Der Mensch bleibt analog
Derzeit konzentriert sich viel Aufmerksamkeit, gepaart mit zumeist wenig Sachverstand, auf die Herausforderung der “Digitalisierung”. Der Fortschritt in der Entwicklung künstlicher Intelligenz begeistert Fantasten und lockt Anlegern Milliardenbeträge aus der Tasche. Die vermeintliche Notwendigkeit superschneller Breitbandverbindungen zur Realisierung von “Smart Home”-Anwendungen, mobilisiert sogar die Spruchblasenproduktion einer Allparteienkoalition der Politik. Die Welt wird nicht mehr so sein, wie wir sie kennen, heißt es, und das alleine gilt als erstrebenswert. Selbstfahrende Autos, Paketzustellung per Drohne, Verdächtigenverfolgung per allgegenwärtiger Gesichtserkennung, totale Überwachung des Zahlungsverkehrs und damit des Konsumverhaltens, das alles haben wir bereits, bzw. es kommt in aller Kürze auf uns zu. Der Mensch jedoch, bleibt analog. (Egon W. Kreutzer, www.egon-w-kreutzer.de)
Selbst wenn eines Tages Mikrochips ins Gehirn implantiert werden, um die Bandbreite von Fähigkeiten zu erweitern, wird das Basis-Betriebssystem des Menschen immer analog bleiben und zur Weiterverarbeitung auch der komplexesten Ergebnisse nur über eine sehr beschränkte analoge Schnittstelle fähig sein.
Unsere “Hauptplatine” ist mit nur maximal 40 Hertz getaktet. Auf diese Hauptplatine sind nur fünf höchst unzuverlässige Sensoren als Eingänge geschaltet, nämlich unsere Augen als Sensoren für elektromagnetische Wellen mit Wellenlängen von 380 bis 750 Nanometer, die Ohren, als Sensoren für Schwingungen der Luft im Frequenzspektrum von bestenfalls 14 bis 14.000 Hertz, in der Nase und im Mund sitzen Molekular-Rezeptoren, die einige hundert Substanzen nach Nützlichkeit und Schädlichkeit zu unterscheiden vermögen, und die Haut, als haptisches Sinnesorgan vermittelt Informationen über die Intensität der Molekularbewegung und die Oberflächenbeschaffenheit der Elemente der Umwelt. Zudem verfügt die Hauptplatine über eine Art primitives Gyroskop, das allerdings nur unter optimalen Bedingungen wirklich funktioniert. Das Interessanteste ist das organische Speichermedium und vor allem das raffinierte, weitgehend autonom arbeitende Speichermanagement, dessen Funktionsprinzip nach wie vor nicht restlos entschlüsselt werden konnte, das aber im “Normalbetrieb” alle notwendigen Informationen, sofern bereits gespeichert, zur Beurteilung einer Situation zur Verfügung stellt und laufend neue Sinneseindrücke mit assoziativen Verknüpfungen ablegt.
Diese analoge “Maschine” hat im Laufe der Entwicklungsgeschichte der Menschheit großartige und bewunderswerte, ja im höchsten Maße erstaunliche Leistungen vollbracht, die von der Erfindung der Schrift bis zur Vor-Ort-Erkundung der Marsoberfläche reichen, weil es ihr gelungen ist, sich externe Sensorik, externe Rechenleistung, externe Motorik und externe Speicherkapazitäten zu schaffen, die das eigene Vermögen weit übertreffen.
Der Mensch jedoch ist analog geblieben. Alle “Ergebnisse” der externalisierten Fähigkeiten muss er mit seinen fünf Sinnen und seinem mit 40 Hertz getakteten Gehirn verarbeiten, was den Menschen in seiner technisierten Umwelt zur “Prozessbremse” und damit zum “Risikofaktor” werden lässt. Die Entwicklung voll autonomer Systeme ist daher die zwangsläufige Notwendigkeit, um die technische Überlegenheit optimal nutzen zu können. Der seit Jahrzehnten in Romanen und Filmen agierende Kampfroboter ist eine dieser unumgänglichen Folgen.
