Der Kampf um Meinungsfreiheit

 In FEATURED, Politik (Ausland), Politik (Inland)

Annette Groth, bis 2017 für die LINKE im Bundestag

Die Anti-BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestment, Sanktionen) – ein intellektuelles Armutszeugnis. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für die  „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) hat national und international große Proteste hervorgerufen und  man kann nur hoffen, dass dieser unsägliche Beschluss rückgängig gemacht wird!  Nach attac, campact und dem Demokratischen Zentrum Ludwigsburg – Verein für politische und kulturelle Bildung – (DemoZ) ist jetzt die VVN-BdA dran. Als Begründung für diesen Bescheid führt das Finanzamt Berlin die Nennung der Landesvereinigung Bayern als „extremistisch beeinflusst“ im bayrischen Verfassungsschutzbericht. Das ist ungeheuerlich, spiegelt aber die derzeitige politische Rechtsentwicklung hierzulande wider. Die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ fordert vom Gesetzgeber eine genaue Definition, was förderungswürdig ist. Eine präzise Definition für Antisemitismus ist ebenso relevant, wie die Kontroversen über die umstrittene Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zeigen. Mit der Entschließung „Kein Platz für Antisemitismus“ hat die Mitgliederversammlung der Hochschulrektoren-Konferenz (HRK) klare Position, auch gegen die menschenrechtsbasierte weltweite BDS-Kampagne, bezogen. Damit ist die Gefahr des Denunziantentums für politisch unliebsame Positionen von Wissenschaftlern überaus groß.  Annette Groth

Mit der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) ist ein weiterer Schritt der Rechtsentwicklung begangen worden. Dass kurze Zeit vor dieser skandalösen Entscheidung dem Demokratischen Zentrum Ludwigsburg – Verein für politische und kulturelle Bildung – (DemoZ) ebenfalls die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde, hat keine überregionalen großen Schlagzeilen gemacht, ist aber dennoch als möglicher Präzedenzfall für weitere Vereine höchst bedenklich. Nach Attac und Campact wurde erstmalig einem kleinen Verein, der seit 1980 kulturelle und politische Bildungsarbeit macht, die Gemeinnützigkeit entzogen.

Unbegreiflich, aber politisch einzigartig ist die Begründung des Finanzamts Ludwigsburg vom 11. Juni 2019 für den Entscheid: die Angebote des DemoZ diene nicht der Allgemeinheit, weil rechtsextreme Menschen von den Veranstaltungen ausgeschlossen seien. Man muss sich die Urteilsbegründung auf der Zunge zergehen lassen:  „Gegenüber dem Anspruch, der ‘Volksbildung’ und einer offenen demokratischen Diskussion zu dienen, ist laut Text neben dem Impressum festzustellen, dass der Verein DemoZ ausdrücklich auch Personen von seinen Veranstaltungen ausschließt.“ (1)

Dieses Ausschließungskriterium dürften Tausende von Vereinen haben von den Naturfreunden bis zu kleinen antifaschistischen Gruppen, die politische Bildungsarbeit gegen den Rechtsextremismus machen. Aber vielleicht ist das ja genau, was unterbunden werden soll? Wenn man sich die geplanten Kürzungen von Organisationen und Gruppen wie EXIT, die Aussteiger aus der Nazi-Szene unterstützen, ansieht, kommt einem der Gedanke unwillkürlich. Denn das Programm „Demokratie leben!“, womit das Familienministerium Initiativen gegen Rechtsextremismus fördert, sollte drastisch zusammengestrichen werden.  Nur aufgrund großen Protests wurden die geplanten Kürzungen zurückgenommen.

