Der Terror der Innovation

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Politik, Wirtschaft

Es muss nicht alles beim Alten bleiben — was wir uns aber bewahren sollten, ist die Freiheit zu wählen, ob wir uns einer Neuerung anschließen wollen. „Coronawelle“, „Flüchtlingsschwemme“, „Antragsflut“ — davor haben viele Angst. Wovor wir aber vor allem bewahrt werden müssen, ist die unsere Seelen überfordernde, übereilte und profitgetriebene Schwemme technischer Innovationen. Nicht alles Neue ist schlecht, und nicht alles Alte ist es wert, bewahrt zu werden — wir müssen uns aber die Freiheit erkämpfen, weiterhin wählen zu dürfen. Nicht der Zwang zum Download immer neuer Apps ist sinnvoller Fortschritt; dieser müsste sich vielmehr auf dem sozialen Sektor in Gestalt eines fortschreitend menschlicheren Umgangs miteinander vollziehen. Wenn jemand diese Haltung „konservativ“ nennt — okay. Roland Rottenfußer, Autor des Buchs „Strategien der Macht“, das am 20. März im Rubikon-Verlag erscheint, findet sie schlicht vernünftig.

 

Das Neue kommt zunächst auf leisen Sohlen daher — als eine Option unter vielen. So wurde in meiner Bank seit einiger Zeit beim Einloggen ins Onlinebanking immer die Frage gestellt: „Wollen Sie zum alten oder zum neuen Onlinebanking?“ Ich wählte immer das alte. Warum auch nicht? Es funktionierte, und ich kannte mich aus. Aber es war ja vorauszusehen: Nach einiger Zeit wurde aus dem Update-Angebot der Update-Zwang. „Das war keine Bitte“, sagte Captain Catherine Janeway in der Serie „Star Trek: Voyager“ manchmal zu ihrer Crew, wenn es ernst wurde. Gemeint war: Das war ein Befehl. Die Option, Nein zu sagen, gab es faktisch nicht. Ähnlich agieren auch die Anbieter technischer Tools immer häufiger.

Das „neue Onlinebanking“ konnte ich dann wider Erwarten doch ohne Probleme bewältigen. Doch ich darf mich nicht zu früh freuen. Immer noch erledige ich Bankgeschäfte mit dem kleinen „Kobil“-Überweisungsapparat, der einen auf dem Bildschirm aufblinkenden Balkencode scannt und mir dann eine TAN-Nummer auswirft, die ich einzugeben habe. Dieses System wird meine Bank aber schon bald nicht mehr kostenlos anbieten. Dann besteht faktisch Smartphone-Zwang. Das heißt, es wird mir beschieden, ich möge doch die Banking-App auf mein Smartphone downloaden. Wer keines besitzt —ich habe immerhin ein Gerät —, wird abgehängt. „Das war keine Bitte.“ Faktisch haben „Smartphone-Verweigerer“ eine Geldstrafe für ihr beklagenswertes technologisches Zurückbleiben zu zahlen.

Natürlich entwickeln sich die Weltgeschichte und auch die Technologiegeschichte immer weiter. Man bekommt im Jahr 2023 keine Grammofone und dafür geeignete Platten mehr. Aber mit dem Smartphone hat es noch eine besondere Bewandtnis. Es ist praktisch eine mobile Wanze. Ich kann damit „getrackt“, alle meine Kommunikations- und Surfbewegungen können überwacht werden. Dass mir das nicht gefällt, ist rational und politisch nachvollziehbar. Aber ich werde wohl nicht mehr lange eine Wahl haben. „Das war keine Bitte.“

Tyrannen der Tastatur

Sind Sie eigentlich noch Herr oder Herrin im eigenen Haus, oder haben längst technische Geräte das Sagen? Beantworten Sie den ersten Teil dieser Frage nicht zu schnell mit „Ja“! Gewiss, Sie sitzen an der Tastatur, die rechte Hand immer auf der Maus. Sie geben Steuerungsbefehle ein. Täglich unzählige Male. Und meist „gehorcht“ die Maschine. Das kommt dem Traum von uneingeschränkter Machtfülle schon sehr nahe.