Diese Entwicklung hat jedoch Konsequenzen, die in der derzeitigen Diskussion absolut nicht anzutreffen sind. Die unangenehmste dieser Konsequenzen benenne ich vorab, um Ihr Interesse zu wecken und wach zu halten, während ich die zugehörige Argumentation und Beweisführung ausbreite:
Der Mensch wird – mit dem Fortschreiten der Eroberung seiner kompletten Umwelt durch die Hervorbringungen der Digitalisierung – die Mehrzahl seiner kognitiven Fähigkeiten einbüßen und letztlich zurückfallen auf das Niveau einer unbewussten, animalischen, nur noch triebgesteuerten Existenz.
Der Prozess, dessen Wirkungen ich hier schildere, hat schon vor geraumer Zeit begonnen. Es ist ein Prozess der Entfremdung, ja der immer weiter vom Menschen weg verlagerten Schnittstelle zwischen den Ursachen (Uwelteinfluss, Tat, Handlung, Aktion, Reaktion) und deren Wirkungen. Dieser Prozess wird zudem überlagert, von einer immer schnelleren Veränderung der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung, weil sich die Benutzerschnittstellen der Technik immer schneller verändern.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel erklären, das noch einigermaßen überschaubar bleibt und dennoch schon an die Grenzen rührt, die wir überschritten haben, ohne es noch zu bemerken.
Sprechen wir vom Automobil.
In der Frühzeit des Automobils musste der Motor mit einer Handkurbel angeworfen werden. Beim Wechsel der Gänge war ein gefühlvolles “Zwischengas” erforderlich, die Hupe befand sich außen und war ein Konstrukt aus Signalhorn und Gummiball. Beschleunigt und gebremst wurde auch damals schon mit Bewegungen des rechten Fußes.
Seit das Automobil zum Massengut geworden ist, kennt die Menschheit den Begriff des Gasgebens als ein Synonym für “Beschleunigen”. Das Automatikgetriebe hat uns die Notwendigkeit abgenommen, auf die Drehzahl des Motors zu achten und im richtigen Augenblick den Gang zu wechseln. Selbstabblendende Rückspiegel geben uns das Gefühl, das rückwärtige Geschehen stets optimal zu beobachten, das Antiblockier-System und das ESP-System unterstützen beim Bremsen und vermeiden oder mildern Unfälle durch unkontrolliertes Schleudern. Einpark-Assistenten finden den Weg in die Parklücke besser als der Mensch, Regensensoren schalten die Scheibenwischer und auch die Scheinwerfer ein, Spurhalte-Assistenten ermöglichen Sekundenschlaf ohne gleich auf die Gegenfahrbahn zu geraten, und ein Notbrems-System kann das Überfahren plötzlich auftauchender Fußgänger verhindern.
Das Automobil der Gegenwart nimmt zudem das Fahrziel per Spracheingabe entgegen, ermittelt den optimalen Weg, prüft auf speziellen Verkehrsfunk-Frequenzen die Verkehrslage auf Staus, berücksichtigt auch diese, und stellt über die Kommunikation mit mindestens drei geostationären Satelliten die auf wenige Meter genaue Positin des Fahrzeuges fest, um dann dem Fahrer, per Sprachausgabe mitzuteilen, wann er wo abzubiegen hat, und zum Schluss auch, dass er sein Ziel erreicht habe.
Das alles ist ohne Frage sehr komfortabel, ja sogar bequem geworden, doch sind wir in diesen Automobilen noch “Fahrer”?
Ich würde diese Frage mit einem “vielleicht gerade noch” beantworten, obwohl in Wahrheit schon längst das Auto alles übernommen hat, was wichtig ist, um von Worpswede nach Quakenbrück zu gelangen, außer Tanken, Starten, Gasgeben und jenem Teil des Lenkens und Bremsens, dass es nicht vorsorglich selbst übernimmt.
Nun steht nirgends geschrieben, dass es das Ziel der Evolution sein sollte, perfekte Autofahrer auf dem Stand der Technik von 1955 hervorzubringen.
Sicherlich nicht.
