Der Mensch unserer Hoffnung

 In Spiritualität

Jesus, Maria Magdalena im Film von Garth Davis (2018)

Diese Adventsgeschichte ging bei der Redaktion erst etwas verspätet ein. Wir bringen sie trotzdem gern, weil sie spirituelle Weisheit, aber auch ein paar politische Seitenhiebe enthält. Wie könnte es zugegangen sein, wenn sich Jesus, Maria, Maria Magdalena und andere Persönlichkeiten “jener Zeit” unterhielten. Vielleicht so ähnlich wie es unser Autor hier einfühsam beschreibt.  Ludwig Schumann

Die Freunde hatten abgeraten. „Er wird dich nicht verstehen. Du verstehst ihn nicht. Am Ende redest du dich um Kopf und Kragen.“ „Mit Ängstlichkeit zeugt man keine Kinder“, schmunzelt Jehoschua, nimmt seine Frau bei der Hand und zieht sie, die wie die Freunde eher zögerlich reagierte, zum Feuer, an welchem Marcus wartet.

„Ich sehe keinerlei Schreibutensilien“, sagt er, statt einer Begrüßung. „Ich habe einen guten römischen Kopf mit einem guten römischen Gedächtnis“, antwortet der Römer.

„Für welches Blatt schreibst du eigentlich?“ Marcus legt zwei Holzstücke nach, blickt dann auf sein Gegenüber und sagt, eher beiläufig: „Für das ‚forum romanum’. das römische Morgenblatt.“ „Was geht deine Leser die Meinung der Leute hier an? Wollen sie wirklich etwas von Leuten wissen, die so weit weg leben von ihnen?“

Marcus schüttelt den Kopf. „Du vergisst: Wir sind jetzt ein Land.“ „Nun“, antwortet sein Gegenüber: „Wir wurden nicht gefragt. Wir wurden okkupiert. Es ist euer Lied, das wir jetzt singen müssen. Das hat mit uns wenig zu tun. Das Einzige, was wir merken, ist, dass die Ausgaben sich vervielfachen, während die Einnahmen unbestimmt und niedrig bleiben. Euer Wohlstand wächst auf unserer Armut.“ „Kann ich das so schreiben?“ Marcus beugt sich gespannt nach vorn. „Was?“ „Euer Wohlstand wächst auf unserer Armut?“

Er schaut auf Marcus, seine Mundwinkel zucken: „Ist das etwas Neues für Dich?“, fragt er ungläubig. „Davon lebt ihr doch, solange ihr euch auf den Weg macht, immer noch ein Volk zum römischen Frieden zu bekehren.“ „Damit wächst aber auch unsere Verantwortung“, entgegnet Marcus.

„Mir kommen die Tränen.“

Maria Magdalena kniept ihn in den Oberarm.

„Du wirst leichtsinnig“, sagt sie zu ihm. „Du weißt nicht, ob das, was du sagst, nicht auch bei Herodes landet.“

Über den von den rotbraunen Bergen, die im Dämmerlicht noch zu ahnen sind, umrahmten See liegt der Lichtschein eines heute, wie Maria Magdalena staunt, ganz besonderen Abendrotes. Etliche Fischer besteigen ihre Boote und fahren hinaus auf den See.

„Welche Fische fängt man hier?“ Marcus sieht den Booten nach. „Muscht“, antwortet Maria Magdalena.

„Muscht? Was ist das?“ Maria Magdalena zieht das Tuch von ihrem Korb und lässt Marcus hineinblicken: „Muscht nennen wir die Süßwassersardine. Die gibt es, falls ihr es noch hinkriegt, endlich ein Feuer zu machen, nachher gegrillt.“

Marcus und Jehoschua sammeln Holz. Das Feuer kommt zunächst nur zögerlich in Gang. Maria steckt die Sardinen auf kleine Spieße, die sie in der Zwischenzeit gefertigt hatte, und hält sie vorsichtig über die Flammen. Bald duftet es nach gegrilltem Fisch. Etliche Leute aus der Nachbarschaft, die der Duft angelockt hat, gesellen sich wie selbstverständlich zu der Gruppe um das Feuer. Sie haben ebenfalls Muscht mitgebracht. Der alte Ilai hatte tagsüber drei langköpfige Barben geangelt und hielt sie aufgespießt über das Feuer.

„Probier mal“, forderte Mias Marcus auf und hielt ihm eine Fischsauce unter die Nase, die köstlich duftete. Er reichte ihm Brot dazu. Marcus schmeckte der Gruß aus der Nachbarschaft. Er war es als Römer freilich nicht gewohnt, in jüdischen Landen so freundlich behandelt zu werden. Auf seine diesbezügliche Bemerkung antwortete Jochanaan, der Cousin Maria Magdalenas:

„Das muss dich nicht wundern. Wenn du ihm etwas bedeutest, bist du auch uns willkommen. Er ist seit seiner Geburt bereits ein Mensch unserer Hoffnung.“

„Was habt ihr außer dem Muscht noch an der Sauce?“, will Marcus wissen.