Bleibt zu hoffen, dass der nationale und auch internationale Protest gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA Erfolg hat und dass dieser unsägliche Entscheid aufgehoben wird. Genauso wichtig sind aber auch gesetzliche Vorgaben. Der Gesetzgeber muss genau definieren, was unter politischer Bildung und unter der Förderung des demokratischen Staatswesens zu verstehen ist.  Dementsprechend fordert Stefan Diefenbach-Trommer von der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“: Er (der Gesetzgeber, die Verf.) muss die Zwecke deutlich ins Gesetz schreiben, die er für förderwürdig hält. Er muss ausdrücklich erlauben, sich zur Verfolgung dieser Zwecke auch politisch einzumischen. Nur das schafft Rechtssicherheit für demokratisches Engagement.“ (2)

Relevanz von genauer Definition für politische Bildung, Beispiel Antisemitismus

Wie wichtig genaue Definitionen für politische Bildungsarbeit sind, zeigt ein anderes Beispiel, was an dieser Stelle hier wohl Erstaunen hervorrufen dürfte. Ich weise auf die umstrittene Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) hin, die besagt: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann“.  Diese Definition ist am 19.11. 2019 von der Mitgliederversammlung der Hochschulrektoren-Konferenz (HRK) als Entschließung „Kein Platz für Antisemitismus“ angenommen worden. (3)

Darüber hinaus haben die Mitglieder die Resolution „Gegen BDS und jeden Antisemitismus“ unterstützt, die im Rahmen der Ersten Deutsch-Israelischen Studierendenkonferenz im Juni 2019 entstanden ist. Mit dabei waren das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, die Jüdische Studierendenunion Deutschland, der freie Zusammenschluss von Student*innenschaften, der AStA der Technischen Universität Darmstadt und der AStA der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt sowie parteinahe Hochschulgruppen wie den Juso Hochschulgruppen, den Liberalen Hochschulgruppen, Campus Grün und dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten.

Es ist schon höchst bemerkenswert, dass eine Hochschulrektoren-Konferenz mit 268 Mitgliedern die IHRA Definition „begrüßt“ und sie „an allen Hochschulstandorten“ etablieren möchte.  Für die HRK ist diese Definition „eine klare Grundlage zum Erkennen von Judenhass und ist damit ein wichtiges Werkzeug bei seiner Bekämpfung.“

Offensichtlich sind die Kontroversen um die IHRA-Definition an der HRK völlig vorbei gegangen.  Ende Oktober hat die Rosa Luxemburg Stiftung ein umfassendes Gutachten von Peter Ullrich zu der IHRA-Definition herausgegeben, die „gravierende Mängel“ feststellt. (4) Ullrich ist Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU und im Institut für Protest- und Bewegungsforschung und beschäftigt sich seit langem mit dem Antisemitismus.  Für ihn ist die Definition „äußerst vage“, die den „grundlegenden wissenschaftlichen Anforderungen“ nicht genügt.

Ullrich kritisiert insbesondere, dass einige zentrale Aspekte nicht thematisiert werden wie z.B. der Antisemitismus, der aus einer langen christlichen Tradition der Judenfeindschaft stammt oder der Rechtsextremismus, der überhaupt nicht auftaucht. Für Ullrich hat die Definition „eine andere politische Schlagseite … und trägt dazu bei, dass sich die Antisemitismusdebatte auf Abwege begibt. Die Debatte ist derzeit auf die Israelboykottbewegung BDS fokussiert und lenkt vom Rechtsextremismus ab. Damit rückt aus dem Blickfeld, von wem in Deutschland die meisten Angriffe und Straftaten ausgehen“. (5)

Auch einer der Hauptautoren der IHRA Definition, Kenneth S. Stern, ist über die politische Instrumentalisierung seiner Definition verärgert. Anstatt antisemitische Vorfälle zu erfassen, wird sie nun zur Einschränkung der Meinungsfreiheit benutzt, wie zahlreiche Beispiele zeigen. In städtischen Räumen der bayrischen Landeshauptstadt München darf über BDS noch nicht mal diskutiert werden! Mit anderen Worten die IHRA-Definition wird „für Grundrechteeinschränkungen herangezogen“ und Redeverbote damit legitimiert. (6)

Weil sich inzwischen auch das Europaparlament sowie verschiedene Staaten und hierzulande einige Bundesländer und Kommunen auf die IHRA-Definition beziehen, ist sie politisch enorm einflussreich und sollte insbesondere in progressiven Kreisen viel größere Aufmerksamkeit erhalten!

