Die Friedens-Formel

 In FEATURED, Friedenspolitik, Spiritualität

Harmonie kann von innen nach außen getragen werden, aber nicht andersherum. Menschen suchen zu oft im Außen nach Prinzipien und Idealen. Dabei beginnt die Veränderung in unserem Innern. Bereits Gandhi sagte, man soll die Veränderung sein, die man in der Welt sehen möchte. Missstände in der Friedensbewegung lässt man am besten unbewertet und nimmt sie an, wie sie nun mal sind. Wenn wir aktiv den Frieden, der in uns vorhanden ist, mit anderen Menschen teilen, ist unsere Zeit besser investiert. Vor allem sollten wir hinterfragen, wann der Funke für Frieden überspringen kann. Shabi Alonso

Frieden ist ein schwer einzugrenzender Begriff. Wenn damit der „Zustand des inner- oder zwischenstaatlichen Zusammenlebens in Ruhe und Sicherheit“ (1) gemeint ist, so ist damit der gesellschaftliche, äußere Frieden gemeint. Eine weitere Spezifikation des Begriffes Frieden ist ein „Zustand der Eintracht, der Harmonie“ (1). Damit wird scheinbar das friedliche Empfinden eines Individuums beschrieben, also innerer Frieden. Wenn Menschen öffentlich für den Frieden eintreten, welchen Frieden meinen sie dann? Symbolisch gesehen treten sie nach außen, beispielsweise vor die Tore einer ausländischen Militärbasis (2).

Es ist offensichtlich, dass mit dem Akt des öffentlichen Protests das ruhige und sichere Zusammenleben gemeint ist. Dabei kann es passieren, dass ein Teil der Menschen vor Ort seinen inneren Frieden nicht gefunden hat. Die Harmonie in sich zu entdecken ist ein Weg, auf dem wir bei einer ständigen positiven Entwicklung von unserer Vergangenheit behaupten: „Ich dachte, ich wäre damals innerlich friedlich gewesen, aber jetzt übertreffe ich diesen Zustand um ein Vielfaches.“ Die Zukunft wird dasselbe Urteil für die Gegenwart bereithalten.

Für den lokalen oder globalen Frieden sollten wir uns zunächst auf den Weg zur inneren harmonischen Haltung machen. Andernfalls bleibt unsere Vorstellung von einem äußeren Frieden all das, was dem Frieden widerstrebt.

Dennoch können Menschen für den äußeren Frieden eintreten, die sich noch nicht bewusst geworden sind, dass dafür innerer Frieden notwendig ist. Solche Menschen waren offensichtlich auch auf der Friedensdemonstration im Juni 2019 unterwegs (3).

Wir können nicht erwarten, dass alle Menschen an einer Friedensdemonstration genauso denken und sich darüber bewusst sind, dass der innere Frieden maßgeblich ist für den äußeren. Bleibt zu hoffen, dass auch sie irgendwann zu dieser Erkenntnis gelangen. Wenn es soweit ist, befinden sie sich ebenfalls in ihrem Jetzt, und das ist dann, was zählt. Es war und wird immer wieder der Fall sein, dass Menschen mit unterschiedlichen Bewusstseinszuständen am gleichen Ziel interessiert sind. Sind unter diesen Voraussetzungen jemals Friedensdemonstranten umsonst aufeinander getroffen? Ich denke nicht.

Wenn es so wäre, hätten wir — meine Familie und ich — dieses Jahr nicht an der Friedensdemonstration in Ramstein teilnehmen dürfen. Vor zwei Jahren waren wir auch dort. Wir erlebten zunächst einen bewölkten, später auch regnerischen Tag. Auf der Auftaktkundgebung — noch bevor wir alle eine Menschenkette durch Ramstein gebildet hatten — waren Menschen aller Gesinnungen versammelt. Es waren auch ein paar junge Männer anwesend, die schwarze Kapuzenpullover trugen, auf denen mit weißer, altdeutscher Schrift „Reichsbürger“ und andere Codes dieser Art abgedruckt waren. Diese Jungs trugen eine Idee, eine gewaltbereite Ideologie nach außen, die wir in keiner Weise vertreten. Dennoch waren sie möglicherweise unter den gleichen Voraussetzungen oder sogar schlechter als wir in diese Welt gestartet.

