Der Renten-Schwindel

 In FEATURED, Politik (Inland)

Um im Alter in Würde leben zu können, müssen wir uns hier und heute gegen Armut und Ausgrenzung wehren. Auszug aus „Rente und Respekt!“. Menschen in Deutschland haben Angst vor dem Alter. Obwohl das in einem Land mit so hoher Produktivität nicht sein müsste. Und wie reagieren Politiker der „Mitte“ auf die reale Not und die berechtigten Befürchtungen der Bürger? Neoliberale wollen aus der Altersabsicherung ein Geschäft für Anlagefonds machen und die ohnehin schwankende Rente weiter destabilisieren. Und sie spielen Alt und Jung gegeneinander aus, die eigentlich Schicksalsgefährten sind, nur auf verschiedenen Stufen ihrer Prekarisierung. Anstatt durch Stärkung der Pflege, eine höhere Grundrente und deren Basis – menschenwürdige Löhne – die Weichen für mehr Sicherheit im Alter zu stellen, betreibt die Koalition Flickschusterei und setzt weiter auf Privatisierung. Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht fordert Menschen aller Altersstufen zum Widerstand gegen diese Pläne auf. Sie sagt: „Machen wir das Alter zu einer rebellischen Lebenssphase!“ Sahra Wagenknecht

Keine Angst vorm Älterwerden? Leider haben viele Menschen gute Gründe, sich vor dem Alter zu fürchten. Wird die eigene Rente zum Leben reichen oder werde ich meinen Kindern und Enkeln auf der Tasche liegen? Werde ich eine altengerechte Wohnung finden, wenn ich sie brauche? Wer wird mich pflegen, wenn ich einmal darauf angewiesen bin? Werde ich in einem Heim landen, wo unwürdige Zustände herrschen, weil Pflegekräfte keine Zeit für mich haben? Werde ich überhaupt bis zur Rente durchhalten oder schon vorher körperlich kaputt oder seelisch ausgebrannt sein?

Immer mehr Menschen machen sich darüber Sorgen – und dafür tragen die Regierungen der letzten 20 Jahre die Verantwortung. Mit der Agenda 2010, der Etablierung von Niedriglöhnen, der Absenkung des Rentenniveaus und Anhebung des Renteneintrittsalters haben sie massenhafte Altersarmut vorprogrammiert. Dass die gesetzliche Rente derart kaputt gemacht wurde, ist der größte sozialpolitische Skandal der Nachkriegszeit.

Doch statt den Riester-Schwindel zu beenden und die gesetzliche Rente so zu stärken, dass man – wie in Österreich – davon würdig leben kann, droht ein noch größerer Schwindel. So möchte Friedrich Merz von der CDU eine gesetzliche Pflicht zur privaten Altersvorsorge einführen.

Beschäftigte sollen also gezwungen werden, Aktien zu kaufen und ihre Rente – wenn es schlecht läuft – an der Börse zu verzocken. Das ist zwar im Interesse des Finanzinvestors Blackrock, von dem Merz als Aufsichtsrat ein dickes Gehalt einstreicht. Für die Menschen und die Gesellschaft wäre es aber eine Katastrophe.

Statt uns selbst und unsere Gesellschaft noch stärker unberechenbaren Finanzmärkten auszuliefern, müssten diese Märkte stärker reguliert und gezähmt werden. Statt alle zu Aktionären zu machen, müssten auch Kapitaleinkünfte aus den enorm gewachsenen Aktien- und Immobilienvermögen zur Finanzierung der gesetzlichen Rente herangezogen werden!

Altersarmut wird unterschätzt

Die Union macht nicht nur gruselige Vorschläge in der Rentenpolitik. Auch das Ausmaß der Altersarmut wird von ihr kleingeredet. Dass uns massenhaft Altersarmut drohe, hält CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn beispielsweise für „totalen Quatsch“ – schließlich würden nur drei Prozent der über 65-Jährigen soziale Grundsicherung vom Staat beziehen. Dagegen wären fünfmal so viele Kinder von Hartz-IV-Leistungen abhängig.

