Blenden, Wuchern, Lamentieren

 In FEATURED, Wirtschaft

Die destruktiven Grundsätze der Ökonomie. Die Betriebswirtschaftslehre ist nicht eine Wissenschaft unter vielen – sie ist die buchstäblich herrschende Ideologie unserer Zeit. Ihre Grundsätze prägen und durchdringen alle anderen Lebensbereiche, bis weit in die Bereiche des Privaten und Menschlichen hinein. Sie ist es, die die Welt zur Ware degradiert hat. Mit ihrer im Grunde primitiven und egoistischen Logik – Kosten minimieren, Gewinn maximieren – hat sie nicht nur das Verhalten, sondern auch das Denken und Fühlen der meisten Menschen kolonialisiert. Umso wichtiger ist es, sich die Maximen des Wirtschaftens genauer anzuschauen. Was wir besser verstehen, dem gehen wir nicht mehr so leicht auf den Leim. Auszug aus dem Buch “Blenden, Wuchern, Lamentieren”.  Christian Kreiß, Heinz Siebenbrock

Einleitung: Die Kernaussage der Betriebswirtschaftslehre

»Man ist dabei, die europäische Staatszivilisation (…) zu zerstören, und das im Namen des dümmsten Gesetzes der Welt, nämlich der Gewinnmaximierung.«
Pierre Bourdieu 19961

Gutgläubige Autofahrer tragen Krankheit und Tod in unsere Städte. Ausgepowerte Kranken- und Altenpfleger sind kaum mehr in der Lage, die an sie gestellten Anforderungen halbwegs zu erfüllen. Die »Tafeln« kompensieren die Basisaufgaben des Staates und spiegeln die Not eines wachsenden Prekariats wider. Jobbefristung, Leiharbeit, Werkverträge und Scheinselbstständigkeit befeuern diese Entwicklung. Besonders tragisch: Mit einer Generation Praktikum, also jungen Leuten, die viel zu spät unbefristete Arbeitsverträge erhalten und deshalb den Kinderwunsch hintanstellen, verspielen wir unsere Zukunft. Bei der Ausbildung unserer Kinder entpuppen sich angebliche Innovationen wie G8 und Inklusion als getarnte Sparmaßnahmen und Arbeitsverdichtung. Denken wir aber auch an unser ganz persönliches Wohlbefinden: Glyphosat, Überdüngung und Massentierhaltung bedrohen unsere Gesundheit. Sportveranstaltungen wie Fußballspiele werden zunehmend elitär und für den einfachen Bürger kaum noch erschwinglich. Zu all diesen Missständen kommen manipulierte wissenschaftliche Studien, Lobbyismus, absichtlich herbeigeführte Vernichtung von noch funktionsfähigen Wirtschaftsgütern und vieles weitere hinzu. »Diese Wirtschaft tötet!«, betont Papst Franziskus, und damit meint er zu Recht nicht allein die Zustände in Lateinamerika oder in der sogenannten Dritten Welt.

Dieselskandal, Pflegenotstand, Staatsversagen, Umweltzerstörung, Abgrenzung und Verarmung bezeichnen höchst bedenkliche Phänomene mit einer gemeinsamen Wurzel. Ihnen allen ist gemeinsam, dass diese schädlichen gesellschaftlichen Entwicklungen von den Lehrkanzeln der Betriebswirtschaftslehre aktiv vorangetrieben werden. Das ständige Predigen der Gewinnmaximierung von Unternehmen trägt maßgeblich zu diesen Missständen bei, verursacht oder verstärkt sie. Das von den Ökonomie-Professoren unentwegt beschworene Ziel der Gewinnmaximierung führt langsam, aber sicher zum Verlust der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft. Die Kernaussage der gesamten Betriebswirtschaftslehre lautet: Gewinnmaximierung ist das oberste Ziel aller Unternehmen. Maximale Gewinne sind gut, richtig und wichtig. Unternehmen, die sich nicht daran halten, sollen und werden untergehen.