Da waren wir nun alle an dieser Kundgebung und hatten ein gemeinsames Bestreben, einen kleinen gemeinsamen, friedlichen Nenner. Andererseits wünschen sich einige dieser Jungs vielleicht eigene Atomwaffen für Deutschland, während wir einen konträren Gedanken für die gesamte Welt hegen — wir wissen es bis heute nicht. Aber es war uns in dem Moment gleichgültig. Unsere Energie, die wir zu dieser Kundgebung und später auf den Marsch mitbrachten, wurde nicht gestört. Im Gegenteil: Auch für dieses Jahr war das Datum schon Monate zuvor in unserem Kalender markiert.

Erst durch das Aufeinandertreffen von „gegnerischen Lagern“ auf einer gemeinsamen Kundgebung wird Frieden authentisch vorgelebt. Das Potential einer solchen Kundgebung suchen wir besser nicht bei den Initiatorinnen oder Rednern, sondern bei den Menschen, die tatsächlich auf die Straße gehen. Sie sollten es auch sein, die in der Berichterstattung der — bedauerlicher- und zugleich dankenswerterweise nur alternativen — Medien im Fokus stehen. Die Popularität der Interviewten ist sicher etwas Besonderes für einen solchen Beitrag. Doch würde es für weitere Mobilmachungen gewiss überzeugender wirken, wenn auch ein Querschnitt von weniger bekannten Frauen und Männern unter den Anwesenden eine Stimme bekäme.

Jedenfalls haben wir 2019 in Ramstein aus jedem einzelnen Blickkontakt und jedem Gespräch Mut geschöpft. Wir haben dort mehr Lächeln geschenkt bekommen als in einem ganzen Jahr auf den Straßen von Mainz, Leipzig oder Hamburg. Wir haben ein Paar aus Berlin kennengelernt und ihre kleine Tochter, die unserem Sohn den Titel als — vermutlich — jüngster Demonstrant um drei Tage streitig machte (4). Wir bekamen in der sonst so dystopischen und lähmenden Welt für einen Tag das Gefühl, nicht alleine zu sein.

Der Frieden, den ich mir wünsche, kennt keine Ausreden. Dieser Frieden ist frei von äußeren Gegebenheiten. Ich trage meinen Teil dazu bei.

Einige mögen noch mehr dazu beitragen, andere weniger. Nichts vom Menschen Gemachtes ist perfekt. Alles ist verbesserungswürdig oder wird irgendwann widerlegt. Wenn ich also einen Grund suche, um eine Veranstaltung für den Frieden zu meiden, werde ich einen finden.

Wir schreiben Jahr für Jahr über unschuldige Menschenleben, die durch reale Ego-Shooter beendet werden. Wollen wir dabei über das Geteiltwerden diskutieren und uns in noch mehr Einzelteile zersetzen lassen, um noch akkurater beherrscht werden zu können? Oder wollen wir Frieden leben? Ja, uneingeschränkt! Zunächst für uns selbst! Indem wir die Friedensbemühungen noch so intoleranter Menschen aus der Ferne diagnostizieren, versetzen wir uns meiner Meinung nach auf die gleiche Ebene wie die Kritisierten: Wir hören auf, friedlich zu sein.

In meiner Welt unterscheide ich nicht zwischen dem Kollektiv und dem Einzelnen. Nehmen wir Frieden für uns selbst an und bringen dieses Gewahrsein dahin, wo es vonnöten ist, so bringen wir Frieden für alle mit. Davon profitieren altgediente Redner genauso wie offensichtlich intolerante Friedensaktivisten (5) oder die jüngste Demonstrantin.

 

Quellen und Anmerkungen:

(1) Bedeutungen des Friedens gemäß Duden
(2) https://www.youtube.com/watch?v=LDhr6eC0PFA
(3) https://kenfm.de/tagesdosis-3-7-2019-frieden-heisst-alle-menschen/
(4) Sollte es ein Kind gegeben haben, welches jünger als acht Monate war, würden wir uns freuen, die Behauptung widerlegt zu bekommen.
(5) https://youtu.be/Fv0ZNlU6qLg?t=33

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