Der rhetorische Rauswurf der Armen aus Griechenlands Rechtsgemeinschaft

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

201. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Der Zufall will es so: erneut muss in diesem Bericht über das Wohnen – und Nicht-mehr-wohnen-Können – in Griechenland berichtet werden. Oder steckt mehr als nur Zufall dahinter? Nämlich systematische Rechtsvertreibung von Griechen aus ihrem eigenen Land? Des weiteren: ein markantes Beispiel dafür, wie man auch mit wahren Zahlen lügen kann. Und schließlich (aber klar doch): das neueste Spendenergebnis für unsere Hilfsaktion. Holdger Platta

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

eine in jedweder Hinsicht ruhige Woche liegt hinter uns: unsere Griechenlandfahrer haben ihre Planungen für ihre Reisen in den sozial bedrängten Staat im östlichen Mittelmeer noch nicht abgeschlossen (unmittelbar droht aber keinem der von uns betreuten Menschen irgendeine Notsituation!). Und auch das Spendenergebnis, das während der letzten sieben Tage zusammenkam, zeigt weder einen außergewöhnlichen Anstieg an noch einen dramatischen Einbruch. 4 UnterstützerInnen bedachten uns mit einem Betrag von 100,- Euro an Neuspenden, in der Vorwoche hatte ein Spender 200,- Euro an uns überwiesen. Dank selbstverständlich wieder einmal allen Helferinnen und Helfern. Und Dank auch wieder einmal allen aktiven Mitgliedern in unserem Team. Zuverlässig wie immer schickte mir unser Kassenwart Henry Royeck am heutigen Montag die neuesten Spendenzahlen zu, zuverlässig wie immer wird sich auch dieses Mal Roland Rottenfußer um das „Einpflegen“ meines Berichtes auf HdS kümmern. Und unsere “Außenhelfer” Evi und Tassos Chatzatoglou sowie Uschi und Kalle Apel behalten zuverlässig wie stets die Situation der Menschen im Auge, denen wir helfen beim Überstehen der Krisensituation in Griechenland.

„Krisensituation in Griechenland“? – Nun, der Redakteur der „Griechenland Zeitung“ (GZ) Gerd Höhler hat in „boehme-zeitung.de“ sogar das Gegenteil verkündet. „Herkules kommt zu Kräften“ überschrieb er einen Dreispalter dort, und in der Unterzeile zu diesem Artikel heißt es: „Griechenland in der Krise? Von wegen : Athen beeindruckt mit guten Wirtschaftsdaten“. Tatsächlich? – Nun liest man sich Höhlers Beitrag etwas genauer durch, stellt man ziemlich rasch fest: der Journalist teilt in seinem Kurzbericht lediglich optimistische Prognosen des derzeitigen Regierungs-Chefs in Griechenland, Kyriakos Mitsotakis, mit, und ausgespart in seinen Mitteilungen bleibt völlig die Lage des unteren Bevölkerungsdrittels dort.

Muss ich daran erinnern, dass Höhler damit nur bestätigt, was an dieser Stelle schon mehrfach angesprochen und analysiert worden ist: Griechenlands Weg in eine „Zwei-Drittel-Gesellschaft“? Und dass diese Entwicklung, bei der das untere Drittel der Einwohner Griechenlands mehr und mehr auf der Strecke bleibt, gerade nicht als gut bezeichnet werden kann – und mit dieser Pauschalität, wie Gerd Höhler es formuliert hat, schon gar nicht?

Ein Beispiel derart beschönigter Berichterstattung liefert in diesem Zusammenhang auch die neueste Ausgabe der „Griechenland Zeitung“ selbst, die Ausgabe vom 15. Januar des immer noch jungen Jahres 2020: dort verkündet die GZ-Redaktionskollegin von Gerd Höhler, Elisa Hübel (unter dem Kürzel GZeh), dass die Arbeitslosenrate im Oktober 2019 auf 16,6 Prozent gesunken sei (nach Angaben der griechischen Statistikbehörde ELSTAT). Das entspreche “nur noch” einer Arbeitslosenzahl von 780.913 Betroffenen und stelle den niedrigsten Stand dar seit 2011. Zwar räumt die GZ-Redakteurin ein, dass die Arbeitslosenrate bei den 15- bis 24-Jährigen mit 35,6 Prozent immer noch „gravierend“ sei, aber auch in dieser „Altersklasse“ sei gegenüber den Jahren davor ein deutlicher Rückgang festzustellen, als weit über die Hälfte dieser jungen Menschen ohne Arbeit gewesen sei. “Vergessen” wird freilich dabei, dass die meisten der neuen Arbeitsplatzgewinner von ihren Löhnen kaum bis gar nicht leben können – menschenwürdig schon gar nicht. Zwischenbilanz also:

