Die Durchsichtigen

 In FEATURED, Kurzgeschichte/Satire, Politik, Roland Rottenfußer, Spiritualität

Da soll noch mal einer behaupten, Spiritualität sei unpolitische Weltflucht! Eine neue Partei, DIE DURCHSICHTIGEN, benannt nach den für diesseitige Augen nicht erkennbaren feinstofflichen Welten, will Kanzler Scholz bei der nächsten Bundestagswahl das Fürchten lehren. Auf dem Gründungsparteitag, der zur Sommersonnwende 2022 in der Nähe der Extern-Steine im Teutoburger Wald stattfand, erläutert der Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat der DURCHSICHTIGEN, Giselher von Strahl, was spirituelle Politik im Neuen Jahrtausend ausmacht. Roland Rottenfußer

 

Spiritualität und Demokratie, so von Strahl, seien ihrem Wesen nach miteinander unvereinbar. Spirituellem Denken entspreche vielmehr das Wissen um eine naturgegebene Hierarachie der Bewusstseinsstufen. Ganz oben auf der Hierarchie-Leiter stünden er, Giselher von Strahl, und seine Parteigenossen. Von Strahl behauptet, seine Anweisungen direkt von einer hochentwickelten nicht-menschlichen Wesenheit zu bekommen, die früher als ägyptische Gottheit Prt-Em-Arun auf unserem Planeten inkarniert gewesen sei. Das Wort von Strahls hat deshalb für seine Anhänger absolute und unanfechtbare Gültigkeit.

Das Wissen um die Existenz einer Bewusstseins-Hierarchie, so von Strahl, müsse sich auch direkt in politisches Handeln umsetzen. “Es kann keine Gleichheit der Rechte und Machtbefugnisse geben zwischen uralten Seelen und solchen, die noch im Stadium der Kindheit oder Pubertät verharren”, betonte von Strahl auf dem Gründungsparteitag unter dem demonstrativen Beifall der Delegierten. “Wenn Sie ein Vater sind und drei Kinder haben, ein dreijähriges, eine fünfjähriges und ein achtjähriges, würden Sie dann innerhalb Ihrer Familie im Bewusstsein Ihrer Verantwortung und überlegenen Erkenntnis die Führung übernehmen? Oder würden Sie Ihre Kinder erst darüber abstimmen lassen, ob Sie das auch dürfen?”

Und was sieht das Parteiprogramm der Durchsichtigen im Einzelnen vor? Heftige Kritik lösten vor allem die Pläne von Schatten-Arbeitsminister Baldur Struntz aus, die Sozialpolitik praktisch abzuschaffen. Armut, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit seien Teile eines kosmischen Plans, der die Auflösung von in früheren Inkarnationen angehäuften karmischen Belastungen zu Ziel habe. Jedem Schicksalsschlag, sei es nur plötzliche Arbeitslosigkeit oder Invalidität, liege eine karmischer Ereigniswunsch zugrunde, der dem vermeintlichen Opfer zwar nicht bewusst sei, vom Höheren Selbst als dem “Regisseur unseres Lebens” aber durchaus sinnvoll inszeniert sei. “Aus spiritueller Sicht gibt es keine sinnlosen oder schlechten Ereignisse”, so Struntz. “Es gibt nur das Bemühen der Seele, sich durch Versuch und Irrtum, durch oft auch schmerzvolle Lernerfahrungen zu immer höheren Stufen der Vollkommenheit emporzuschwingen. Der Mensch, und somit auch der Staat, hat nicht das Recht, hier korrigierend einzugreifen.”

