„Dies ist ein Aufruf zur Revolution“, beginnt das Buch. Ungewöhnlich ist weniger dieser Satz als die Person des Mannes, der ihn geschrieben hat. Charles, damals britischer Thronfolger und Prince of Wales, heute nach dem Tod seiner Mutter, der ewigen Königin, einen Schritt weiter. Charles gehört seit seiner Geburt zu den bekanntesten Menschen dieser Erde. Aber nicht unbedingt zu den beliebtesten.
Wir meinen, schon alles über Prinz Charles zu wissen, über sein Leben, seine Familie und seine Frauen, aber die wenigsten interessieren sich dafür, woran dieser Mann glaubt. Millionen verfolgten in der Zeitung jedes bedeutende oder unbedeutende Ereignis seines Lebens. Glaubt man der Klatschpresse, hat er eine Frau, von der alle Welt meinte, dass er sie lieben sollte, zu wenig geliebt. Dafür liebt er bis heute eine andere, die eine statistische Mehrheit der Bevölkerung für zu wenig gutaussehend hält. Ist das wichtig? Geht es uns irgendetwas an?
Es ist wie bei der Wahl von Franziskus zum Papst 2013: Katholische Kirche wie britische Krone bleiben zutiefst fragwürdige, historisch belastete Institutionen. Doch ob es uns gefällt oder nicht — Papst wie King werden zeit ihres Lebens Weltstars bleiben, mit deren Aussagen und Taten uns die Presse wieder und wieder konfrontieren wird. Wir werden beide nicht so schnell loswerden. Ist es da nicht Glück im Unglück, dass die beiden alten Herren — Papst wie König — Personen von einigem guten Willen und philosophischem Tiefgang zu sein scheinen?
Werbetexter eines Prinzen
Charles kreuzte auf unerwartete Weise meinen Weg: als Autor eines Verlags, für den ich damals arbeitete. Ich hatte den Auftrag, freiberuflich Werbe- und Klappentexte für Buch-Neuerscheinungen zu verfassen — und da flatterte mir eines Tages eine ungewöhnliche Übersetzung aus dem Englischen auf den Tisch: „Harmonie“ hieß das Werk. Der Autor: „The Prince of Wales“. Ich hatte bereits von umfangreichen Aktivitäten des ewigen Thronfolgers gehört. Er war Schirmherr des Prince’s Trust, der benachteiligten Jugendlichen hilft, Gründer des Prince’s Rainforest Project und Förderer der biologischen Landwirtschaft. Charles setzte sich für die Rettung der gefährdeten roten Eichhörnchen in England ein und für eine menschengerechte Architektur.
All diese Aktivitäten musste er jetzt im Zuge seiner neuen, „höheren“ Weihen aufgeben und in andere Hände legen. Aber wir hatten Zeit genug, uns zu informieren, wes Geistes Kind der „Neue“ ist. Es handelte sich ja nicht — wie bei seiner Mutter — um eine plötzliche Schock-Inthronisation, vielmehr um ein Szenario, das der frisch gebackene King unzählige Male im Gedanken durchgespielt haben muss. Und viele von uns — als Zuschauer — auch. Der Name „Prinz Charles“ war zwischenzeitlich schon metaphorisch und mit hämischer Ironie verwendet worden. Christian Wulff, lange als Merkel-Nachfolger gehandelt, wollte zum Beispiel, so sagte er 2008, nicht der „Prinz Charles der Politik“ sein. Ein „Prinz Charles“ ist jemand, der lange wartet und doch nie oder erst sehr spät zum Zuge kommt.
„Konservativ“ im guten Sinn?
„Harmonie“ jedenfalls, sein Buch aus dem Jahr 2010, zeigt den Prinzen als den Philosophen des europäischen Hochadels, umfassend gebildet und dem Anschein nach voller Ehrfurcht für die Schöpfung. „Harmonie“ ist die Summe seines Wissens und seiner Lebenserfahrung und gibt plausible Antworten auf brennende Fragen unserer Gegenwart: Was bedeutet es, in einem positiven Sinne „konservativ“ — bewahrend — zu sein? Wie könnte eine Politik aussehen, die von mystischen und spirituellen Grundannahmen ausgeht? Schließlich: Was können wir alle tun, um die Schöpfung zu bewahren? Richtigem Tun geht nach Ansicht von Charles immer richtiges Denken voraus. Das schließt vor allem die Erkenntnis mit ein, dass wir alle Teil des Ganzen sind.
