Das Bataclan-Syndrom

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Politik

Warum lässt sich die überwältigende Mehrheit der Menschen von einer kleinen Gruppe von Angreifern in Schach halten? Warum schafft es die Bevölkerung nicht, die Zahl der Opfer von Verbrechen gering zu halten, indem sie frühzeitig entschlossen gegen die Täter vorgeht? Diese Frage stellt sich nicht nur bei bestimmten kriminellen Einzelaktionen, sondern auch bezüglich der “großen Politik”. Volker Freystedt

 

Im November 2015 wurden in Paris zeitgleich mehrere Anschläge auf Zivilisten verübt, bei denen es sehr viele Opfer gab. Ich möchte mich auf den Tatort des Konzerthauses Bataclan konzentrieren und anhand des dortigen Geschehens auf ein meines Erachtens exemplarisches, auch und gerade heute spürbares Syndrom hinweisen.

Bereits kurz nachdem die ersten Fakten über den Überfall auf den Veranstaltungsort Bataclan bekannt wurden, stieg in mir die Frage auf: Wie war es möglich, dass 3 (drei!) Männer, auch wenn sie noch so schwer bewaffnet waren (Kalaschnikows und Handgranaten), gegen eine zahlenmäßig so große Übermacht (etwa 1500 Zuhörer waren bei dem Konzert anwesend) über eine Viertelstunde in die Menge schießen konnten, so dass es zu 89 Toten (und vielen Verletzten) kam?

Die Antwort lautete für mich damals: weil die Menge eben nicht als mächtige Menge aufgetreten ist, sich nicht ihrer faktischen Überlegenheit bewusst war. Jeder einzelne Konzertbesucher stand in seinem Bewusstsein offenbar allein gegen drei Terroristen, sah sich den drei Schwerbewaffneten gegenüber als chancenlos beim Versuch, sie zu stoppen, und seine einzige Möglichkeit, eventuell heil davon zu kommen, könne nur die Flucht oder das Verstecken sein.

Wir Menschen suchen zwar immer wieder die Geborgenheit in der Menge, das Gemeinschaftserleben (wie bei einem Konzert), aber wir bleiben dabei Vereinzelte, die nur in quasi ritualhaften Handlungen ein Verbundensein erleben (z.B. Klatschen, Hüpfen, Mitsingen).

Natürlich waren beim Anschlag im Bataclan Opfer unvermeidlich. Aber wie viele Tote hätte es gegeben, wenn sich die Besucher instinktiv auf die Angreifer gestürzt hätten? Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte es die ersten Mutigen erwischt – und genau da liegt das Problem! Wer voran geht, riskiert am meisten – also besteht die Tendenz, sich nach hinten, weg von der Gefahr zu orientieren. Wie irrig und fatal dieser instinktive Reflex aber ist, zeigt die Zahl der Toten, die letztlich zu beklagen waren: 89! Kaum vorstellbar, dass es mehr als zehn Opfer gegeben hätte, wenn sich, als das Feuer eröffnet wurde, die vordersten Besucher auf die Terroristen gestürzt hätten.

Aber wir empfinden uns eben nicht als Schwarm, so wie Fische oder Vögel, die durch ihre gemeinschaftlichen Aktionen einen überlegenen Feind abwehren, gegen den das individuelle Tier keine Chance hat.

Die Überlegenheit des Schwarms

Doch was hat das mit unserer Situation heute zu tun?

Sehr, sehr viel, meine ich. Auch heute erleben wir einen Anschlag, einen Angriff auf unsere Freiheit, unser Leben. Die Angreifer haben zwar selbst keine Waffen, aber sie haben Geld und damit Macht. Damit verfügen sie über Menschen, die Waffen tragen, und über Menschen, die psychologische Kriegführung beherrschen.