Die von Schließung bedrohten Sozialämter möchte Struntz aber nicht ungenutzt lassen. “Wir werden Hungernde, Kranke und Bedürftige dort kostenlos mit spiritueller Lektüre versorgen. Vor allem werden unsere Sozialarbeiter Bücher aus dem Bereich des Positiven Denkens verteilen, z.B. ‘Du selbst bist Meister deines Schicksals’ oder ‘Der Reichtum ist in dir! Der Weg vom Armuts- zum Füllebewusstsein’”

Kanzlerkandidat Giselher von Strahl kann sich für den Fall, dass es für eine absolute Mehrheit der DURCHSICHTIGEN diesmal noch nicht reicht, sowohl eine schwarz-durchsichtige Koalition mit der CDU/CSU als auch eine sozial-spirituelle Koalition mit Scholz SPD vorstellen. “Das Bild, das die Parteien – mit nur unwesentlichen Abstufungen – von der regulierenden und praktisch unfehlbaren Macht der Marktgesetze in unserer Gesellschaft haben, ist unserem karmischen Schicksalsbegriff eng verwandt. Es gibt deshalb durchaus ein Reservoir gemeinsamer Grundüberzeugungen, auf dem man aufbauen kann.”

Aneinandergeraten könnten die künftigen Partner nur im Bereich der Sicherheitspolitik, wo von Strahl – wiederum unter Verweis auf das Gesetz des Karma – für den völligen Verzicht auf polizeiliche Schutzmaßnahmen und für Straffreiheit für Täter aller Delikte plädiert. “Die müssen wir nicht bestrafen, die bestrafen sich unbewusst selbst. Allerdings erst in einem kommenden Leben”, so die Überzeugung von Harms. Auch Terrorakte wie jenen des 11. September 2001 nennt Frodo Harms “unter einem übergeordneten spirituellen Gesichtspunkt nützlich”. Den Menschen sei auf diese Weise drastisch vor Augen geführt worden, das es keine Sicherheit gebe, ausser der Sicherheit, die in der Harmonie mit unserem wahren Selbst liege.”

 

Kommentare
  • heike
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    Das finde ich gut, was der Herr von Strahl über den Verzicht auf Karma und Sicherheitspolitik gesagt hat. Wenn wir das umsetzen würden, dann hätten wir eine anarchische Welt und die Menschen könnten durch eigene Erfahrungen lernen. Jedenfalls ist das ein schönes Ideal. Mich hat jedenfalls die Polizei, soweit ich das beurteilen und einschätzen kann, noch nicht vor an mir begangenen Strafdelikten schützen können. Aber vielleicht wäre es ja ganz anders gekommen, wenn nicht im Hintergrund die Polizei als Institution präsent gewesen wäre.

    Ich habe mal den verhängnisvollen Fehler gemacht, und die Menschen um mich her  moralisch und spirituell-menschlich weiter entwickelt angesehen und eingeordnet, als sie es in der Realität sind. Inzwischen durfte ich fleißig Lehrgeld zahlen. Gut, bin ich wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Und auf dem Boden der Tatsachen wird wohl eine Polizei gebraucht, aber schön wäre eine Welt, in der die Menschen wirklich Brüder und Schwestern sein können. Vielleicht kommt das irgendwann, vielleicht auch nicht, aber: “wenn zwei zusammen träumen, dann sind sie nicht allein, dann können sie ……… und einfach alles sein”.

    In so vielen Menschen ist eine so große Hoffnung auf ein friedliches Miteinander gewachsen. Es tut mir leid, dass ich schlafende Hunde geweckt habe und damit eine Entwicklung in Gang gesetzt habe, die für diese Utopie sehr schädlich war. Aber ich bin halt nur ein dummes Menschenkind, und mir geht es wie Hans-Eckhard Wenzel, auch ich wünsche mir, in mir noch ein wenig Wärme und Menschlichkeit bewahren zu können, trotz der Kämpfe, die täglich gekämpft werden müssen. Denn leider, leider, kann ich nicht einfach aufhören zu kämpfen – das wäre mein Untergang. Aber, und das möchte ich allen anderen Kämpfern auch noch einmal sagen: man muss um seine Menschlichkeit kämpfen, um Freiheit, um seinen Verstand, seine Gefühle, seine Lebenslust.

    Die Utopie braucht wahrscheinlich noch ein paar Jahrtausende… Aber wie sagt man so schön: Der Weg ist das Ziel.

     

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