Deutschland: „Freund“ des Internationalen Strafgerichtshofs und Feind Palästinas
Antwort des Auswärtigen Amts auf den Brief von Rolf Verleger (BIP) zur Rolle Deutschlands beim Internationalen Strafgerichtshof. Das Auswärtige Amt hat auf unseren Brief wegen der Haltung der deutschen Regierung zur Zuständigkeit für die besetzten palästinensischen Gebiete geantwortet. Die Antwort zeigt, dass die Bundesregierung dem Beispiel der USA folgt: Sie spricht den Palästinensern die Möglichkeit ab, sich juristisch gegen Kriegsverbrechen zu verteidigen. So ermutigt Deutschland die israelische Regierung zu weiteren Kriegsverbrechen gegen die Palästinenser. Quelle: bibjetzt
Das Auswärtige Amt hat auf unseren Brief wegen der Haltung der deutschen Regierung zur Zuständigkeit für die besetzten palästinensischen Gebiete geantwortet. Die Antwort zeigt, dass die Bundesregierung dem Beispiel der USA folgt: Sie spricht den Palästinensern die Möglichkeit ab, sich juristisch gegen Kriegsverbrechen zu verteidigen. So ermutigt Deutschland die israelische Regierung zu weiteren Kriegsverbrechen gegen die Palästinenser.
Im BIP-Aktuell der letzten Woche berichteten wir über die skandalöse Entscheidung der Bundesregierung, sich dem Internationalen Strafgerichtshof als „Freund des Gerichts“ anzubieten, um dabei dem Gericht die Zuständigkeit für die besetzten palästinensischen Gebiete abzusprechen.
Deutschland gehört zu den wenigen Staaten in der Welt, die sich weigern, Palästina als Staat anzuerkennen. Mit der Nichtanerkennung Palästinas begründet nun die Bundesregierung ihre Auffassung, dass die Palästinenser nicht den Schutz des Gerichtshofs erhalten können.
Unseren Brief an die Bundesregierung in dieser Angelegenheit haben wir hier letzte Woche veröffentlicht. Ebenso schrieb dazu Pax Christi einen offenen Brief. Eine neue Online-Petition fordert die Bundesregierung auf, ihre Entscheidung rückgängig zu machen.
Antwort des Auswärtigen Amts an uns
Wir erhielten nun am 21.2. folgende Antwort vom Auswärtigen Amt:
Sehr geehrter Herr Professor Verleger,
haben Sie vielen Dank für Ihre E-Mail. Die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs hat sich am 20.12.2019 zum Abschluss der vorläufigen Ermittlungen zur „Situation in Palästina“ geäußert und die Vorverfahrenskammer nach Art. 19 (3) des Römischen Statuts mit der Klärung der Frage der territorialen Jurisdiktion befasst. Mit Entscheidung vom 28.01.2020 hat die Vorverfahrenskammer die Vertragsstaaten des Römischen Statuts eingeladen, sich als sog. amicus curiae am Verfahren zu beteiligen und zunächst einen Antrag auf Zulassung zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zu stellen. Dieser Einladung kommt die Bundesregierung als guter Freund und Unterstützer des Gerichtshofs nach.
Im Antrag auf Zulassung zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme hat die Bundesregierung ihre langjährige und beständige Position zur Unterstützung einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung und damit des Ziels eines unabhängigen, demokratischen, souveränen und lebensfähigen Staates Palästina bekräftigt. Als einer der wichtigsten Geber der Palästinenser setzt Deutschlands sich nicht nur für die Wahrung der Menschenrechte in den Palästinensischen Gebieten ein, sondern strebt durch die Verbindung von Entwicklungszusammenarbeit und Stabilisierungsfonds mit dem Aufbau staatlicher Institutionen die Wahrung der Bedingungen für eine Zwei-Staaten-Lösung an.
Es ist jedoch die bekannte Position Deutschlands, dass ein zusammenhängender und lebensfähiger palästinensischer Staat und die Festlegung territorialer Grenzen erst durch direkte Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern erreicht werden können. Deutschland vertritt bekanntermaßen die Rechtsposition, dass es den Palästinensischen Gebieten zum gegenwärtigen Zeitpunkt an Staatlichkeit mangelt und damit auch die Gerichtsbarkeit des IStGH im konkreten Fall nicht gegeben ist. Diese Rechtsmeinung wollen wir gegenüber dem Gericht darlegen. Einer Politisierung des Gerichtshofs, dessen Unabhängigkeit wir respektieren und den wir aus Überzeugung als zweitgrößter Beitragszahler unterstützen, wollen wir so entgegentreten. Eine Bewertung der Inhalte des Verfahrens geht damit nicht einher.
Mit freundlichen Grüßen
Unsere Antwort an das Auswärtige Amt
Darauf haben wir am 25.2. geantwortet:
Sehr geehrte Damen und Herren im Referat 500,
ich bedanke mich für Ihre Antwort vom 21.2. auf mein Schreiben vom 15.2.
Ihre Antwort erfolgte umgehend und bringt die Denk- und Handlungsweise der Bundesregierung nochmals auf den Punkt:
Kriegsverbrechen sollten nicht geahndet werden und damit für die Zukunft unterbunden werden. Vielmehr sollen die mutmaßlich Geschädigten mit dem mutmaßlichen Rechtsbrecher in Verhandlungen treten.