Kooperationsverbot mit Hochschullehrern, die BDS unterstützen, Förderung des Denunziantentums

Es ist ein intellektuelles Armutszeugnis, dass nicht nur die Kontroversen in der HRK Entschließung erwähnt werden, sondern dass sie auch die Resolution der Ersten Deutsch-Israelischen Studierendenkonferenz unterstützt.

Damit verteufelt auch die HRK BDS: „Die Boykottkampagne gegen Israel, verbunden mit dem Label ‘BDS’, stellt einen besonders aggressiven Ausdruck des israelbezogenen Antisemitismus dar, für den es keinen Raum an deutschen Universitäten geben darf. Wer die akademische Freiheit anderer wegen ihrer Herkunft bzw. ihres Wohnortes nicht akzeptiert, kann sie für sich selbst nicht unbegrenzt einfordern. Für uns schließt sich jegliche Zusammenarbeit mit BDS, seinen Akteurinnen und Akteuren, ihren Unterstützerinnen und Unterstützern sowie mit deren Partnerinnen und Partnern grundsätzlich aus.“ (7)

Ist den Hochschullehrern nicht bewusst, dass die Kategorie „israelbezogener Antisemitismus“ die Kritik an der israelischen Regierung impliziert, die als solche nichts mit Antisemitismus zu tun hat? Es ist Norman Paechs These in seinem Aufsatz „Die Symptombekämpfung“ voll zuzustimmen, dass „mit dieser Ausweitung der Definition die israelische Besatzungspolitik vor der Kritik geschützt werden“ soll. Die Fokussierung auf BDS und die Hetze gegen BDS lenkt von den gravierenden Menschenrechtsverletzungen der israelischen Regierung ab, und die HRK Mitglieder unterstützen diese Schande.

Wenn sich alle Mitgliedsuniversitäten an diesen Ausschließungsbeschluss halten, dürfen sie Hunderte ausländische Hochschullehrer, Professoren, Schriftsteller und andere Intellektuelle nicht mehr zu Konferenzen, Gastprofessuren und dgl. mehr einladen. Sie dürfen aber auch nicht mehr ihre Kollegen besuchen, die BDS unterstützen. Wollen sich Mitarbeiter an den Universitäten wirklich diesen Maulkorb anlegen? Mit dieser Entschließung der HRK ist die Gefahr der Denunziation von WissenschaftlerInnen und HochschullehrerInnen, die sich kritisch mit der israelischen Politik oder auch mit anderen politisch missliebigen Themen auseinandersetzen, als Antisemiten sehr groß.

Es ist zu hoffen, dass sich bald großer Protest gegen diese unsägliche HRK-Entschließung regt und Studierende und Hochschullehrer gemeinsam gegen diesen akademischen und politischen Unsinn auf die Straße gehen.

Erfolge des israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten in der BDS-Bekämpfung

Wenn man sich die Skandale im Kontext der BDS-Bekämpfung  in diesem Jahr anschaut, – als Beispiele seien hier nur die Auseinandersetzung über den Göttinger Friedenspreis für die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost e.V.“ erwähnt (8), die Aberkennung des Nelly-Sachs-Preises der Stadt Dortmund für die Schriftstellerin Kamila Shamsie aufgrund ihrer Unterstützung für BDS, und die Überlegungen des Berliner SPD-Innensenators Geisel, BDS-SympathisantInnen vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen (9) – scheint es, als ob nach einem Leitfaden des israelischen „Ministeriums für strategische Angelegenheiten“ vorgegangen wird.

Dieses Ministeriums wurde zur Bekämpfung von BDS gegründet und verfügt Millionen von Dollar für diesen „Kampf“.  Das Ministerium finanziert Stiftungen, Think Tanks, Reisen für Journalisten, Studierende und „Meinungsmacher“ nach Israel sowie ein Netzwerk von Juristen, das juristische Schritte gegen BDS-Aktivisten prüfen soll.

