Beste Verdienste fürs Amt  

 In FEATURED, Georg Rammer, Politik

Bundesverfassungsgericht in der Besetztung von 1989, Bildquelle: Deutsches Bundesarchiv, Lizenz Creativ Commons.

Ein konzernnaher Anwalt könnte bald das höchste Richteramt im Staat inne haben: das des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. “Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte”, könnte man in Anlehnung an Schillers Wallenstein über Stephan Harbarth. Während die Mainstream-Medien ihm als einem volksnahen Katholiken huldigen, erinnern Kritiker daran, wie Harbarth im Dienste einer US-Großkanzlei Steuerbetrug juristisch beschönigte und Konzernklagen gegen ökologische Regeln des Staates vertrat. Der geeignete Mann als “Verfassungshüter”. Na, so viel Verfassung ist derzeit ohnehin nicht mehr übrig. Georg Rammer

Es muss sich um eine ebenso exzellente wie sympathische Persönlichkeit handeln. Die öffentlich-rechtliche ARD-Tagesschau war begeistert, auch die Zeit und die FAZ: Als »messerscharfer Denker« sei er ebenso »volksnah wie freundlich, konzentriert und zurückhaltend«. Er sei »bestens vernetzt, ein Mann mit Einfluss«. Fazit: »Merkels Mann für Karlsruhe ist der richtige« (Welt, 14.11.2018). Die Tagesschau gab ihm Gelegenheit zur Selbstdarstellung: Es seien die kleinen Themen der Menschen, die ihm am Herzen liegen, wenn sie schwer krank oder arm sind (ARD, 9.11.2018). Und damit wir uns den Menschen – Katholik, drei Kinder – besser vorstellen können, beschrieb ihn das Handelsblatt (22.11.2018) als »besonnen«; er trage »stets dunkle Anzüge, mit Krawatte und Einstecktuch« und »seine Heimatverbundenheit ist offensichtlich«, wenn er etwa mit Fan-Schal dem TSG Hoffenheim zujubelt.

Dagegen kann die von dem Journalisten und Publizisten Werner Rügemer beschriebene Person allenfalls bei Gleichgesinnten Vertrauen wecken, die Sympathien der breiten Massen werden sich in engen Grenzen halten. Über diesen Mann lesen wir: In der US-Großkanzlei Shearman & Stirling, in der er Anwalt und später Miteigentümer war, »wurde der größte Steuerbetrug der deutschen Geschichte, der Cum-Ex-Milliarden-Trick, zur juristischen Reife gebracht«. Eben diese Kanzlei ist auch »führend bei den internationalen privaten Schiedsgerichten«, die Konzernklagen gegen soziale und ökologische Regelungen des Staates vertreten. Als Anwalt der Wirtschaftskanzlei SZA habe er große Unternehmen vertreten; »die Kanzlei vertritt bis heute die Abgas-Betrüger von VW« – aber als Bundestagsabgeordneter verhinderte er später eine Befassung mit dem Skandal. Als Politiker trat er für harte Sanktionen gegen Arbeitslose ein und versuchte, die Einführung des Mindestlohns zu verschleppen.

Zwei Personen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten – oder? Nein, die Rede ist in beiden Fällen von Stephan Harbarth, der seit November 2018 Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts ist. Im Mai soll er die Nachfolge des derzeitigen Präsidenten Andreas Voßkuhle antreten. Neben der begeisterten Zustimmung meinungsprägender großer Medien gibt es nur wenig Kritik, so von Werner Rügemer auf den NachDenkSeiten (9.3.2020).

Welche Charakterisierung trägt besser dazu bei, beurteilen zu können, ob Stephan Harbarth als Präsident in einem Verfassungsorgan seine Aufgabe im Interesse des Souveräns, also der Bevölkerung, des Gemeinwohls und des sozialen Rechtsstaates ausüben kann? Wird der gute Katholik mit Herz für die kleinen Leute seine Einstellung zum Mindestlohn oder zu Konzernklagen gegen den Staat ändern? Sind seine Frisur und sein Einstecktuch maßgeblich für die Frage, ob er unbefangen gegenüber CumEx- und Diesel-Betrügern urteilen kann? Die Konzernmedien, die Kritik an Harbarths Interessenkonflikt nur beiläufig zitieren, betätigen sich als Sprachrohr staatstragender Parteipolitik. Das reicht nicht für Meinungsbildung in einer Demokratie.

