förderprogrammen ausgeschlossen werden. Für die Regierung von Benjamin Netanjahu war und ist das ein Unding. Minister Uri Ariel verglich diese Maßnahme mit den Boykottaufrufen gegen Juden im Dritten Reich.

Mit dem aktuellen Urteil des EuGH hat die Bewegung gegen die Legalisierung der Siedlungen – wie sie maßgeblich von Uri Avnery inspiriert war und in Deutschland beispielhaft durch die pax-christi-„Aktion Obsttüte – Besatzung schmeckt bitter“ seit 2012 mitgetragen wurde – einen Erfolg erzielt. Entsprechend aufgeschreckt geben sich diejenigen deutschen Politiker von AfD, FDP und anderen Parteien, die jeden Bezug aufs Völkerrecht als antisemitischen Anschlag auf Israel abstempeln möchten. Sie machen sich Sorgen, dass sich nun zu Recht solche Aktivisten und Gruppen in ihren Ansichten bestätigt sehen könnten, obwohl diese Ansichten doch von der deutschen Politik als „antisemitisch“ abqualifiziert worden waren.

Wie man wirklich Antisemitismus bekämpft, schrieb in einem aktuellen Beitrag  Bernie Sanders: „The struggle against antisemitism is also the struggle for Palestinian freedom“ –  „Eintreten gegen Antisemitismus ist auch Eintreten für palästinensische Freiheit.“

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