Ich finde, es nicht nur schäbig, beim Thema Armut bedürftige Kinder gegen bedürftige Alte auszuspielen. Es führt auch in die Irre, aus der Inanspruchnahme der Grundsicherung auf die Bedürftigkeit zu schließen. Viele alte Menschen – Schätzungen zufolge zwischen 40 und 50 Prozent – scheuen den Gang zum Sozialamt, obwohl sie Anspruch auf Leistungen hätten. Und ist man mit einem monatlichen Einkommen von 840 Euro etwa nicht mehr arm, weil man ab Einkünften von 830 Euro – oder ab einem Vermögen von 5000 Euro, selbstgenutztes Wohneigentum ausgenommen – keinen Anspruch auf Grundsicherung im Alter mehr hat? Wohl kaum. Nach der gängigen EU-Definition liegt die Armutsschwelle bei 60 Prozent des Durchschnittseinkommens. Danach galten im Jahr 2018 alle alleinlebenden Personen mit einem monatlichen Nettoeinkommen unter 1.035 Euro als arm. Die so definierte Armutsquote liegt für Rentner und Pensionäre bei rund 15 Prozent – Tendenz steigend.

Kein Profit mit der Pflege!

Das große Problem der verdeckten Altersarmut verweist darauf: Es geht vielen alten Menschen nicht nur ums Geld. Es geht um die eigene Würde, die manche als verletzt empfinden, wenn man gegenüber Behörden als „Bittsteller“ auftreten muss. Es geht um Selbstbestimmung, um die Wertschätzung von Lebensleistung, um Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

„Den Grad der Zivilisation einer Gesellschaft kann man am Zustand ihrer Gefangenen ablesen“, hat der russische Autor Fjodor Dostojewski einmal geschrieben. Neben einem Blick in die Gefängnisse und Psychiatrien lohnt dabei auch ein Blick in die Pflegeheime, in denen aktuell rund 900.000 Menschen vollstationär versorgt werden.

Dass dort vieles im Argen liegt, ist lange bekannt. Täglich kommt es in deutschen Pflegeheimen zu etwa 340.000 freiheitsentziehenden Maßnahmen (1) – mitunter sind diese nötig, oft aber werden alte Menschen auch mit Medikamenten ruhiggestellt, fixiert oder in Räumen eingesperrt, weil Pflegekräften schlicht die Zeit für menschliche Zuwendung fehlt.

Auch die Ursachen dieser Misere sind lange bekannt: Die Pflegeeinrichtungen beschäftigen zu wenig Personal, nach wie vor ist der Pflegeberuf zu schlecht bezahlt, die Arbeitsbedingungen sind so hart, dass sich nur ein Viertel der Altenpflegerinnen und Altenpfleger überhaupt vorstellen kann, den Beruf bis zur Rente auszuüben. Zwar gibt es inzwischen Bemühungen, den Beruf attraktiver zu machen – doch da die Pflegeversicherung keine Vollversicherung ist, steigen damit die Kosten für die Menschen mit Pflegebedarf und ihre Angehörigen. Und diese sind schon jetzt zu hoch: Wer heute im Pflegeheim lebt, zahlt im Durchschnitt 2.000 Euro monatlich aus eigener Tasche drauf.

Hinzu kommt: Seit Einführung der Pflegeversicherung 1995 gibt es mehr und mehr private Betreiber von Alten- und Pflegeheimen, ihr Anteil ist von 26 Prozent auf über 40 Prozent gestiegen. Gerade in den letzten Jahren hat sich die Pflege zu einem beliebten Investitionsfeld für Renditejäger, Hegefonds und Immobilienhaie entwickelt – und da Personalkosten 70 Prozent und mehr der Gesamtkosten ausmachen, sind Personalkürzungen ein beliebtes Mittel, um Renditen zu steigern.