Werner Rügemer weist außerdem darauf hin: »Als CDU-Abgeordneter im Bundestag hat er nach aller Kenntnis gegen das Abgeordneten-Gesetz verstoßen. Es legt fest: Das Mandat ist die Haupttätigkeit. Doch Harbarth war hauptamtlich als Anwalt tätig mit jährlichen Millioneneinkommen.« Ein Verfassungsgerichtspräsident, der vorher als Mitglied des CDU-Bundesvorstandes und als Bundestagsabgeordneter enorm hohe Nebeneinkünfte als Anwalt hatte: Wie soll man ihm abnehmen, dass er bei der Befassung mit Themen wie Hartz IV, Privatisierung des Gesundheitswesens oder der milliardenschweren Spekulation mit Wohnungen nicht im Sinne von »Klassenjustiz« für die Interessen seiner Klienten urteilt? Im Bundestag setzte sich Harbarth nachdrücklich für die Vorratsdatenspeicherung ein. Wie würde er wohl entscheiden, müsste er bei anstehenden Auseinandersetzungen um demokratiepolitische und Bürgerrechte betreffende Gesetze – Polizeigesetze, Patientendaten et cetera – seiner früheren Position abschwören?

Eine andere Frage ist, wieso ein ausgewiesen konzernnaher Anwalt von einer ganz großen Koalition aus CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP in Bundestag und Bundesrat in diese hohe Staatsfunktion gewählt wird. Die Parteien waren sich bei der erforderlichen Zwei-Drittel-Wahl zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts einig. Die Grünen unterstützten ihn, die SPD sparte nicht mit Lob (»ausgezeichneter Kandidat« und »absoluter Kenner des Rechts«). Es zeichnet sich ab, dass die Übernahme der Herrschaft in einer Formaldemokratie durch Konzerne und Großinvestoren an keiner Schamgrenze mehr Halt macht. Ein weiterer Konzernlobbyist, der Möchtegern-CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, Hand in Hand mit Stephan Harbarth, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts in spe: Welch eine Perspektive.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts nimmt eine höchst politische staatliche Aufgabe wahr. Regierungsnahe Parteien und Medien, die ihrer Aufgabe als »Vierte Gewalt« nicht gerecht werden, lenken die Aufmerksamkeit auf Nebensächlichkeiten, erzählen Geschichten mit »human touch« – mit dem offensichtlichen Ziel, die Interessenverquickung mit netten Geschichtchen vergessen zu machen. Zu den Regeln dieses »Storytelling« zitieren Michael Müller, Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer den ARD-Redakteur Christian Friedel: »Wir sollten einfach gute Geschichten schreiben. Ob fiktiv oder real, da sehe ich keinen Unterschied. Denn der Übergang ist sowieso fließend. Ab wann ist etwas schon fiktiv? Wann noch real?« (»Zwischen Feindbild und Wetterbericht«, PapyRossa 2019, S. 23 f.)

Seine bisherigen politischen und juristischen Schwerpunkte lassen den hochdotierten Konzernlobbyisten Stephan Harbarth als ungeeignet erscheinen für die Funktion des Hüters des Grundgesetzes als Bundesverfassungsgerichts-Präsident. Das Problem sitzt allerdings tiefer, wie seine Wahl durch die Größtkoalition und die begeisterte Zustimmung der Mainstream-Medien zeigen.

Anzeigen von 7 Kommentaren
  • underdog
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    Ja – statt der bekannten 3 Affen ( nix sehen, nix hören und nix sagen…), gleich 7 und noch ein auszubildender Affe oder Äffin von der Spezies Rote-Roben-Affen, machen einen lausigen Job im Verfassungswald, das Lesen haben sie noch nicht gelernt, warum also mal wenigstens in die Verfassung reinschauen…

     

  • Volker
    Antworten
    Äh ja, Läuse im Pelz, geht schon länger so, merkt Normalmensch leider nicht, wie auch, wenn’s Hirn verappt ist. Kapitalistenliebchen hütet Grundgesetz?, voll krass das, wäre wie Marder im Hühnerstall.
    Wer wieder mal klagen möchte, H4 wäre Mord auf Raten, wird künftig vor die Tür gesetzt, mit der Begründung, man befinde sich am falschen Ort, wegen Ausverkauf geschlossen, alles muß raus, Demokratie zu Schleuderpreisen. Hurra, ab heute wird zurückgeschossen…

