Das Treffen der Brandstifter und Biedermänner in Köln
Wer brachte Hitler an die Macht? – Erinnerungen an einen verdrängten Zusammenhang bzw. Anmerkungen aus gegebenem Anlaß. Was ist von einem Antifaschismus zu halten, der immer wieder die Inhumanitäten des Faschismus beklagt – subjektiv aufrichtig vielleicht -, dessen wesentliche Ursachen aber verschweigt oder bagatellisiert? Das ist die Frage, welcher der Autor und Wissenschaftsjournalist Holdger Platta in den folgenden Anmerkungen nachgeht: dem Mythos von der sogenannten ‚Machtergreifung’, dem Doppelcharakter der NSDAP als faschistischer Mittelstandsbewegung und als Instrument der herrschenden Eliten, den Fehlern der Linken in der Weimarer Republik – und was daraus zu lernen ist. (Holdger Platta)
Seltsam genug oder auch nicht: nach meinem Eindruck wird an Gedenktagen viel über den Faschismus gesprochen, über dessen Folgen und Erscheinungsformen; selten aber über die Ursachen des Faschismus und dessen Entstehungsbedingungen. Dabei sollte doch für jeden auf der Hand liegen: gegen die Symptome des Faschismus kämpfen zu wollen, heißt, gegen die Ursachen des Faschismus kämpfen zu müssen. Welches waren also die Ursachen des Faschismus? Welches die Bedingungen für seinen Aufstieg und Sieg? Oder ein wenig anders gefragt: wer oder was brachte Adolf Hitler an die Macht?
Dazu im folgenden einige Anmerkungen:
Erstens: Hitler wurde nicht an die Macht gewählt, er wurde an die Macht intrigiert. Intrigiert von Konservativen aus der Deutschnationalen Volkspartei und aus der Umgebung des Reichspräsidenten Hindenburg, von Vertretern des ostelbischen Großgrundbesitzes und von Repräsentanten der Rhein-Ruhr-Schwerindustrie. Und dies geschah zu einem Zeitpunkt, da Hitler den Zenit seiner Wahlerfolge bereits überschritten hatte, die Partei politisch auseinanderzubrechen drohte und vor dem finanziellen Ruin stand.
Nicht der 30. Januar 1933 ist das entscheidende Datum, nicht von einer sogenannten ‚Machtergreifung’ durch Hitler und dessen Parteigenossen kann zutreffenderweise gesprochen werden: sondern an den 4. Januar dieses Entscheidungsjahres 1933 ist zu erinnern, an einen Tag, an dem sich Hitler im Hause des Kölner Bankiers von Schröder, eines Mannes der Rhein-Ruhr-Schwerindustrie, mit dem ehemaligen Reichskanzler von Hindenburgs Gnaden, Franz von Papen, traf und die Weichen für Hitlers Kanzlerschaft gestellt wurden. Der vermeintlich heroischer Machtergreifer Adolf Hitler war ein Machterschleicher, und die Schleichwege waren ihm von der politisch-ökonomischen Elite der Weimarer Republik geebnet worden – von Leuten, welche sich niemals wirklich auf den Boden der Demokratie gestellt hatten und niemals wirklich von dieser Demokratie entmachten worden waren.
Und warum diese Machtübertragung? – Nun, um es auf eine knappe Formel zu bringen: es galt, um jeden Preis – auch um den des Faschismus – das kapitalistische System vor seinem Untergang zu retten, vor einem Zusammenbruch, der – Stichwort ‚Weltwirtschaftskrise’ – auf der historischen Tagesordnung zu stehen schien. Zu diesem Zwecke mußte die immer stärker gewordene Arbeiterbewegung zerschlagen werden, zu diesem Zwecke mußte das demokratisch-parlamentarische System, das diesen Aufstieg der Arbeiterbewegung ermöglicht hatte, beseitigt werden, zu diesem Zwecke sollte eine – soziologisch betrachtet – kleinbürgerliche Mittelstandsbewegung in den Dienst genommen werden, um die Reste des Versailler Vertrages zu liquidieren, um endlich wieder eine Wiederaufrüstungspolitik zu betreiben und nicht zuletzt alte Ostlandpläne wieder in Angriff zu nehmen. Konkret: Eroberungspläne gegenüber Polen und der Sowjetunion zu realisieren.