Aber bedenken Sie bitte auch die vielen kleinen Vorfälle, bei denen Ihnen diese Macht aus den Händen gleitet: Pop-ups blenden sich ungerufen auf Ihrem Bildschirm ein. Sie klicken auf ein kleines Kreuzzeichen. Die Werbung verschwindet. An anderer Stelle erscheint aber eine neue. Die Anzeige ruckelt, verschiebt sich selbsttätig. Sie versuchen, das kleine Kreuzzeichen „abzuschießen“ wie bei einem Geschicklichkeitsspiel. Ein weiteres Fenster schiebt sich vor den Artikel, den Sie lesen wollen. Sie sollen personalisierter Werbung zustimmen. Sie wollen das nicht, klicken aber dennoch auf „Akzeptieren“, da keine Alternative angeboten wird. Ein weiteres Fenster öffnet sich. Sie klicken nochmals genervt und reflexartig auf „Ja“. Zu spät merken Sie, dass Sie damit „Push-Nachrichten“ des Website-Betreibers abonniert haben. Es ist jetzt eigentlich keine Zeit mehr, um den Artikel, um den es ursprünglich ging, zu lesen.

Sie wollen essen gehen. Sie schalten den Computer aus. Ein Fenster blendet sich jedoch ein, das ankündigt, das Programm werde jetzt selbstständig ein Update vornehmen. „Schalten Sie den Computer nicht aus!“, befiehlt ein Schriftzug. Am späten Abend wollen Sie noch mal in Ihr E-Mail-Postfach schauen. Das Programm fordert Ihr Passwort. Da Sie es sehr flüchtig eingetippt haben, heißt es: „Das Passwort ist ungültig.“ Sie sind genervt und hacken das Passwort nochmals in die Tastatur. Nach einiger Zeit wird Ihr Passwort gesperrt. Sie müssen ein neues beantragen …

Die unsichtbare Herrschaftselite

Nochmals gefragt: Sind Sie noch Herr oder Herrin des Verfahrens? Ich beschreibe hier nur einen Bruchteil der Schwierigkeiten, die jemand im Alltag mit Computertechnik haben kann. Und ich beschreibe nur jene Ärgernisse, die aus der Benutzung der Technik selbst resultieren. Von den Belästigungen durch Menschen, die Ihnen von ihren Endgeräten aus das Leben schwer machen und Sie an manchen Tagen mit einer nicht mehr bewältigbaren Flut von Anliegen überschwemmen, schweige ich an dieser Stelle.

Wir müssen hier einen Denkfehler vermeiden. Nicht „die Technik“ oder „das Programm“ sind es, die Ihnen die Kontrolle über Ihr Leben zunehmend entreißen — es sind jene Menschen, die all das programmiert haben. Menschen, die Ihnen persönlich nicht bekannt sind, die vielleicht auf der anderen Seite des Globus sitzen, die sich unerreichbar hinter der Anonymität eines eher verschwommen wahrnehmbaren Kollektivs verstecken.

„Irgendjemand“ ist es, der entschieden hat, dass die „Unlikes“ — die gesenkten Zeigefinger — unter einem YouTube-Video zwar noch angeklickt werden können, jedoch nicht mehr gezählt werden. Damit wird Ihr Recht beschnitten, Missfallen über ein Video zum Ausdruck zu bringen. „Irgendjemand“ bewirkt, dass auf YouTube mitten in Richard Wagners hoch aufwühlender Arie „Isoldes Liebestod“ eine Werbung für zwischen Semmelhälften eingeklemmte Fleischklopse aus Qualtierhaltung eingeblendet wird.

Würde jemand die Mühe auf sich nehmen wollen, sich darüber zu beschweren, hinge er am Telefon in einer Endlos-Warteschleife fest. Irgendjemand hätte dazu eine mit der Wiederholung immer unerträglicher werdende Säuselmusik programmiert. Wenn Sie dann endlich durchkämen, erwartete Sie kein Mensch, sondern ein von irgendjemandem programmiertes Sprachmenü: „Für sonstige Anliegen drücken Sie bitte die Sieben!“

