„Der Weg nach innen führt über uns hinaus“

 In DER BESONDERE HINWEIS

Der Schweizer Poet Peter Fahr, ein Weggefährte Konstantin Weckers, hat mit „Selten nur“ sein lyrisches Gesamtwerk in Buchform veröffentlicht.  Fahrs Gedichte sind „tagespolitisch“ sehr präzise und gehen zugleich analytisch in die Tiefe; sie sind teils von bitterer Ironie und doch bewegend und von schlichter Schönheit. Die Lyrik hat mit ihm ihre Stimme wiedergefunden, um den Gewalten und der Dummheit zu widerstehen. Sie greift mit den Mitteln der Poesie an, was dabei ist, in unserem in die Unmenschlichkeit abdriftenden Lebensumfeld jede Poesie zu zerstören.  Erhältlich in Konstantins Sturm und Klang-Shop.  Roland Rottenfußer

„Selten nur“ findet man einen neueren Gedichtband, der so durchweg befriedigt, der beglückt, ohne die Welt schön zu färben. Peter Fahr hat mit dieser Neuveröffentlichung dankenswerterweise sein lyrisches Gesamtwerk in einem Band zugänglich gemacht. Zugänglich ist das Werk Fahrs auch in dem Sinn, dass Unverständlichkeit von ihm nicht grundsätzlich als Adelsprädikat für die Zugehörigkeit zur intellektuellen Lyriker-Elite begriffen wird. Und doch sind seine Gedichte „Fahr from being ordinary“.

Wer im Deutschunterricht gelernt hat, dass Gedichte der Moderne im Gegensatz zu jenen des  Barock, der Klassik, der Romantik und des Expressionismus ohne Endreime sein müssten, wird sich durch so manches „konservative“ Element in Fahrs Werk überrascht sehen. Das Ungereimte an unserer immer mehr in Wahn und Unmenschlichkeit abdriftenden Zeit lässt sich in vielen Fällen auch mit Reimen wunderbar zu einem Vers verbinden. Dass der neue Wein manchmal in alten Schläuchen steckt, macht ihn nicht minder erfrischend und schmackhaft.

Ein frisch veröffentlichter Lyrikband – das in den Zeiten von fast durchweg poetophoben Verlagen schon fast ein Widerspruch in sich. Man muss normalerweise schon Julia Engelmann heißen und ohnehin nach Popularität schielende Verse zusätzlich in Poprhythmen kleiden und auf der Bühne performen, um als Dichter*in zu einer Buchveröffentlichung zu kommen. Oder eben Konstantin Wecker – und über Jahrzehnte eigene Verse zu wunderschönen Melodien in hunderten von Konzertsälen des deutschsprachigen Raums  vortragen, um zu einem Buchvertrag mit Gedichten zu kommen. Es scheint fast, als ob den Dichtern ihre ureigene Domäne entrissen werden sollte: die Introversion, die Zurückgezogenheit und Stille, aus der heraus sich das Bleibende leichter und genussvoller gebären lässt. Als müsse in einem zunehmend zum Rummelplatz der Eitelkeiten mutierten Literaturbetrieb jeder Vers schon, bevor er ersonnen wird, auf seine Performbarkeit hin abgeklopft werden – Poetry, die dann von jungdynamisch Slammenden in vor Erregung siedende Säle getragen wird.

Daneben gibt es das konservative Lyrik-Publikum, das sich mit dem Wiederkäuen des Bewährten begnügt. „Sein Blick ist vom Vorübergehen der Stäbe…“, „Es schlug mein Herz geschwind zu Pferde…“, „Frühling lässt sein blaues Band…“. Das sind großartige Verse, vielen Menschen zu Recht teuer, jedoch vielleicht nur deshalb noch marktgängig, weil verstorbene Verfasser billig zu haben sind. Der kleine Kreis der wirklich erfolgreichen Lyriker ist nämlich bis heute weitgehend ein „Club der toten Dichter“ geblieben – als würde heutigen Verfassern von Gedichten schon ihr bloßes Lebendigsein als Verkäuflichkeitsbremse zum Vorwurf gemacht. So schreibt Peter Fahr auch in „dichterlos“.

 

Die berufung ist fatal,

reime nähren denkbar schlecht.