Wer bestenfalls die Hälfte der relevanten Wirtschaftsdaten mitteilt, präsentiert ein zutreffendes Bild von der katastrophalen Lage des unteren Bevölkerungsdrittels keineswegs. Man kann auch mit wahren Fakten die Wahrheit verschweigen. Und kein Wirtschaftsexperte mit verbliebenem Restverstand, kein Ökonom, der immer noch über eine funktionierende, über eine humane Ethik verfügt, teilt nur halbe Wahrheiten mit. Kurz also: mit solcher Berichterstattung wird schlicht über die Not der Menschen ganz unten hinweginformiert. Den Kopf in den Wolken, sieht man nicht mehr, wie es tatsächlich auf Erden zugeht. Und das Elend der vielen Menschen ganz unten sieht nicht, wer lediglich auf irgendein selektiertes Zahlenmaterial blickt.

Immerhin: gleich neben diesem Kurzbericht zum Sinken der Arbeitslosenrate in Griechenland findet sich noch ein zweiter Artikel derselben Verfasserin, ein Bericht zur steigenden Wohnungsnot in Griechenland. Unter dem Titel „Versteigerung von Immobilien nimmt deutlich zu“ teilt sie den LeserInnen mit, dass mehr und mehr Griechen und Griechinnen ihre Häuschen verkaufen müssen. Nebenbei: anders als in Deutschland vorherrschende Wohnform, nicht das Wohnen zur Miete – vor allem auf dem flachen Lande, außerhalb der Großstädte in Griechenland. Bedeutet: bei Wohneigentum in diesem Mittelmeerstaat bitte nicht Villenbesitz assoziieren!

Nun, in diesem Einspalter teilt Elisa Hübel uns LeserInnen mit, dass wegen der Überschuldung von Kreditnehmern, die ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen können, die Anzahl der Zwangsversteigerungen von Haus- und Wohnbesitz „stetig“ (!) zugenommen hat. „2019“, so schreibt die Autorin, „fanden knapp 18.500 Versteigerungen statt… 6.422 davon allein im letzten Quartal des Jahres [= 2019. HP]“. Und bereits jetzt, so Elisa Hübel, stünden 4.000 weitere Immobilien zum Verkauf an. Das alles aber bedeutet: im vorliegenden Fall genügt bereits die schlichte Kombination zweier Nachrichten, um feststellen zu können, dass an der ganzen Sache was faul sein muss. Absinken der Arbeitslosenrate und Anstieg der Anzahl von Zwangsversteigerungen – das ergibt nur dann einen Sinn, wenn die „neuen“ Arbeitslöhne nicht mehr reichen (und die alten für die ärmere Bevölkerung ebenfalls nicht), um den hypothekenbelasteten Immobilienbesitz sichern zu können. Manchmal täte dem aktualitätsbezogenen Journalismus etwas mehr Analyse doch sehr gut! Es bewahrte davor, Regierungspropaganda einfach nur nachzuplappern. Oder naiv Zahlenangaben eines staatlichen Statistikunternehmens weiterzureichen an die geneigte Leserschaft.

Geradezu absurd ist deswegen auch, dass erneut in Athen vom Räumen besetzter Häuser zu berichten ist: im Stadtteil Koukai ist das schon wieder geschehen, und selbstverständlich ein weiteres Mal mithilfe der Polizei. Ich erinnere daran: es geht bei all diesen Räumungsaktionen nahezu ausschließlich um Häuser, die vorher leer standen, um Häuser, die zuvor obdachlos gewordenen Menschen wieder eine Unterkunft geboten hatten. Selbst dieser Ausweg soll den Betroffenen also genommen werden! Und wie kommentierte Regierungssprecher Stelios Petsas am vorletzten Wochenende diese Aktionen? – „Alle Griechen stehen auf der Seite der Organe des Gesetzes.“ – Demzufolge müssen die aus den Häusern – zum Teil neuerlich –vertriebenen Menschen allesamt keine Griechen gewesen sein. Oder wie soll man diesen Satz verstehen? Das aber heißt, auf Klardeutsch gesagt:

