Der digitale Knebel

 In Medien, Politik

Die EU forciert das Ende des freien Internets. Unter dem Vorwand, Urheberrechte schützen zu wollen, möchte die EU Internetplattformen für das Hochladen geschützter Inhalte haftbar machen. Diese können sich vor dann drohenden Klagen lediglich durch das Installieren nahezu unbezahlbar teurer Uploadfilter absichern, deren Eigenschaft und Nutzen kafkaesk abstrus sind. Eine Vorab-Zensur und das Ende von nutzer-generierten Inhalten all derer, die nicht über den nötigen Rang, Namen und das Kleingeld verfügen, wären die Folgen. Eine Verabschiedung der EU-Urheberrechtsreform samt des dubiosen Artikels 13 bedeutet, vereinfacht ausgedrückt, das Ende des freien Internets. Noch können wir uns wehren.  Madita Hampe, Nicolas Riedl

Der digitale „Mob“

Preisfrage: Wie nennt man 4,7 Millionen Menschen, die eine Petition unterschreiben, tausende Kölner Demonstranten und mehr als 20 innerhalb kürzester Zeit angemeldete Demonstrationen in ganz Europa?

Richtig: einen Mob. Jedenfalls, wenn es nach der europäischen Kommission geht, denn als solch einen Mob bezeichnete diese die Kritiker der neuen EU-Urheberrechtsreform in einem Blogpost.

Der neueste Stand dieser Richtlinie ist das Verhandlungsergebnis des Trilogs vom 13. Februar 2019. Das wesentliche Resultat der stundenlangen Gespräche zwischen Parlament, Rat und Kommission ist allerdings lediglich eine Umformulierung mit nur minimalen Änderungen, die vor allem SPD- und CDU-Politiker in bester Wahlkampfmanier hinreichend ausschlachten.

Im Wesentlichen und insbesondere in seiner Umsetzung hat sich an Artikel 13 nichts geändert (1).
Der Auftakt der Zensurmaschine

Seit Monaten sorgt die Reform für Wirbel und ein – für eine EU-Angelegenheit – verhältnismäßig großes Interesse seitens der EU-Bürger. Grundsatz ist, dass nach Artikel 13 der Richtlinie nicht mehr die Nutzer die Verantwortung für die von ihnen verbreiteten Inhalte tragen sollen, sondern die Dienste, auch Anbieter oder Plattformen genannt, auf denen der jeweilige Content hochgeladen wird.

So ein Dienst ist zum Beispiel YouTube. Aber, und das ist wichtig, nicht nur YouTube. Betroffen sind alle Online Plattformen, Portale und Webseiten, deren Zweck es ist, eine große Zahl an urheberrechtlich geschützten Werken zur Verfügung zu stellen.

Und das sind nicht wenige, denn praktisch ist jedes Video, jedes Bild, jeder Text, jedes Zitat urheberrechtlich geschützt. Irgendjemand hat es aufgenommen oder verfasst, und dieser jemand hält folglich die Rechte daran inne. Die Vorstellung, die Auswirkungen des Artikels 13 würden sich lediglich auf Memes und Let‘s Plays beschränken, ist also falsch.

Sicherlich werden auf YouTube beispielsweise massenhaft Datensätze hochgeladen, die nicht alle urheberrechtlich geprüft wurden und von denen einige demzufolge auch illegal verfügbar sein könnten. Aus diesem Grund sollen die Plattformen nach der EU-Richtlinie Genehmigungen von den Urhebern, also Lizenzen, für urheberrechtlich geschütztes Material einholen. Wird diese Genehmigung nicht erteilt, haftet die Plattform auch finanziell, es sei denn, sie kann drei Umstände nachweisen (2).

Dazu zählt, dass alle Anstrengungen unternommen wurden, um eine Genehmigung von den Rechteinhabern, also den Urhebern, zu erhalten. Dies dürfte sich allerdings als problematisch erweisen, ja fast schon als unmöglich.

