Das Phänomen der Massenformation

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Politik (Inland)

Ulrike Guérot, Bildquelle: EUT3, Lizenz Creative Commons

Mit den Protesten „gegen rechts“ wollen die Teilnehmer auch kaschieren, dass sie in der Coronazeit beim Schutz der Demokratie versagt haben. Exklusivauszug aus „Der Ausverkauf der Republik: AfD und Meta-Krise“. Hunderttausende Menschen marschieren gegen die AfD, Nazivergleiche und Nazithemen beherrschen die Medien. Sind diese Proteste, dieses „virtue signaling“, zu exzessiv, um wirklich glaubhaft zu sein? Oder liegt in diesem performativen Widerstand das Zeichen einer erfolgreichen Abgrenzung und einer erfolgreichen Lehre aus der Vergangenheit? Psychoanalytisch ausgedrückt: Sind die Deutschen neurotisch fixiert auf die Nazis? Exklusivauszug aus „Der Ausverkauf der Republik: AfD und Meta-Krise“. Tom Amarque, Ulrike Guérot

 

Also in der Tat glaube ich, dass es fast eine Art neurotische Fixierung auf die Nazizeit gibt. Da müsste man auch noch einmal bei Martin Walser nachschauen, der ja schon — war es 1998? — mit dem Begriff „Holocaust-Keule“ in seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche an die Öffentlichkeit getreten ist und im Grunde genau diesen Punkt machen wollte, dass es natürlich nicht um Vergessen geht, aber darum, aus dieser Neurose herauszufinden, also darum, von der Geschichte nicht loszukommen.

Es geht nicht darum, zu vergessen! Niemand möchte den Schrecken vergessen, den Holocaust vergessen, das große Unrecht vergessen. Darum geht es nicht! Es muss angemessen erinnert werden. Aber zwischen „nicht vergessen“ und einer permanenten Selbstgeißelung, die die Gesellschaft blockiert, gibt es einen Unterschied. Und ich glaube, in der Tat hängt Deutschland da noch in einer — wie haben Sie es genannt? — neurotischen Schlaufe.

Ich würde gerne denen, die dieses Gespräch hier hören, den Song empfehlen „Wir sind alle gegen Nazis“ (1) von der Band Theodor Schitstorm. Theodor Schitstorm ist die Band von Dietrich Brüggemann. Dietrich Brüggemann hat die Aktion „#allesdichtmachen“ während der Coronazeit gemacht, und der Song „Wir sind alle gegen Nazis“ ist wirklich köstlich zu hören.

Die Lyrics dieses Songs sind — ich kann es jetzt hier nicht auswendig zitieren — so ungefähr: Die Gesellschaft ist kaputt, der letzte Drops ist gelutscht, die letzte Banane ist geschält. Wir waren mal eine Gemeinde, und jetzt haben wir nur noch eins, das uns eint: Wir sind alle gegen Nazis. Das heißt, wir stehen eigentlich vor dem Trümmerhaufen einer Gesellschaft, die durch und durch polarisiert ist über die Coronamaßnahmen, die — das ist ja heute empirisch erhärtet — im Wesentlichen unnütz waren und mehr geschadet als genützt haben.

Man hat gewusst, dass die Datenlage so nicht stimmt, man hat die Maßnahmen trotzdem gemacht, man hat die Impfung wider besseres Wissen durchgesetzt, man wusste zum Zeitpunkt der Impfkampagne, dass es keine Herdenimmunität geben würde und so weiter. In großem Stil wurden Grundrechte, wurde das Grundgesetz, wurde die Demokratie ausgehebelt, vor allen Dingen die Menschenwürde. Alte Leute mussten alleine sterben und so weiter. Das alles ist weder politisch untersucht noch aufbereitet noch öffentlich entschuldigt.

Ich glaube tatsächlich, dass es jetzt eine Art psychoanalytischen Reflex gibt, einen subtilen Verdrängungsmechanismus, nämlich dass die, die jetzt „gegen rechts“ auf der Straße stehen, sich irgendwo ihrer Schuld bewusst sind, dass sie damals, als die Demokratie bei den Coronamaßnahmen wirklich in Gefahr war, nicht gehandelt haben, und die ihr Gewissen jetzt sozusagen damit „reinwaschen“, indem sie jetzt auf die Straße gehen.

Jetzt, wo es ungefährlich ist, weil man sich in der großen, geschützten Menge mit einem heißen Kaffee in der Hand toll fühlen kann, gleichsam wie Sophie Scholl, wenn man jetzt „gegen rechts“ ist.

Ich glaube, man müsste dazu die Psychologen befragen, denn diejenigen, die jetzt für die Demokratie und „gegen rechts“ demonstrieren, sind ja genau diejenigen, die vor zwei, drei Jahren eben nicht demonstriert haben für Freiheit, für Demokratie oder für Grundrechte. Es sind genau dieselben, die damals zugelassen haben, dass es vor zwei oder drei Jahren eine gruppenspezifische Ausgrenzung gegeben hat, eine Entrechtung von Ungeimpften und so weiter.

