Das Mephisto-Prinzip

 In Buchtipp, FEATURED, Wirtschaft

Wie sähe unser Wirtschaftsleben aus, wenn „der Teufel“ seine Hand im Spiel hätte? Die erschreckende Antwort lautet: so ähnlich wie es jetzt schon ist. Bestimmte Prinzipien der herrschenden Ökonomie, etwa Gier, Eigennutz, Wettbewerb, ungebremstes Wachstum und die Ausplünderung durch den Zins, schaden dem Wohl des Menschen massiv. Sie ziehen den „Geist von seinem Urquell ab“, wie es Goethe im „Faust“ formulierte. Natürlich ist „Mephisto“ hier nur eine Symbolfigur, ein rhetorischer Trick, dessen sich der Autor bedient, um eine bestimmte Mentalität bei den herrschenden „Eliten“ zu charakterisieren. Wir müssen den „Teufel im Detail“ erkennen und so gut wir können die gegenteiligen Prinzipien fördern, wenn wir uns nach einer humaneren Welt sehnen. Auszug aus dem Buch „Das Mephisto-Prinzip in der Wirtschaft“, Verlag tredition.  Christian Kreiß

Wenn Mephisto, die bekannte Figur aus Goethes „Faust“, unsere Wirtschaftsgesetze machen könnte, was würde er dann tun? Nun, das Ziel von Mephisto ist ziemlich klar. Er sagt an einer Stelle „Ihr wisst, wie wir in tief verruchten Stunden Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht“ (Faust Teil 2, Grablegung). Er will also das Menschengeschlecht so stark wie möglich schädigen.

Wie kann man das am besten tun? Unter diesem Blickwinkel soll im Folgenden unser heutiges Wirtschaftssystem untersucht werden. Es geht also um die Fragestellung eines Advocatus Diaboli: Wie kann man die Regeln, die Gesetze, die Wirtschaftsordnung, so gestalten, dass die Menschen geschädigt werden? Wichtig ist dabei, dass wir es nicht durchschauen. Denn wer würde heute schon ganz offen für schlimme Pläne sein? Wie würde solch ein mephistophelischer Plan also konkret aussehen und umgesetzt?

Ich glaube, es ist sehr hilfreich, einmal einen Blick auf unseren sozialen Organismus mit dieser Fragestellung zu werfen, mit der Hypothese, es gäbe Kräfte oder Bestrebungen, in diese Richtung zu wirken. Der Leser wird rasch bemerken, wie man mit Hilfe dieses Ansatzes Phänomene in unserem Wirtschaftsleben erklären kann, die vorher nur schwer erklärbar schienen.

Um diese Fragestellung zu verfolgen, wird folgendermaßen vorgegangen. Zunächst wird untersucht, welche Absichten ein Advocatus Diaboli haben könnte und wie er sie konkret umsetzen wollen würde. Der „Advocatus Diaboli“ oder „Anwalt des Teufels“ war ursprünglich ein katholischer Priester, der vor der Heiligsprechung eines Menschen alle schlechten Eigenschaften der Person aufführen musste. Erst wenn alle negativen Einwände entkräftet waren, konnte der Mensch durch die katholische Kirche heiliggesprochen werden. Der Gegenpart dazu war der „Advocatus Dei“, der Anwalt Gottes. Es ging also nicht darum, einen Menschen schlecht zu machen, sondern alle möglichen Schlechtigkeiten zu entkräften.

Es werden im Folgenden zunächst die wichtigsten Ziele Mephistos beschrieben. Dann wird untersucht, auf welchen Grundannahmen die heutigen Wirtschaftswissenschaften aufbauen. Im Anschluss werden die Auswirkungen dieser Annahmen auf das reale ökonomische Leben und die Gesellschaft aufgezeigt und die Mittel und Wege besprochen, wie das erreicht wird. Es folgt ein Blick auf gesellschaftliche Bereiche jenseits der Ökonomie. Am Schluss werden Wege in eine menschliche, nicht-mephistophelische Wirtschaft aufgezeigt und wie solch eine Welt aussehen könnte

 

Die Ziele Mephistos

Das Hauptziel Mephistos ist, uns Menschen nicht zu fördern, sondern zu schaden. Also beispielsweise statt die Ideale der französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit Brüderlichkeit, deren Gegenteil anzustreben: Unfreiheit, Ungleichheit und Unbrüderlichkeit. Ein anderes Ziel Mephistos wäre, uns Menschen möglichst davon abzuhalten, die hohen menschheitlichen Ideale, das Wahre, Schöne und Gute zu verfolgen. Stattdessen sollen wir ihr Gegenteil anstreben: Das Unwahre, Unschöne und Ungute. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Egoismus. Aus dem Egoismus folgen von alleine Gier, Neid, Habsucht, Rücksichtslosigkeit und eine ganze Menge weiterer schädlicher Eigenschaften. Je stärker die Menschen in den Egoismus getrieben werden, desto schlimmer werden die gesellschaftlichen Zustände. Also ist eines der wichtigsten Ziele Mephistos, den Egoismus so stark zu fördern wie möglich, um die Menschen damit auf die schiefe Bahn zu bringen, zum Bösen zu verleiten.