Da – wie festgestellt – so gut wie jeder Smartphone-Besitzer auch potentieller Urheber ist, müsste YouTube pauschal zuvor mit jedem – also der gesamten Weltbevölkerung – Lizenzverhandlungen führen, um Genehmigungen zu erhalten und die Videos anbieten zu können. Gelingt das nicht, müsste YouTube nachweisen, dass sie hierzu alle Anstrengungen unternommen haben, um nicht in die Haftung zu kommen.

Die Löschfilter

Weiterhin muss nachgewiesen werden, dass der Dienst – insofern ihm keine Genehmigung der Urheber vorliegt – alle Anstrengungen unternommen hat, um zu verhindern, dass das geschützte Werk ohne Genehmigung hochgeladen wird.

Da YouTube selbstverständlich nicht über die personellen Kapazitäten verfügt, die 450 Stunden an minütlich hochgeladenem Videomaterial von menschlichen Mitarbeitern überprüfen zu lassen, lässt sich das nur mit Hilfe von Algorithmen in Form von Erkennungssoftware bewerkstelligen. Hierbei handelt es sich, auch wenn federführende CDU-Politiker das mittlerweile regelmäßig abstreiten, um die berüchtigten Uploadfilter.

Deren grundsätzliche Problematik besteht darin, dass derjenige, der ein Werk ins Netz stellt, keinerlei Einfluss auf die Funktionsweise des Filters besitzt. Wäre in einem Video ein Bild oder Filmausschnitt zu sehen oder Musik zu hören, für die keine Genehmigung vorliegt, sperrt der Uploadfilter das Video noch vor der Veröffentlichung.

Dagegen kann der Nutzer zwar Widerspruch einlegen; dieser verläuft allerdings entweder im Sande (das kann jeder nachvollziehen, der bei YouTube schon einmal ein Video als unangemessen gemeldet hat), oder das Video ist nach dem langen Prozess der Prüfung und Freigabe schlicht nicht mehr aktuell und relevant.

Diese Situation bedroht nicht nur das Internet als Raum des kreativen Schaffens Einzelner, sondern auch die Pressefreiheit im Netz. Immer wieder werden von den Befürwortern der Reform die im Trilog-Ergebnis festgeschriebenen Ausnahmen angeführt. Diese sind in der praktischen Realität meist aber nicht umsetzbar.

So wird beispielsweise lobend hervorgehoben, dass die Richtlinie nicht für Zitate, Kritik, Überprüfung, Karikaturen oder Parodien gilt. Schön, damit wäre die Pressefreiheit gerettet, könnte man meinen – kämen uns da nicht die Uploadfilter in die Quere.

Wie soll ein einmal eingerichteter Uploadfilter technisch erkennen können, wann ein Ausschnitt aus einem urheberrechtlich geschützten Werk einfach kopiert wurde – also gelöscht werden muss – oder wann er, im Gegenzug, kritisch besprochen oder persifliert wird – und damit legal ist?

Die Programmierung eines solchen Uploadfilters wäre ungeheuer aufwändig, wenn überhaupt machbar! Und deshalb gilt: Im Zweifelsfall wird gelöscht und die Meinungsfreiheit somit beschnitten, ohne den genauen Hintergrund ausreichend geprüft zu haben.

Revidiert YouTube oder die entsprechende Plattform den Fehler des Uploadfilters nicht, kann nur dagegen vorgehen, wer das notwendige Geld besitzt, um gegen YouTube und damit Google vor Gericht zu ziehen. Das zeigt einmal mehr den elitären Grundtenor dieses Gesetzesvorhabens.

Der Digital-Natives-Genozid

Im Zusammenhang mit technisch versierten jungen Leuten spricht man häufig von „Digital Natives“ (zu Deutsch: „digitale Einheimische“). Mit dieser Begriffsverwendung lässt sich vor dem Hintergrund des Artikels 13 eine interessante Parallele zur Entdeckung Amerikas herstellen.