Aber kann es ein Ziel der Evolution sein, die Aufmerksamkeit des Individuums, das Erfassen von Situationen und das Abrufen der richtigen Reaktionen, ja sogar die Orientierung im durchfahrenen Raum nahezu vollständig abzuschalten? Kann es das Ziel der Evolution sein, ein in einem bequemen Sitz angeschnallten Haufen Langeweile zu produzieren, dessen Hauptinteresse auf die Frage zusammenschrumpft, ob an der nächsten Raststätte eine Pinkelpause eingelegt werden soll?
Die nächste Entwicklungsstufe wird bereits auf den Straßen erprobt. Es gibt keinen Fahrer mehr. Kein Lenkrad, kein Gaspedal, keine Bremse. Das ist das vorhersehbare Aus für alle Fahrschulen. Das Auto der nächsten Generation hat den eingebauten Führerschein. Es gibt auch keine Altersbegrenzung mehr. Wer den Aktivierungscode hat und in der Lage ist, sein Ziel zu nennen, kommt hin.
Der Unterschied, zwischen Auto und U-Bahn ist kaum mehr zu erkennen, zumal die noch autofahrenden Menschen ebenso wie die U-Bahn-fahrenden nur noch vor sich hindösen oder auf kleinen Bildschirmen irgendetwas betrachten, was mit ihrer realen Situation nichts zu tun hat.
Der Kokon aus fürsorglicher Technik holt den Menschen aus dem Autoscooter und setzt ihn in das alte Karussel, wo er mit allen anderen die unabänderlichen Runden dreht, und verwehrt ihm damit konsequent den Zugang zu neuen Erlebnissen und Erkenntnissen, zur Selbsterfahrung und zur kreativen Entfaltung.
Versucht man, den Zustand des so fortbewegten Menschen zu beschreiben, so handelt es sich dabei um etwas, das man als den temporären Ausstieg aus der Verantwortung für sein Leben bezeichnen könnte.
Es ist ein Stilllegen wesentlicher Elemente des analogen Menschen, die Reduktion auf die physische Existenz, die von unbewussten, genetisch programmierten Steuerungen aufrechterhalten wird, während der “Zweck”, bzw. die “Entfaltungsmöglichkeiten” des Apparats Mensch, nämlich mit dem bewusst steuernden und Entscheidungen treffenden Teil des Großhirns die Welt wahrzunehmen und mit ihr sinnvoll zu interagieren, temporär überflüssig geworden ist.
Es ist ja aber nicht nur das Automobil – ein Apparat, von dem seine Nutzer längst viel weniger verstehen, als vor hundertfünfzig Jahren der Pferdekutscher von seiner Droschke und seinem Pferd – die Gelegenheiten für die Totalabschaltung des Gehirns mehren sich.
Auf tausenden von Kanälen bieten Streamingdienste aus schier unerschöpflichen Quellen 24 Stunden täglich genau jene Musik, die ich gern höre. Von nichts unterbrochen, noch nicht einmal von Warnmeldungen. Auf anderen Kanälen laufen Videos und Filme. Man muss nicht unbedingt konzentriert dabei sein. Man kann ja zurückspringen – oder vorspringen, wenn die Szene langweilt.
Wir gestalten uns auf diese Weise unsere finstere Höhle, in die nur das hineinkommt, was wir bis zum Überdruss hineinlassen. Es findet keine Interaktion mehr statt, nur noch ein Suhlen im Angenehmen.
Das Smart Home, in welchem das Fitnessarmband und die Badezimmerwaage mit Kühlschrank, Mikrowelle und dem Auto kommunizieren, welches wiederum mit der Jalousiensteuerung und der Heizung (bzw. Klimaanlage) kommuniziert, um pünktlich beim Ankommen an der Stromzapfsäule die vegane Fertigpizza zu erhitzen und den Robotstaubsauger in seine Garage zu befehlen, ist nur der erste Teil des Szenarios, das bald so ziemlich alle Haushalte bieten werden, weil alternative Formen der Versorgung schlicht nicht mehr angeboten werden, allenfalls noch als Geheimtipp unter Sterneköchen gehandelt, hier und da ein Biobauer …
In die Tapete eingearbeitet LEDs werden automatisch die Beleuchtung der Stimmung anpassen, die wiederum von der Fitnessuhr und ihren vielfältigen Sensoren erfasst und in ein Leuchtmuster umgesetzt wird, und das so perfekt, dass niemand mehr einen Gedanken an “Licht” verschwendet. Es wird einfach da sein – und so, wie es ist, wird es gut, wenn nicht gar perfekt sein.