Den Studierenden der Betriebswirtschaftslehre ist spätestens nach der Einführungswoche klar: Gewinnmaximierung ist das höchste Ziel auf Erden. Praktisch alle Lehrbücher der BWL5 bauen auf diesem Prinzip auf. Alle Analysen, Folgerungen und Ratschläge stehen unter dem Axiom der Gewinnmaximierung. Das gesamte Lehrgebäude der Betriebswirtschaftslehre ist diesem Postulat untergeordnet. Manchmal wird diese Grundbedingung allen Wirtschaftens anders, subtiler benannt: Economic Value Added (EVA), Wertorientierte Unternehmensführung, Shareholder Value, Return on Capital bzw. Return on Investment (ROI) usw. Doch alles läuft immer auf das eine, unumstrittene und unhinterfragte Kernziel hinaus: Wie kann der Gewinn bzw. die Rendite des Unternehmens maximiert werden?

Produktionsprozesse, Einkauf, Marketing, Personalwesen, Management, Rechtsform, Rechnungslegung, Unternehmensbesteuerung, Investition, Finanzierung – alle Teilbereiche der Betriebswirtschaftslehre werden praktisch immer unter dem einen einzigen Ziel betrachtet: die Gewinne zu maximieren.

Immerhin ist Betriebswirtschaftslehre das Fach mit den meisten Studierenden (ca. 240 000) in Deutschland. Maschinenbau, Jura und Medizin schaffen es zahlenmäßig jeweils nicht einmal auf die Hälfte. Zählt man die der Betriebswirtschaftslehre verwandten Fächer hinzu, sind ca. 40 Prozent aller Studierenden in einem wirtschaftsnahen Fach eingeschrieben. Ca. 3 Millionen Menschen mit einer wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung arbeiten aktiv in einem Unternehmen, in einer Behörde oder in einem Verband. Hinzu kommen die zahlreichen Erwerbstätigen mit einer kaufmännischen Ausbildung und einer kaufmännischen Ergänzungsqualifikation, denn die Berufsschulen und Wirtschaftsfachschulen übernehmen weitgehend die Lehrinhalte der Fachhochschulen und Universitäten.

Im Jahr 2017 wurden allein 240 000 Ausbildungsverträge mit angehenden Industrie-, Handels-, Banken- oder Versicherungskauf- leuten geschlossen. Bei 40 Berufsjahren ergibt dies fast 10 Mio. Menschen, die über eine kaufmännische Ausbildung verfügen, wobei die Erwerbstätigen mit einer Zusatzqualifikation, wie beispielsweise Fachwirt oder Meister, noch nicht einmal mitgezählt sind. Insgesamt verfügt mit ca. 15 Mio. Menschen mindestens ein Drittel aller Erwerbstätigen in Deutschland über ein beträchtliches betriebswirtschaftliches Wissen. Der Einfluss nicht nur auf die Wirtschaft, sondern gewiss auch auf die Gesellschaft dürfte ein erhebliches Ausmaß angenommen haben.

Dabei schürt die extrem einseitige Weltanschauung der Betriebswirtschaftslehre – besonders das ständige Predigen von Gewinnmaximierung – Egoismus, Gelddenken und unmenschliches Verhalten. Gravierende gesamtgesellschaftliche Auswirkungen sind die Folge. Die Konsequenzen dieses menschenfeindlichen Denkens erfahren wir auf Schritt und Tritt im Alltagsleben.

Die betriebswirtschaftliche Logik ist bei der Bearbeitung vieler gesellschaftlicher Fragen leitend geworden. Im Gesundheitswesen, im Bildungssystem, in der öffentlichen Verwaltung, in Krankenhäusern und Altenheimen, in Kitas und Kindergärten, in Kultur und Sport: Überall werden zunehmend die in der Betriebswirtschaft entwickelten Methoden eingeführt und angewandt. Nicht nur unser Wirtschaftsleben, sondern auch immer größere Bereiche unserer Gesellschaft werden von dem Diktat der Gewinnmaximierung schädlich beeinflusst.