Kritiker warfen dem Prinzen vor, sich zu „verzetteln“, sich wahllos mal in diese, mal in jene Aktivität zu stürzen. Sie sahen nicht, dass für den illustren Ökofreak alles in einem größeren Zusammenhang stand und einem Ziel diente: die Natur wieder in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen und ihre Gesetze allem menschlichen Tun überzuordnen. Das gilt für Städtebau und Architektur ebenso wie für Landwirtschaft und Artenschutz, für Kindererziehung und Medizin wie für verantwortungsbewusste Formen des Wirtschaftens.
Gern wird ein darwinistischer Kampf ums Dasein als „natürlich“ angesehen. Für Charles bedeutet Natur eher die Verbindung von Vielfalt und Einheit. Darin liegt auch seine Definition der titelgebenden „Harmonie“. Es schließt vor allem Monokulturen aller Art aus: in der Landwirtschaft wie in der Kunst oder Medizin. Aber auch das menschliche Maß, der Verzicht auf Übergrößen ist natürlich. Ein Element von Freiheit gehört dazu — wenn sich etwa Flüsse, wie Victor Schauberger zeigte, ohne künstliche Begradigung und Begrenzung am besten entfalten. Und nicht zuletzt Schönheit, die Charles vor Funktionalität setzt, als intuitives Wissen, dass etwas „stimmt“. Warum sonst fühlen wir uns in einem alten, gewachsenen Stadtkern wohler als in Trabantenstädten voller Hochhausriesen?
Das Geheimnis der Schönheit
Große Meister der Kunst wussten um die Geheimnisse der Schönheit. Sie liegen in ausgewogenen Proportionen und in dem Prinzip, dass jeder Ausschnitt nur als Teil eines Ganzen seinen Sinn erhält. Hierzu zitiert Charles einen Satz von Wendell Berry, der für das gesamte Buch grundlegend ist: „Nichts existiert um seinetwegen, sondern nur um einer höheren Harmonie willen, an der es Anteil hat.“ Schönheit und ökologische Vernunft folgen also dem gleichen Grundsatz. Ist das „konservativ“? Prinz Charles wurde oft Technik- und Fortschrittsfeindlichkeit vorgeworfen. Er sagt dazu, er sei nur ein Feind der Art von Wissenschaft, die „nicht das Gesamtbild im Auge hat“ und die „unsere vernünftige und lebensnotwendige Verbindung zur Natur und zum Bereich jenseits des Materiellen zerstört hat.“
Warum kann uns nur das Natürliche retten? Weil auch wir Menschen Teil der Natur sind. „Wir sind nicht Herren der Schöpfung. Wie ausgefuchst und hoch entwickelt unsere Technik auch sein mag (…), wir sind Natur, wie alles andere auch.“ In der Vorstellung, Menschheit und Schöpfung wären getrennte Bereiche, liegt dem damaligen Prinzen zufolge die Wurzel aller destruktiven Entwicklungen in den letzten Jahrhunderten. Bei Studien an sakralen Bauten der Menschheit wie an Formprinzipien der Natur kam Charles zu einer faszinierenden Erkenntnis: Das Heilige und das Natürliche sind ein und dasselbe. So kann man „Harmonie“ nicht ohne eine spirituelle Komponente verstehen. „Ohne Ehrfurcht und Liebe, ohne eine spirituelle Anteilnahme sind wir in meinen Augen kaum mehr als eine zusammengewürfelte Gruppe von isolierten, selbstbezogenen Individuen.“ Charles outete sich damit als der vielleicht prominenteste Vertreter tiefenökologischen Denkens, wie es von Joanna Macy und Arne Naess in den 1970er-Jahren entwickelt wurde. Alles ist verwoben im großen Netz des Lebens.
Ein Rettungsplan für die Erde
So wie die Probleme eng miteinander verzahnt sind, sind es auch die Lösungen. Ein Rettungsplan für die Erde, der nur an einem einzigen „Hebel“ ansetzt, muss fehlschlagen. So berichtet Charles nicht nur über die katastrophalen Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte, er zeigt auch „Best Practices“, wie sie von Vordenkern und Pionieren des Neuen überall auf der Welt vorgelebt werden. Transition Towns greifen bei der Städteplanung auf die Erfahrungen unserer Vorfahren zurück und schaffen Wohnräume mit Seele. Komplementär- und Alternativmedizin soll helfen, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken. Selbstverwaltete Slums schaffen in der Dritten Welt Ansätze zu einem menschenwürdigen Leben. Und in Bhutan gilt statt des Bruttosozialprodukts das „Bruttonationalglück“ als Maßstab. In solchen Beispielen sieht Charles Hoffnung inmitten der Krise, die vor allem eine Krise des falschen Denkens und Wahrnehmens ist.
