Das weibliche Prinzip der Natur – Vandana Shiva

 In FEATURED, Politik, Spiritualität, Umwelt/Natur

Vandana Shiva, Foto: Elke Wetzig, Lizenz Creative Commons

Ökologie? Demokratiebewegung? Frauenbewegung? Armutsbekämpfung? Die meisten Aktivist*innen konzentrieren sich auf nur eines dieser Aufgabenfelder. Vandana Shiva, die indische Quantennphysikerin und Bürgerrechtlerin, kümmert sich um alle. Weil sie um die Vernetzung der Probleme und der möglichen Lösungen weiß. Zentral ist für sie der Begriff der Kolonialisierung. Der Mensch hat die Natur unterworfen, der Mann die Frau, die “weißen” Länder des Nordens den globalen Süden usw. Wie wäre es, wenn überhaupt niemand mehr jemanden unterwirft? Es bräuchte eine Welt ohne das kapitalistische Patriarchat. Roland Ropers

In seinem Buch „Mystiker unserer Zeit im Porträt“ – erhältlich im Sturm-und-Klang-Shop – beschreibt Roland Ropers 75 spirituelle Persönlichkeiten. Er skizziert ihre Lebensläufe und zitiert zentrale Aussagen aus ihren Werken. Dabei überwindet der Autor nicht nur die Grenzen zwischen den Religionen, indem er z.B. Mystiker mit christlichem, buddhistischem und hinduistischem Hintergrund porträtiert – er beleuchtet auch u.a. den Weg eines Rainer Maria Rilke, Leonard Bernstein, Martin Luther King oder des Physikers Hans-Peter Dürr. Es entsteht der Eindruck, dass Gottberührung überall und auf sehr verschiedenen Wegen geschehen kann.

Die indische Philosophin, Quantenphysikerin, Bürgerrechtlerin, Ökologin, Trägerin des Alternativen Nobelpreises 1993 und diverser anderer Auszeichnungen, Vandana Shiva, wurde am 5. November 1952 in Dehradun am Fuße des Himalaya geboren. Das US-amerikanische TIME MAGAZINE widmete ihr im Jahr 2002 die Titelgeschichte Hero of the Green Century und würdigte sie als wichtigste Persönlichkeit zur Erhaltung unseres Planeten Erde. Ihr Buch Der Kampf ums blaue Gold ist eine Pflichtlektüre für alle, die sich um die Bewahrung der Schöpfung bemühen.

Allein für Nahrung und Wasser wird man den Armen in Zukunft mehr als 5 Billionen US-$ abnehmen und das Geld dann in die reichen Länder transferieren. Die Armen finanzieren die Reichen. Wenn es uns wirklich ernst ist, die Armut zu bekämpfen, müssen wir uns ernsthaft daran machen, jene ungerechten und brutalen Systeme der Reichtumserzeugung zu beenden. Denn sie erzeugen Armut, indem sie die Armen ihrer Ressourcen, ihrer Existenz, ihres Einkommens berauben.

Vandana Shiva ist längst zur Symbolfigur dafür geworden, dass alternative Ansätze sich nicht auf ein Themengebiet beschränken können, sondern das ganze Netzwerk einer anderen Zukunft berücksichtigen müssen. Den Alternativen Nobelpreis erhielt die Wissenschaftlerin nicht nur für ihr Engagement für die Rechte der indischen Urbevölkerung, sondern vor allem für ihre Bemühungen, mit dem Öko-Feminismus die weibliche Perspektive in die ökologische Diskussion einzubringen.

Mittlerweile ist Vanda Shiva auch in vielen Bereichen der Friedens- und Demokratiebewegung weltweit engagiert. Eine faszinierende, willensstarke und ausgesprochen liebevolle Persönlichkeit.

Der wichtigste Wandel unserer Zeit ist die Überwindung und Befreiung von drei Formen des Kolonialismus. Da ist erstens die Kolonialisierung der Natur, die zur ökologischen Krise geführt hat, zweitens die Kolonialisierung der Frauen, die das weibliche Geschlecht als minderwertig sieht und zum Kampf der Geschlechter und die Gewalt gegen Frauen geführt hat. Und drittens natürlich die Kolonialisierung der nichtwestlichen Kulturen, die zum „Dritte-Welt-Problem“ geführt hat und sich in den Debatten im Nord-Süd-Konflikt ausdrückt. Alle diese drei Probleme können meiner Ansicht nach nur gemeinsam gelöst werden.

Weltweit haben bereits heute 1,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Vandana Shiva macht deutlich, wie groß das ökologische und (auch sicherheits-)politische Bedrohungspotenzial ist, das aus der Wasserkrise zu erwachsen droht.