Aber auch hier: die Angreifer sind deutlich in der Unterzahl! Würde sich die Mehrheit als Schwarm begreifen, wären die Angreifer chancenlos. Und was erleben wir? Nur wenige suchen den Zusammenschluss. Die meisten meinen jedoch, ihre Haut (ich vermeide hier das A-Wort…) retten zu können, indem sie sich wegducken oder (im schlimmeren Fall) mitmachen.

Das Ergebnis wird – wie im Bataclan – sein, dass es zu einer unverhältnismäßigen und unnötigen Anzahl an Opfern kommen wird. Und darunter werden auch ganz viele von denen sein, die Schuld auf sich geladen haben, indem sie nur an sich und nicht an die Gemeinschaft dachten.

Dumm gelaufen? Nein, dumm gewesen!

Bleibt die Frage: wie kommen wir vom ICH zum WIR? Denn dann – könnten wir das Paradies auf Erden verwirklichen. Doch wie sagte Laotse: Jede Reise beginnt mit den ersten Schritt.

Anzeigen von 4 Kommentaren
  • Hopp Schwiez !
    Antworten
    Die Schweiz steht auf !

    Zigtausende in Rapperswil mit allem was kuhglöcklich und sonstwie Lärm macht –

    auch Böllerschüsse !

    OHNE Abstand und Maske.

    Hopp Schwiez !!

    Roger Bittl weint vor Rührung…

    Und ja  – man unzerschätze den Freiheitswillen der Schweizer nicht –

    Jeder der beim Militär war darf die Flinte ( plus Munition ) mit nach hause nehmen… zur Verteidigung dieser Freiheit, im Grundgesetz verankert !

     

     

     

  • Freiherr
    Antworten
    …nochmal zum Volksaufstand in der Schweiz –

    ‘ the chimes of freedom flashin…’ ( Bob Dylan ) –

    ohrenbetäubender Freiheitslärm von tausenden von Kuhglocken !

    Die Polizei wird sich hüten da einzugreifen.

    Wie erbärmlich macht sich der Aufstand in der BRD dagegen,

    am Ende wird es wohl so sein dass in allen Staaten dem Willen der Bevölkerungen letztlich nachgegeben wird –

    nur in Deutschland nicht, da ist der Faschismus nicht auzurotten und auch die freiwillige Unterwerfung unter selbigem nicht.

     

     

     

     

  • aka
    Antworten
    Heute war ich via ruptly auf youtube in London. und in Berlin. viele viele Menschen.

    In London. Menschen rufen freedom laufen stundenlang. immer wieder sieht man auch PolitInnen die mit Warnweste und Mützchen mit Maske laufen. Einzeln oder zu zweit …Keiner sonst hat eine Maske auf.

    Dagegen Berlin. Die Polizei martialisch mit Helm und in Schwarz, alle mit Maske auch die  DemoteilnehmerInnen. Atmosphärisch liegen Welten und nicht nur ein Kanal zwischen uns.

  • Karl Kraus
    Antworten
    Zitat:

    Aber wir empfinden uns eben nicht als Schwarm, so wie Fische oder Vögel, die durch ihre gemeinschaftlichen Aktionen einen überlegenen Feind abwehren, gegen den das individuelle Tier keine Chance hat.

    Vergleiche mit der Tierwelt sind selten hilfreich und oft irreführend.

    Die Interpretation eines Schwarms als Wehrgemeinschaft ist nicht zutreffend. Der Schwarm schützt seine Mitglieder nur insofern, als der Jäger Schwierigkeiten hat, ein einzelnes Jagdobjekt zu fixieren und zur Strecke zu bringen. Der Schwarm formiert sich jedoch niemals zum Gegenangriff. Der Jäger seinerseits gibt sich mit einem Beutestück pro Angriff zufrieden. Von Maschinengewehren oder Handgranaten, die die Schutzwirkung des Schwarms aufheben, kann der tierische Jäger nur träumen.

    Etwas anderes ist die Konfrontion von grossen jagenden Einzelgängern mit Rudeln von Jägern.

    Ein Schwarm ist kein Rudel.

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