Die Denkweise des damaligen Prince of Wales lässt sich gut am Beispiel Landwirtschaft demonstrieren. Ein historischer Rückblick zeigt zunächst auf, wo die Weichen in der Vergangenheit falsch gestellt wurden. Justus von Liebig, der Vater der industrialisierten Landwirtschaft, studierte Mitte des 19. Jahrhunderts die Wachstumseigenschaften der Pflanzen — indem er sie zunächst zerstörte. Liebig verbrannte Pflanzen und untersuchte ihre Asche. Dabei fand er jene Mineralien, die als wichtige Nährstoffe das Pflanzenwachstum begünstigten. Charles kritisiert:
„Er war auch mitverantwortlich für die Ansicht der jungen Agrochemie, dass Pflanzen kaum mehr sind als eine Chemiefabrik.“
Die Ernteerträge stiegen zwar in der Folge von Liebigs Forschungen um ein Vielfaches, aber auch Monokulturen, ausgelaugte Böden und Vergiftung durch chemische Spritzmittel gehen auf sein Konto. Der materialistische Zeitgeist beging die gleichen Fehler, die auch auf anderen Gebieten — Architektur, Medizin und so weiter — feststellbar waren: Lebendige Organismen wurden als Maschinen aufgefasst, Pflanzen nur als Summe chemisch analysierbarer Kleinstpartikel. Das Einzelwesen wurde isoliert von seinem Kontext, dem Ökosystem, betrachtet.
Ein Steiner-Schüler auf dem Thron?
Ausgeblendet wurden dagegen die energetischen, spirituellen Aspekte des Lebens. Diese hat später umso mehr Rudolf Steiner betont, dessen landwirtschaftliches Konzept Prinz Charles ausdrücklich würdigt. Steiner warf Liebig vor, die Landwirtschaft aus dem Bereich des Lebens in den Bereich des Todes transportiert zu haben.
Als Folge haben wir seit vielen Jahrzehnten eine Landwirtschaft, die sich von ihrer Verbindung zur Erde gelöst hat. In der Fleischwirtschaft kommt noch eine unvorstellbare Grausamkeit gegenüber fühlenden Lebewesen hinzu. Charles geht auch hier auf historische Spurensuche und stößt auf den französischen Philosophen René Descartes, der behauptet hatte, Tiere seien nichts weiter als Maschinen ohne Gefühle. In Worten und drastischen Bildern beschreibt das Buch „Harmonie“ die Massentierhaltung und das Elend der „Nutztiere“.
Auch positive Gegenbeispiele finden in dem Buch Platz. Tim Waygoods Farm in Ostengland etwa ist ein Musterbeispiel biologischen Anbaus für den regionalen Markt und im Einklang mit der Natur. Charles zeichnet ein lebhaftes Bild von einem scheinbar chaotischen Farmbetrieb, wo Gänse und Enten unter Walnussbäumen und Eichen frei herumlaufen. Die Produkte aus 130 essbaren Pflanzen sind biologisch hochwertig, historisches Saatgut wird vor dem Aussterben bewahrt. Die Anlage dient „nebenbei“ dazu, behinderten Menschen einen vertrauten Umgang mit Tieren und Pflanzen zu ermöglichen.
Einheit in der Vielfalt, wechselseitige Unterstützung und Ergänzung der verschiedenen Lebensformen — das ist eigentlich das Modell der Permakultur. So besuchte Charles auch das Amazon Permaculture Institute bei Manaus (Brasilien). Es befasst sich mit der Verbesserung von Boden, der im Zuge von Regenwald-Abholzungen verwüstet wurde. Immer geht es auch um Synergien zwischen ökologischem und sozialem Nutzen. Etwa in der School Farm am Oathamm Community College in West Sussex. Neben Mathe und Biologie ist dort der Umgang mit Bauernhoftieren Teil der alltäglichen Erfahrung der Kinder. Dieser vermittelt ihnen ein Gefühl von Selbstwert und stärkt die Verbindung zu Boden und Natur.
