Bin ich ein Faschist?

 In FEATURED, Politik

Mussolini, Hitler 1937 in Berlin, Foto: Ladislav Luppa, Lizenz Creative Commons

Keine Sorge, wir hätten den Autor hier nicht schreiben lassen, wäre er tatsächlich ein Faschist. Aber warum ist Bobby Langer keiner? Und was bedeutet “Faschismus” überhaupt? Der Begriff – so vertraut-feindlich er uns auch vorkommt – wird häufig schlampig verwendet und falsch definiert. Manchmal wird er nicht zur Benennung einer spezifischen Weltanschauung benutzt, sondern als gedankenlos herausgeschleudertes Schimpfwort für Menschen, deren Ansichten wir nicht teilen. Es gibt jedoch historisch nachvollziehbare Wurzeln des Begriffs. Und es gibt Wesensmerkmale, die sich auch Menschen, die glauben, über Faschismus Bescheid zu wissen, immer wieder bewusst machen sollten. Wer sie kennt, wird sich vom Faschismus erst recht fernhalten und auch wissen, warum. Bobby Langer

Bin ich ein Faschist? Nein. Zum Glück hat mir bislang keiner die Frage gestellt, der ich empört widersprochen hätte. Aber wäre mein Ärger Beweis genug, keiner zu sein? Vermutlich nicht, denn viele Menschen mit einer faschistischen Grundhaltung würden diese Frage verneinen. Vermutlich, weil sie sie nicht verstünden. Bei genauerem Hinschauen entpuppt sich der Begriff nämlich als komplexer (und vertrackter) als gedacht.

Rechts oder Faschist?

Da taucht etwa die Frage auf: Ist jemand, der politisch rechts steht, ein Faschist? Wenn es so einfach wäre, dann könnte ich auf den Anwurf, „rechts“ zu sein, mühelos mit Nein antworten. Aber „rechts“ ist praktisch inhaltslos und letztlich Ausdruck einer parlamentarischen Sitzordnung. Da hat der Faschismusvorwurf doch ein ganz anderes Kaliber. Nur: Was ist damit gemeint? Ich sag’s mal so: Niemand käme auf die Idee, einen Kanarienvogel, Regenwurm oder Gummibaum zum Faschisten zu erklären. Warum nicht? Wäre doch praktisch, weil sie sich ja nicht dagegen wehren können. Womit wir beim ersten Teilgehalt von „Faschist“ wären: Nämlich, etwas Inhaltloses zu sein, ein grimmiger Vorwurf, mit dem man ein wenig von der Würde des anderen auslöschen möchte. So benutzt ist der Begriff mehr oder weniger gleichbedeutend mit „Arschloch“. Ich habe zwar manchen dunklen Fleck auf der Seele, aber rundum als „Arschloch“ würde ich mich nicht bezeichnen, womit ich diesen Vorwurf lässig von mir weisen kann. Der Vorwurf, rechts zu sein, ähnelt dem im Prinzip. Ein billiges Schimpfwort, das von aller Argumentation entbindet, eine politisch emotionaler Schnellschuss.

Faschismus für Heimatlose

Aber zurück zum Gummibaum. Könnte er sprechen, würden er und seine Kollegen wohl sagen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Oder im Falle des Regenwurms: „Hier winde ich mich, ich kann nicht anders.“ Pflanzen und Tiere sind, wie sie sind, solange man keine Haustiere aus ihnen gemacht und ihren Charakter verbogen hat. Tendenziell sind die meisten von ihnen Anarchisten – einer der vielen Gründe, weshalb wir sie ähnlich gerne mögen wie Kinder, bevor sie erzogen wurden.

Und der Gummibaum bekommt den Faschismus-Vorwurf nicht, weil wir ihm mangelndes Bewusstsein unterstellen. Zum Faschistsein gehört nämlich eine innere Haltung. Der Faschist gehört nicht zur Spezies der „Roaming and the Free“, er ist kein Wanderer zwischen den Welten, kein bunter Vogel, kein Menschenfreund und kein Mensch mit Empathie, sondern ein Heimat- und Wurzelloser. Deshalb ist er einer, der die Sicherheit von Gesetzen nicht schätzt, weil sie sinnvoll sind, sondern einer, der sie braucht, um sich sicher zu fühlen. Das ist die vertrackte Seite.