Auch das ist höchster Komfort, höchste Bequemlichkeit, die wir – selig lächelnd, wie ein satter Säugling – schlicht aufsaugen, ohne zu fragen, wie die Welt da draußen, hinter den Fensterscheiben aussieht, weil es sich in Wahrheit um riesige Bildschirme handelt, auf denen wir, wenn wir es wollten, auch das Bild der Außenkamera ansehen könnten, aber das ist meistens nicht besonders attraktiv, keine Action – und nachts sowieso finster.
Diese düstere Aussicht wirft allerdings die berechtigte Frage auf, woher denn all dieser Komfort kommen soll, wer denn da konstruieren, planen, produzieren, montieren, liefern, warten und reparieren soll, und damit zugleich die Frage, wer diesen Komfort aus welchem Einkommen bezahlen soll.
Schließlich ist dieses menschengemachte “Schlaraffenland” ein Widerspruch in sich, der immer unauflöslicher wird, je “höher” es sich entwickelt. Das lässt sich an einem utopischen Endzustand am besten darstellen:
Alle Leistung zur Herstellung von Komfort und Bequemlichkeit wird von vollautonomen, selbstreproduzierenden und selbstregenerierenden Systemen erbracht. Kein Mensch erzielt mehr ein Arbeitseinkommen.
Dies bedeutet jedoch, dass die ursprünglichen Investoren, welche die autonomen Systeme geschaffen haben, vor einem Problem stehen. Ihr Eigentum ist nämlich wertlos geworden. Entweder, sie akzeptieren das, und lassen diese vollautonomen Systeme einfach weiterlaufen und werden dazu zu gleichberechtigten Nutznießern, oder sie akzeptieren es nicht und schalten die Systeme soweit ab, dass gerade noch ihr Eigenbedarf befriedigt wird, während der Rest der Menschheit in die Steinzeit zurückgeworfen wird, was bedeutet, dass die Weltbevölkerung innerhalb weniger Jahre von dann fast 10 Milliarden auf auf ungefähr eine Milliarde zusammenschrumpfen würde. Diese eine Milliarde müsste versuchen, sich mit ihren analogen Fähigkeiten gegen die immer noch aktiven vollautonomen Systeme zu behaupten.
Dieser Zustand kann vermutlich nicht erreicht werden, weil die Sackgasse, auf die wir zustürmen, bereits jetzt deutlich zu erkennen ist.
Weil der Mensch analog bleibt, wird er auch in Zukunft physisch zur gleichen Zeit nur am gleichen Ort sein können, er wird nur in einem Sessel sitzen und er wird auch weiterhin nur das wahrnehmen können, was ihm seine eigenen Sinnesorgane vermitteln. Sein Gehirn wird weiterhin mit einer Frequenz von maximal 40 Hertz arbeiten, so dass die Möglichkeiten, ihm noch mehr Komfort und Bequemlichkeit zu vermitteln begrenzt sind.
Der Ausweg, der jetzt noch funktioniert, besteht darin, dass künstlich die Notwendigkeit geschaffen wird, in immer kürzeren Abständen Ersatz für die schon wieder veralteten modernsten Errungenschaften der Technik zu beschaffen, was den Markt der Konsumelektronik – vom Smartphone bis zum SuperPlusExtendedFullHD-KommunikationsCenter – am Leben hält und in fernöstlichen Fabriken und bei den hiesigen Distributoren noch für Beschäftigung sorgt.
Doch auch dieser “Ausweg” wird schon längst von Roboterheeren unterminiert. Und der Versuch, noch einmal einen Wachstumsschub durch die Digitalisierung des Individualverkehrs auf Basis elektrischer Antriebssysteme zu erzeugen, ist bereits zum Scheitern verurteilt.