Der von Goethe verwendete Name „Mephistopheles“, abgekürzt „Mephisto“ kommt von den beiden hebräischen Begriffen „mephir“ (Zerstörer, Verderber) und „tophel“ (Lügner). Von letzterem stammt der deutsche Begriff „Teufel“ ab. Neben dem Egoismus spielt also die Lüge eine ganz besonders wichtige Rolle. Je stärker Lüge und Unaufrichtigkeit verbreitet sind, ein umso leichteres Spiel hat Mephisto. Denn kaum ein Mensch ist heute bereit, bewusst und willentlich die schiefe Bahn zu betreten oder bewusst Böses zu tun.

Deshalb erreicht Mephisto seine Ziele am besten, wenn er unehrlich, lügnerisch vorgeht, wenn zunächst einmal die Begriffe verwirrt werden, um uns Menschen den Kompass zu nehmen. Denn wenn erst einmal das Denken verwirrt und auf eine schiefe Bahn gelenkt ist, kommen die schädlichen Auswirkungen von ganz alleine. Wie wir heute denken, so wird in einer oder mehreren Generationen die Welt aussehen. Ein Haus entsteht aus einem Architektenplan, eine Brücke oder eine Maschine aus dem Plan eines Ingenieurs, eine Therapie folgt einer Diagnose. Wenn die Pläne, Analysen und Diagnosen falsch sind, werden auch die gesellschaftlichen Folgen falsch und schädlich sein. Deshalb ist der allererste und wichtigste Ansatz von Mephisto, die Theorien, das Denken auf eine unheilvolle Bahn zu lenken.

Angewendet auf unser Wirtschaftsleben heißt das, es müssen möglichst falsche und schädliche Grundannahmen oder Axiome eingeführt werden, die aber auf den ersten Blick plausibel, gut und vernünftig erscheinen. Wenn die Theoriegebäude der Ökonomen auf schlechten oder unheilvollen Grundannahmen aufgebaut sind, folgen die schädlichen gesellschaftlichen Ergebnisse von ganz alleine. Deshalb werden im ersten Schritt die heute gängigen Grundannahmen der Wirtschaftswissenschaften beschrieben.

 

Wichtige Grundannahmen der heutigen Wirtschaftswissenschaften

„Die Ideen der Ökonomen […], ob richtig oder falsch, sind einflussreicher als man gewöhnlich meint. In der Tat wird die Welt von kaum etwas Anderem regiert. Praktiker, die sich frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind normalerweise die Sklaven irgendeines verstorbenen Ökonomen.“[1]

John Maynard Keynes 1936

 

Die folgenden Axiome liegen einzeln oder gemeinsam praktisch allen in der Ökonomie verwendeten Analysen, Modellen und Erklärungsansätzen im Lehrgebäude der heutigen Mainstream-Ökonomie zu Grunde:

 

  1. Unersättlichkeit
  2. Zinseszins ist gut, richtig und wichtig
  3. Eigentum in beliebiger Höhe ist gut, richtig und wichtig
  4. Unternehmen sollen ihre Gewinne maximieren
  5. Konsumenten maximieren rational ihren Eigennutzen
  6. Konkurrenz und Wettbewerb sind gut
  7. Die unsichtbare Hand des Marktes überführt das eigennützige Verhalten der Marktteilnehmer in das Wohl der Allgemeinheit.

 

Unersättlichkeit

 

„Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“

Mahatma Gandhi[2]

 

Das Weltbild der Ökonomen geht davon aus, dass Güter knapp sind und die Menschen endlose Bedürfnisse haben. So heißt es in dem international führenden Lehrbuch von Mankiw und Taylor zur Volkswirtschaftslehre[3] gleich zu Beginn: „Die Gesellschaft wird nie genügend Ressourcen haben, um Waren und Dienstleistungen in dem Maße zu produzieren, dass alle Wünsche und Bedürfnisse ihrer Mitglieder befriedigt werden können.“[4] Im führenden deutschen Lehrbuch zur Betriebswirtschaftslehre, dem „Wöhe“ steht dazu lapidar: „Die menschlichen Bedürfnisse sind praktisch unbegrenzt.“[5]

Gerade die Einleitungsseiten von Lehrbüchern sind besonders wichtig für weltanschauliche Fragen, denn dort werden die Weichen dafür gestellt, was behandelt wird und was nicht. Die Ökonomie-Lehrbücher unterscheiden, anders als etwa Mahatma Gandhi nicht zwischen Bedürfnissen und Gier, nicht zwischen Luxuskonsum oder Brotkauf. Alles ist gleich gut und wichtig. So lesen wir bei Mankiw/ Taylor: „Sie [die Gesellschaft] muss darüber entscheiden, wer Kaviar isst und wer Kartoffeln, wer Porsche fährt und wer den Bus nimmt.“[6] Es geht also nicht darum, ob oder in welcher Höhe Luxuskonsum stattfindet, sondern nur noch darum, wie man damit umgeht. Durch die Hintertür werden hier bereits deutliche moralische Wertungen eingeführt: Der Kauf von Luxusgütern ist ebenso legitim wie der von lebenswichtigen Gütern. Jegliche in Geld ausgedrückte, auf den Märkten erscheinende Nachfrage muss berücksichtigt werden. Das sind wichtige moralische Botschaften gleich zu Beginn der Bücher.

