Bitte schalten Sie uns nicht ab, Herr de Maizière!

 In FEATURED, Politik (Inland), Roland Rottenfußer

Kotau,China

Ein journalistischer Kotau. Innenminister Thomas de Maizière hat die Webseite „Indymedia linksunten“ verboten. Die Seite sei die bedeutendste Plattform für gewaltbereite Linksextremisten in Deutschland, hatte der Minister seine Entscheidung begründet. Nun geht die Angst um unter jenen Magazinen, die sich einer selbsternannten „Gegenöffentlichkeit“ zurechnen. Wer wird der oder die nächste sein? „Heiliger Sankt Thomas“, ist man versucht zu flehen, „verschon meine Seite, schalt die andere ab.“ „Hinter den Schlagzeilen“ will jedenfalls auf Nummer Sicher gehen. Roland Rottenfußer verspricht dem Minister präventiv und flehentlich vollständige Unterwerfung.

 

Verehrter Herr Minister de Maizière,

hiermit distanzieren wir uns mit aller gebotenen Deutlichkeit von der Seite „indymedia linksunten“. Völlig zu Recht haben Sie da rot gesehen und ein Signal der Stärke an alle ausgesendet, die noch immer glaubten, die Entschlossenheit des Staates in Sicherheitsfragen unterschätzen zu können. Schon allein die Namensgebung des fragwürdigen Magazins löst in uns Unbehagen aus. „Indy“ steht ja nicht etwa für den Filmhelden Indiana Jones, sondern für „independent“. Unabhängig, das wollen wir gar nicht sein. Wir suchen vielmehr den Schulterschluss mit der Staatsregierung und wollen uns überhaupt künftig nur innerhalb eines vom Staat vorgegebenen Rahmens freiheitlich äußern. Auch beabsichtigen wir uns verstärkt in Abhängigkeit von Werbekunden zu begeben und verhandeln in diesem Zusammenhang auch schon mit Burger King, dem Manager Magazin, Heckler & Koch und der FDP.

„Linksunten“ wiederum – eine Formulierung, die uns gänzlich fremd ist. „Links“, das meint in unseren Augen rückwärtsgewandte Sozialromantik, der der Verwesungsgeruch von DDR-Nostalgie anhaftet. Wer braucht heute noch links? Deutschland geht es doch gut! Arbeitgeber und Arbeitnehmer kämpfen Hand in Hand für mehr Wettbewerbsfähigkeit, da ist kein Platz mehr für die Fronten von vorgestern.  In Zeiten der Terrorbedrohung gibt es ohnehin kein Oben und Unten mehr, sondern nur noch Deutsche, die solidarisch an der Seite ihrer schützenden Ordnungsorgane stehen. Und wer in Zeiten vollständiger Chancengerechtigkeit immer noch „unten“ herumkrebst, der hat sich das ohnehin allein selbst zuzuschreiben. Er benötigt kein Almosen, die ihn in seiner bequemen Anspruchshaltung stärken, sondern motivierende Appelle an seine Eigenverantwortung.

Wir von „Hinter den Schlagzeilen“ hatten Armut und Altersarmut, überhöhte Mieten, hohe Rüstungsausgaben, den Klimawandel , der Hunger in der Welt, ertrinkende Flüchtlinge und Rechtsradikalismus irrtümlich für drängende Probleme unserer Zeit gehalten. Asche über unser Haupt!. Aufgrund Ihrer Belehrung wissen wir nun:  die Verharmlosung von Linksradikalismus ist es, gegen den wir uns vor allem jetzt mit aller Kraft stemmen müssen. Zu lange haben wir da alle zugeschaut, zu lange in klammheimlicher Freude rechtsfreie Räume – um Himmels Willen! – zugelassen. Gerade die eher linksgerichtete Medienlandschaft, zu der wir bisher zählten, hat sich da mitschuldig gemacht – im Sinne des Sympathisantentums für ein perfides Gefährderumfeld.

Wir von „Hinter den Schlagzeilen“ distanzieren uns vehement von jeder Gewalt. Es sei denn, sie kommt von Ihnen – also von unseren Polizistinnen und Polizisten. Dann ist das in Ordnung, unabhängig vom Einzelfall. Die Schläge, Tritte, der Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas wurde ja dann von Einsatzleitern angeordnet, die wiederum Politikern unterstehen. Und die vertreten ja uns alle. Der Staat, das sind doch eigentlich wir. Wir haben diese Volksvertreter gewählt, wer sie kritisiert ist also eigentlich ein Feind der Demokratie. Und die irren sich auch nicht so leicht. Wenn man ein System der Hierarchie hat, bei dem man annimmt, dass ein Amtsträger sich umso weniger irrt je höher sein Rang ist, dann wird sich der kleine Polizist im Einsatz gegen Demonstranten immer noch eher irren als dass ein Einsatzleiter sich irrt; ein Einsatzleiter wird sich immer noch eher irren als ein Regionalpolitiker wie Olaf Scholz; und Olaf Scholz wird sich immer noch eher irren als dass Sie sich irren, verehrter Herr Minister de Maizière. Wir bekennen uns hier und heute klar zum Gewaltmonopol des Staates. Ja, wir lieben sogar den Klang dieses Wortes: Gewalt! Monopol! Was soll da noch schief gehen?