Heiliger oder Sünder?
Natürlich kann man als kritischer Betrachter hier eine Menge Einwände erheben: Im Buch „Harmonie“ erfährt der Leser über Charles mit Sicherheit nur, was dieser von sich selbst gern zeigen möchte. Was ist das für ein „Heiliger“, der mit Diana und Camilla eine „Ehe zu dritt“ geführt hatte und über Jahrzehnte eine führende Rolle in einer durch die fortdauernde Geschichte des Kolonialismus historisch sehr belasteten Monarchie eingenommen hat? Auch der relative Weitblick dieses universell gebildeten Autors hat erkennbar seine Grenzen. So kritisiert Charles nicht ausdrücklich die Kriegspolitik von Tony Blair und dessen Nachfolgern. Er rührt nicht am verantwortungslosen Finanzgebaren der Londoner City. In Grundzügen deutet der Autor aber auch eine ökonomische Kehrtwende an: Eine Kritik an maßlosem Wachstum und an der Verabsolutierung des Profits liegt in der Logik seines Denkens:
„Die Banken und Finanzinstitute mögen zwar glauben, dass ihre Geschäfte kaum Auswirkungen auf die Umwelt haben (…), dabei sind sie es, die einen Großteil der Zerstörung dieser lebensnotwendigen Wälder durch ihre Darlehen und Investitionen finanzieren, unter anderem für Plantagen aus Ölpalmenmonokulturen.“
Nun ist der Philosoph König. Man könnte annehmen, unserer Erde und dem Niveau der Diskussion über ihr künftiges Schicksal könnten die verbleibenden Jahre des Spätberufenen guttun. Was mich in den vergangenen Jahren mit Blick auf seine Regentschaft eher hoffnungsvoll gestimmt hatte, waren die immer wieder lancierten Meldungen, maßgebliche Kreise wollten Charles gern „überspringen“ und seinen Sohn William zum König machen.
Der Grund: Charles sei zu politisch und überschreite damit seine Kompetenzen als nur repräsentierendes Mitglied des Königshauses. Plötzlich kamen Kritiker sogar auf die Idee, die Monarchie überhaupt in Frage zu stellen. Gegen diese schien nichts einzuwenden, solange Royals nur Füchse jagten, uniformiert in Afghanistan herumliefen oder als wandelnde Kleiderständer die Hochglanzmagazine zierten. Erst Charles brachte diese Kritiker gegen sich auf, weil er an den Denkgrundlagen unserer zerstörerischen Zivilisation rüttelte.
Die Windsors — eine dysfunktionale Familie
Die Geschichte von Charles ist — wie die des Hauses Windsor — voll von Licht und Schatten. Die Verbrechen der britischen Politik — stets abgesegnet von einer stoisch repräsentierenden Queen — sind nicht zu leugnen. Selbst eine Mitschuld des britischen Establishments am frühen Tod der unglücklichen Prinzessin Diana kann nicht ausgeschlossen werden. Als Denker und Aktivist erscheint Charles großenteils sympathisch.
Vielfach wurde er auch als Opfer eines ebenso schillernden wie absurden Lebensschicksals verstanden. Von seinem Vater früh in das Qual-Internat Gordonstoun gesteckt, stets im Schatten seiner emotional zurückhaltenden Mutter, als Sonderling mit Segelohren verspottet, später als Ehebrecher abgekanzelt, des Throns unwürdig. Die liebe Verwandtschaft hatte die Heirat mit seiner großen Liebe Camilla anfangs mit der völlig absurd wirkenden Begründung verboten, diese sei keine Jungfrau mehr. Stattdessen wurde er zur Heirat mit einem Mädel gedrängt, das er kaum kannte und offenbar nicht lieben konnte.
Dabei war das Traditions- und Schicklichkeitsgetue schon damals, Anfang der 1980er, pure Heuchelei gewesen. Die Royals waren über mehr als 100 Jahre eine zutiefst dysfunktionale Familie gewesen. Soliden, in Wohlanständigkeit erstarrten Monarchen wie Queen Victoria, George V und Queen Mary sowie Elizabeth selbst folgten oft „Ausreißer“ und „Skandalnudeln“ wie Edward VIII, der auf die Krone verzichtete, um seine Geliebte, Wallis Simpson, zu heiraten. Dem Skandalpaar konnten außerdem enge Kontakte zu Nazigrößen nachgewesen werden. Ähnlich wie einigen der Schwestern von Prinz Philipp. Die Ehen der Queen-Kinder Charles, Anne und Andrew scheiterten. Ihrer Schwester, Prinzessin Margaret, wurde eine Liebesheirat verwehrt. Sie endete verhärmt und alkoholabhängig.