Was lernen BeWeEller (– so bezeichnen sich die Studenten der Betriebswirtschaft gern selbst –) eigentlich? Die von anderen Akademikern gelegentlich kolportierte, zynische Antwort, Betriebswirtschaftslehre sei leer und müsse deshalb Betriebswirtschaftsleere heißen, ist falsch und irreführend. Erstens liefert die Betriebswirtschaftslehre eine Fülle von gesellschaftlich relevanten Erkenntnissen, vor allem zu Fragen der Kommunikation, Integration, Kollaboration und Transparenz. Zweitens – und das ist uns besonders wichtig – stellt die Behauptung, die Betriebswirtschaftslehre sei leer, eine Verharmlosung dar.

Wenn die Betriebswirtschaftslehre leer wäre, ginge von ihr kaum eine Gefahr aus. Dann ließe sich folgern: alles halb so schlimm. Doch warum hat ausgerechnet das meiststudierte Fach den wohl mit Abstand schlechtesten Ruf unter allen anderen Akademikern? Blenden, Wuchern, Lamentieren sind Fähigkeiten, die BeWeEllern von anderen Studenten gern zugeschrieben werden. Ein BeWeEller lernt demnach nicht nur, sich selbst und seine Leistungen aufzuhübschen (blenden) und in schwierigen Situationen theatralisch zu jammern (lamentieren), sondern vor allen Dingen der Umwelt sowie anderen Menschen und Mitgeschöpfen zu schaden (wuchern). Der Duden erläutert wuchern treffend: üppig leben, schwelgen, sich übermäßig stark ausbreiten.

Die Verzahnung von Wirtschaft und Gesellschaft ist überall im täglichen Leben sichtbar: Bereits die jüngsten Mitglieder unserer Gesellschaft werden mit Taschengeld und Spardose ins Wirtschaftssystem eingebunden. Und die Älteren bekommen zunehmend zu spüren, dass das Wirtschaftssystem, obwohl sie es ein Leben lang in Gang gehalten haben, seinen eigenen Gesetzen folgt. Sie werden immer häufiger zu Bittstellern gemacht.

Ziel dieses Buches ist, die schädlichen Konsequenzen dieses einseitigen, menschen- und umweltfeindlichen Denkens auf den verschiedensten gesellschaftlichen Ebenen aufzuzeigen und menschlichere Alternativen dazu anzubieten. Es wird dargestellt, wie das von der Betriebswirtschaftslehre ausgehende Prinzip der Gewinnmaximierung aktiv zu einer zunehmenden Verrohung, zu einem schleichenden Entmenschlichungsprozess der Gesellschaft beiträgt, wie Gelddenken und egoistisches Verhalten dadurch gefördert und verbreitet werden, sodass unser gesellschaftliches Miteinander immer schwieriger wird. Es wird beschrieben, wie dadurch Konkurrenz statt Kooperation, Gegeneinander statt Miteinander, Einzelwohlbetrachtung statt Gemeinwohlorientierung gefördert wird. Umweltzerstörung, Soziallabbau, steigende Ungleichverteilung, Kundenübervorteilung und viele andere negative Auswirkungen sind die logische Folge dieser einseitigen Weltanschauung.

Viele dieser desaströsen Zustände sind erstaunlicherweise weitgehend bekannt. Sogar Lösungen sind in Sicht. So wird beispielsweise von den renommierten Ökonomen Joseph Stiglitz (»Preis der Ungleichheit«), Thomas Piketty (»Das Kapital im 21. Jahrhundert«) und Tomáš Sedláček (»Die Ökonomie von Gut und Böse«) massive Kritik am herrschenden Wirtschaftssystem vorgetragen. Ihren Lösungsvorschlägen stimmen wir weitestgehend zu. Und dennoch scheinen zwei entscheidende Bausteine, mit deren Hilfe man die Probleme überwinden könnte, in der bestehenden Literatur zu wenig thematisiert zu werden: Erstens wird das menschenverachtende Prinzip der Gewinnmaximierung nicht als eine der zentralen Ursachen benannt. Und zweitens wird der Kraft des eigenen Denkens, der Kraft der persönlichen Einstellung und Haltung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Schließlich kann sich jeder psychisch gesunde Mensch entscheiden, ob seine persönliche Einstellung und Haltung menschenverachtenden Prinzipien folgen sollen oder nicht.

