Der Showdown

 In FEATURED, Umwelt/Natur

Einen kosmischen Wimpernschlag später wird die Menschheit wohl ausgestorben sein. Im Exklusivinterview diskutieren Noam Chomsky und Graciela Chichilnisky die Frage, ob noch Hoffnung besteht. Wegen des Klimawandels und der wieder gestiegenen atomaren Bedrohung steht die Weltuntergangsuhr auf auf nunmehr zwei Minuten vor zwölf. Was gegen diese Entwicklung unternommen werden kann, erläutern der Intellektuelle Noam Chomsky und die Wirtschaftswissenschaftlerin Graciela Chichilnisky in diesem Interview.

Das Klima der Erde wird durch menschliches Handeln radikal verändert, wodurch ein ganz anderer Planet entsteht — ein Planet, der ein organisiertes menschliches Leben in einer Form, wie es für uns erträglich wäre, möglicherweise nicht mehr erhalten kann. Wie ernst ist das Thema Klimawandel? Bedroht die globale Erwärmung wirklich die menschliche Zivilisation? Kann sie rückgängig gemacht werden oder ist es dafür schon zu spät?

In diesem Exklusiv-Interview, das zuerst bei Truthout erschien, stimmen zwei Wissenschaftler — Noam Chomsky, einer der weltweit führenden bekannten Intellektuellen, und Graciela Chichilnisky, renommierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Autorität zum Thema Klimawandel, die den CO2-Zertifikatehandel des Kyoto-Protokolls formuliert und konzipiert hat — in einigen wesentlichen Punkten überein:

Erstens sind die globale Erwärmung und der Klimawandel die größte Herausforderung für die Menschheit und stellen vielleicht eine größere Bedrohung für unsere Spezies dar als die Atomwaffen. Zweitens sind die Operationen der kapitalistischen Weltwirtschaft wegen der übermäßigen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und eines perversen Verständnisses wirtschaftlicher Werte der Kern der Bedrohung durch den Klimawandel. Drittens muss die Welt so schnell wie möglich alternative Energiesysteme anwenden. Und schließlich ist es entscheidend, Technologien zu erforschen, die uns helfen, den Klimawandel rückgängig zu machen — da die Zeit abläuft.

Das Interview führte C. J. Polychroniou.

(Redaktionelle Vorbemerkung: Bitte beachten Sie, dass die Weltuntergangsuhr zum Zeitpunkt, als dieses Interview geführt wurde, auf drei Minuten vor Mitternacht stand. Da die globale Gefahrenlage inzwischen weiter eskaliert ist, wurde die Uhr zweimal eine halbe Minute vorgestellt und steht inzwischen auf zwei Minuten vor Mitternacht.)

C. J. Polychroniou: Unter Wissenschaftlern und sogar politischen sowie Sozial-Analytikern scheint ein Konsens zu entstehen, dass die globale Erwärmung und der Klimawandel die größte Bedrohung für den Planeten darstellen. Stimmen Sie mit der Ansicht überein? Warum?

Noam Chomsky: Ich stimme mit den Experten überein, die die Atomkriegsuhr für das Bulletin of Atomic Scientists einstellen. Sie haben die Uhr wegen der steigenden Atomkriegsgefahr und der Klimaerwärmung um zwei Minuten weiter Richtung Mitternacht verschoben — auf nun drei Minuten vor Mitternacht. Dies erscheint mir eine glaubhafte Einschätzung. Eine Überprüfung der Aufzeichnungen zeigt, dass es einem Wunder nahekommt, dass wir das nukleare Zeitalter überlebt haben. Es gab wiederholt Fälle, in denen wir einem Atomkrieg bedrohlich nahe kamen — oftmals durch eine Störung der Frühwarnsysteme und andere Pannen, manchmal infolge von höchst abenteuerlichen Handlungen politischer Führungskräfte.

Es ist nun seit geraumer Zeit bekannt, dass ein größerer Atomkrieg zu einem nuklearen Winter führen könnte, der den Angreifer wie den Angegriffenen vernichten würde. Und die Bedrohungen werden immer zahlreicher, vor allem an der russischen Grenze — was die Vorhersagen George Kennans und anderer bedeutender Persönlichkeiten bestätigt, dass sich die Ausweitung der NATO, gerade in der Art und Weise, wie sie unternommen wurde, als „tragischer Fehler“ erweisen wird, als „politischer Irrtum von historischer Dimension“.