Der Schatten der „perfekten“ Queen
Es scheint, als ob die unbedingte Entschlossenheit der Queen zur Selbstdisziplin ihrer gesamten Umgebung ihren ungelebten Schatten aufzwang. Die Generation von Charles und Diana, Andrew, Fergie und Anne hat einen Spalt geöffnet, durch den für alle sichtbar ein Stück Wahrheit hereindringen konnte. Royals sind Menschen und fehlbar. Sie schlafen gern mit denjenigen Personen, die sie tatsächlich lieben. Und Beziehungen können scheitern.
Es scheint, als habe durch die allzu perfekte Geschichte von William und Kate dieser Spalt wieder verschlossen werden sollen. Doch die royale Idylle dauerte nicht lang. Charles Bruder, Prinz Andrew, verwickelte sich in einen Missbrauchsskandal und wurde seiner royalen Repräsentationspflichten enthoben. Prinz Harry und seine Frau Meghan verließen Großbritannien, nachdem sie einige Wahrheiten über die kalte Atmosphäre im Königshaus und über eigene psychische Probleme hatten durchsickern lassen.
Sowohl bei Andrew als auch bei Harry kann man von einem Kriegstrauma ausgehen. In dem wahnwitzigen Verlangen, aus verwöhnten Buben Männer zu schmieden, hatte man beide „im Dienst ihrer Majestät“ in den Falkland- beziehungsweise den Afghanistan-Krieg ziehen lassen. Harry prahlte in einem Interview sogar, es sei selbstverständlich, dass er im Krieg auch Menschen getötet habe. Später klagte er über Depressionen …
Es bleibt offen, ob sich die Monarchie über die Runden wird retten können, um weiter als Blume an der Kette neoliberaler und bellizistisch gesinnter Premierministerinnen und Premierminister süßlich zu duften. Unter Liz Truss, Elizabeths letzter Regierungschefin, deutet sich eine weitere massive Verarmung breiter Bevölkerungsschichten — analog zu Deutschland — an. Auch dort leiden die Menschen unter unbezahlbaren Energiepreisen, Arbeitslosigkeit und den Folgen der Coronamaßnahmen. Da kam dem politischen Establishment der Pomp eines königlichen Megabegräbnisses gerade zurecht. Wir erinnern uns, dass schon einmal ein royales Großereignis von massiven innenpolitischen Problemen und sozialen Grausamkeiten ablenken musste. Als Charles und Diana heirateten, regierte — Margaret Thatcher.
Keine zweite Elizabeth
Die Boulevard- und Mainstream-Presse schreibt über die Royals bis heute in einem erschreckend liebedienerischen Tonfall — wo man hinschaut, ein einziger literarischer Hofknicks. Dies ist verständlich, denn die Familie der Queen bedeutet für die Medien dasselbe, was eine Fußball-WM bedeutet oder der Eurovision Song Contest: Quote, Auflage, Werbeeinnahmen. Daher muss auf die Serie der Brüche oder Skandale immer eine Konsolidierung folgen, auf die Konsolidierung vielleicht wieder ein Skandal. Das Schlechteste, was Charles in dieser Situation tun könnte, wäre, es seiner Mutter gleichtun zu wollen, seine vielen Ecken und Kanten abzuschleifen und in repräsentativer Wohlanständigkeit zu erstarren.
Leider deutet sich genau dies jetzt an. Charles‘ Verhalten erscheint seit dem Tod seiner Mutter geglättet und von der Sorge überschattet, alles richtig machen zu wollen. Es scheint, als wäre ihm in seinen späten Jahren der Weihrauch zu Kopf gestiegen, der ihn und seine Familie gerade umwölkte, als glaube er selbst an die Illusion, die er als eine der Hauptfiguren zu erzeugen half. Dabei hätte gerade er Gelegenheit gehabt, auch infolge seines eigenen Leidens an der „heiligen Familie“ das Kulissenhafte dieser Inszenierung zu durchschauen.