Nicht, weil die Verfügbarkeit elektrischer Energie noch keineswegs sichergestellt ist: Die Kraftwerke und die Verteilungsnetze lassen sich bauen. Nicht, weil die Menschen ihre Vorurteile gegen das fahrerlose Fahren nicht überwinden könnten: Das wird uns schon beigebogen.
Das Problem besteht darin, dass gerade da, wo bisher die Kaufkraft durch die Wertschöpfung der Automobilproduktion geschaffen wurde, schlagartig Millionen von Arbeitsplätzen verloren gehen, für die es keinen erkennbaren Ersatz geben wird, weil die weitere Verlagerung menschlicher Arbeit in technische Systeme auf allen Gebieten und in allen Branchen vorangetrieben wird.
Das Festhalten am Verbrennungsmotor hat m.E. auch damit zu tun, dass sich jeder ausrechnen kann, dass die Löhne der verbleibenden Elektroauto-Bauer nicht ausreichen werden, die für eine rentable Produktion erforderlichen Stückzahlen zu verkaufen. Jedenfalls dann nicht, wenn alle Hersteller umgestellt haben werden, wobei es auch hier die Letzten sein werden, die von den Hunden gebisssen werden.
Dennoch wird die so genannte Künstliche Intelligenz noch weit fortschreiten und den analogen Menschen immer wieder in ungläubiges und verständisloses Staunen versetzen, denn kein Schulsystem der Welt ist in der Lage, die Komplexität der Welt noch vermitteln zu können. Selbst lebenslanges Lernen kann allenfalls noch Spezialisten, aber keinen Generalisten mehr hervorbringen, dessen Wissen tief genug wäre, um noch einen wirklichen Wert zu haben.
Nur virtuelle Welten kennen keine Grenzen.
Der Mensch aber bleibt analog – und das bedeutet: Der Mensch braucht Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken und einen ausreichenden Schutz vor den Unbilden der Witterung und den natürlichen Gefahren der Umwelt.
Aber er braucht noch etwas, etwas, was virtuellen Wesen fremd bleibt, nämlich hin und wieder die Erfüllung seines Strebens nach Glück.
Was ist Glück? Glück ist, auf den Punkt gebracht, ein Erlebnis des Gelingens.
Glück in einer Welt ohne Herausforderungen zu finden, ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, jedenfalls solange, wie man intellektuell in der Lage ist, diese Welt ohne Herausforderungen als solche wahrzunehmen.
Der Ausweg, der sich hier anbietet, liegt in der intellektuellen Regression.
Wer in den Supermarkt geht, um in der Gemüseabteilung Äpfel zu kaufen, wird dabei kein Glück empfinden, solange er es für ganz und gar normal hält, dass dort Äpfel angeboten werden.
Ein Wesen, dass gar nicht weiß, wie es in den Supermarkt geraten ist, auch nicht weiß, was ein Supermarkt ist, und plötzlich vor den Äpfeln steht und irgendwo tief drin die Erinnerung hegt, die könnten essbar sein und gut schmecken, das sich einen dieser Äpfel greift, hineinbeißt, und feststellt, dass das tatsächlich gut schmeckt, könnte in diesem Augenblick das Glück des Gelingens verspüren.
Nur ein Kind kann das Glück des Gelingens empfinden, wenn “Alexa” auf Zuruf, wie durch Zauberei seine Lieblingsmusik spielt, so wie es das Glück des Gelingens empfinden kann, wenn es erstmals ohne Stützräder mit dem Fahrrad zwanzig Meter geradeaus gefahren ist.
Wird dieses Gelingen zur Selbstverständlichkeit, bleibt das Glücksgefühl aus.
Der analoge Mensch wird daher in einer digitalisierten Welt, um Glück empfinden zu können, die Mehrzahl seiner kognitiven Fähigkeiten einbüßen müssen und letztlich zurückfallen auf das Niveau einer unbewussten, animalischen, nur noch triebgesteuerten Existenz, für die die Welt ein unbekannter Zaubergarten ist, der immer wieder neu entdeckt werden kann, weil kein störendes Erinnerungsvermögen daran hindert.
Die Spatzen pfeifen es doch längst von den Dächern:
Was heißt es denn, wenn immer öfter vom “Prekariat” die Rede ist, oft in Verbindung mit dem Schlagwort “Bildungsferne Schichten”, oder, wenn vulgär von den “Abgehängten” gesprochen wird?