Was den Klimawandel betrifft, ist sich die wissenschaftliche Gemeinschaft nun weitgehend einig, dass wir in eine neue geologische Ära eingetreten sind: das Anthropozän. In diesem wird das Klima der Erde durch menschliche Handlungen radikal verändert, wodurch ein ganz anderer Planet entsteht — ein Planet, der ein organisiertes menschliches Leben in einer Form, wie es für uns erträglich wäre, möglicherweise nicht mehr gewährleisten kann.

Es ist durchaus denkbar, dass wir bereits das sechste Aussterben erleben, eine Periode der massenhaften Auslöschung von Arten — vergleichbar mit dem fünften Aussterben vor 65 Millionen Jahren, als drei Viertel der Arten auf der Erde, offensichtlich durch einen gewaltigen Asteroiden, ausgelöscht wurden.

Das CO2 in der Atmosphäre steigt in einem Maß, das erdgeschichtlich seit 55 Millionen Jahren beispiellos ist. Man macht sich Sorgen — ich zitiere hier eine Erklärung von 150 ausgezeichneten Wissenschaftlern —, dass die „globale Erwärmung, verstärkt durch Rückkoppelungen mit der Polareis-Schmelze, der Methan-Freisetzung aus dem Permafrost und mit großflächigen Bränden, möglicherweise irreversibel wird“, mit katastrophalen Folgen für das Leben auf der Erde, einschließlich menschlichen Lebens — und dies alles nicht irgendwann in ferner Zukunft. Allein der Anstieg des Meeresspiegels und die Zerstörung von Wasserressourcen durch das Schmelzen von Gletschern könnten entsetzliche Folgen für die Menschen haben.

Graciela Chichilnisky: Man stimmt darin überein, dass der Klimawandel und die atomare Kriegsführung die beiden größten Risiken darstellen, denen die menschliche Zivilisation gegenübersteht. Wenn man davon ausgeht, dass die atomare Kriegsführung einigermaßen kontrolliert werden kann, ist der Klimawandel heute die größte Gefahr.

So schwierig es auch sein mag, das Risiko eines Atomkrieges zu beseitigen, bedürfte dies geringerer Veränderungen in der Weltwirtschaft, als es die Abwendung oder Umkehrung des Klimawandels verlangen würden. Der Klimawandel entstand durch die Nutzung von Energie für das industrielle Wachstum, das bis heute vorrangig auf fossilen Energieträgern beruht. Ein Wirtschaftssystem zu verändern, das auf ein unkontrolliertes, maßloses Wirtschaftswachstum versessen sowie zur Erreichung seiner Hauptziele auf fossile Energie angewiesen ist, ist viel schwieriger, als daran zu rütteln, wie Atomenergie für militärische Zwecke eingesetzt wird. Manche halten es sogar für unmöglich.

Nahezu alle wissenschaftlichen Studien weisen seit 1975 auf steigende Temperaturen hin, und eine kürzlich erschienene Geschichte in der New York Times bestätigt, dass die jahrzehntelangen Warnungen von Wissenschaftlern bezüglich der globalen Erwärmung nun keine reine Theorie mehr darstellen, schmilzt doch das Landeis und steigen die Meeresspiegel. Und dennoch gibt es noch immer Menschen da draußen, die nicht nur die weithin anerkannte wissenschaftliche Auffassung infrage stellen, dass der Klimawandel vor allem durch menschliche Handlungen verursacht wird, sondern sie bezweifeln auch die Verlässlichkeit von Oberflächentemperaturen. Denken Sie, dass dies politisch motiviert ist oder auch durch Unwissenheit oder sogar Angst vor Veränderung verursacht sein könnte?

Noam Chomsky: Es ist eine erstaunliche Tatsache unserer Zeit, dass im mächtigsten Land der Weltgeschichte — ausgestattet mit einem hohen Maß an Bildung und Privilegien —, eine der beiden politischen Parteien die wohlbekannten Fakten zum anthropogenen Klimawandel leugnet. In den Debatten zu den Vorwahlen im Jahr 2016 war jeder einzelne der republikanischen Kandidaten ein Klimawandel-Leugner — mit einer Ausnahme: John Kasich, der „vernünftige Moderate“, der sagte, es sei schon möglich, dass wir gerade einen Klimawandel erlebten, dass wir aber nichts dagegen unternehmen sollten.