Für Kolumbus und Merkel, als Symbol für die heute herrschende Politik, waren sowohl der neue Kontinent als auch das Internet Neuland. Und so wie Kolumbus bei der Ankerlegung vor Lateinamerikas Küste fälschlicherweise glaubte, auf Indien gestoßen zu sein, so glaubten politisch Mächtige, mit dem Internet ein weiteres Kontroll-Tool für ihre Machtausweitung gefunden zu haben. Ursprünglich wurde das Internet nur für militärische Zwecke genutzt.

Das freie Internet, wie es sich in den 1990er Jahren für den Privatnutzer etablierte und im weiteren Verlauf für den Einsturz des Informations-Monopols sorgte, dürften die heutigen „Eliten“ als historischen Unfall ansehen.

Indien verfehlt zu haben, erwies sich für Kolumbus allerdings als unverhoffter Goldfund. Und von da ab verlaufen die Stränge wieder parallel zueinander. Denn jetzt geht es um die Ausrottung der Natives, der Ureinwohner. Im Verlauf der nachfolgenden Jahrhunderte rotteten die Europäer ganze Indianer-Stämme aus, versklavten die übrig Gebliebenen oder beuteten sie aus, indem sie ihnen wertlose, Murmel-ähnliche Gegenstände als Tausch gegen wertvolle Ressourcen boten.

Mit Artikel 13 werden nun die „Digital-Natives“ ausgerottet. Natürlich nicht physisch wie die Ureinwohner Amerikas, aber geistig. Jedwedes geistige Eigentum wird – wenn vielleicht auch erst nach drei Jahren – Opfer eines unbarmherzigen, nicht mit sich diskutieren lassenden Uploadfilters.

Im Falle zahlreicher YouTuber und oberflächlicher Fashion-Blogger mag dies kein großer kultureller Verlust sein. Sehr wohl aber im Falle von investigativen Journalisten, großen alternativen Medienplattformen, wunderbaren Videokünstlern und unabhängigen Filmemachern.

Genau wie mit dem ungleichen Tauschhandel, der mit Amerikas Ureinwohnern betrieben wurde, möchte man uns hier die totale Zensur als besseren Schutz für Urheber verkaufen.

So wie das digitale Neuland für die „Eliten“ nach wie vor eine Gefahr darstellt, so können diese auch sehr davon profitieren: durch mannigfaltige Möglichkeiten der Manipulation und geistigen Indoktrination. Sie können Zugriff erhalten auf intimsten Daten aller Bürger. Oder sie vom Zahlungsverkehr ausschließen. Nicht umsonst werden die Abschaffung des Bargeldes und die Ausweitung diverser e-Payment-Möglichkeiten wie PayPal parallel vorangetrieben und beworben.

Art. 13 des neuen Urheberrechtsgesetzes ist nach der ganzen Hate-Speech- und Fake-News-Chose der nächste konsequente Schritt, das digitale Neuland zu entliberalisieren und für elitäre Zwecke zu modifizieren.

Ein elitäres Projekt

Wer über ausreichend Geld verfügt, kann natürlich auch schon vorher auf eigene Faust Lizenzverhandlungen mit dem Urheber führen. Einige werden diese Möglichkeit sicher wahrnehmen, aber eben nur die, die es sich leisten können – und ernstgenommen werden.

Damit kommt gleichzeitig die Frage auf: Wird denn überhaupt jeder eine Lizenz erhalten, der sie erwerben will? Was ist beispielsweise, wenn KenFM für das Format Me Myself and Media, welches Ausschnitte aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen thematisiert, eine Lizenz beim ZDF beantragt? Wird die KenFM-Redaktion sie erhalten? Oder ist der Inhalt ihrer Formate dem ZDF dann doch zu kritisch? Kurzum, hier werden die Weichen für einen überdimensionalen Zensurpflug gestellt.