 

Peter Fahr immerhin hat es mit authentischen Versen zu einiger Popularität und zu nicht wenigen Veröffentlichungen gebracht, was dafürspricht, dass der Literaturbetrieb Schlupflöcher der Qualität durchaus noch manchmal öffnet. Fahr, 1958 in Bern geboren, hat nicht nur Gedichte geschrieben, die mehr als 300 Seiten benötigen, um in einen Sammelband zu passen; er verfasste auch Hörspiele, Erzählungen, Essays und – zusammen mit Illustratorinnen und Illustratoren – Kinderbücher. Fahr wollte eine Zeit lang Priester werden. Auch eine Berufung als Kunstmaler hat er eine Weile für sich erwogen, bevor die Literatur die Oberhand gewann. Seine umfangreiche Tätigkeit brachte ihm eine ganze Reihe von Preisen und Würdigungen ein, etwa den Poesiepreis des Berner Schriftsteller-Vereins und der RBS-Diektion (1991)

In einer Kurzbiografie (Quelle: http://www.literaturport.de) heißt es: „Peter Fahr provozierte die Öffentlichkeit mit schonungsloser Zeitkritik und poetischen Miniaturen, kreuzte mit Journalisten und Kritikern die briefliche Klinge und schloss Freundschaft mit Wahlverwandten wie Konstantin Wecker, Kurt Marti, Luise Rinser, Jean Ziegler, Hilde Domin, Hans Saner und Dorothee Sölle. Sein literarisches Schaffen wurde verschiedentlich ausgezeichnet.“

Konstantin Wecker hat Peter Fahr auch sein neues Buch, die Summe seines lyrischen Schaffens, gewidmet: „Konstantin Wecker, dessen Lied ich lausche, in Freundschaft gewidmet.“ Beide Künstler sind einander schon lange verbunden, sind u.a. im November 2018 zusammen bei einer Doppel-Buchpräsentation und Lesung („Auf der Suche nach dem Wunderbaren“ und „Selten nur“) in Bern aufgetreten.

Über Peter Fahr schrieb Wecker ein überaus liebevolles – und zutreffendes – „testimonial“: „Peter Fahrs Gedichte sind von einer stillen und unaufdringlichen Schönheit, auf die man sich einlassen muss – mit Ruhe und Innenschau.“ Wecker hob darin auch Fahrs Gedicht über den Augenblick hervor:

 

jeder augenblick hat grösse

dem wir sinn und dauer leihen.

und die zeit wird unsre blösse

vom gewand der angst befreien

 

Dies ist erstaunlich nah an Konstantins eigenen Versen:

 

Jeder Augenblick ist ewig,
wenn du ihn zu nehmen weißt –
ist ein Vers, der unaufhörlich
Leben, Welt und Dasein preist.

 

Und auch diesen poetischen Aphorismus schätzt Konstantin Wecker besonders:

 

der weg nach innen

führt über uns

hinaus

 

Dies kann man als Essenz von Peter Fahrs Geisteshaltung begreifen. Die Innenschau – die Vertiefung und Versenkung ins eigene Wesen – ist, so scheint es, nicht gleichbedeutend mit unfruchtbarer „Nabelschau“. „Über uns hinaus“ – das kann auf die Gesellschaft abzielen, auf gemeinschaftliches Sein und Handeln jenseits des kleinen Egos und seiner abgekapselten Privatheit; es kann aber auch auf ein spirituelles Ganzes, auf ein transzendentes „Darüber hinaus“ verweisen.

Ähnlich Wecker bleibt Peter Fahr unklar, wenn es um die Benennung des spirituell „Gemeinten“ geht. Jede zu deutliche Bezeichnung nämlich würde das unbegreifliche „Größere“ und doch inwendig in uns Gegenwärtige nur schmälern und entzaubern. Auch der Schöpfungsvorgang selbst ist für Fahr spirituell: „Ich kann mich und die Welt nur schreibend begreifen. Das Dichten ist ein Vorgang, mich dem Unbekannten zu öffnen, es in mich aufzunehmen und komprimiert zu Papier zu bringen. In gewisser Weise bin ich ein Vermittler von etwas, das durch mich hindurchfliesst und oft schöner, bedeutender und ergreifender ist als das, was mich ausmacht.“

Dieses Numinose und Unbenennbare weiß Fahr wunderbar festzumachen am Konkreten und Irdischen, etwa im Gedicht „meín kind“, das einen Geburtsvorgang zugleich aus körperlicher, psychologischer und spiritueller Perspektive beschreibt:

 

himmelssturz in weiten.

ein gleiten aus dem innern

du gehst. dein kommen wird

zum eintritt ins erinnern.

 

aus der zeitenwiege

fällst du in die endlichkeit,

aus dem freien einsein

in den zwang der einsamkeit.