Die Frage: Wieviel ist genug? Wird praktisch nie gestellt. Die Frage: Wieviel Wirtschaftswachstum verträgt die Umwelt? wird in der Mainstream-Ökonomie normalerweise nicht gestellt oder in wenigen Sätzen bagatellisiert. Dadurch wird eine bestimmte Analyserichtung vorgegeben, andere Fragestellungen werden von vorneherein unausgesprochen ausgeschlossen. Gier und Unersättlichkeit werden bereits durch die ersten Sätze der Ökonomie-Lehrbücher als ganz normal dargestellt, nicht hinterfragt und damit moralisch legitimiert. Bescheidenheit, Verzicht, Genügsamkeit und Selbstbeschränkung, alte religiöse Tugenden, werden von vorneherein verworfen. Und es ist ja bekannt, dass Mephisto religiöse Tugenden nicht leiden kann.

[1] Keynes, John Maynard, The General Theory of Employment, Interest and Money, Harbinger (New York) 1964, Erstveröffentlichung 1936, S.383

[2] http://www.zeit.de/2005/24/st-zukunftzwei, Die Zeit 9.6.2005

[3] Mankiw/ Taylor 2016, S. ix sprechen von ihrem Buch als dem „weltweit wohl wichtigsten Einführungswerk in die Volkswirtschaftslehre“.

[4] Mankiw/ Taylor S.1

[5] Wöhe 2016 S.4

[6] Mankiw/ Taylor S.1

Anzeigen von 3 Kommentaren
  • ert_ertrus
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    Die menschlichen Bedürfnisse sind praktisch unbegrenzt …

    Also: Der Mensch ist von Natur aus lasterhaft, ein Suchtknoten. Darauf lässt sich eine erfolgreiche Wirtschaft unbegrenzten Wachstums aufbauen. Kollateralschäden werden vernachlässigt – nach uns die Sintflut.

    Charles Baudelaire bemerkte einmal, die Laster seien der Ausdruck der [falschen] menschlichen Sehnsucht nach der Unendlichkeit. Fjodor Michailowitsch Dostojewskijs Spielerroman klärt mehr IMHO über die heutige Wirtschaftsweise auf als die meterweise Lektüre von Werken neoliberaler Ökonomen …

  • LIFEstudioFFB
    Antworten
    Prof. Christian Kreiß hielt im „LIFEstudioFFB“ einen sehr guten zusammenfassenden Vortrag über sein Buch. Hier zu sehen: https://youtu.be/0Ff2fOHhCBs

    Christian Kreiß veröffentlichte bisher vier Bücher und zahlreiche Artikel, u.a. im Spiegel, in der Süddeutschen Zeitung, der FAZ und der Welt. Er hält Vorträge und tritt auch im Deutschen Bundestag als unabhängiger Experte auf. Seine Webseite: http://www.menschengerechtewirtschaft.de

    Weitere Beiträge im „LIFEstudioFFB“: https://www.youtube.com/ffbaktivstudio

  • Ruth
    Antworten
    „Das Mephisto-Prinzip“, woran denke ich sofort? An die  Bankenkrise 2008.

    Was wurde uns alles erzählt und versprochen und was hat sich später als Lüge erwiesen!

    In diesem Zusammenhang bin ich auf die ZiB – Bank für internationalen Zahlungsausgleich – gestoßen; die geheimnisvollste und wertvollste Bank der Welt, die ihren Sitz in Basel hat. Sämtliche Mitarbeiter und ihre 18 Mitglieder sind nicht rechenschaftspflichtig, genießen Steuerfreiheit und diplomatische Immunität. Journalisten dürfen sich nur in Begleitung – wenn überhaupt – durch die Bank bewegen oder kommen erst gar nicht hinein.

    Wenn man sich mit der Geschichte dieser mysteriösen Bank beschäftigt – wie hat sie sich finanziert, von Nazi-Gold ist die Rede. Kein Staatschef oder die Polizei darf eingreifen; die Bank steht außerhalb der Gesetze! Und die Offiziellen sind lebenslang immun vor dem Gesetz!

    Da hegt man doch den Verdacht: Wir haben es hier mit einem  „Lügengebäude“  im Sinne Mephistos zu tun; könnte ja sein!

    Und sind unsere Regierungen nur Handlanger einer mächtigen Institution? Und wird das Wahlvolk an der Nase herumgeführt?

    Eine unglaubliche Vorstellung!

     

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