Im letzten Teil des Buches werden wir deshalb ermutigende Alternativen bringen, mit denen sich die aufgezeigten Probleme lösen lassen. Sie richten sich zwar auch an die Repräsentanten der Gesellschaft, aber vor allem an jeden Einzelnen von uns. Anhand vieler bereits heute existierender wunderbarer Initiativen, die sich aktiv um das Gemeinwohl bemühen, wird gezeigt, dass es auch anders ginge. Besonders wollen wir dabei herausstellen, dass am Anfang jeglicher Initiative der einzelne Mensch steht, der in Alternativen zum gängigen Primat der Gewinnmaximierung selbst den Schlüssel in Händen hält, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verbessern – zu unser aller Wohl und vor allem zum Wohl unserer Kinder.

Unsere Wirtschaft folgt nicht unabänderlichen Gesetzen. Alle unsere ökonomischen und gesellschaftlichen Regeln haben wir uns selbst gegeben. Umdenken ist also möglich. Wenn wir beginnen, in den Wirtschaftswissenschaften umzudenken, indem wir die alles beherrschende Gewinnmaximierung durch menschengerechte Ziele ersetzen, kann unsere Gesellschaft den Weg in eine lebenswertere, sozialere und hoffnungsvollere Zukunft einschlagen. Dazu soll dieses Buch ein Beitrag sein:

Wir wünschen uns, dass zukünftige Absolventen der Betriebswirtschaftslehre nicht Blenden, Wuchern und Lamentieren, sondern Begreifen, Wertschöpfen und Leben wollen.

 

 

Christian Kreiß, Heinz Siebenbrock:

Blenden, Wuchern, Lamentieren.

Wie die Betriebswirtschaftslehre zur Verrohung der Gesellschaft beiträgt

Europa Verlag

272 Seiten, € 22,-

Kommentare
  • Gerold Flock
    Antworten
    Liebe Taxifirma!
    Jetzt kapiere ich auch endlich. Warum meine Kollegen vom CIA, denken daß sie vom KGB beobachtet werden und die dann deswegen andauernd mit ihren tollen Smartphones ihre Abrechnungen fotografieren, die dann wieder von der Mafia und anderen Hackern und zusätzlich vom Geheimdienst digital überwacht werden, so daß sogar Frau Merkel und der Trump in Amerika wissen, was auf den Smartphones meiner Kollegen vom CIA und den digitalen Schrottkisten vom MTZ, alles nicht mehr system-kompatibel ist. – Weil ja auch Windows 10 eigentlich schon in Rente ist? Nun ja. Ich gehöre anscheinend tatsächlich nicht so richtig dazu, weil ich eigentlich auch in Zukunft nicht dauernd meine Tagesabrechnungen nachrechnen und die Zettelwirtschaft kontrollieren möchte, ob denn da auch die Prozente übereinstimmen??? – Am besten stellen Sie für die Zukunft einen ausgedienten Pensionär vom Bundes-Nachrichtendienst als Pförtner ein, der mich dann als den “OFFLINE-Firmenfreak” durchwinkt, weil ich statt mit einem Handy, nur mit einer Taschenlampe und einem Taschenmesser zum Jobben komme. – Dem Typen vom Bundesnachrichtendienst am Firmenportal, stecken sie dann vielleicht noch die Information zu, daß ich einfach nur zum Improvisieren da bin und so…FALLS MAL DAS “DIGITALE” DURCHKNALLT.- Die ausgemusterten ehemaligen Agenten vom Bundesnachrichtendienst, die wegen der Digitalisierung frühzeitig entlassen wurden und nun nur noch als analoge Hilfskräfte – Jobs als Pförtner finden…tun mir persönlich ja auch leid. Es muß ja offiziell kein Mitarbeiter wissen, daß ich viel zu wenig weiß und ich somit als Whistleblower gar nicht in Frage komme. Thanks.

    Mit freundlichen Grüßen

    Gerold Flock

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