Oft ist auch zu hören, dass die “Mittelschicht” verschwindet. Das klingt abstrakt, da kann sich der Nichtbetroffene wenig drunter vorstellen. Sehr konkret aber wird es, wenn John Cryan, der Chef der Deutschen Bank, Herr über 97.000 Angestellte, erklärt, dass zehntausende (!) dieser Jobs nur der Ausdruck technischer Rückständigkeit seien! Man mache noch zuviel fehleranfällige und ineffiziente “Handarbeit”.
Der Trend läuft eindeutig und immer schneller in eine Richtung:
Die Wirtschaft kommt mit immer weniger Menschen aus. Es geht jetzt massiv an alle Jobs, bei denen noch Menschen eingesetzt werden, um komplexe Entscheidungssituationen mit einer Vielzahl von Reaktionsmöglichkeiten zu bewältigen. Diese fallen in den nächsten fünf bis zehn Jahren den “Algorithmen” zum Opfer.
Die Zahl jener, die gebraucht werden, um diese Algorithmen zu entwickeln, ist klein. Doch die Fähigkeit, Entscheidungssituationen in Algorithmen zu verpacken, kann ohne die Kenntnis der Entscheidungssituationen nicht sinnvoll genutzt werden. Solange menschliches Fachwissen und sogar menschliche Intuition vorhanden ist und von den Spezialisten abgefragt und analysiert werden kann, können daraus Algorithmen gebaut werden.
Wenn die analogen Entscheider jedoch ebenfalls im Prekariat entsorgt sein werden, müssen ihnen die Algorithmen-Konstrukteure zwangsläufig folgen.
Die Arbeit ist getan.
Wer bleibt übrig?
Es bleiben diejenigen übrig, deren Arbeit billiger angeboten wird als sie mit Robotern erbracht werden könnte. Schon heute gelten in Deutschland die Angehörigen von 230 Berufsgruppen als Anwärter für die Altersarmut, ein Teil davon kann heute schon ausrechnen, dass die Rentenansprüche unterhalb der Grundsicherung liegen werden.
Auf der anderen Seite bleiben diejenigen übrig, die über die Produktionsmittel verfügen, solange die Produktion noch ausreichend viele Käufer findet, um über die Kapitalkosten hinaus noch einen Gewinn zu erzielen. Das allerdings wird in dem Maße schwieriger, wie Konsumenten in der Produktion überflüssig werden.
Es ist nicht mehr zu übersehen, dass das System kaum noch in Balance zu halten ist und bald umkippen wird.
Auf der Website Wasser-wissen.de findet sich die nachstehende und nachdenklich machende Analogie zum Umkippen von Gewässern:
Wenn ein Fluss oder ein See durch die Einleitung von bestimmten Schadstoffen überdüngt wird (Eutrophierung), vermehren sich die Wasserpflanzen schlagartig. Wenn sie absterben, verbrauchen sie mehr Sauerstoff, als im Wasser vorhanden ist. Folge dieses Sauerstoffmangels ist, dass jedes Leben in diesem Gewässer erlischt.
Weltweit und auch in den hochentwickelten Industrienationen anzutreffende Niedriglohnsektoren, weltweite Armut und Armutsgefährdung, zeugen davon, dass das Absterben bereits begonnen hat. Terrorismus, Kriege und Bürgerkriege und die darauf folgenden weltweiten Flüchtlingsströme sind Teil dieses Prozesses, der sich vor unser aller Augen öffentlich abspielt.
Die Chancen auf die Erfüllung des Strebens nach Glück werden immer geringer, weil auch noch an den letzten Herausforderungen das Warnschild “aussichtsloses Bemühen” angebracht wird.
Die Menschheit macht sich überflüssig. Wer noch denken kann, driftet in die Resignation.
Nicht die Roboter und die KI werden die Herrschaft übernehmen, dazu fehlt ihnen das Bewusstsein.
Das Problem besteht darin, dass wir nicht fähig sind, vernünftig und – über das Gewinnstreben hinaus – nützlich damit umzugehen.