Lange Zeit haben die Medien das Thema heruntergespielt. Die euphorischen Berichte über die US-Produktion fossiler Energieträger, Energie-Unabhängigkeit und so weiter erwähnen nur selten, dass diese Triumphe das Wettrennen in die Katastrophe nur beschleunigen. Es gibt noch andere Faktoren — unter diesen Bedingungen jedoch scheint es nicht überraschend, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung sich entweder den Leugnern anschließt oder das Problem als nicht sehr wichtig betrachtet.

Graciela Chichilnisky: Der Klimawandel ist neu und komplex. Wir haben nicht alle Antworten. Wir müssen noch immer zu verstehen lernen, wie die Erde genau auf erhöhte Konzentrationen von CO2 und anderen Treibhausgasen reagiert. Wir wissen, dass es dazu führt, dass die Meere sich erwärmen, das Eis an Nord- und Südpol schmelzen und ganze Küstenregionen in den USA und anderswo zu verschlucken beginnen, wie der Artikel in der New York Times dokumentiert.

Wir wissen, dass die sich erwärmenden, ansteigenden Meere ganze Inselnationen verschlucken werden, die etwa 25 Prozent der UNO-Stimmen ausmachen, — und vielleicht am Ende auch unsere Zivilisation. Diese Erkenntnis ist traumatisch und die erste Reaktion auf ein Trauma ist die Leugnung.

Und weil noch immer eine gewisse wissenschaftliche Unsicherheit besteht, ist die natürliche Reaktion, die stattfindende Veränderung zu leugnen. Dies ist normal, aber es ist sehr gefährlich. Die Anzeichen eines schwer durchschaubaren, aber abwendbaren Hausbrandes bedürfen des Handelns, nicht der Untätigkeit. Leugnung führt zu Sicherheit — allerdings zur Sicherheit des Todes. Dies trifft für Individuen wie auch für Zivilisationen zu.

Politische Parteien machen sich in Zeiten des Wandels oft Leugnung und Angst zunutze. Dies ist ein gut untersuchtes Phänomen, das oft zur Suche nach einem Sündenbock führt — man beschuldigt Außenseiter wie Immigranten oder rassische und religiöse Minderheiten. Dieses Phänomen liegt dem Brexit sowie der Gewalttätigkeit in den politischen Zyklen in den USA und der EU zugrunde. Nach der Leugnung kommt die Wut und schließlich die Akzeptanz. Ich denke, viele befinden sich noch zwischen Leugnung und Wut. Ich hoffe, sie werden die Akzeptanz erreichen, denn es ist noch Zeit zum Handeln — aber die Tür schließt sich schnell.

In globalen Umfragen sind die US-Amerikaner skeptischer als andere Menschen weltweit, was den Klimawandel betrifft. Warum ist dies so? Und was sagt uns dies über die US-amerikanische politische Kultur?

Noam Chomsky: Die USA sind in ungewöhnlich hohem Maße eine vom Business geführte Gesellschaft, in der kurzfristige Interessen von Profit und Marktanteilen eine rationale Planung verdrängen. Ungewöhnlich sind die USA auch bezüglich des hohen Maßes an religiösem Fundamentalismus. Die Folgen für die Erkenntnis der Welt sind außerordentlich — in nationalen Umfragen gibt fast die Hälfte der Befragten an, sie glauben, Gott habe die Menschen in ihrer jetzigen Form vor 10.000 oder weniger Jahren erschaffen und der Mensch hätte keine gemeinsamen Vorfahren mit den Menschenaffen. Ähnliche Überzeugungen betreffen die Wiederkunft Christi. Senator James Inhofe, der dem Umwelt-Senatsausschuss vorstand, vertritt die Ansicht vieler, wenn er uns versichert, dass „Gott noch immer da oben ist und es einen Grund dafür gibt, dass dies alles passiert“, weswegen es ein Sakrileg für den Menschen wäre einzugreifen.