Hitlers Bewegung kam diesen Plänen entgegen: desorientierte Kleinbürger – Handwerker und Kaufleute, kleine und mittlere Bauern, untere und mittlere Angestellte sowie Beamte -, diese ‚Mittelständler’ neuen und alten Typs waren es, die in ihrer eigentümlichen Zwischenfrontlage zwischen den großen kapitalistischen Interessen auf der einen Seite und den sozialökonomischen Forderungen der Arbeiterbewegung auf der anderen Seite schon lange eine Ideologie verinnerlicht hatten, welche der großkapitalistisch-feudalen Interessenskoalition der Herren Schröder und Papen entgegenkam: sie hatten für ihre ökonomischen und sozialen Probleme – scheinbar plausiblerweise – einen einheitlichen, einen einzigen Feind – sprich: Sündenbock – ausfindig gemacht: den Juden. Warburg, der jüdische Bankier aus Hamburg also, und Liebknecht; Wertheim, den Kaufhaus-Magnaten, und Rosa Luxemburg. Mit der ideologischen Differenzierung zwischen einem ‚raffenden’ sprich jüdischen sprich bösen Kapital und einem ‚schaffenden’ sprich deutschen sprich guten Kapital hatte man die potentiell antikapitalistische Sehnsucht der Kleinbürgermassen umgelenkt vom Klassen- auf den Rassenkampf. So stellte der Faschismus seiner sozialen Basis nach zwar eine Massenbewegung des Mittelstandes dar, seiner sozialen Funktion nach aber war er zum Instrument der ökonomischen Eliten geworden: Wahrheiten, die stärker noch als die Judenvernichtung Gegenstand gesellschaftlicher Verdrängungen im Nachkriegsdeutschland geworden sind – vollends dann besiegelt in den Zeiten des Kalten Krieges; Wahrheiten, die heute noch für kommunistische Propaganda gehalten werden, für kommunistische Erfindungen, und dennoch kapitalistische Tatsachen sind, belegbar Wort für Wort und Fakt für Fakt.
Zweitens: Sich und den anderen bequem macht es sich aber auch, wer nicht von gewissen Zusatzbedingungen spricht, die Aufstieg und Sieg des deutschen Faschismus unterstützen halfen. Vor allem zweierlei ist hier festzuhalten, und zwei Parteien sind hier beim Namen zu nennen. Es geht um immer noch fällige Selbstkritik der Linken an ihrer Geschichte. Denn: der Aufstieg und Sieg des Faschismus waren nicht nur Resultat seiner übermächtigen Anziehungskraft – ohnehin ein Mythos für sich -, sondern auch Resultat der fehlenden Attraktivität seiner Gegner.
Da ist zum einen zu nennen die verheerende Uneinigkeit und infolgedessen Schwäche auf der Seite der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik:
Die sogenannte Sozialfaschismus-These der KPD – derzufolge die SPD im Wesen mit der NSDAP vergleichbar war, Hauptfeind der KPD sogar – und das ständige Diktaturgequatsche der KPD trugen dabei ebenso zur Uneinigkeit und Schwäche bei wie die immer rasanter sich vollziehende Integrationspolitik der SPD ins kapitalistische System und deren völliges Versagen gegenüber dem deutschen Revolutionsversuch 1918/1919: statt die alten, die reaktionären Kräfte des Kaiserreichs zu entmachten – Offizierskorps und Bürokratie, Richterschaft, Großkapital und feudalen Großgrundbesitz -, hatte sich die SPD mit ihrem Reichspräsidenten Ebert de facto auf die Seite dieser reaktionären Kräfte gestellt, ja, sich dieser Stützen des Kaiserreichs bedient, um auf blutigste Weise revolutionäre Forderungen und Bewegungen aus den Reihen der Linken niederzuschlagen. Eberts Wort, daß er die Revolution hasse wie die Pest, Noskes Wort, daß er gegen die Linke links von der SPD „den Bluthund“ machen müsse, sind geradezu ins Schlagwortregister dieser Epoche eingegangen. Kurz: ohne diese Selbstaufspaltungsgeschichte der Linken in der Weimarer Republik ist die Geschichte dieser Zeit nicht zu schreiben – und übrigens auch die Geschichte der Bundesrepublik nicht. Ohne diesen wechselseitigen Polarisierungsprozeß ist nicht zu erklären, daß schließlich eine faschistische Massenbewegung unter entscheidender Beihilfe des Kapitals an die Macht gelangen sollte und nicht die Bewegung der Arbeiterschaft. Aber:
Bei aller Kritik: es war, der logischen Grundstruktur dieses Problems nach, eine Frage versagender Abwehr, nicht die Frage positiver Unterstützungspolitik. Wer daraus einen Schuldvorwurf an die Adresse der Linken konstruieren wollte, legte ein Denken zugrunde, wonach für einen Brand nicht die Brandstifter verantwortlich sind, sondern die erfolglos gebliebene Feuerwehr.
Womit ich – drittens – bei den Schlußfogerungen bin. Die erste, meine ich, liegt auf der Hand:
Solange es einen Kapitalismus gibt, ist auch die Gefahr des Faschismus nicht wirklich gebannt. Die für den Kapitalismus typischen periodischen Krisen, das für ihn typische Machtgefälle im ökonomischen und damit auch politischen Bereich -, das könnte auch in Zukunft wieder gefährlich werden und zeigt seine Gefährlichkeiten schon jetzt. Und hüten wir uns – nebenbei gesagt -, den Faschismus ausschließlich an alten Symbolen und Erscheinungsformen wiedererkennen zu wollen. Auch in dieser Hinsicht macht es sich ein Antifaschismus, der nur an Symptomen klebt, zu leicht.
Zweite Schlußfolgerung: wir müssen Faschismus dort identifizieren lernen, wo er uns noch nicht mit seinen schlimmsten Erscheinungsformen konfrontiert. Wir müssen Faschismus identifizieren lernen schon im Gerede an irgendeinem Stammtisch, nicht erst an Auschwitz. Erkennen wir Faschismus erst an Auschwitz wieder, ist es für Antifaschismus wieder einmal zu spät.
Drittens: treten wir Demokratieabbau, Sozialabbau und Verschlechterung an Rechten der Arbeitnehmerschaft schon in den Anfängen entgegen – und wir sind mitten in den Fängen dieser Anfänge drin! Blicken wir auf das Wiedererstarken antisemitischer Tendenzen und vergessen wir nicht, daß es auch einen Antisemitismus ohne Semiten gibt. Die neuen Juden, das können mal die Arbeitslosen sein und mal die Muslime, mal die Ausländer ganz allgemein und mal die Asylbewerber ganz speziell; die neuen Juden, das sind auf jeden Fall immer alle, die unseren herrlichen Kapitalismus in Frage stellen, auch und gerade als System.
