Daniela Böhm: Mit Waffen und vorsätzlich

 In Allgemein, Daniela Böhm, Umwelt/Natur

Menschen haben Münder, Tiere Mäuler. Menschen haben Hände, Tiere Pfoten. Menschen essen, Tiere fressen. Menschen ermordet man, Tiere werden getötet. Verschiedene Namen für das eigentlich Gleiche. Wir schaffen so eine künstliche Trennung zwischen Mensch und Tier, die unseren Überlegenheitsanspruch zementiert und es auch erleichtert, sie zu Millionen abzuschlachten. Der Philosoph René Descartes hielt Tiere für empfindungslose Maschinen. “Ihre Schmerzensschreie bedeuten nicht mehr als das Quietschen eines Rades!” Genauso wie vom “Vater der neuzeitlichen Philosophie” vorgegeben, geht es in dieser Neuzeit auch zu. Die Tierrechtlerin Daniela Böhm vermittelte ihre unmittelbaren und in höchstem Maße erschütternden Erfahrungen in einem Schlachthof diesmal in einem Gedicht. Und sie rüttelt auf: Wir alle können etwas tun, um das Grauen zu beenden.

Schreie.
Wie die von Kindern, wenn sie vollkommen außer sich sind.
Am Himmel tobt ein Unwetter.
Es donnert und Blitze schießen durch die hereinbrechende Nacht.
Sie fürchten sich zu Tode.
Nicht vor dem Gewitter.
Sie fürchten sich vor dem Tod.
Vor dem Grauen und dem Geruch voller Qual derer, die den Weg vorangingen.
Ihre Schreie sind markerschütternd.
Diese Stadt beginnt zu schlafen, tief senkt sich die Nacht herab.
Und mit der Dunkelheit beginnt das Morden – mitten in der Stadt.
Die Menschen nennen es Töten, denn morden tun sie nur ihresgleichen.
Mit Waffen und vorsätzlich – das ist Mord.
Doch wo ist der Unterschied zwischen dem, was hier geschieht oder anderswo, unter den Menschen?
Beides geschieht vorsätzlich und mit Waffen, die für den Tod erschaffen wurden.
Bis in die frühen Morgenstunden passieren schaukelnde Gefängnisse die Einfahrt
des Münchner Schlachthofes.
Bis in die späten Morgenstunden dauert das Morden.
Hinter einer Mauer, dort, wo das Grauen geschieht, hört man ihre Schreie noch bei Sonnenaufgang.
Sie wechseln sich ab mit dem Geräusch der Kreissäge, das der Wind ganz deutlich über diese Mauern aus braunen Ziegelsteinen trägt.
Als Bündel voller Angst sind sie in den Schlachthof gekommen – als bleiche, schlaffe Bündel, schaukelnd und in zwei Hälften zerteilt, an einem Haken hängend, verlassen sie diesen Ort des Grauens.
Das Unfassbare, das Schreckliche, für immer eingefangen in ihren leblosen Augen, für immer eingebrannt in ihr Fleisch.
Manche Schweine mussten ihren Tod bei vollem Bewusstsein erleben.
Ihre kindlichen Schreie haben das Herz ihrer Henker nicht erbarmt.

Der heranbrechende Morgen wird von einem heißen Sommertag verdrängt.
Die ersten Transporter mit den Rindern sind schon eingefahren.
Gestank der Angst, dunkler Kot, der über silbernes Metall rinnt und sich festklebt.
Schräg gegenüber sind die großen Waschanlagen, dort werden die Spuren der Angst beseitigt.
Noch lange bevor der Kopfschlächter zum Stich ansetzt.
In den Treibgassen stehen sie.
Und später dann, ab Mittag, in der sengenden Hitze, wartend auf ihren Tod in den fahrbaren Gefängnissen, bevor sie entladen werden.
Hilflos – ihre Blicke sind so unendlich hilflos.
Doch selbst jetzt spiegelt sich auch die Sanftmut in ihren Augen.
Sie stehen in scheinbar endlosen Reihen, eines nach dem anderen.
Oft müssen sie lange warten.
Es muss schrecklich sein, auf den Tod zu warten.
Dafür gibt es keine Worte.
Auch sie spüren das Grauen.
Sie rufen so verzweifelt, immer und immer wieder.
Auch ihre Hilfeschreie trägt der Wind über die Mauern aus braunen Ziegelsteinen – weit in die Stadt hinein, bis sie nur noch ein Flüstern sind.
Die Menschen hören beides nicht – nicht das Flüstern und nicht die Rufe voller Angst.
Ihre Ohren sind taub und ihre Herzen blind.
Ich sehe ein Rind, das in der Treibgasse ganz vorne steht, genau vor dem Eingang des Todes.
Es bewegt seinen Kopf ganz leicht nach links, in einer Geste vollkommener Hilflosigkeit. Als würde es ein letztes Mal auf das Leben schauen, das es jetzt für immer hinter sich lässt.
Es gibt keinen Ausweg. Hinter ihm stehen seine Artgenossen und irgendwo hinter ihnen ist eine Eisenstange, die jegliche Flucht unmöglich macht.

Es ist dieses Bild und es sind ihre Rufe und die kindlichen Schreie der Schweine, die sich bei der zehnten Mahnwache am Münchner Schlachthof in meine Seele eingebrannt haben.

Jeder kann dieses Grauen, das Tag für Tag, Stunde um Stunde, Minute für Minute und in jeder einzelnen Sekunde auf dieser Erde geschieht, verhindern.
Jeder, der weiter Tiere isst, trägt Verantwortung für diese Tragödie.
Es ist eine der größten Tragödien in der Weltgeschichte.
Doch kein Schulbuch berichtet davon und keine Armee rückt zur Befreiung der Tiere an.
Es sind ja nur Tiere …
Tiere tötet man …
Ermordet wird nur der Mensch …

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