Graciela Chichilnisky: Die Logik des „Can do“ (Anpackermentalität, Anmerkung der Übersetzerin) akzeptiert per se keine Beschränkungen. Und ein Imperium verfügt über keine elegante Möglichkeit, sich aus dieser Rolle herauszuentwickeln. Die Geschichte demonstriert dies immer und immer wieder. Der Versuch, eine privilegierte globale Position aufrechtzuerhalten, lässt den Wandel für die USA zu einem Trauma werden.

Die erste Reaktion auf ein Trauma ist, wie bereits erklärt, die Leugnung, dann kommt die Wut und schließlich das Annehmen. Ich denke, die USA befinden sich noch zwischen Leugnung und Wut, und ich hoffe, wir erreichen die Akzeptanz, weil im Moment perverserweise nur die USA über die für einen globalen wirtschaftlichen Wandel notwendige Technologie verfügen.

Neuere Daten zu den globalen Emissionen von Treibhausgasen weisen darauf hin, dass wir möglicherweise die Periode dauerhaft steigender Emissionen hinter uns gelassen haben. Ist Optimismus für die Zukunft der Umwelt angebracht?

Noam Chomsky: Gramscis „Optimismus des Willens“ ist immer angebracht. Es gibt noch immer viele Optionen, sie nehmen aber ab. Die Möglichkeiten rangieren von einfachen Initiativen, die leicht durchzuführen sind — wie die Wärmedämmung von Häusern, was auch noch viele Jobs schaffen würde —, über komplett neue Energieformen, hier vielleicht Fusion, vielleicht auch neue, tatsächlich ernsthaft vorgeschlagene Methoden zur Gewinnung von Solarenergie außerhalb der Erdatmosphäre, bis hin zu Dekarbonisierungs-Verfahren, die möglicherweise einen Teil des enormen Schadens rückgängig machen, der dem Planeten bereits zugefügt wurde. Und vieles mehr.

Graciela Chichilnisky: Dies sind gute Neuigkeiten und ein Schritt in die richtige Richtung. Aber die Straße ist meilenlang und der erste Schritt, wenngleich auch notwendig, bestimmt nicht den Erfolg. Es ist bei Weitem nicht genug. Des Problems sind sich sich nur wenige Menschen bewusst und es wurde erst kürzlich im Datenmaterial des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change; „Weltklimarat“) beobachtet: CO2 verbleibt jahrhundertelang in der Atmosphäre, sobald es einmal ausgestoßen wurde. Es zerfällt nicht, wie das Partikel oder Schwefeldioxid tun. Wir haben den Großteil unseres CO2-Budgets aufgebraucht und die CO2-Konzentrationen sind bereits gefährlich hoch — etwa 400 parts per million. Vor der Industrialisierung betrug dieser Wert 250. Das Problem besteht also darin, was wir bis jetzt getan haben und demzufolge, was rückgängig gemacht werden muss.

Laut dem Fifth Assessment Report des IPCC, Seite 191, müssen wir in den meisten Szenarien das CO2 entfernen, das wir ausgestoßen haben. Diese Emissionen fanden in jüngerer Zeit statt, hauptsächlich seit dem Zweiten Weltkrieg, also seit 1945 — einem Wendepunkt in der Weltwirtschaft. Dies war die Ära der US-Vorherrschaft und der Globalisierung, die auf einer übermäßigen Ausbeutung natürlicher Ressourcen armer Nationen und einem übermäßigen Verbrauch eben dieser Ressourcen durch die reichen Industrienationen beruhte — die Ära einer galoppierenden Vermehrung des Reichtums für ein paar Wenige und die noch schnellere und rekordmäßige Ungleichheit und Armut in der Weltwirtschaft als Ganzes. Dies ist die Kluft zwischen dem (globalen) Norden, der 18 Prozent der Weltbevölkerung beherbergt, und dem (globalen) Süden mit mehr als 80 Prozent.

Geht man davon aus, dass diese Veränderung im menschlichen Verhalten langsam vor sich geht und dass es mehrerer Jahrzehnte bedarf, bis die Weltwirtschaft sich hin zu neuen, sauber(er)en Energieformen verlagert —sollten wir eine technologische Lösung des Klimawandels anstreben?

Noam Chomsky: Alles, was praktikabel und potentiell wirksam ist, sollte erforscht werden. Es herrscht kaum Zweifel darüber, dass ein wesentlicher Anteil jeglicher ernsthaften Lösung technologische Fortschritte erfordern wird — dies kann jedoch nur ein Teil der Lösung sein. Andere bedeutende Veränderungen sind notwendig. Die industrielle Fleischproduktion trägt einen großen Teil zur globalen Erwärmung bei. Das gesamte sozio-ökonomische System beruht auf der Produktion für Profit und einem Wachstums-Imperativ, der nicht aufrechterhalten werden kann.