Alle Kinder erleben diese Grundhaltung: Mein Papa ist der größte. Und er hat immer recht. Deshalb fühle ich mich aufgehoben. Mein Papa beschützt mich. Ich muss keine Angst haben. Die meisten Kinder durchleben diesen Entwicklungsschritt hin zu einem mündigen Erwachsenen. Aber eben nur die meisten. Mancher bleibt auch in dieser Phase stecken und wird zu einem Erwachsenen, dem kein Gesetz scharf genug sein kann. Denn je schärfer das Gesetz, desto weniger muss er sich Gedanken um das eigene Handeln machen; und umso besser fühlt er sich aufgehoben. Zur Vermehrung dieser Sicherheit kuschelt er sich dann auch gerne in die Decke der Verachtung. Auf Menschen, die er für „anders“ hält – und das Anderssein definiert er nach Belieben –, schaut er herab und hält Aggression gegen diese anderen auch für gerechtfertigt, sofern ihn deren Anderssein stört oder seine Aggression ihm dabei hilft, geistige Blähungen zu entspannen.

Ein harmloser Faschist?

Die faschistische Grundhaltung fängt schon auf dem Pausenhof an, wenn ein Siebenjähriger seine Klassenkameradin mit „Du Fotze“ beschimpft. Frühe Übung macht den Meister. Alle lachen, eine weint. Das ist Faschismus. Zum Beispiel. Mein Schwiegervater war 1945 16 Jahre alt. Sein ganzes bewusstes Leben lang war er von Nazipropaganda beeinflusst worden. Als ich ihn kennenlernte, war er ein respektierter Autoelektriker, ein liebender Familienvater, Frauenfreund und geschätzter Spaßmacher auf Faschingsgesellschaften. Das erste Mal, als ich ihn auf eine Pizza einlud, antwortete er spontan: „So einen Itakkerfraß ess ich nicht.“ Der Schreck über diesen Satz steckt mir bis heute in den Knochen. Dass aber der Schreck überhaupt zustande kam, scheint mir ebenfalls ein Hinweis darauf zu sein, dass ich kein Faschist bin. Und nun kommt das Interessante an der Sache: Mein Schwiegervater war ein guter Mensch, er hatte etwas machohaft Sympathisches und war voller Mitgefühl für Seinesgleichen. Ich habe niemanden kennengelernt, der ihn nicht mochte.

Tatsächlich würde ich ihn allenfalls als harmlosen Faschisten bezeichnet haben, denn ihm fehlte die Freude am Kleinmachen der anderen. Wie aber hätte er reagiert, wenn ein neuer starker Mann gekommen wäre? Dann hätte ich meine Hand für ihn nicht ins Feuer gelegt. Jedenfalls hatte er nichts Grienendes, Hämisches an sich und hätte jedem geholfen, der neben ihm verunglückt wäre, unabhängig von Gesinnung oder Hautfarbe. Prügelnde Hooligans hielt er für Menschen, deren Geist von einer Krankheit oder von Alkohol für eine Weile außer Gefecht gesetzt wurde. Und in seinen späten Jahren lehnte er sogar die Religion seiner Kindheit ab, den Protestantismus. Wenn wir etwas taten, das in seinen Augen völlig falsch war, dann sagte er: „Das ist der komplette Schwachsinn. Aber wenn ihr mich braucht, ruft an.“ Spätestens mit seinem 70. Lebensjahr hatte er seine faschistoide Grundhaltung überwunden. Es ist also nie zu spät.

Faschismus – was ist das eigentlich?

In seinen letzten Feinheiten ist Faschismus ein umstrittener Begriff. Soziologen, Politikwissenschaftler und Psychologen haben sich seit Jahrzehnten um eine einheitliche Definition bemüht – ohne Erfolg. Die Bände darum füllen Bibliotheken. Sehr viel klarer sind die politischen Richtungsbegriffe „links“ und „rechts“. Sie gehen auf die Französische Nationalversammlung zurück. Dort saßen auf der linken Seite – von Rednerpult aus gesehen – die Revolutionäre und Republikaner, auf der rechten Seite die Monarchiefreundlichen. Diese „französische Einteilung“ breitete sich rasch in ganz Europa aus, so dass auch das deutsche Paulskirchenparlament 1848 bereits der selben Sitzordnung folgte.

Sehr viel älter und schillernder ist der Begriff Fachismus. Ursprünglich leitet er sich von dem lateinischen Wort „fasces“ ab. Damit war ein zusammengeschnürtes Rutenbündel gemeint, in dem, mit der Klinge nach außen, ein Beil steckte. Die Römer hatten das Symbol von den Etruskern übernommen, deren Kultur ab 800 vor unserer Zeit in Mittelitalien dokumentiert ist. Trat ein hoher Machthaber auf, dann wurde ein solches Rutenbündel samt Beil vor ihm hergetragen. In einem solchen Menschen bündelte sich alle Macht, die er mit dem Beil gegen jedermann ausüben konnte.