Die Welt aber braucht keine zweite Elizabeth, sie braucht jemanden, der sich — gerade weil er den Vorteil hat, nicht ohne Weiteres abwählbar zu sein — entschlossen auf die Seite der Bevölkerung stellt. Denn so absurd die Idee eines Gottesgnadentums aufgrund von Geburt auch sein mag — eine Demokratie, die ganz offenbar immer gerade die Unfähigsten nach oben spült, ist ebenfalls kein Garant für geistige Brillanz auf den Spitzenpositionen. Da wäre ein Bürger-King mit breiter Allgemeinbildung und ethischen Ambitionen, jemand, der Zeit hatte, sich ausgiebig vorzubereiten und sich in der Welt umzuschauen, geradezu ein Hoffnung verheißendes Kontrastprogramm zu den Baerbocks, Kühnerts und Festers, die hierzulande das große Wort führen.
Umgestaltung als Elitenprogramm
Leider deutet vieles darauf hin, dass Charles die durch die ökologische Krise vielleicht notwendig gewordene Umgestaltung weiterhin als ein Elitenprogramm begreift, als etwas, was von Privilegierten wie ihm — wohlwollend zwar, aber doch zutiefst antidemokratisch — über die Menschen verhängt werden sollte, ohne ihnen ernsthaft ein Mitspracherecht einzuräumen. Schon im Juni 2020 rief der damalige Prince of Wales das Great-Reset-Projekt aus:
„Während wir uns von der Rettung zur Erholung bewegen, haben wir eine einzigartige, aber schnell schwindende Gelegenheit, Lektionen zu lernen und uns auf einen nachhaltigeren Weg zu begeben. Diese Gelegenheit hatten wir noch nie und werden sie vielleicht auch nie wieder haben. Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, die uns zur Verfügung stehen, denn wir wissen, dass jeder Einzelne von uns eine wichtige Rolle zu spielen hat.“
Was die politischen Inhalte betrifft — Nachhaltigkeit —, ist hiergegen nichts zu sagen. Die These vom „Gelegenheitsfenster“, das sich durch Corona auftat, lässt aber aufhorchen, weil es allzu sehr an die Rhetorik Klaus Schwabs erinnert. Später fügte Charles hinzu:
„Die Initiative TheGreat Reset soll sicherstellen, dass Unternehmen und Gemeinden sich besser erholen, indem sie nachhaltige Geschäftspraktiken in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stellen, während sie beginnen, sich von der Coronavirus-Pandemie zu erholen.“
Und: „Um unseren derzeitigen Kurs zu ändern, bedarf es mutiger und fantasievoller Maßnahmen sowie einer entschlossenen und zielstrebigen Führung.“ Gunnar Kaiser hat sich dem Thema Charles und der Great Reset ausführlich gewidmet.
Mutige Maßnahmen und eine entschlossene Führung
Die Worte des Prinzen klingen, wenn man nicht gelernt hat, wachsam zu sein, nicht sehr „gefährlich“, aber sie haben ihre Tücken. „Mutig“ heißt in der Politikersprache oft, dass eine Führungsperson Kritik und Widerstand aus der Bevölkerung tapfer aushält und sie de facto ignoriert. „Fantasievoll“ könnte heißen: Wir werden tun, was bisher noch niemand gewagt hat und was bisher als undenkbar gegolten hatte. Und eine „entschlossene und zielstrebige Führung“ dürfte sich über eines keine großen Gedanken machen: das Zögern unentschlossener und uneinsichtiger Bürger. Wenn Charles „Great Reset“ sagt, bleibt der Begriff bei ihm ziemlich unklar.
Der Royal, der die moderne Gesellschaft vor allem wegen ihrer Abweichung vom Ideal des „Natürlichen“ und „Harmonischen“ kritisiert hatte, machte nie den Eindruck, ein technokratischer Transhumanist zu sein, jemand, der eine Cyborg-Menschheit anstrebt. Das nekrophile Element, das die Reset-Philosophie sonst kennzeichnet, fehlt glücklicherweise bei ihm. Charles liebt ja Pflanzen, was ich zu schätzen weiß, und ist nie als Technik-Pionier in Erscheinung getreten. Dennoch signalisieren die Andeutungen des heutigen King Gefahr. Denn wenn jemand „Elite“ ist, dann doch der hoch privilegierte Sohn der Queen, der gelernt hat, dass ein Führungsanspruch nicht unbedingt mit Leistung und demokratischer Legitimation zu tun haben muss.