Und nicht zuletzt: sorgen wir dafür, daß innerlinke Gegnerschaften überwunden werden. Treten wir Ausgrenzungsmechanismen und damit einhergehenden Arrogantheiten in den Weg, wo immer wir auf sie stoßen. Was für mich heißt, mit Blick auf die Geschichte der Weimarer Republik: diese neue Bündnispolitik würde um so leichter fallen, wenn die SPD ihre einstmals vorhanden gewesene antikapitalistische Tradition wiederentdeckte – und das heißt: damit Systemkritik wiederbelebte, ihre Geschichte vor dem großen Verratsjahr 1914; und diese neue Bündnispolitik würde es sicherlich auch leichter haben, wenn sich endlich alle Sozialisten und Kommunisten zur Linken der SPD lösen könnten von der zuweilen immer noch in einigen Köpfen und Reden herumspukenden These von der „Diktatur des Proletariats“. Wer Diktaturen bekämpft, macht sich nicht glaubwürdig dadurch, daß er eine eigene errichten will: er verrät in Wahrheit seine humanen Ziele.
Undeutlichkeiten und Absonderlichkeiten dieser Art müssen weg, hüben wie drüben: weg wie die Biedermänner und Brandstifter, die hinter verschlossenen Türen, in irgendwelchen Villen, ausgestattet nach wie vor mit ungeheurer gesellschaftlicher Macht, aber ohne demokratische Kontrolle, ihre Pläne auskungeln können – gleich, ob es um banale Preisabsprachen geht oder Sozialstaatsvernichtungsprogramme, um Rüstungslieferungen in die Gefahrenzonen der Welt oder um Aufteilung der Erde in die globalisierten Interessen einiger weniger Großkonzerne. Es gäbe sehr vieles zu tun für eine sich selber wiederentdeckende SPD – und zwar im Bündnis mit Gruppierungen und demokratischen Parteien links von ihr, im Bündnis mit zum Teil weltweit agierenden Nichtregierungsorganisationen durch und durch humanen Charakters, nicht aber in Gegnerschaft zu ihnen.
Daß die SPD der Schröders, Clements und Münteferings diese SPD nicht war und niemals hätte werden können, das muß wohl nicht erörtert werden. Daß die SPD der Gabriels und Nahles und Steinbrücks diese SPD auch noch nicht ist, dürfte ebenfalls außer Zweifel zu stehen. Tja, wo gibt es also diese neue SPD, die bereit wäre, zurückzukehren zur alten SPD? Die zurückzufinden in der Lage wäre zu ihren Wurzeln? – Was, bitte kein Mißverständnis hier, nicht identisch wäre mit kopierender Neuauflage des neunzehnten Jahrhunderts im einundzwanzigsten Säkulum. Sehr wohl aber damit zu tun hätte, das endlich diese Partei mal wieder anfinge, in Zusammenhängen zu denken, und im Zusammenhang mit diesen Zusammenhängen auch den Blick nicht scheute auf möglicherweise existierende Systemkausalitäten.
Zugegeben: ich sehe diese SPD nicht. Aber das kann ja auch an meiner Blindheit liegen. Und das vermutlich zu konstatierende „Noch-Nicht“ einer derartigen SPD spricht schon gar nicht dagegen, diesen Wunschtraum auszusprechen und diese Frage zu stellen. Nur wer das Unmögliche verlangt, kann herausfinden, was möglich ist. Oder, mit Bloch zu sprechen, der bereits mit der Kategorie des „Noch-Nicht“ zitiert worden ist:
Ohne „Vorschein“ im Denken kein „Licht“ in der Realität. Was keine Garantie darstellt für zukünftige „Helligkeit“, aber doch eine conditio sine qua non für sie ist: eine Vorbedingung, die gegeben sein muß, daß dieses Neue überhaupt entstehen kann. Anders: „Offener Horizont“, „Experimentum mundi“ (beides Kategorien von Bloch).
Es gibt keinen Anlaß, dieses den Sarrazins dieser Welt zu überlassen!
Literatur zum Thema (Auswahl):
G.W.F. Hallgarten/J. Radkau: Deutsche Industrie und Politik. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag; R. Kühnl: Die Weimarer Republik. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag; W. Niess: Machtergreifung ‚33. Poller-Verlag; E. Bloch: Erbschaft dieser Zeit. Suhrkamp-Verlag; E. Bloch:Prinzip Hoffnung. Suhrkamp-Verlag