Der Gehalt des von den fasces abgeleiteten italienische Wortes fascio (gesprochen: fascho) drehte sich innerhalb von hundert Jahren um 180 Grad. Denn das einstige Symbol der anarchistischen italienischen Arbeiterorganisation verwandelte sich Anfang des 20. Jahrhunderts in die von Mussolini gegründeten Kampfbünde: „Fasci di combattimento“. Mussolinis Ausrichtung prägt bis heute den Faschismusbegriff.

Dazu haben die Sozial- und Geschichtswissenschaften diverse Faschismus-Theorien entwickelt. Doch auch wenn sich die Forscher bezüglich der Ursachen und Merkmale dieser retardierten Gesinnung nicht einig sind, gibt es doch eine Reihe übereinstimmender Punkte. Der faschistische Geist bzw. Ungeist

  • schätzt einen obersten Führer
  • unterwirft sich seinem totalen Herrschaftsanspruch
  • organisiert die eigene Partei, aber auch die Zivilgesellschaft und Wirtschaft militärisch und hierarchisch
  • verschafft sich eine kulturelle, ans Religiöse grenzende Einheit über Mythen, Riten und Symbole

Wäre ich Faschist 1

Wäre ich also Faschist, dann würde ich Hierarchien lieben und einen starken Mann oder eine Mutti schätzen, die allen klar macht, wo’s langgeht. Ich wäre gerne Teil des Rudels. Die anderen Wölfe würden mich schützen und ich sie und wir alle zusammen den Rudelführer. Fremde Rudel würden wir gemeinsam wegbeißen. Deshalb wäre ich auch kein Demokrat. Demokratie wäre für mich nur deshalb eine akzeptierte Staatsform, weil sie mir die Möglichkeit bietet, sie mit Hohn zu überziehen und eventuell sogar zu stürzen. Wäre ich Faschist, dann würde ich von der guten alten Zeit schwärmen, als es noch Recht und Ordnung gab und eine starke Polizei alles Gesindel von der Straße fegte. Ob das nun Kommunisten, Zigeuner, religiöse Spinner oder Juden wären, wäre mir egal. Ich habe sie ja nicht gerufen. Ihr Risiko. Oder?

Wäre ich Faschist 2

Wäre ich Faschist, dann würde ich an das Recht des Stärkeren glauben. Zu dem gehört auch, dass wir die Natur unterjochen dürfen und rausholen, was rauszuholen ist. Schließlich sind wir keine Affen, sondern die Speerspitze der Evolution. Was den Triumph unserer Rasse einschränkt, das machen wir zu Kleinholz. Und mit Recht. Als Faschist wäre ich beschämt über ein Deutschland, das auf Diplomatie setzt, statt auf Macht und stolz auf ein Deutschland, das kein Geld für Schwächlinge, Arbeitslose und Neger ausgibt, sondern fürs Militär, damit wir wieder was darstellen auf der Welt. Am liebsten würde ich Parlamente, die Europäische Union und die Vereinten Nationen, die einer Gesinnung der Schwäche hinterherlaufen, in die Luft sprengen.

Wäre ich Faschist 3

Natürlich würde ich einer Bewegung oder Partei beitreten, die auf Stärke setzt und unserem Volk die verlorene Würde zurückgibt. Und zu meiner inneren Stärkung würde ich Reliquien sammeln, die Gebeine von starken Männern wie Mussolini, Attatürk oder Göbbels und viel Geld auf den Tisch legen, um an ein Knöchelchen des Führers heranzukommen. Ich würde auch die Orden tapferer Männer sammeln, die fürs Vaterland gestorben sind, dazu Bücher über Waffen made in Germany. Und ich würde meine Wände mit Bildern deutscher Siege schmücken. Eine Frau würde meine Achtung erwerben, wenn sie mir wenigsten acht Kinder zur Welt brächte. Denn als Faschist und echter Mann wüsste ich: Die wahre Stärke der Frau liegt in der Mutterschaft. Emanzen kriegen keine Kinder.

Und dabei fällt mir eben auf: Wäre ich Faschist, dann hätte ich dies alles nicht geschrieben, sondern etwas anderes. Dann hätte ich meinen Text wohl eingeleitet mit der provokanten Frage: „Bin ich ein Demokrat?“ Und hätte höhnisch weitergeschrieben.

 

 

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