Auch Ihr Auto — sofern es sich nicht um einen Oldtimer handelt — gebärdet sich vermutlich Ihnen gegenüber bereits ziemlich herrisch. Mit nervigem Gepiepse quittiert es jede Annährung an ein anderes Auto oder an einen festen Gegenstand. Auch wenn Sie noch reichlich Platz haben — was Sie als erfahrener Autofahrer einschätzen können —, signalisiert Ihr Gefährt durch seine Piepstöne: „Sie müssen jetzt Angst haben!“. Wenn Sie etwa beim Rückwärtsparken nicht einen Meter vor einer möglichen Karambolage anhalten, piepst Ihr Auto schneller. „Das war keine Bitte.“ Selbst um eine völlig harmlose Außentemperatur anzuzeigen, piepst es. Es ist, als hätten Sie Ihren privaten Karl Lauterbach mit dabei. Immer scheint er vor irgendetwas warnen zu wollen.

Die Witzfiguren unserer Zeit

Computer- und Kommunikationsspielzeug ist, wie heute schon feststellbar, nicht nur eines von vielen skurrilen Interessengebieten, denen man frönen, denen man sich aber auch entziehen kann. Die Vorantreiber derartiger Technologien versuchen diese den Uninteressierten aggressiv aufzuzwingen, sie für alle Menschen verbindlich zu machen und Verweigerer abzustrafen, indem sie sie von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausschließen. Jeder, der sich dem Neuen anschließt, trägt als Innovationsopportunist und unbezahlter Werbeträger der Innovationsanbieter dazu bei, die noch Unabhängigen an den Rand zu drängen.

Technisch Hinterherhinkende gehören dementsprechend zu den Witzfiguren unserer Zeit. Sie haben die Ostfriesen und Blondinen als Lachnummern der Saison abgelöst. „Dieses Internet — ich glaube nicht, dass sich das durchsetzen wird“, sagt der tumbe Schlagersänger Bruce Berger in Simon Verhoevens Film „Männerherzen“. Ein Brüller im Kino. Es gibt ganze Karikaturenbände mit „Computerwitzen“, in denen ein Technik-Analphabet eine lebende Maus an seinen Computer anzuschließen versucht oder Ähnliches. Wer — wie vor 15 Jahren ja auch — ganz gut ohne Smartphone leben kann, gilt als eine Art Technik-Amischer — analog zu jener US-amerikanischen Sekte, deren Mitglieder ohne Strom leben und mit der Pferdekutsche umherfahren.

Sind derartige Überlegungen „konservativ“? Dem Begriff haftet der Makel an, nach rechts zu tendieren. Bilder des behäbigen Helmut Kohl, von Heino, Trachtenjanker und dem 50er-Jahre-Film „Grün ist die Heide“ spuken bei diesem Wort durch unsere Köpfe. Wenn nicht Schlimmeres. Obwohl gerade auch Linke vom neoliberalen Modernisten gern als „Besitzstandswahrer“ beschimpft werden — also als Menschen, die bewahren möchten, was sich ihrer Meinung nach bewährt hat und was im Begriff ist, durch profitgetriebenen Reformwahn zerstört zu werden. Und auch ökologisch engagierte Menschen möchten etwas bewahren: ob sie das zu Bewahrende nun religiös aufgeladen als „Schöpfung“ oder schlicht als „Natur“ und „Umwelt“ bezeichnen.

Die große Entwurzelung

Ich selbst stehe fremdenfeindlichen und deutschtümelnden Weltanschauungen fern. Mein Begriff von „Heimat“ ist viel umfassender. Arbeitnehmern wird heute teilweise nicht einmal ein eigenes Zimmer gegönnt mit einer Wand drum herum, die sie mit Bildern schmücken können, die sie lieben. Sie müssen bereit sein, sich heute hier, morgen dort einzuloggen und wie Nomaden die beruflichen Menschlichkeitswüsten zu durchwandern. Die moderne Welt, das sind Großraumbüros oder Großraumabteile voll piepsender Handys und plappernder Wichtigtuer.