Wir distanzieren uns fortan von jenem destruktiven und nörglerischen Journalismus, der immer nur dagegen ist, ohne dass klar wird, wofür er eigentlich einsteht. Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung als Medienschaffende, die vor allem darin besteht, diejenigen zu stützen, die Verantwortung für unser Land tragen. Wir sagen Ja. Besser noch: Wir sagen Jawohl zu staatlichen Anordnungen.  Wir begrüßen es daher, dass Sie endlich jenen das Handwerk legen, die die ihnen großzügig gewährte Freiheit missbrauchen, um den Feinden der Freiheit ein Forum zu bieten. Überhaupt wurde der Begriff „Freiheit“ schon so oft missbraucht, dass wir besser in Zukunft ganz auf ihn verzichten.  Künftige Generationen werden vielleicht gar nicht mehr verstehen, was früher unter „Freiheit“ verstanden wurde – außer vielleicht in Redewendungen wie „frei von Bedenken gegenüber den Entscheidungen des Ministers“. Allenfalls kann man heutzutage noch von einem „freiheitserzwingenden Sicherheitskonzept“ sprechen; und für diese Sicherheit stehen an vorderster Front Sie ein, verehrter Herr Minister.

Wir bekennen uns zur Eigenverantwortung jedes Straftäters und zum Prinzip „Strafe muss sein“. Wir fordern, Täter mit aller gebotenen Härte zu sanktionieren und keine Entschuldigung sozialer, biografischer oder systemischer Art gelten zu lassen. Das alles sind Ausflüchte; Entschuldigungen waren ohnehin schon immer ein Fluchtraum der Feigen und Lauen. Wir verurteilen es, wenn sich Straftäter ihrer angeordneten Verhaftungen widersetzen, selbst passiv, durch Zusammenkrümmen. Die einzige erlaubte Reaktion auf ein staatliches Verhaftungsansinnen darf es sein, sich diesem freudig und widerstandslos hinzugeben. Der Haftbefehl wird schon seine Richtigkeit haben, auch wenn der gesetzesunkundige Bürger in seiner Uneinsichtigkeit vielleicht noch nicht die nötige Reife besitzen mag, um die Weisheit einer richterlichen oder polizeilichen Entscheidung zu verstehen.

Ich weiß, wir von „Hinter den Schlagzeilen“ haben in der Vergangenheit gesündigt, Vater. Wir waren ein missmutiges und querulantisches Dagegen-Magazin, das sich in präpotentem Trotz gegen seinen fürsorglich-väterlichen Staat positionierte. Wir agierten nach dem Motto „Je schlechter sich der Leser bei der Lektüre fühlt, desto besser das Magazin“ und verschlossen die Augen vor allem Positiven, was aus dem reichen Füllhorn staatlicher Fürsorge auf uns niederregnete.  Wir priesen Demonstrationen, Aufmüpfigkeit  und Nonkonformismus,  leugneten die reinigende Schönheit des Krieges und das ermächtigende Selbstoptimierungspotenzial, das das kapitalistische Wirtschaftssystem in sich birgt.

Zwar haben unsere führenden Autoren, allen voran Konstantin Wecker, immer wieder die „friedliche“ oder gar „zärtliche Revolution“ betont, doch es gibt kein milderndes Adjektiv, das man der zersetzenden und gefährlichen Substantiv „Revolution“  legitimerweise voranstellen könnte. In Ihrer unbestechlichen Klugheit haben Sie das natürlich sofort als Heuchelei durchschaut. Speziell in der Kommentarspalte tummelten sich bei uns ja finstere Gestalten, die mit dem Gedanken an gewaltsamen Widerstand zündelten. Wir, die Redaktion ließen sie in falsch verstandener Toleranz gewähren. Damit ist jetzt Schluss. Wir platzieren uns in Zukunft dort, wo alle anständigen Medien schon jetzt fest verankert sind: rechtsoben – als abhängige, eingebettete Webseite.

Wir stehen künftig voll „Hinter den Schlagstöcken“ und nennen uns „Das Magazin für Spaßkultur und Unterwerfung“. Vielleicht, so wagen wir zu hoffen, können wir so auch Ihre gnadenreiche Gunst zurückerlangen, verehrter Herr Minister. Vergeben Sie uns! Schicken Sie uns gern ab jetzt redaktionelle Vorgaben, an die wir uns dann ohne Wenn und Aber halten werden. Wären wir ein Print-Magazin, so würden wir gewiss einen Starschnitt von Ihnen veröffentlichen, den sich unsere LeserInnen zur eigenen Erbauung zuhause aufhängen könnten. Oder werden Sie gleich selbst Stammautor bei uns und erzählen Sie unseren Lesern Erbauliches über die neuesten notwendigen Verbote, die neuesten Verhaftungen, die neuesten Einschränkungen der Bürgerrechte. Wir unterwerfen uns – rückhaltlos.

Nur bitte, nehmen wir unser Magazin nicht vom Netz.

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