 

und dein atem findet

seinen schrei im ersten schlag.

schläge werden folgen,

schreie bis zum letzten tag!

 

Derselbe, im „Privaten“ so einfühlsame Peter Fahr ist im Politischen durchaus angriffslustig. Gerade in seinem Gedichtband „Dekadenzen“, der Teil der Anthologie „Selten nur“ ist, benennt er Ross und Reiter in für neuere Poesie seltener Konkretheit. Es ist genau das, was viel in neuerer Literatur suchen, jedoch „selten nur“ finden: eine Antwort auf die Herausforderung des Unmenschlichen, dem wir in Politik und Wirtschaft aber auch in der momentan eskalierenden unseligen Rechtsverschiebung des Zeitgeist begegnen. „Dekadenzen“ gibt Antworten und ist sich dabei nicht zu schade, an Fragen eben jener unliebsamen Politiker und fragwürdigen Geistesgrößen anzuknüpfen, die andere Lyriker nicht einmal mit Handschuhen anfassen würde: Horst Seehofer, Barack Obama oder Kim Jong-un, Frauke Petry oder gar Oprah Winfrey…

Jedes Gedicht aus „Dekadenzen“ beginnt mit dem Zitat eines weltanschaulichen Gegners, dessen Aussage dann von Fahr in poetischer Sprache als falsch oder heuchlerisch entlarvt wird. So sagte Angela Merkel zur Flüchtlingspolitik: „Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte kennt keine Obergrenze. Das gilt auch für die Flüchtlinge, die aus der Hölle eines Bürgerkrieges zu uns kommen.“ Fahrs Gedicht offenbart dann die Wahrheit hinter Merkels Schönfärberei:

 

willkommen

 

wir liefern waffen

den kämpfenden

und gnadenlos

treiben sie euch

zur flucht

 

ihr rudert in booten

übers meer

manche ertrinken

manchen gelingt

das unfassbare

 

seid willkommen

überlebende

hier seid ihr sicher

wir umarmen euch

öffentlich

 

hier seid ihr frei

selbstlos

beherbergen wir euch

in zelten

und baracken

 

wir lehren euch

redlichkeit

genügsamkeit

bescheidenheit

zufriedenheit

 

seid dankbar

elende

verdient euer brot

demütig

in den fabriken

 

baut die waffen

die wir liefern

ohne hass

vergesst die heimat

für immer

 

seid willkommen

fremde

seid willkommen

freunde

willkommen

 

Das ist „tagespolitisch“ sehr präzise und geht zugleich analytisch in die Tiefe; es ist von bitterer Ironie und doch bewegend. Die Lyrik hat ihre Stimme wiedergefunden, um den Gewalten und der Dummheit zu widerstehen. Sie greift mit den Mitteln der Poesie an, was dabei ist, jede Poesie zu zerstören. So schrieb Peter Fahr in „Poesie ist wie ein Liebeswort“, seinem großen Kunst-Essay: „Doch was diese Zeit am dringendsten benötigt, um nicht in die technokratische Barbarei zu driften, sind gerade Gedichte. Ihre Poesie widersetzt sich der wertfreien Rationalität des neoliberalen Menschen. Ihre Magie widerlegt eine irregeleitete Wissenschaft, die nicht Halt macht vor der Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur.“

Auf die Zumutungen unserer Zeit solche verdichteten Antworten vorzufinden, ist für sich schon Trost, auch wenn die Benennung des Problems noch nicht gleichbedeutend ist mit seiner Lösung. Um nicht zu resignieren, beschwört Fahr vor allem eine Seelenqualität: „Die Königstugend des Dichters? Geduld. Wichtig sind das Erleben, die Liebe, der Gedanke, die Poesie – das Werk ist zweitrangig.“  So ist im beharrlichen Tun langfristig auch das Siegen als Möglichkeit angelegt.

 

ihr unterwerft

was ihr verkennt

ihr seid der stein

 

ihr strebt nach dem

was wissen schafft

ihr habt den staat

den markt die macht

 

wir haben die geduld

 

ihr habt die soldaten

waffen hass

ihr habt den gott

Der euch verzeiht

 

wir haben die geduld

wir haben zeit

die welle teilt den stein.

 

 

Peter Fahr: Selten nur. Die Gedichte, Münster Verlag, 384 Seiten, Euro 24,80

 Erhältlich im Sturm & Klang-Shop:

 https://sturm-und-klang.de/shop

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