Charles verkörpert eine prädemokratische, feudalistisch-klerikale Gesellschaftsstruktur, die von Heinrich VIII. herkommt. Diese könnte sich mit den postdemokratischen Bestrebungen von Technokraten wie Klaus Schwab und dessen Nachfolgern zu einem unheilvollen alt-neuen Despotismus vereinen. Mutige Maßnahmen und eine entschlossene Führung — genau dies konnten wir während der Coronakrise ja beobachten.
Der royale „Revolutionär“
Charles sagt weiter: „Um unsere Zukunft und unseren Wohlstand zu sichern, müssen wir unser Wirtschaftssystem weiterentwickeln und den Menschen und den Planeten in den Mittelpunkt der globalen Wertschöpfung stellen. Wir brauchen nichts Geringeres als einen Paradigmenwechsel, der zu Maßnahmen auf revolutionärem Niveau und in revolutionärem Tempo anregt.“ Auch das klingt erst einmal nachvollziehbar, denn wer würde sich nicht um „den Menschen und den Planeten“ sorgen? Sorge bereitet hier vor allem des Prinzen Hinweis auf den revolutionären Charakter der Maßnahmen und auf ihr Tempo, von dem anzunehmen ist, dass es die den Maßnahmen Unterworfenen überfordern dürfte. Der King bevorzugt ein Szenario der Disruption, kein Stein soll mehr auf dem anderen bleiben — die Monarchie mit ihren im Wortsinn salbungsvollen Ritualen natürlich ausgenommen.
Was diese Umwälzungen inhaltlich bedeuten werden, bleibt unklar, abgesehen davon, dass mit Sicherheit radikale Klimaschutzmaßnahmen intendiert sind. Wird Charles dem humanistischen Ansatz seines Buchs „Harmonie“ treu bleiben, oder entwickelt er sich in der Spätblüte seines Schaffens — nunmehr ausgestattet mit noch mehr Macht und öffentlicher Aufmerksamkeit — zu einer Art Lauterbach mit Krone? Der deutsche Gesundheitsminister regte bekanntlich an, das bei Corona „bewährte“ Prinzip der Freiheitseinschränkungen nahtlos auf das Thema Ökologie zu übertragen: „Somit benötigen wir Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels, die analog zu den Einschränkungen der persönlichen Freiheit in der Pandemie-Bekämpfung sind.“
Kronprinz von Klaus Schwab?
Insgesamt verkörpert „His Royal Highness“ wohl wie nur wenige andere internationale Persönlichkeiten das Doppelgesicht der grünen Bewegung. Mit guten Absichten gestartet, „der Natur“ oder „dem Planeten“ zugewandt, auf der Basis durchaus zutreffender Gefahrenanalysen, wandeln sich auf die ökologische Frage Fixierte rasch zu monomanischen Correctness-Tyrannen, zu Dogmatikern, die im Furor der Weltrettung keine anderen Aspekte des Themas mehr als legitim anerkennen wollen.
Schon gar nicht „Peanuts“ wie Freiheit und Bürgerrechte. Schließlich hat Charles, ohne an seiner familiären Herkunft Schuld zu tragen, eines wohl buchstäblich mit der Muttermilch aufgesogen: die klare Aufteilung der Gesellschaft in „Ihr da unten“ und „Ich hier oben“. Seine Urerfahrung ist: Gleichheit an Chancen, Privilegien und Einflussmöglichkeiten gibt es ohnehin nicht, warum dann nicht meine Stellung nach Kräften nutzen — zum Wohl der „Gemeinschaft“ zwar, jedoch nach Wertmaßstäben, die ich allein festlege?
Ausgehend von dieser Prägung kann die Amtszeit des „King“ zweierlei Richtungen einschlagen: Charles könnte zum „I want you to panic“-Mahner in der Tradition einer Greta Thunberg oder eines Al Gore werden, in der Summe aber einen eher positiven Einfluss ausüben. Oder er könnte — im übertragenen Sinn — zum Kronprinzen von Klaus Schwab werden, dem Paten einer die Welt überrollenden Unmenschlichkeit, dessen Agenda er mit Plüsch, Pomp und einem großen Namen einen quasireligiösen Nimbus verleihen würde. Im letzteren Fall hätte man besser auf die verstorbene Prinzessin Diana gehört, die ihrem Ex-Mann kurzerhand die Eignung zum König absprach.
The Prince of Wales: Harmonie — eine neue Sicht unserer Welt, Riemann Verlag, 348 Seiten, Euro 24,95