Die herrschende Weltordnung untergräbt die soziale, ökologische, politische und ökonomische Nachhaltigkeit und führt zum Zusammenbruch von Gesellschaften, Öko- und Wirtschaftssystemen. Ohne Nachhaltigkeit und eine gleichberechtigte Verteilung der Waren auf der Welt kann es keine Gerechtigkeit geben. Und ohne Gerechtigkeit kann Frieden nicht erhalten werden. Wir brauchen ein neues Paradigma, um die Zerstörung und Zersplitterung gewachsener Strukturen zu beenden. Wir brauchen eine neue Bewegung, die uns hilft, von einer destruktiven Kultur der Gewalt, Zerstörung und des Todes zu einer gewaltfreien, friedlich kreativen und lebenserhaltenden Kultur zu kommen. Deshalb wurde in Indien die „Bewegung für eine lebendige Demokratie“ gegründet.

Der wahrscheinlich zentralste Wert aller alternativen Ansätze ist der Schutz bzw. die Bewahrung von natürlicher Vielfalt. Die Betonung der Vielfalt schließt ideologische, standardisierte, kontrollierende und autoritäre Lösungen aus. Auf der gesellschaftlichen Ebene findet sie ihren Ausdruck in möglichst basisdemokratischen Strukturen, die allen gesellschaftlichen Subsystemen ein Recht zur eigenständigen freien Entfaltung einräumen. Noch ist offen, wie der Kampf um die Vielfalt ausgeht. Denn im Kampf um die Erhaltung und den Schutz genetischer und biologischer Vielfalt prallen Paradigmen aufeinander. Als ethischen Grundwert betont Vandana Shiva dabei das aus der indischen Tradition übernommene weibliche Lebensprinzip. Sie macht deutlich, dass die globalen Fehlentwicklungen alle auf einem männlich geprägten kolonialistischen Weltbild basieren.

Wenn wir das Umweltproblem lösen wollen, ohne die Lage der „Dritten Welt“ zu berücksichtigen, dann werden die Unternehmen einfach ihren Dreck woanders machen. Die Strukturen des kapitalistischen Patriarchats, die Frauen zu Menschen zweiter Klasse degradieren, sind die gleichen wie die, welche zur Beherrschung der Natur geführt haben. Ein Feminismus, der nicht ökologisch ist, reicht mir deshalb ebenso wenig wie eine Ökologie, die nicht radikal genug ist, die Strukturen der menschlichen Beziehungen zu verändern.

Im Mittelpunkt steht ihrer Meinung nach der männlich geprägte Begriff von Macht, der auf Stärke durch Gewalt baut und auf die aggressive Überwindung, Dominanz und Beherrschung ausgerichtet ist. Diese Verhaltensweise wird zwar nicht als biologische Konstante verstanden, aber als herrschendes Rollenmodell immer wieder erneuert:

Was wir stattdessen brauchen, ist ein ganz neues Verständnis von Macht. Macht, die von innen kommt, deutlich „Nein“ sagt zu allen Formen der Unterdrückung, eine Macht, die uns und andere ermutigt, anstatt andere zu vernichten, um den eigenen Vorteil zu sichern. Bäume wachsen aus Samen und erneuern sich. Flüsse erneuern sich, und der Wasserkreislauf funktioniert ohne jede menschliche Hilfe. Diese enorme Aktivität ist die kreative Kraft der Natur. Dieses weibliche Prinzip gilt nicht nur in der äußeren Natur. Wir sind auch Natur. Und das weibliche Prinzip lebt in Frauen wie in Männern. Er muss nicht erst geschaffen werden, es ist einfach da. Es anzuerkennen bedeutet zu erkennen, woher unser Leben stammt, kann uns demütig machen und zu der Einsicht führen, dass wir das Leben nicht beherrschen können. Aber zahlreiche Kulturen sind auf der Ablehnung dieses Prinzips aufgebaut. Aus den westlichen Kulturen ist das weibliche Prinzip fast völlig verschwunden. Der moderne Kapitalismus hat einen neuen Schöpfungsmythos erschaffen, nachdem nur Kapital etwas Neues erschaffen kann. Wer beispielsweise in die Saatgut-Industrie investiert, glaubt die Samen zu besitzen und Bauern, die Saatgut aufheben, wie Diebe behandeln zu dürfen. Doch damit wird das Verhältnis zwischen Mensch und Natur auf den Kopf gestellt: Die Piraten werden belohnt und die Bewahrer bestraft.

 

 

Roland R. Ropers:

Mystiker und Weise unserer Zeit

Verlag topos premium

304 Seiten, € 20

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