Als letzte Bedingung für die Nichthaftung muss der Anbieter sicherstellen, dass unrechtmäßig hochgeladenes Material auch bei jedem neuen Versuch des Hochladens sofort entfernt wird.
Nachdem der Bundesjustizministerin Katarina Barley die fast 4,8 Millionen Unterschriften der Initiatitive Save your Internet übergeben worden waren, nutzte sie die Gelegenheit, um in Causa Urheberrechtsreform die verschiedenen Lager in zwei Interessengruppen zu teilen: die Kreativen und die großen Plattformen.

Das ist doppelt inkorrekt. Erst einmal gehören zu den Kreativen nicht nur die Urheber, von denen die Plattform eine Genehmigung erhalten soll – mit vermeintlichem Interesse an Artikel 13 – sondern auch diejenigen, die den Ausschnitt zum Beispiel in einer Parodie oder einer kritischen Reflexion verwenden. Das Anrecht auf eine angemessene Vergütung der Kreativen wird gegen das Recht auf Meinungs- und Kunstfreiheit der anderen aufgewogen.

Ebenfalls falsch ist die indirekte Annahme, die großen Plattformen hätten kein Interesse an Artikel 13. Der Europa-Abgeordnete Timo Wölken beschreibt in einem Redebeitrag, dass Google sehr wahrscheinlich zu den Firmen gehören wird, die die Uploadfilter letztlich verkaufen und daran verdienen werden (3,4).

Away from Keyboard

Keine Petitionsunterschrift, kein noch so böse dreinblickender Smiley vermag es, diesen Artikel samt dem Urheberrechtsgesetz aufzuhalten. Dazu müssen wir von der Couch aufstehen und auf die Straße gehen.

Wann? Am 23. März! Hier findet sich eine Übersicht über alle Demonstrationen gegen Artikel 13 in Europa. Diese ist europaweit noch relativ übersichtlich, wenn man bedenkt, dass es hier um nichts Geringeres geht als um die Freiheit des wichtigsten Informationsmediums der Menschheitsgeschichte.

Jeder kann eine Demo anmelden! Und das ist dringend geboten!

Paradoxerweise ist das digitale Drittweltland Deutschland mit den meisten „Save-The-Internet“-Demonstrationen zum Zeitpunkt dieser Niederschrift, das heißt am 7. März 2019, europaweit führend. Gerade im Westen – wahrscheinlich wegen der dortigen Medienhochburgen – sprießen die Demos aus der Erde wie Pilze.

Westlich von Deutschland gibt es lediglich Demonstrationen in Amsterdam und Luxemburg. Die Demonstration in Brüssel wurde paradoxerweise abgesagt oder zumindest von der Kartenübersicht entfernt. Paris wollen wir an dieser Stelle keinen Vorwurf machen – die Gelbwesten haben den zivilen Widerstand in den westlichen Staaten des 21. Jahrhunderts auf ein neues Level gehoben.

Interessant ist der Blick auf Polen, wo bereits sechs Demonstrationen angemeldet. Dort scheint man für das Thema schon stärker sensibilisiert zu sein als in anderen EU-Staaten. Das mag durchaus daran liegen, dass die polnische Regierung in den vergangenen Jahren zunehmend autoritärere Züge angenommen hat und die polnische Bevölkerung sich gewahr ist, welche Konsequenzen das Wegfallen eines demokratischen Informationsmediums hätte.

Darum: Lasst uns am 23. März offline und auf die Straße gehen. Eine Masse auf der Straße kann selbst der verblendetste Politiker nicht mehr als einen Haufen von Bots bezeichnen!

Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.sueddeutsche.de/digital/eu-urheberrecht-diese-reform-macht-alle-verrueckt-1.4335959-2
(2) https://www.dropbox.com/s/569ecj9v5q9adaq/Tabelle_Englisch_Deutsch.docx?dl=0
(3) https://www.youtube.com/watch?v=omzbKcmso0g
(4) https://www.youtube.com/watch?v=S-_xri7Bqhg

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Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuvor erschienen ist.

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