Also müsste man schauen, ob nicht ein Kompensations- oder Verdrängungsmechanismus am Werk ist, sodass man jetzt wieder zu „den Guten“ gehören möchte. Denn im Grunde ist es strukturell die gleiche konformistische Schließung. Die meisten, die damals gesagt haben, wir müssen für die Maßnahmen sein, die damals vielleicht sogar ihre Nachbarn denunziert haben, die sind jetzt „gegen Nazis“ oder „gegen rechts“.

Wir beobachten das psychologische Phänomen einer „Massenformation“, wie der belgische Psychologe Mattias Desmet das denn nennen würde (2). Es geht in beiden Fällen um einen ähnlichen, gruppenspezifischen Schließungsprozess. Und jetzt schauen wir uns die Medien an. Warum hat diese Correctiv-Geschichte, die der Trigger für die ganzen Demonstrationen „gegen rechts“ war, so funktioniert? Es gibt die klugen Bücher von Michael Meyen, der sehr schön beschrieben hat, wie die Leitmedien (Stern, SPIEGEL, Süddeutsche) mit dem ganzen Google-Komplex, GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple), und Wikipedia noch dazu verwoben sind.

Die ganzen Leitmedien sind kommerziell so verstrickt und voneinander abhängig, dass dort im Prinzip ein absoluter Meinungskonformismus herrscht und keine Diversität mehr, also kein Meinungspluralismus, wie er eigentlich für die Bundesrepublik üblich war.

Das hat Algorithmen-Hintergründe, das hat Kapitalverflechtungshintergründe und so weiter, die ich hier nicht ausführen kann. Aber wir sehen in den Medien heute eine Gegenüberstellung oder auch Polarisierung zwischen Leitmedien — heute gerne „Konzernmedien“ genannt — und sogenannten alternativen Medien.

Der gesamte investigative und kritische Journalismus ist längst in den sogenannten alternativen Raum gegangen, also im Prinzip in den Untergrund, wenn Sie so wollen. Tichy’s Einblick, AchGut, Manova, Apolut, NachDenkSeiten oder wie diese ganzen kritischen Foren alle heißen, sind die einzigen Medienplattformen, auf denen man noch guten investigativen oder kritischen Journalismus lesen kann, als eine Gegenmeinung, die legitime Kritik zum Beispiel an Regierungshandeln formuliert. Das alles sind Medienplattformen, die auf Spenden basieren und deswegen frei sind, die also nicht an den oben genannten Kapitalstrukturen und damit auch nicht an den Algorithmus-Strukturen hängen. Allein dieser Tatbestand ist ja schon einmal sehr auffällig, denn eine Demokratie lebt ja von kritischen Stimmen.

Kritik ist das Kennzeichen oder die Essenz der Demokratie, also die Tatsache, dass die Kritik in das politische System inkorporiert ist und das demokratische System mithin die Gelegenheit hat, auf die Kritik zu reagieren und bessere Politik zu machen.

In dem Moment, wo das verloren geht, also in dem Moment, wo die Kritik sozusagen in den Untergrund wandert und gleichzeitig die Opposition ausgeschlossen werden soll — hier: die AfD —, gibt es strukturell zwei profund undemokratische Elemente im politischen System. Erstens: Die politische Opposition soll ausgeschlossen und perspektivisch verboten werden, denn darum geht es jetzt ja: Die AfD soll als Partei verboten werden. Und zweitens werden die kritischen Stimmen aus den Leitmedien ausgeschlossen. Beides ist kein Zeichen von Demokratien, sondern im Gegenteil. Eigentlich schließen autoritäre Systeme ihre Opposition aus und verbieten kritische Stimmen. Die Frage ist jetzt, und das ist eigentlich eine psychologische Frage: Warum übersehen offenbar zwei Drittel der Bürger, also die, die jetzt bei den Demonstrationen „alle gegen rechts“ mitmachen und die sich da jetzt so wohlfühlen, diese beiden strukturellen Argumente?

Für mich ist das ist tatsächlich eine faszinierende Frage, warum genau das übersehen wird, nämlich dass diejenigen, die jetzt für die Demokratie auf die Straße gehen, gar nicht sehen, dass sie die Demokratie im Grunde aushebeln? Und wie das psychologisch als Verdrängung, durch Konformitätsdruck oder als Massenformation begründet werden kann?

Der Medienapparat ist sicherlich ganz wichtig für diese gesellschaftliche Steuerung. Man ist intuitiv erinnert an Elias Canettis „Macht und Masse“, also an eine Masse, die eine Richtung sucht: „Die Masse braucht eine Richtung. Die Furcht vor Zerfall, die immer in ihr rege ist, macht es möglich, sie auf irgendwelche Ziele zu lenken. Die Masse besteht, solange sie ein unerreichtes Ziel hat.“

Insofern müsste man darüber nachdenken, wie man das überhaupt ändern könnte. Was wären eigentlich die Mechanismen, vor allem die Mechanismen in den digitalen Medien, die man ändern müsste, um diese Massenformation noch abzuwenden? Wie kommt man an die Algorithmen heran? Wer bestimmt die? Welcher Artikel kommt bei Google nach oben, welcher wird gelöscht?