Und da sind auch noch grundlegende Fragen zu den Wertvorstellungen: Was ist ein gutes Leben? Sollte die Herr-und-Knecht-Beziehung toleriert werden? Sollten unsere Ziele wirklich in der Maximierung von Waren liegen, in Veblens „Geltungskonsum“? Da gibt es sicher höhere und erfüllendere Bestrebungen.

Graciela Chichilnisky: Wir scheinen keine Alternative zu haben. Ich würde gerne sagen, dass das Problem durch grüne Energiequellen in den Griff bekommen werden könnte. Diese können jedoch das Problem nicht mehr lösen. Viele Studien belegen, dass langfristige Lösungen, wie das Pflanzen von Bäumen, die ja maßgeblich für das menschliche Überleben sind, und die Nutzung saubererer Energieformen als langfristige Energie-Lösung, nicht mehr im entscheidenden Zeitrahmen genutzt werden können. Darin besteht das Problem.

Technologie ist ein vielköpfiges Monster und vielleicht wäre es besser, zu einer sichereren Vergangenheit zurückzukehren und technischen Wandel zu vermeiden — mag man versucht sein zu denken. UN-Studien haben jedoch gezeigt, dass wir einen Baum auf jedem verfügbaren Quadratmeter weltweit pflanzen könnten — gegen Ende des Jahrhunderts hätten wir damit nur höchstens 10 Prozent des CO2 gebunden, das wir reduzieren müssen. Dies bedeutet nun nicht, dass wir keine Bäume pflanzen sollten — das sollten wir, zugunsten der Biodiversität und unserer langfristigen Zukunft gemeinsam mit den anderen Arten.

Bäume und saubere Energie stellen die langfristige Lösung dar, wir haben jedoch keine Zeit, auf die lange Frist zu warten. Wir brauchen jetzt eine kurzfristige Lösung — eine, die den Übergang in eine langfristige Lösung anregt und unterstützt. Dies ist die vom IPCC vorgeschlagene Technik — das CO2 direkt aus der Luft zu entfernen. Ich bin Mitbegründerin eines Unternehmens — Global Thermostat —, das Wärme und Energie aus sauberen und fossilen Energiequellen wie Solaranlagen und Windfarmen nutzt, um CO2 aus der Luft zu entfernen. So haben wir eine kurzfristige Lösung, die das Erreichen einer notwendigen langfristigen Lösung ermöglicht und beschleunigt.

Viele in der progressiven und radikalen Gemeinschaft, darunter auch die Union of Concerned Scientists (UCS; übersetzt etwa „Vereinigung besorgter Wissenschaftler“, Anmerkung der Übersetzerin) sind so genannten Geoengineering-Lösungen gegenüber sehr skeptisch bis ablehnend eingestellt. Ist dies die andere Seite der Medaille der Klimawandel-Leugner?

Noam Chomsky: Dies scheint mir keine faire Bewertung zu sein. Die UCS und viele wie sie mögen recht haben oder nicht — sie führen jedoch ernsthafte Gründe an. Dies trifft auch für die sehr kleine Gruppe seriöser Wissenschaftler zu, die den überwältigenden Konsens infrage stellen. Aber die Massenbewegungen der Klimawandelleugner — wie die Führung der Republikanischen Partei und jene, die sie repräsentieren — sind ein völlig anderes Phänomen. Was das Geoengineering betrifft, so gibt es neben vielen positiven Beurteilungen auch seriöse allgemeine Kritik, die nicht ignoriert werden kann, beispielsweise die von Clive Hamilton. Es geht hier nicht um eine subjektive Beurteilung, die auf Vermutungen und Intuition beruht. Nein, dies sind Fragen, die ernsthaft betrachtet werden müssen, auf der Grundlage des besten verfügbaren wissenschaftlichen Sachverstands, ohne vernünftige vorbeugende Prinzipien aufzugeben.