Welche Mittel und Strategien eingesetzt werden, beschreiben die israelischen Filmemacher Eyal Sivan und Armelle Laborie in ihrem exzellenten Buch „Legitimer Protest“. Darin geht es beispielsweise um die Durchsetzung neuer Formen der Meinungsfreiheit,  die Einschränkung akademischer Freiheit durch Denunziation von Professoren und akademischem Lehrpersonal, und letztendlich um die „Anpassung“ des Völkerrechts, einschließlich des Kriegsrechts und der Menschenrechte (!): „Seit Anfang des 21. Jahrhunderts nehmen die politischen EntscheidungsträgerInnen Israels, unterstützt von StrategInnen, JuristInnen und Forschenden, an einer globalen Offensive teil, um das Völkerrecht – insbesondere das Kriegsrecht und die Menschenrechte – den heutigen Realitäten der vom Terrorismus bedrohten liberalen Demokratien anzupassen.“  (10)

Die Maulkorberlasse, Auftrittsverbote und Hetze gehören zu dieser Strategie wie auch die Schleifung des Völkerrechts. Im Kontext dieser Logik ist die Erklärung der Trump-Regierung zu sehen, die völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen als „nicht per se rechtswidrig“ zu bezeichnen. Kurz davor hatte der Europäische Gerichtshof geurteilt, dass Produkte aus den Siedlungen als solche gekennzeichnet werden müssen. Dieses Urteil entfachte in Israel einen Sturm der Entrüstung.

Auch die Hetze der Bild-Zeitung gegen den deutschen UN-Botschafter Christoph Heusgen ist in diesem Kontext zu sehen. Heusgen verhielt sich bei UN-Resolutionen, die die israelischen Menschenrechtsverletzungen kritisieren, völkerrechtskonform und stimmte für die Resolutionen, verurteilte aber damit die israelische Regierungspolitik. Auch das sorgte für großen Protest in den einschlägigen Medien.

Festzuhalten ist, dass sich die Auseinandersetzung über BDS seit dem Bundestagsantrag mit dem Titel „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ (19/10191) vom 17. Mai 2019, angenommen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, verschärft haben. Darin heißt es, dass BDS zum Boykott gegen Israel, gegen israelische Waren und Dienstleistungen, israelische Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Sportlerinnen und Sportler aufrufe. „Der allumfassende Boykottaufruf führe in seiner Radikalität zur Brandmarkung israelischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger jüdischen Glaubens als Ganzes“.

Im Oktober hat das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte einen Brief an Außenminister Heiko Maas geschrieben und kritisiert, dass der Beschluss „unverhältnismäßig in das Recht der Menschen auf politische Meinungsäußerung in Deutschland eingreift, nämlich Unterstützung für die BDS-Bewegung zum Ausdruck zu bringen”. Unterzeichnet haben den Brief insgesamt fünf Sonderberichterstatter: David Kaye, zuständig für den Schutz der Meinungsfreiheit, Clement Nyaletsossi Voule, zuständig für das Recht auf Versammlungsfreiheit, Michel Forst, zuständig für die Lage von Menschenrechtsaktivisten, Michael Lynk, Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten und Ahmed Shaheed, zuständig für die Religionsfreiheit. „Die Uno-Sonderberichterstatter fordern die Bundesregierung in dem Schreiben an Minister Maas auf, innerhalb von 60 Tagen zu erklären, welche rechtlichen Auswirkungen der Bundestagsbeschluss habe und wie er sich mit den Verpflichtungen Deutschlands zum Schutz der internationalen Menschenrechte vertrage. Zudem soll die Regierung erklären, wie sie sicherstellt, dass BDS-Aktivisten Menschenrechtsverletzungen “ohne unzulässige Einschränkungen” benennen können.“ (11)

Nun kann man gespannt sein, ob Außenminister Heiko Maas dieses Schreiben beantwortet.

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen