Daniela Böhm: Die letzte Bitte

 In Daniela Böhm, Umwelt/Natur

kuhundkalbWir wissen, dass auf den Schlachthöfen Grauenhaftes geschieht. Aber so wichtig, wie die großen Themen, über deren „Größe“ die Medien entscheiden, ist es nicht, oder? Daniela Böhm beschreibt hier außergewöhnlich feinfühlig das Martyrium einer schwangeren Kuh. Kritiker können leicht einwenden, sie zeichne diese Kuh zu menschenähnlich. „Anthropomorphisierung“ würde der Literaturwissenschaftler es nennen. In Wirklichkeit kann das nicht so stimmen. Kühe sind doch ganz anders als wir. Oder? Gerade, wer Tiere mit ihren Kindern beobachtet, stößt auf auffällige Parallelen, was Liebe und Fürsorge betrifft. Die Frage ist: Können wir so genau wissen, dass „Nutztiere“ (Kühe, Schweine usw.) ganz anders sind? Und wenn sie uns ziemlich ähnlich wären – welche Schlussfolgerungen müssten wir dann für uns selbst daraus ziehen? http://www.fellbeisser.net

Diese Geschichte ist tatsächlich geschehen. Der einzige Unterschied zwischen Fiktion und Realität ist die Sichtweise, aus der sie erzählt wird.

Die letzte Bitte

Draußen ist es noch dunkel, als mich der Bauer herausführt. Es ist nicht das erste Mal, dass einige von uns um diese Zeit geholt werden. Im Stall entsteht eine große Unruhe, denn diejenigen, die fortkamen, kehrten niemals zurück. Der Bauer treibt mich mit einem Stock an, weil ich eine kleine Rampe hinauf soll. Ich tue es widerwillig. Ich möchte nicht fort und mein Leib ist schwer mit meinem Kleinen unter dem Herzen. Drei andere Kühe folgen mir in diesen Kasten. Wir werden mit Stricken festgebunden und dann höre ich einen lauten Schlag. Ich erschrecke. Der Lichtschein aus dem Stall ist verschwunden. Ein letztes Mal dringen die Stimme des Bauern und die Rufe meiner Schwestern zu mir. Es sind Rufe der Trauer. Auch ich werde sie vermissen.

Plötzlich höre ich merkwürdige Geräusche und der Boden beginnt zu wackeln. Mein Kleines bewegt sich. Es ist erschrocken, ich kann es fühlen. Wenn der Mond einmal leer und wieder voll geworden ist, wird es in diese Welt kommen. Wir haben Angst. Wir prallen aneinander, weil dieser Kasten ständig hin- und herschaukelt. Es gibt ein paar kleine Öffnungen, und als es zu dämmern beginnt, blicke ich hinaus. Ich sehe Felder und Wiesen, spüre den Luftzug an meinen Nüstern und höre den Gesang der Vögel. Doch bald verändert sich alles und ich sehe nur noch Häuser.

Wohin werden wir gebracht? Kommen wir in einen anderen Stall? Ich hoffe es, denn ich bin müde und möchte mich hinlegen. Ich mache mir Sorgen um mein Kleines. Die Aufregung tut ihm nicht gut. Vier Mal war ich schon Mutter. Doch jedes Mal wurde mir mein Kind nach ein paar Stunden entrissen. Und immer war ich wochenlang verzweifelt. Ich hoffe, dass es dieses eine Mal anders sein wird und mein Kleines bei mir bleibt.

Plötzlich bewegt sich der Kasten nicht mehr. Draußen ist es bereits heller Tag und ich blicke durch die Öffnung, um zu sehen, wo wir sind. Im selben Augenblick rieche und fühle ich etwas. Es ist etwas Furchtbares. Ein alles durchdringendes Grauen. Und Blut. Es ist von meinesgleichen. In mir breitet sich Angst aus. Was hat das zu bedeuten?

Es dauert nicht lange und dann öffnet sich unser Kasten. Zwei Männer kommen hinein und binden uns los. Immer wieder sausen ihre Stöcke auf uns hinab. Ich wehre mich nicht, denn ich hoffe, dass ich mich bald hinlegen kann. Ich folge den anderen und den Schlägen der Männer und auf einmal sehe ich viele von uns. Ich gehe durch geöffnete Eisenstangen und höre ein klackendes Geräusch.

Plötzlich weiß ich es: Ich komme nicht in einen anderen Stall, in dem ich mein Kleines zur Welt bringen kann. Ich werde keine Felder mehr sehen oder das kühle Gras fühlen. Ich werde nie wieder Sonnenstrahlen auf meinem Fell spüren und den Mond nicht mehr anblicken, wenn er dick und rund am Himmel hängt. Und es wird keinen Sommer mehr geben – für mich. Diese Zeit im Jahr, in der ich nicht angebunden im Stall stand. Ich stoße einen lauten Ruf aus.

Wenn ich sterbe, wird auch mein Kleines sterben. Das darf nicht sein. Es hat diese Welt noch nicht gesehen. All die Wunder des Lebens. Den Sonnenaufgang und den Sonnenuntergang. Die unzähligen Sterne am Himmel. Das Rauschen des Regens und das dumpfe Grollen der Gewitter, die ihm vorausgehen. Das Gezwitscher der Vögel und das Plätschern der Flüsse. Die bunten Bäume im Herbst und die Eiszapfen an der Stalltüre, wenn der Winter ins Land gezogen ist. Es muss leben.

Verzweifelt bleibe ich stehen. Ich bin die Letzte in einer langen Reihe. Wohin werden wir geführt? Ich schaue mich um, aber ich sehe nur die anderen vor mir und neben mir, durch eine Eisenstange getrennt. Ich blicke in die Augen eines Bruders. Er spürt das Gleiche. Das Grauen.

Die Männer sind grob. Immer wieder gehen sie durch die Reihen und treiben die anderen an. Aber niemand von uns will weitergehen in diese furchterfüllte Ungewissheit. Trotzdem bewegen sich alle zögerlich vorwärts. Ich höre klagende Rufe. Ein Mann hält etwas in den Händen – es ist kein Stock*. Aber wenn er jemanden von uns damit berührt, geht es ein Stück voran.

Mein Kleines wird immer unruhiger. Es bewegt sich ständig. Ich versuche es zu besänftigen, während ich verzweifelt nach einem Ausweg suche. Vielleicht gibt es eine andere Öffnung, an den Eisenstangen entlang. Ich gehe langsam vorwärts, aber meine Hoffnung versiegt. Es gibt keinen Ausweg. Das kann nicht sein. Mein Kleines muss leben.

Ich bleibe stehen und dann lege ich mich hin. Ich bin so müde. Aber ich beginne zu rufen. Die Männer werden mich verstehen. Sie werden meinen Leib sehen und wissen, dass dort neues Leben wächst. Sie werden uns nichts tun.

Jetzt kommt einer der Männer zu mir. Er hält etwas in der Hand, das wie ein Stock* aussieht. Ich blicke ihn an, aber er scheint durch mich hindurchzusehen. Bitte, lass uns leben.

Der Mann berührt mich mit diesem Gegenstand in seiner Hand und plötzlich fährt ein Schmerz durch meinen Körper. Ich brülle auf und mein Kleines strampelt verzweifelt. Es kommt noch ein Mann mit einem Stock. Er schlägt mir auf den Kopf. Bitte, lass uns leben.

Ich stehe nicht auf. Ich will, dass mein Kleines leben kann. Es darf nicht sterben. Die Männer müssen das doch verstehen?

Wieder berührt mich etwas und erneut spüre ich diesen Schmerz in jeder Faser meines Körpers. Ich rufe immer mehr, so laut ich kann. Bitte, lasst uns leben.