Graciela Chichilnisky: Die Medizin könnte schlimmer als die Krankheit sein. Es wurden gewisse Geoengineering-Prozesse vorgeschlagen, die sehr gefährlich sein könnten und vermieden werden müssen. Geoengineering bedeutet, dass man die grundlegenden, umfassenden Prozesse der Erde verändert. Wir wissen wenig über die Folgen des Geoengineering-Verfahrens — so zum Beispiel das Aussprühen von Partikeln in die Atmosphäre, um die Erde vor den Sonnenstrahlen abzuschirmen und ihre Temperatur zu senken. Genau so verschwanden jedoch die Dinosaurier vor 60 Millionen Jahren von der Erde — wegen Partikeln durch einen Vulkanausbruch oder den Aufprall eines riesigen Meteoriten — und unsere Spezies könnte ihnen folgen.

Die Sonne ist die Quelle aller Energie auf dem Planeten Erde und wir können mit unserer einzigen Energiequelle nicht herumexperimentieren. Die Ozeane der Erde dahingehend zu verändern, dass sie mehr CO2 aufnehmen können — wie andere Geoengineering-Lösungen vorschlagen —, ist genauso gefährlich, weil der damit zunehmende Säuregehalt der Meere winzige Krustentiere wie das Krill töten würde, die die Basis der Lebenspyramide der Erde bilden, wie wir sie kennen.

Welche sofortigen, aber realistischen und durchsetzbaren Maßnahmen könnten oder sollten ergriffen werden, um die Bedrohung durch den Klimawandel zu bewältigen?

Noam Chomsky: Der schnelle Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, ein sehr deutlicher Anstieg der erneuerbaren Energien, die Erforschung neuer Möglichkeiten nachhaltiger Energie, signifikante Schritte in Richtung Naturschutz und nicht zuletzt eine weit reichende Kritik am kapitalistischen Modell der Ausbeutung des Menschen und der Ressourcen — auch abgesehen davon, dass es die externen Effekte ignoriert, ist dieses Modell praktisch ein Todesurteil für die Arten.

Graciela Chichilnisky: Hier ist ein Plan aus realistischen und durchführbaren Handlungen, die jetzt durchgeführt werden können, um der Klimawandelbedrohung Herr zu werden: Wir müssen das CO2 entfernen, das die industrielle Wirtschaft bereits ausgestoßen hat und das sonst über Jahrhunderte in der Atmosphäre verbleiben und das Klima der Erde irreversibel verändern würde. Es ist möglich, dies zu tun. Die Technologie zur direkten Entfernung des Kohlenstoffs aus der Atmosphäre existiert bereits und ist geprüft, sehr sicher und kostengünstig. Diese neue Technologie funktioniert, indem sie das CO2 direkt aus der reinen Luft — oder einer Mischung aus industriellen Quellen und reiner Luft — extrahiert und dabei als Energiequelle keinen Strom benutzt, sondern hauptsächlich die preiswerte Restwärme, die bei den meisten industriellen Prozessen anfällt.

Das aus der Luft entnommene CO2 wird auf der Erde stabilisiert, indem es mit Profit für sinnvolle gewerbliche Zwecke verkauft wird. CO2 aus der Luft kann Petroleum ersetzen — es kann bei der Plastik- und Acetatproduktion, für Karbonfasern als Ersatz für Metalle sowie bei der Herstellung von sauberen Hydrokarbonen wie synthetischem Benzin eingesetzt werden. Wir können CO2 dafür verwenden, Wasser zu entsalzen, die Gemüse- und Fruchtproduktion in Gewächshäusern zu steigern, unsere Getränke mit Kohlensäure zu versetzen und Biodünger herzustellen, der die Leistungsfähigkeit unserer Böden steigert, ohne sie zu vergiften. Die Kohlenstoff-vermindernde Technologie ist absolut notwendig — so berichtet in der UNFCCC (UN-Klimawandel-Rahmenkonvention), im Fifth Assessment Report des IPCC, Seite 191, und in vier Artikeln des Pariser Abkommens von 2015.

Gibt es eine Möglichkeit vorherzusagen, wie die Welt in 50 Jahren aussehen wird, wenn die Menschheit es versäumt, die globale Erwärmung und den Klimawandel zu bewältigen?