Natürlich sind nicht alle privaten Heime schlecht, doch die Vorstellung, dass Marktmechanismen in der Pflege für ein gutes Angebot sorgen würden, ist mehr als naiv. Gerade weil die Nachfrage nach Plätzen das Angebot vielerorts übersteigt, werden selbst Pflegeheime, in denen alte Menschen schlecht versorgt werden, nicht vom Markt gefegt, sondern können auch noch überhöhte Preise durchsetzen.

Die Linke kämpft dafür, diese Zustände zu überwinden. Nötig sind mehr Pflegekräfte, die besser bezahlt werden müssen und deren Arbeitsbelastung reduziert werden muss, damit sich ausreichend Bewerber für diesen Job finden. Gleichzeitig müssen pflegende Angehörige finanziell und organisatorisch sehr viel stärker unterstützt werden, denn sie leisten eine für die Gesellschaft wichtige und unersetzliche Arbeit. Die Pflegeversicherung müsste endlich zu einer Vollversicherung ausgebaut werden, die solidarisch von allen finanziert wird. Und schließlich muss es verboten werden, dass man mit der Pflege alter Menschen Profite erwirtschaften kann, die an irgendwelche Investoren ausgeschüttet werden!

Gemeinsam kämpfen

Was erwartet uns, wenn wir alt sind? Je länger man darüber nachdenkt, desto mehr Angst kann man bekommen. Doch „wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt“ (Ernst Bloch) –, daher lasst uns auch fragen: Was erwarten wir vom Alter? Warum sollte es keine schöne und produktive Zeit sein, in der wir befreit von Zwängen des Erwerbslebens unsere Erinnerungen und Erfahrungen aufarbeiten und anderen mitteilen? Warum sollte es nicht gelingen, eine solidarische Renten- und Pflegeversicherung durchzusetzen, die einen würdigen Lebensabend für alle sichert? Muss es denn so bleiben, dass viele alte Menschen arm und einsam sind, dass man das Alter mit politischem Stillstand oder Rückständigkeit verbindet, dass „alte weiße Männer“ in Teilen der Linken gar als Feindbild gelten?

Ich wünsche mir eine politische Kultur, in der alte und junge Menschen voneinander lernen und zusammen kämpfen, statt sich nur in eigenen „Szenen“ um sich selbst zu drehen.

Lasst uns das Alter zu einer rebellischen Lebensphase machen, in der wir mit geschärftem Blick für das Wesentliche – und befreit von der Furcht vor negativen beruflichen Konsequenzen – für ein besseres Leben kämpfen – für uns selbst und folgende Generationen!

 

Quellen und Anmerkungen:

(1) Die Quellenangabe kann dem Buch „Rente und Respekt! Das rot-rote Buch fürs Älterwerden“ entnommen werden.

 

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Rente und Respekt“, herausgegeben von Diether Dehm und Christian Petry, mit Texten von Sahra Wagenknecht, Konstantin Wecker, Bascha Mika, Martin Schulz, Lothar Binding, Ralf Kapschack, Matthias W. Birkwald, Matthias Miersch, Pia Zimmermann, Żaklin Nastić. Das Buch erscheint am 25. Februar 2020 im „Verlag Das Neue Berlin“, einem Imprint der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

 

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Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuvor erschienen ist

Anzeigen von 5 Kommentaren
  • Ruth
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    Das, was hier angeführt und beklagt wird, das habe ich teilweise erlebt und gemeinsam mit meiner Mutter erlitten! In einem früheren Kommentar habe ich dies bereits geschildert.

    Herr Spahn ist immer vollmundig und ja so kompetent und engagiert unterwegs – insbesondere bei der Behebung des Pflegenotstandes und „steht’s bemüht“, was das heißt, das wissen die meisten – uns die Aufstockung des Pflegepersonals als seine oberste Priorität zu verkaufen!

    Wie soll das umgesetzt werden, wenn kein ausgebildetes Personal zu Verfügung steht, da die Gehälter viel zu gering sind! Sein Engagement konzentriert sich auf seine Person und sein Platz in der dankbaren „Branche“, der wird bereits freigehalten!