Jetzt spüre ich auch Schmerzen in meinem Leib, weil das Kleine so um sich schlägt. Es hat große Angst. Ich will es beruhigen, aber ich kann nicht. Ich fürchte mich doch genauso. Wieder versuche ich einen der Männer anzublicken und stoße einen verzweifelten Ruf aus. Er schlägt mit seinem Stock auf mich ein.

Jetzt kommt ein dritter Mann. Er sieht mich an. Er schlägt oder berührt mich nicht. Ich sehe, wie sein Blick über meinen Körper gleitet. Er hat es gesehen. Das Leben in mir. Bitte, lass uns leben. An seinem Blick erkenne ich, dass er meine Bitte nicht erfüllen wird. Er geht fort.

Die Männer haben aufgehört, mir wehzutun. Ein Luftzug streift mein Fell und ich hebe den Kopf. Ich sehe ein Stück Himmel mit ein paar tanzenden Wolken. Dann blicke ich den Mann an, der zurückgekehrt ist und einen großen Gegenstand in seinen Händen hält.
Ich weiß, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Ich habe es in seinen Augen gesehen. Ich senke den Kopf und denke an mein Kleines.
Ich möchte es beschützen.

Noch einmal blicke ich in die Augen des Mannes. Nimm mein Leben, aber bitte, lass mein Kleines leben.

Dies ist eine wahre Geschichte, die sich tagtäglich überall auf der Welt in dieser oder einer ähnlichen Form wiederholt. Es sind fühlende Individuen, werdende Mütter, die dieses Martyrium erleiden müssen, genauso wie das ungeborene Leben in ihrem Leib. Allein in Deutschland sterben jährlich ca. 180.000 ungeborene Kälber. Sie müssen den Tod ihrer Mutter miterleben und ersticken anschließend qualvoll. Bis zu einer halben Stunde kann dieses Ersticken dauern. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Die meisten Bauern lassen ihre Kühe nicht untersuchen, bevor sie zur Schlachtung geschickt werden. Oftmals sind die Bauern keinesfalls unwissend, denn auch hochträchtige Kühe kommen zum Schlachthof.

Für hochträchtige Kühe (ab dem dritten Trimester) gilt eigentlich seit letztem Jahr ein Transportverbot. Es gibt leider Bauern, die es missachten (eine Kuh wird nach Gewicht bezahlt) und sobald das Tier auf dem Gelände des jeweiligen Schlachthofes ankommt, gilt das Seuchenschutzgesetz, d.h., das Tier kann nicht zurückgeschickt werden.

Die Schlachtung trächtiger Kühe ist eines der finstersten Kapitel der Milchindustrie. Selbst wenn ich noch alles Mögliche an menschlicher Interpretation oder Ausdrucksform in dieser Geschichte streichen würde – es bleibt die Realität: Ein Lebewesen in Todesangst um sein eigenes Leben und das seines Kleinen. „Ich bin Leben inmitten von Leben, das leben will.“ Dieser Satz von Albert Schweizer passt auch zu dieser Tragödie, die das Wesen Mensch dem Wesen Tier antut.

N.B. * „Er hält etwas in der Hand, das wie ein Stock aussieht.“ – Gemeint ist hier der sogenannte „Elektrotreiber“.

Zur Info:
www.welt.de/politik/deutschlan…
Bitte unterstützen Sie den Aufruf:
www.peta.de/schlachtung-schwan…

Bitte: Verzichten Sie auf den Konsum von Fleisch und Milchprodukten. Die Milchindustrie fördert die Fleischindustrie, da eine Kuh kalben muss, um Milch zu geben. Dadurch entsteht eine „Überproduktion“ an Kalbfleisch. Es ist Muttermilch – für das Kälbchen der Kuh bestimmt, welches sie in herkömmlichen Betrieben nicht einmal einen Tag lang behalten darf. Stellen Sie sich vor, man würde einer menschlichen Mutter so etwas antun und ihre Milch einer anderen Art geben. Verrückt?
Verrückt ist das, was der Mensch den Tieren antut.

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