Noam Chomsky: Wenn die aktuellen Tendenzen weiter bestehen bleiben, wird das Ergebnis katastrophal sein — und es wird nicht lange dauern. Große Teile der Welt werden kaum noch bewohnbar sein, was Hunderte von Millionen von Menschen betreffen wird. Dazu wird es andere Katastrophen geben, die wir uns kaum vorstellen können.

Graciela Chichilnisky: Es ist einfacher, die Zukunft zu gestalten, als sie vorherzusagen. Jetzt müssen wir die Anforderungen des Zwischenstaatlichen UN-Ausschusses für Klimaänderungen und das Kyoto-Protokoll der UNO sowie die Vorschläge des Übereinkommens von Paris umsetzen: Wir müssen sofort das CO2 entfernen, das wir bereits in die Erdatmosphäre ausgestoßen haben, und die Emissionsgrenzen von Kyoto erweitern. Dies ist in den meisten Szenarien die einzige mögliche Alternative zu einem katastrophalen Klimawandel. Dies kann und muss getan werden.

Mit den Mitteln aus dem CO2-Zertifikatehandel des Kyoto Protokolls könnte in armen Ländern der Bau von Kraftwerken finanziert werden, die kohlenstoffnegativ arbeiten (also kein CO2 ausstoßen, sondern es der Luft entnehmen; Anmerkung der Übersetzerin). Kohlenstoffnegative Kraftwerke können mit Energie versorgen und gleichzeitig die Armut überwinden und die wirtschaftlichen Werte in die richtige Richtung verändern.

Der UN-CO2-Zertifikatehandel, der seit 2005 im Völkerrecht verankert ist, wird einen sehr nötigen Wandel in den globalen wirtschaftlichen Wertvorstellungen herbeiführen. Der durch neue Märkte für globale öffentliche Güter verursachte Wandel in den wirtschaftlichen Werten wird unsere globale Wirtschaft neu ausrichten und kann unter den richtigen Bedingungen die Befriedigung gegenwärtiger und zukünftiger grundlegender Bedürfnisse anstoßen. Genau das brauchen wir jetzt. Wir müssen unsere Zukunft fördern, anstatt das menschliche Überleben zu untergraben. Legen wir los.

Graciela Chichilnisky, Jahrgang 1944, ist eine argentinisch-US-amerikanische Mathematikerin und Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie hat sich insbesondere auf dem Gebiet der Umweltökonomik hervorgetan.

C. J. Polychroniou ist Wirtschafts- und Politikwissenschaftler, Autor und Journalist, der an Universitäten und Forschungszentren in Europa und den Vereinigten Staaten unterrichtet und gearbeitet hat. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der europäischen Wirtschaftsintegration, der Globalisierung, der politischen Ökonomie der Vereinigten Staaten von Amerika und der Dekonstruktion des politisch-ökonomischen Neoliberalismus.

Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Global Warming and the Future of Humanity: An Interview With Noam Chomsky and Graciela Chichilnisky”. Er wurde von Gabriele Herb aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.

Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.

Anzeigen von 2 Kommentaren
  • ert_ertrus
    Antworten

    Als Evolutionsskeptiker rechne ich mit Szenarien, wie sie in der BBC-Serie The Future is wild (über virtuelle Evolutionen in geologischen Äonen) angedacht und visualisiert worden sind: menschen-, gar säugetierfrei.

    Gier und Machtgeilheit der Mächtigen werden das in der Gefahr wachsende Rettende (frei nach Friedrich Hölderlin) als Unkraut vernichten …

  • Volker
    Antworten
    Jahrzehntelanges Versagen trotz eindeutiger Warnungen und Prognosen, und nun, wo es kein Zurück mehr gibt, soll Technik lösen, was Technik vernichtet, ganz schnell sogar, also morgen schon, sonst erleben wir die Schöpfung neu – nur rückwärts.

    Nebenbei: AKK macht sich Sorgen um das Wohlfühlklima deutscher Soldaten in Afghanistan, fordert bewaffnete Drohnen, um kleindeutsche Machtfantasien zu schützen, sprich: klimaneutrales Morden mit geringfügigem Materialverschleiß sowie Ressourcen.

    Geil, Annegret träumt von Overkill, während Geoengineering CO2 hinwegzaubern möchte, in Flaschen gepresst,  als Rohstoff der Zukunft, an Börsen gehandelt und durch Handelswege gesichert.

    Schon mal an eine Daseinsvorsorge-Versicherung gedacht?

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