„Salz aus dem Toten Meer“, verrät ihm Jochanaan.

„Köstlich.“ Marcus freut sich, dass das Lob aus römischem Mund die Umstehenden erreicht und stolz macht.

„Was meint ihr mit der Beschreibung, dass Jehoschua seit seiner Geburt ein Mensch der Hoffnung sei? Welcher Hoffnung? Und für wen?“

Maria hat die letzten Sardinen verteilt. Sie setzt sich zu Marcus:  „Die Menschen hier um den See leben vom Fischfang. Schimon und seine Freunde sind Fischer. Der Ort, aus dem sie stammen, hieße in eurer Sprache Fischhausen, Bethsaida. Man lebt hier vom Fischfang, von der Verarbeitung der Fische und von ihrem Verkauf.“

„Das heißt, sie müssen auch Tag um Tag hinaus auf den See, um ihre Familien zu ernähren?“ Maria nickt.

„Ja. Hier lernt man, dass Gottvertrauen eine Währung ist, die man besser hütet, als dass man sie ausgibt.“

Marcus beobachtet, wie er sich mit jedermann, der zum Ufer kommt, unterhält.

„Hic verbum caro factum est“, wirft Jochanaan in Marcus Sprache ein. „Welches Wort?“, fragt der Journalist zurück. „Welches Wort soll Fleisch geworden sein? Was soll das überhaupt heißen?“ Jochanaan legt ihm begütigend die Hand auf die Schulter: „Wir reden von ihm so. Er, bereits an seiner besonderen Geburt als ein Mensch der Hoffnung erkennbar, so meinen wir, ist Teil Gottes. Das ist Fleisch, also Mensch geworden. Ist das nicht eine verrückte Nachricht!“ Marcus staunt: „Das glaubt ihr wirklich? Unsere Kaiser werden Gott, wenn sie das Leben verlassen. Aber ich habe gelernt, dass ihr ohnehin einen äußerst merkwürdiger Gott anbetet. Einen unsichtbaren Gott. Das ist für uns Römer eine Gotteslästerung. Was wir nicht sehen, ist für uns nicht existent. Verstehst du? Für uns seid ihr Atheisten. Gläubige ohne Gott.“

Jochanaan schüttelt den Kopf: „Wozu muss man ihn auch noch sehen, wenn man erfährt, was alles er kann? Als wir noch Nomaden waren, war es wichtig, dass er mit uns mitzieht. Da konnten wir keine Standbilder gebrauchen.“

Die Nacht ist längst hereingebrochen. Sie legen sich zurecht und schlafen ein, vom Rauschen des Wassers in der Brandung legt sich eine Ruhe auf ihre Seelen, die sie den Schlaf im Nu finden lässt. Das erste Schnarchen kommt von Schimon, der sich doch nicht, wie er es zunächst angekündigt hatte, auf den Weg nach Hause gemacht hatte.

Der laute Ruf der Kraniche weckt die Schläfer in der Frühe. Freilich sind Schimon und sein Bruder bereits auf dem See, trotz des ziemlich hohen Wellengangs, von welchem man kaum glauben kann, das die Ursache tatsächlich der laue Wind sein soll, der sich am frühen Morgen schon, als wollte er dem Hunger Paroli bieten, aufgemacht hatte und der die Wellen schneller und höher vor sich her treibt, als wolle er den am Ufer Gebliebenen ein Kinderspiel bieten. Sie erwecken derweil das Feuer zu neuem Leben. Marcus bekommt die Fischsauce vom Vortag gereicht, dass er am frühen Morgen wenigstens etwas im Magen verspüre.

„Ich will dich erheben, mein Gott, du König, und deinen Namen loben immer und ewiglich. Amen

Seid gesegnet, meine Lieben. Das scheint ein guter Morgen zu werden. Schimon und sein Bruder fangen uns unser Frühstück. Wünschen wir ihnen in unserem Namen Glück.“ Jehoschua hatte sich von seinem Lager erhoben und segnet die Anwesenden.

Schimon und sein Bruder landen inzwischen ihren Fang an, der ein  fröhliches Morgenmahl ermöglichen soll.