Wie konnte es so weit kommen? George Orwell erzählt von einem System, in dem es keine Solidarität mehr gibt außer zum Großen Bruder. Der Große Bruder von heute, das sind die Machtkartelle des Turbokapitalismus: Großkonzerne, Banken, willfährige Medien, IT-Giganten. Entwurzelte Menschen sind leichter manipulierbar, deshalb versuchen die technokratischen „Eliten“ alle bewahrenden Kräfte zu ironisieren. Ich selbst will den Status quo nicht „einfrieren“. Entwicklung ist unvermeidlich und oft auch gut. Aber das Tempo der Veränderung muss sich den Menschen und ihren Bedürfnissen anpassen, nicht umgekehrt. Heute haben wir es geradezu mit einem Innovationsterror zu tun. Die Menschheit hat es in allen Epochen versäumt, den Fortschritt einem „Glückstest“ zu unterwerfen — der Frage also, ob eine Veränderung die ihr unterworfenen Menschen tatsächlich zufriedener macht.

Diesen Vorwurf erhebt auch der Bestseller-Autor Yuval Noah Harari in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“. Selbst die frühesten „Kulturrevolutionen“ — etwa der Übergang von der Jäger- und Sammlergesellschaft zur sesshaften Agrargesellschaft — stehen bei ihm auf dem Prüfstand: „Obwohl sich Geschichtswissenschaftler mit fast jedem erdenklichen Thema beschäftigen — von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft über Geschlechter und Sexualität bis zu Krankheiten, Essen und Kleidung —, haben sie sich nie gefragt, welchen Einfluss das alles auf das Glück der Menschen hat. Das ist die größte Lücke in der Geschichtsschreibung.“ Freilich sollte man bei Harari als transhumanistischem Autor und Buddy von WEF-Gründer Klaus Schwab grundsätzlich vorsichtig sein. Aber da hat er recht, meine ich.

Das irrelevante Lebensglück

Es ist nicht unbedingt konservativ, es ist schlicht vernünftig und menschlich, die Zufriedenheit des Einzelnen und der Gemeinschaft als Ziel wirtschaftlichen Handelns anzuerkennen. Dazu braucht es die Freiheit, einen Lebensstil zu verwirklichen, der es der Seele erlaubt, zu atmen. Für viele Menschen bedeutet das: ein genügsames Leben ohne Hetze, erfüllende menschliche Beziehungen, Naturbezug und eine gesunde Balance von Leben und Arbeiten.

Leider gelten zufriedene Menschen aber heute als Feinde einer florierenden Wirtschaft. Sie weigern sich, den Herstellern von technischem Schnickschnack als Zielgruppe zur Verfügung zu stehen. Die Industrie geht deshalb immer mehr dazu über, den Konsumanreiz durch Konsumzwang zu ersetzen. Ist der Drucker zum Beispiel kaputt, behauptet der Hersteller, dass sich die Reparatur nicht lohne. Für den Preis bekommt man schon einen Neuen. Wird ein neuer Fernseher gekauft, muss ein HDMI-Kabel her, weil das Scart-Kabel nicht mehr kompatibel ist. Es herrscht der Zwang zum permanenten Update in immer kürzeren Rhythmen.

Ich interessiere mich für Natur, Musik und Literatur; andere Menschen interessieren sich für Fußball, Physik oder Technik — daran ist nichts Falsches. Jedes dieser Interessengebiete hat seine Berechtigung. Das Problem ist nicht, dass es Computerbastler gibt, sondern dass sie unsere Epoche in ungesunder Weise dominieren, wie es sonst nur Politiker, Juristen, Banker und Militärs tun. Die ältere Dame, die verzweifelt vor dem Fahrkartenautomaten steht, keine Hilfe vom — nicht vorhandenen — Bahnpersonal bekommt und schließlich ganz auf Bahnfahrten verzichtet — diese Menschen werden von einer schnöseligen, profitgetriebenen Technokratie als irrelevant aussortiert.

Technik trennt, Natur verbindet

Anfang des 20. Jahrhunderts war der Soldat das prägende Leitbild unserer Kultur. Wie in Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ wurden Fabrikarbeiter mit der Frage „Hamse jedient?“ begrüßt. Heute ist der Computer-Nerd dieses Leitbild. Ob wir wollen beziehungsweise können oder nicht — wir müssen, um im modernen Alltag überleben zu können, zumindest partiell so werden wir diese Nerds. Eine Zwangsbekehrung zur Religion der Smartphone-Enthusiasten findet derzeit statt. In der Folge verbrauchen wir viel Zeit und Energie, um mithilfe von Technologien Probleme zu lösen, die ohne sie gar nicht entstanden wären.

Gespräche unter technisch Versierten klingen heute schon so, als würde man Außerirdischen in einem Science-Fiction-Film zuhören, die mit dem mobilen Emitter die Deflektor-Phalanx rekalibrieren. In Vaclav Havels Theaterstück „Die Benachrichtigung“ wird in einem Büro von heute auf morgen eine sehr komplizierte Kunstsprache, Ptydepe genannt, eingeführt. Wer sie nicht versteht, weil er langsam oder nicht mit dem nötigen Eifer lernt, sieht sich bald ins Abseits gestellt. In Ptydepe sagt man statt „Hallo“ zum Beispiel: „Frnygko jefr dabux altep dy savarub goz terexes.“ Die Pointe an der Geschichte: Havel verstand „Die Benachrichtigung“ als Parabel auf die sich ausbreitende Unmenschlichkeit und den mit ihr einhergehenden Opportunismus seiner Mitmenschen im real existierenden Sozialismus.

Technik — richtig dosiert und erklärt — verbindet bis zu einem gewissen Grad. Aber mitunter trennt sie auch. Das Erlebnis, am Waldrand ein rosa Büschel aus Lichtnelken zu bewundern oder ein Eichhörnchen beim Erklimmen eines Baums zu beobachten, teilen wir mit unseren Vorfahren. Was technisches Wissen oder auch technikgestützte Kommunikationsgewohnheiten betrifft, klafft jedoch zwischen den Generationen eine Lücke. Schon vor Jahren verspotteten mich Jugendliche, weil ich statt mit Whatsapp noch per E-Mail kommunizierte. Heute ist Whatsapp schon wegen der großen Abhörgefahr out, es muss dringend Signal verwendet werden. Und morgen? Nur zur Erinnerung: Für meine Mutter sind selbst E-Mails ein Rätsel.

Profitgetriebener Innovationsopportunismus

Es gibt in einer Gesellschaft normalerweise ein Gleichgewicht von progressiven und konservativen Kräften. Die einen treiben die Evolution voran, indem sie Visionen einer besseren Welt entwerfen. Die anderen prüfen, was ihnen angeboten wird, und lehnen Teile des Neuen als untauglich ab. Ein ungesundes Übergewicht der konservativen Kräfte kann auch problematisch sein:

„Unter den Talaren der Muff von 1.000 Jahren.“

Heute erleben wir aber die gegenteilige Übertreibung: die permanente, erzwungene, sich beschleunigende Innovation. Der Grund für diese Entwicklung? Der Kommerz! Er hat das Gleichgewicht zwischen Verändern und Bewahren zerstört, zugunsten einer Diktatur des Fortschritts. Wertbeständigkeit rechnet sich einfach nicht. Kleider, die zehn Jahre halten, oder Drucker, die 20 Jahre störungsfrei funktionieren, stören die Vermarktungsabsichten der Konzerne. Ein Gedichtband von Rilke, der die Seele über Jahre erfüllt, macht den Kauf unzähliger Modemagazine unnötig.

Fortschritt ist ein Tarnbegriff, der die wahre Antriebskraft des Ökonomismus maskiert: den Profit. Zudem kann die Überwältigung der Menschen durch sie überfordernde, jedoch autoritär über sie verhängte Technologien Teil eines ausgeklügelten Unterwerfungs- und Entwurzelungsprojekts sein.

Sozialisten, Umweltschützer und Konservative — im positiven Sinn des Wortes — haben viel gemeinsam: die Vision eines guten Lebens, Fairness gegenüber allen Mitgeschöpfen, Gerechtigkeit und eine natürliche Ordnung, die ungesunde Extreme meidet. Wir müssen uns die Freiheit wiedererkämpfen, prüfen zu dürfen, ob eine Innovation das Glücksniveau in der Gesellschaft eher erhöht oder verringert. Neue technische Geräte sind Vorschläge, Angebote für die Menschen, sie dürfen nie imperativ auftreten. Das Sekundäre sollte dienen, nicht herrschen.