Damit bin ich beim Punkt: Wer die Demokratie retten möchte, müsste zuallererst die Meinungsfreiheit retten. Der müsste eigentlich sofort en masse gegen den European Digital Service Act demonstrieren. Und zwar dringend. Wer „gegen rechts“ ist, der hätte damals beim NSU-Prozess demonstrieren müssen, als es darum ging, wie sehr der Verfassungsschutz infiltriert ist in diese Morde, wie sehr der „tiefe Staat“ also schon das gesellschaftliche Geschehen steuert. Wer „gegen rechts“ ist, hätte demonstrieren müssen, als damals Asylanten verbrannt wurden in Flüchtlingsheimen, also bei all den konkreten Ereignissen. Da gab es aber keine Massendemonstration.

Das heißt, wir haben jetzt eine fast hysterische, pathologische oder psychotische Angst vor einem Phänomen, das als „rechts“ gebrandmarkt wird, aber tatsächlich erst einmal nur ein Phänomen ist. Wir verhandeln hier nicht das Aufbegehren gegen kriminelle Akte, sondern mit Blick auf die aktuelle Erzählung des Correctiv zunächst eine Sprache, die uns nicht passt (3).

Und gegen die bin ich übrigens auch, um das ganz klar zu sagen! Auch ich möchte nicht von Deportation sprechen oder von Remigration. Trotzdem ist es auffällig, dass das Wort „Remigration“ jetzt in ganz kurzer Zeit schon zum „Unwort des Jahres 2023“ wurde, obwohl es durch diesen Correctiv-Bericht im Grunde zum ersten Mal im Umlauf war. Und kaum war es im Umlauf, da wurde Remigration sozusagen hochgejazzt als Unwort des Jahres, obwohl man das ganze Jahr 2023 zuvor von Remigration noch nichts gehört hatte.

 


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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://open.spotify.com/album/2pF7i8uiv1ZELvlJuAFScC
(2) Mattias Desmet: Die Psychologie des Totalitarismus, Europa Verlag
(3) Kriminelle Akte wie etwa die rechtsradikalen Anschläge in Hanau von 2020 sind natürlich auf das Schärfste zu verurteilen.

Anzeigen von 4 Kommentaren
  • piggyinthemiddle
    Antworten
    Toller Artikel! Genau so empfinde ich den “Einsatz” für die “Brandmauer gegen Rechts”. Wobei die mangelnde Einsicht in Machtstrukturen dem infantilen Wohlstandsbürger nur schwerlich zum Vorwurf gemacht werden kann. Vom “tiefen Staat” hat dieser (oder diese) noch nie gehört, wie könnte sie dagegen protestieren, während allabendlich die Nazigefahr in der Tagesschau heraufbeschworen wird?
    • Volker
      Antworten

      Vom “tiefen Staat” hat dieser (oder diese) noch nie gehört, wie könnte sie dagegen protestieren (…)

      Genau, für alles gilt die einfache Regel: Putin war’s, wer sonst.
      Hörte ich einmal wieder, im Supermarkt, steigende Preise betreffend, die auf sonderbare Weise ++ glucks ++ die Kauflaune des launigen Bürgers fördern, dessen abgelatschte Schuhe made in Germany signalisieren.

      Ist einach zu handhaben und schont das Hirn.

  • Pazifist
    Antworten
    Wie sagte Volker Pispers so schön:

    Wenn der Feind bekannt ist, hat der Tag Struktur

  • Europa für alle
    Antworten
    Die Meta-Krise stellt uns alle vor große Herausforderungen. Um den integralen Bewusstseinswandel zu stemmen, sind institutionell und intersubjektionell Höchstleistungen erforderlich. Es müssen alle an einem Strang ziehen, klar, ohne das irgendwelche kurzfristigen Trmini hochgejazzt werden. Auch oder gerade der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk als Garant unserer Demokartie unterliegt einem fortwährenden Wandel und muss sich demTransformationsprozess stellen. Es ginge  mehr den je darum,  Erwartungen auch des  jüngeren Zielpublikums gerecht zu werden und den  Programmauftrag zu erfüllen, damit wir die Klimakrise bewältigen und die soziale Teilhabe gewährleistet ist.  Vielleicht  wäre es Zeit für eine Enquettekommisssion, unter der Leitung von Prof. Paul Kirchhof, auch Professor Desmet oder der MedienaktivistProfessor Alex Jones könnten hier möglicherweuise umfassende Expertise einbringen. Bleibt bitte zuversichtlich, und kauft das Buch, noch ist nichts verloren.

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