Marcus wendet sich an Maria Magdalena, die an Jehoschuas Seite sitzt: „Maria, mir wurde zugetragen, dass es eine seltsame Geschichte um seine Geburt gibt. Kennst du sie?“

Maria nickt. „Es gibt Menschen, für die er viel bedeutet. Die erzählen sich eine Geburtsgeschichte, die dieser Bedeutung entspricht. Du kennst ja seine Eltern, Maria und Joseph, den Zimmermann, der in Nazareth seine Werkstatt hat. Es gab damals, noch auf Anordnung des Augustus, den ihr den Friedenskaiser nennt, eine Volkszählung, der Steuern wegen. Dass keiner zweimal gezählt wurde, musste der Mann in seinen Geburtsort reisen. Das war bei Joseph Bethlehem. Auf der Reise kam Maria nieder.

Joseph nun war ein Nachfahre des jüdischen Königs David. Das musste so sein, sollte doch die alte Weissagung, dass Jehoschua in einer Linie vom großen jüdischen König David abstammen solle, auf diese Weise in Erfüllung gehen.“

„Es gibt aber auch eine Fassung der Geschichte, die das bestreitet. In der wird erzählt, er stamme von Gott direkt ab.“ Maria blickt genervt zum Himmel. „Ja, die habe ich auch schon gehört. Wir wissen bei unserer Geschichte, die wir erzählen, auch nicht wirklich, ob er Josephs Kind ist oder ob Joseph nicht eher die schutzsuchende andershäusig stammende Mutter aufnahm, sich damit den Wunsch von einer jungen, schönen Gattin erfüllend, an die er ohne deren  Verwirrnis nicht hätte ein Wort zu richten gewagt. Aber er hat sich zu ihr bekannt und ich habe nie gesehen, dass die beiden es an sich und an ihrem Kinde hätten an Liebe mangeln lassen.“

Marias Augen bekommen plötzlich einen verträumten Ausdruck.

„Dass wir uns fanden und heirateten“, sagte sie, „ betrachte ich als ein großes Glück, das mir widerfahren ist. Dass Jehoschua mehr draußen bei den Leuten ist als bei mir, das hat mit seiner Aufgabe zu tun. Da kann ich langes Getrenntsein nur ausschließen, wenn ich mit ihm ziehe, verstehst du? Hätte ich ein geruhsames Leben gewollt, hätte ich einen anderen Mann heiraten müssen.“

Marcus lächelt. „Wie wahr“, meint er. „Hat die Geburt, wie erzählt wird, in einem Stall stattgefunden?“

„Möglich. Er sagt immer: Ich war zwar dabei, habe aber leider keinerlei Erinnerungen daran. Aber warum sollte er bei der Fülle der Besucher nicht im Stall zur Welt gekommen sein? In eine Futterkrippe gelegt, und die Eltern schliefen tief und fest. Ich glaube, sie haben sogar die heiligen drei Könige verpasst. Wenn man sie mal der Reihe nach erzählen würde, wäre das eine schöne Geschichte, glaube ich,“ meint Maria Magdalena. Jehoschua fährt ungeduldig dazwischen: „Wir müssen schauen, was morgen ist“, sagt er, „nicht die Geschichten aus dem Gestern erzählen. Uns fliegt die Welt um die Ohren und ihr macht euch Sorgen, ob Joseph die heiligen drei Könige protokollgerecht empfangen hat oder nicht.“

Es herrscht einen Moment Schweigen. Dann setzt Maria nach:

„Wenn sie gut erzählt wird, berührt sie die Menschen. Es ist eine Geschichte, die Eltern ihren Kindern, diese den ihren erzählen. Und die Kinder dieser Leute werden sie ihren Kindern erzählen und so fort und so fort. Diese Geschichte von deiner Geburt wird die Menschen alle über Zeiten, Generationen und Ländergrenzen hinweg verbinden. Dafür lohnt es sich doch, sie zu erzählen.“ Jehoschua will erst aufbrausen, besinnt sich dann aber doch und sagt leise:

„Ja, da kannst du Recht haben. Aber ich lasse das nur gelten, wenn wir gleichzeitig in die Welt um uns herum schauen. Die Geschichte ist etwas wert, wenn wir gleichzeitig aufmerksam wahrnehmen, wie es unserem Nachbarn hier in Bethsaida geht, oder in Nazareth! Lob sei dem Allmächtigen, wenn wir von heute an losgehen, um die Welt ein wenig gerechter zu machen. Wenn wir das tun, will ich gern stillsitzen, bis ihr das Bild meiner Kindheit aufgezeichnet habt. Was ist da draußen los?“

Der Wind ist rauer geworden. Die Wellen schaukeln das Boot von Schimon und seinem Bruder Andreas hin und her. Mit Erstaunen sieht Marcus, wie Jehoschua das Gewand rafft und im Eilschritt zum Boot weit vor dem Ufer läuft, wie er Schimon etwas zuruft, beschwörende Gesten macht. „Das ist ja verrückt“, denkt Marcus.

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