Fortschritt bedeutet nicht, die Menschen zu zwingen, TAN-Nummern in Handys zu tippen, er meint eine tatsächliche Verbesserung der Lebensumstände vieler Menschen. Es wäre also schon ein Fortschritt, wenn wir anfingen, zumindest in technischer Hinsicht wieder konservativer zu werden. Wenn eine Neuerung wirklich sinnvoll ist und mir genug Raum gegeben wird, sie zu erlernen, begrüße ich sie gern mit einem freudigen „Hallo!“, sorry: „Frnygko jefr dabux altep dy savarub goz terexes“.

Anzeigen von 2 Kommentaren
  • Stefan U.
    Antworten
    Möglicherweise  ist man in gewissen Kreisen gar nicht mehr bereit,  uns die Entscheidung “technisch wieder konservativer” zu werden” zuzugestehen? Und d der vermeintliche “Fortschritt” ist gar kein Irrtum, sondern dient der Errichtung gewissser Gefängnismauern bzw.  einer gewünschten “Transformation” der Gesellschaft”? Ich möchte mich an Spekualionen nicht beteiligen. Aber ich würde jetzt zum Beispiel auch nicht mehr unbedingt Einspruch erheben, wenn es gelegentlich einen Artikel geben würde, einen Kommentar mit dem Titel “Warum Markus Decker eine Gefahr für die Demokratie ist.”  Offensichtlich ist es  heute ja ohne weiteres möglich, vergleichbare Schlagzeilen zu wählen, ohne das irgendein (journalistisches , gesellschaftliches) Regulativ einschreitet, zumindest wenn  “RND”  dahinter steckt, und die beschuldigte Person Sahra Wagenknecht heisst.

    https://web.archive.org/web/20230228170611/https://www.rnd.de/politik/warum-sahra-wagenknecht-eine-gefahr-fuer-die-demokratie-in-deutschland-ist-X6HYR7QBSNBEXOUXFOLYDU63TI.html

  • Freiherr
    Antworten
    tja…

    what can i say any more,

    der Mensch gibt seine Sinne und sich selbst an ein technisches Gerät ab – Technologie-Terror ist das freilich und technokratischer Gehorsam zwangsläufig dann  und es ist eine Sucht, schlimmer wie das Rauchen.

    Das handy war dieser 1. Schritt in den Transhumanismus, Sprache, Denken, Sehen…

    step by step gibt man all das was einen Menschen doch ausmachte an ein Gerät ab , eine schon verlorene Generation, –

    ein Bild des Schreckens hat sich mir eingeprägt, letztes Jahr:

    sieben Schüler, auf den Bus wartend, direkt nebeneinander sitzend und alle haben in ihr handy geglotzt – keine Kommunikation mehr untereinander,

    nur MIR fällt das noch als wirklich erschreckend auf weil ich keins habe.

    Das ist Fernsteuerung mittels Strahlen auch und klar ist das Terror, nur – als solcher wird es nicht erkannt, empfunden, mehr.

    Im Training kannst du kaum noch jemand ansprechen – bischen smalltalk – alle verkabelt und verstöpselt –

    und du störst inzwischen allein durch den Versuch einer Kommunikation…

    what the fuck is goin on here – warum habe ich immer dieses Pech der einzige noch normale Mensch zu sein ?

    Diese Technologie wird das Zwing- und Unterwerfungs- und Kontrollwerkzeug der Zukunmft sein und ist es ja jetzt schon.

    Aber mit Hurrah laufen sie alle in diese Fremdbestimmung hinein, sehen es als Fortschritt, als Bereicherung und Erleichterung ihres Lebens gar –

    leck mich am Arsch sind die Leute krank geworden, geisteskrank !

    Leider leider ist das nicht mehr aufzuhalten, auch der spirituellste Guru kann nicht mehr verzichten.

    Aber – stolz bin ich auf mich, der letzte noch analoge Mensch zu sein, trotz inzwischen gegebener Isolation weil ich da nicht mitmache –

    yes I’m the old-school man, ich will meinem Gegenüber noch in die Augen sehen, das Univwersum dahinter ANALOG entdecken.

    und wenn einer in meiner Gegenwart in dieses Ding glotzt, dann gehe ich weg.

    Ja – ich nutze diesen Computer, aber den trage ich nicht mit mir herum.

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

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