Zumindest in regierungsamtlicher Rhetorik kommt Obdachlosigkeit der Aberkennung der Staatszugehörigkeit gleich, Aberkennung der Tatsache, noch Mitglied einer Rechtsgemeinschaft – vorliegend der griechischen Rechtsgemeinschaft – zu sein. Doch Stelios Petsas setzte noch einen drauf und fügte hinzu: „Ohne Sicherheit gibt es weder Freiheit noch Demokratie“. Da fragt man nur noch: wessen „Sicherheit“ ist das, von der da gesprochen wird, wessen „Freiheit“ und wessen „Demokratie“? – So hört sich nicht Fürsorge für die Ärmsten der Armen an. So wird deren Rauswurf aus der griechischen Rechtsgemeinschaft proklamiert. Man könnte auch sagen: deren völlige Rechtlosigkeit. Dass Wohnen ein Menschenrecht ist wie Zugang zu Wasser und Wärme, wie Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, zu dem eben auch das Recht, wohnen zu können, gehört: das alles wird mit solchen regierungsamtlichen Sätzen für null und nichtig erklärt! Das ist genau jener brutale “Zweiklassenstaat“, von dem GZ-Redaktionskollege Dimos Chatzichristou in eben derselben Zeitung vor einigen Wochen sprach und worüber hier berichtet wurde. Das ist nicht mehr Sicherheit und Freiheit und Demokratie, das ist Abschaffung von Sicherheit und Freiheit und Demokratie.

Ich wiederhole deshalb, liebe HdS-Leserinnen und HdS-Leser, was ich bereits vor zwei Wochen so formuliert habe: wir werden weiter gebraucht. Und füge hinzu: auch mit unserer Analyse, auch mit unserem Protest, auch mit unserer Kritik. Und auch diesen Satz wiederhole ich: so bescheiden unsere Mittel auch sind, wir werden auch mit unserer Hilfe weiterhin zur Verfügung stehen.

Und deswegen erneut mein Aufruf zu Spenden für unsere Hilfsaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“.

Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“ auf das Konto:

Inhaber: IHW
IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21GOE

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an unseren Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.

Und wer, wie gesagt, noch etwas mehr tun will: auch unser gemeinnütziger Verein, die „Initiative für eine humane Welt (IHW) e.V.“, ist immer wieder erneut auf neue Hilfsgelder angewiesen, zur finanziellen Absicherung unserer Arbeit ganz generell. Diese Spenden bitte dann an dasselbe Konto, wie oben angegeben, jedoch mit dem Stichwort „GR-IHW“ versehen. Es sei wiederholt: wir würden uns riesig auch über diese Unterstützung freuen.

Mit herzlichen Grüßen wie stets
Euer Holdger Platta

Anzeigen von 3 Kommentaren
  • Peter Boettel
    Antworten
    Wie im obigen Bericht dargestellt, ist es wahrhaft ein Trauerspiel, wie die “Qualitätsmedien” über die Lage in Griechenland berichten. Kein Wort wird über die Probleme verloren, die wir wenigstens in den regelmäßigen Beiträgen „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“  lesen können.

    Hier zeigt sich deutlich, von wem ein Großteil dieser Medien gesteuert und die Berichterstattung über die wahren Verhältnisse in Griechenland manipuliert wird. Hierzu sei auch auf die Bücher “Meinungsmache” und “Glaube wenig, Hinterfrage alles, Denke selbst” von Albrecht Müller verwiesen. Deshalb ist es gut, dass wir die Wahrheit über die Situation in Griechenland in “Hinter den Schlagzeilen” erfahren können.

    Daher auch mein Appell an alle Leser, die GriechInnenhilfe sowie die Initiative für eine humane Welt (IHW) e.V. zu unterstützen.

    P.S. Vor wenigen Tagen hatte ich die Gelegenheit, die Grüße von Holdger Platta an Tina Strohecker auszurichten und natürlich auch zurückzugrüßen.

    • Holdger Platta
      Antworten
      Lieber Peter Boettel,

      vielen Dank für die freundlichen Worte – und vielen Dank auch für die Weitergabe der Grüße von Tina Stroheker!

      In der Tat: es ist manchmal gar nicht leicht, die Infos zusammenzubekommen, die ich Euch dann zu präsentieren versuche. Und manchmal bin ich auch unsicher, ob Ihr nicht viel lieber mehr über unsere Hilfsaktionen erfahren würdet. Da würde mich Eure Meinung sehr interessieren!

      Mit herzlichen Grüßen

      Holdger Platta

      • Peter Boettel
        Antworten
        Lieber Holdger Platta,

        meines Erachtens ist die Aufteilung von Informationen über die Lage in Griechenland und die Hilfsaktionen vollkommen in Ordnung.

        Eine andere Möglichkeit könnte allenfalls darin bestehen, je nach Bedarf und Informationslage getrennte Beiträge über die Hilfsaktionen einerseits und die Lage in Griechenland andererseits zu bringen.

        Mit herzlichen Grüßen

        Peter Boettel

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