    Pflegenotstand und Altersarmut ist wieder einmal in den „gewollten Hintergrund“ getreten, denn sonst müsste man das eigene Versagen kundtun!

    Ich sage dies, trotz aller Lobbekundungen für Herrn Spahn; mir sind diese schleierhaft!

  • Ruth
    Antworten
    Noch ein weiterer Gedanke zur   Rente!

    Sparen, sparen und Du wirst im Alter belohnt!?

    Wovon, wenn Niedriglöhne zum Alltag vieler Menschen gehört? Die Länder sich aus dem Sozialwohnungsbau weitestgehend zurückgezogen haben, Ganztagsschulen zu wenig gefördert werden, genügend Kitaplätze fehlen  und somit ein Gehalt nicht reichen wird und Frauen ein weiteres Mal von Altersarmut betroffen sein werden!

    Aber jetzt wird ein neues perfides Argument angeführt: Der Staat muss investieren, in was? In die Infrastruktur, in die innere Sicherheit, in den Wohnungsbau usw.. !

    Erst alles marode sparen, dann die Finanzierung einer würdevollen Rente infrage stellen, um sich wiederum hinter immensen Kosten einer umfangreichen Sanierung verstecken zu können!

    Von Beratergebühren und „verscheuerter “ zigfacher Millionen, darüber ließe sich wahrlich eine Posse zeichnen, wenn es sich nicht um eine unglaubliche Verantwortungslosigkeit handeln würde!

    Die Rente ist sicher, aber du bist trotzdem arm!

     

  • Hope
    Antworten
    Wenn ich vom meinem Vater nicht nach seiner Devise: ” Vogel friß oder stirb” erzogen wäre, würde ich wahrscheinlich schon längst irgendwo im Wald an einem Baum hängen.  Ich kenne Armut seit meiner Kindheit. Was ist Altersarmut? Ich habe 1040 Euro Rente für 2 Personen, nicht für eine! Oh, gucke mal, da wird ja bald Rentensteuer fällig. Meine Frau hat 2 Kinder erzogen und wartet mit ihren Kindereziehungszeiten auf ihre Rente in Höhe von ca. 300 Euro die in 10 Jahren fällig wird. Weil sie ja damals unsere 2 Kinder erzogen hat, während ich gearbeitet habe, hat sie heute die neoliberale Arschkarte gezogen.

    Ich gehe jetzt auf die Straße und protestiere. Wie lange wird es dauernd, bis keine Rechtsradikalen mich fixiert sehen wollen? Werden es Linke sein? oder Rechte? oder die Mitte?

  • Volker
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    Es geht um Selbstbestimmung, um die Wertschätzung von Lebensleistung, um Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

    Sorry, aber auf den nichtssagenden Begriff der “Lebensleistung”, sollte in Zukunft verzichtet werden (gerade von den Linken), da er ebenso als Kampfbegriff gegen diejenigen ständig verwendet/missbraucht wird, die keine ausreichende! “Lebensleistung” vorweisen! können, aus welchen persönlichen/menschlichen/sysembedingten Gründen auch immer.

    Quasie sich dem kapitalistisch geprägten hohen Ziel geschätzter Leistung selbst verweigern (?). Demnach wäre Lebensleistung – so wird es jedenfalls vermittelt – ein Gradmesser/Punktesystem für ein menschenwürdiges Leben im Alter. Zugestandene Würde nach Punkten, das dieses System der Menschenmaximierung wertschätzend gewährt noch, aber Selbstbestimmung durch Druck sowie Bestrafung weitgehend verweigert.
    Soweit zu diesem Begriff, der manipulativ gesellschaftlich fest verankerte wurde und Menschen nach messbaren Werten einstuft, als Vorleistung politisch anerkannter Würdeverteilung.

    Wer über Lebensleistung entscheidet, der sogenannte Leistungsträger, entscheidet gleichsam über Leben sowie dessen Berechtigung.

  • manfred
    Antworten

    Gott schuf das Paradies – der Mensch den Markt.

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