Das Problem Ihrer Position ist offenkundig:
Wenn Rechtsverstöße nicht geahndet werden, kann der Rechtsbrecher die Vorteile, die er durch Rechtsverstöße erreicht hat, als seine Ausgangsposition für Verhandlungen nutzen. Dies gilt unter anderem und insbesondere für die israelische Besiedlung des Westjordanlands. Dieser Besiedlung, die allgemein verurteilt wird (s. Resolution 2334 des UN-Sicherheitsrats), immer wieder auch von der Bundesregierung, sind aber bis zum heutigen Tag keinerlei Sanktionen seitens der Bundesregierung oder der EU gefolgt. Diese Passivität mag verschiedene Gründe haben. Dass Sie nun aber in der aktuellen Situation nicht nur passiv bleiben, sondern aktiv der schwächeren Seite, die das Völkerrecht auf ihrer Seite hat, sogar den Gang zum Gericht verwehren wollen, bedeutet, dass Sie die Herrschaft des Rechts durch die Herrschaft des Stärkeren ersetzen wollen.
Diese Bedeutung des Schritts der Bundesregierung mag sich Ihnen als eine unbeabsichtigte Implikation einer formaljuristisch korrekten Position darstellen. Man könnte aber auch argumentieren, dass diese Implikation System hat: Sie reiht sich nahtlos ein in westliches Dominanzstreben über diese Region von Sykes-Picot bis Trump. Wütende Reaktionen der durch Ihr Handeln zu kurz Gekommenen werden damit unausweichlich. Eine sich an den Maßstäben des Rechts, der Klugheit und der Interessen Deutschlands orientierende Außenpolitik sähe daher anders aus.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Rolf Verleger
www.bip-jetzt.de
Deutsche Verantwortung?
Die Bundesregierung und deutsche Politik und Medien berufen sich bei ihrer unverantwortlichen Politik gerne auf Deutschlands besondere Verantwortung. In diesem Sinne befasste sich zum Beispiel Daniel Brössler in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 25./26. Januar mit den Schlussfolgerungen, die aus der Rede von Bundespräsident Steinmeier am 23. Januar in Yad Vashem zu ziehen sind. Dazu schrieb unserer Vorstandsmitglied Dr. Götz Schindler den folgenden Leserbrief (der leider unveröffentlicht blieb):
Daniel Brössler schreibt, die Forderung Nie wieder Auschwitz „könne“ zum Handeln zwingen. Eine ganz erstaunliche Schlussfolgerung, zumal er sich ausführlich mit der Rede des Bundespräsidenten am 23. Januar in Yad Vashem befasst. Bundespräsident Steinmeier hat deutlich gesagt, auf was es ankommt: „Im Erschrecken vor Auschwitz hat die Welt schon einmal Lehren gezogen und eine Friedensordnung errichtet, erbaut auf Menschenrechten und Völkerrecht. Wir Deutsche stehen zu dieser Ordnung und wir wollen sie, mit Ihnen allen, verteidigen.“
Wenn man das ernst nimmt, muss die Schlussfolgerung lauten, dass man handeln muss, und nicht, dass man handeln kann. Am Beispiel der deutschen Außenpolitik: Wenn Menschenrechte verletzt werden, ein Volk seit Jahrzehnten unter einer Besatzung leben muss, das Völkerrecht mit Füßen getreten wird, Genfer Konventionen und Resolutionen des UN-Sicherheitsrates missachtet werden, darf sich die deutsche Regierung nicht mit verbalen Protesten begnügen, und zwar auch dann nicht, wenn es sich dabei um befreundete Staaten – sei es in Europa, im Nahen Osten oder in Asien – handelt. Bis jetzt ist nicht zu erkennen, dass die Bundesregierung gegenüber diesen Staaten eine außenpolitische Strategie zur Verteidigung der Menschenrechte und des Völkerrechts hat und zu der vom Bundespräsidenten angesprochenen Ordnung steht. Elemente einer außenpolitischen Strategie müssten zum Beispiel sein, dass diesen Staaten keine Waffen geliefert werden, dass Maßnahmen wirtschaftlichen Boykotts ergriffen werden und dass Gruppen unterstützt werden, die sich in diesen Staaten für die Stärkung der Zivilgesellschaft einsetzen.
Dr. Götz Schindler, Aßling
Konsequenzen der „deutschen Verantwortung“
Diese deutsche Haltung der Duldung israelischer Kriegsverbrechen hat unmittelbare Folgen. Inspiriert von der Gewissheit der Straflosigkeit und in der Überzeugung, dass der Internationale Strafgerichtshof niemals gegen sie ermitteln wird, erschossen israelische Soldaten am Sonntag zwei palästinensische Mitglieder des islamischen Dschihad am Zaun des Gaza-Streifens und zerrten und zogen dann die Leichen mit einem Bulldozer auf israelisches Gebiet. Diese Störung der Totenruhe ist in Israel ein Strafdelikt und in diesem Fall wohl auch ein Kriegsverbrechen. Jedoch der israelische Verteidigungsminister Naftali Bennett kommentierte: „So war es nötig, und so werden wir es weiter machen“.
Dieser barbarische Akt hat bereits eine weitere Eskalation der Gewalt ausgelöst: Raketen fielen auf Israel und den Gaza-Streifen, Kinder konnten nicht zur Schule gehen, und die israelische Rechte zeigte einen raschen Gewinn in Umfragen, nur eine Woche vor den Wahlen.
Ein Teil der Verantwortung für diese Ereignisse liegt bei der Bundesregierung; denn sie hat versprochen, Israels Militär und Regierung vor völkerrechtlichen Konsequenzen zu schützen.
Aktuelle Veranstaltungen:
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