    AKK spuckt gerade rotzfrech auf’s Grundgesetz, möchte atomares Glück in deutschen Händen wissen und schreit: »Hallo liebe Deutsche, habe(n) beschlossen euch alle umzubringen, weil ich devot und irre bin. Jeder Versuch dagegen anzustinken, in Karlsruhe… mein Gott, seit ihr Hinterwäldler … bei Zipfelmütze Harbarth etwa … schlapplacht.«

    Die Dame hat wohl Pakt mit Teufel beschlossen, man staune und reibe sich die Augen. Kriegstechnik kennt keinen Pflegenotstand, dafür sind wir gerüstet.

    • Käthe
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      Wahrheiten scheinen heute viel leichter ausblendbar, einfach nicht zur Kenntnis nehmen, 39 % Zustimmung der Christen hier im Lande mittlerweile wieder, zielführend. Stimmt das überhaupt, oder ist das ein  FAKE?

      Wer einmal mit der Agenda 2010 kontakt hat ist infiziert, formales Klagerecht ja, individuelle Grundrechte-SCHUTZ nein, auch das BVerfG arbeitet so zielführend. Ausgeschlossen aus der Rechtschutz-Gemeinschaft, selektiert und diskriminiert, verwertbar, zielführend.

      Freie Demokratie ist mit der Agenda 2010 nicht möglich, Menschenverwertung ja geht, zielführend. Und dann 39 % Zustimmung. Mehr muss ich nicht mehr wissen.

      Was für eine tolle “Hartz-Kultur” in einer christlich-zivilisierten Corona-Welt.

      Viel Glück  beim Überleben!

  • Christa
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    Danke für den Link zum Unterzeichnen

    Gruß aus Berlin

  • heike
    Antworten

    Ein konzernnaher Anwalt könnte bald das höchste Richteramt im Staat inne haben: das des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts.

    In der US-Großkanzlei Shearman & Stirling, in der er Anwalt und später Miteigentümer war, »wurde der größte Steuerbetrug der deutschen Geschichte, der Cum-Ex-Milliarden-Trick, zur juristischen Reife gebracht«. Eben diese Kanzlei ist auch »führend bei den internationalen privaten Schiedsgerichten«, die Konzernklagen gegen soziale und ökologische Regelungen des Staates vertreten. Als Anwalt der Wirtschaftskanzlei SZA habe er große Unternehmen vertreten; »die Kanzlei vertritt bis heute die Abgas-Betrüger von VW« – aber als Bundestagsabgeordneter verhinderte er später eine Befassung mit dem Skandal. Als Politiker trat er für harte Sanktionen gegen Arbeitslose ein und versuchte, die Einführung des Mindestlohns zu verschleppen.

    Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: entweder wird dieser Mann, der alle juristischen Tricks und Findigkeiten zur Umgehung von staatlichen ökologischen Auflagen usw. kennt, weitere Versuche in diese Richtung aushebeln können, oder aber er bleibt bei seinem alten Stiefel und ist ein Vorreiter für weitere Unternehmungen dieser Art. Dann sieht es dunkel aus für ein fortschrittliches, demokratisches, soziales und umweltfreundliches Deutschland. Da kann man schon Angst bekommen.

  • Hartz_tötet
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    Der Bundesrat wählte heute einstimmig den CDU Cum-Ex Anwalt Habarth zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts.

    Die Bananenrepublik nimmt Gestalt an, ein rabenschwarzer Tag für die hiesige Demokratie, bzw. was von ihr übrig blieb.

    Neoliberale haben den Marsch durch die Institutionen komplettiert.
    Der Staatsstreich begonnen mit der Agenda 2010 ist abgeschlossen.

    Steinmeier als BuPrä, Merkel als Kanzlerin, jetzt Habarth als Premium-Lobbyist an der Spitze der letzten vermeintlichen Brandmauer der Demokratie.

    Wirtschaft, Kapital und marktradikal-neoliberale Ideologen werden sich auf die Schenkel hauen vor Glück, dass sie vermutlich nicht fassen können.

    Gute Nacht Deutschland.

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