Die frühe Renazifizierung der Bundesrepublik hat Folgen bis heute

 In FEATURED, Politik (Inland)

Hans Globke, Mitverfasser der Nürnberger Rassegesetze, später Chef des Bundeskanzleramts unter Adenauer. Bildquelle: Bundesarchiv B 145 Bild-F015051-0008 / Patzek, Renate / CC-BY-SA 3.0

Allerspätesten ab dem ernst zu nehmenden Globke-Urteil (lebenslänglich in Abwesenheit) im Ostberliner Prozess von 1963 muss für die bundesdeutsche Beamtenschaft klar gewesen sein, dass es nichts Gefährlichere als Antifaschisten gibt. Wohl deshalb gibt es im Selbstverständnis bundesdeutscher Sicherheitsorgane keinen akzeptablen, geschweige denn nötigen Antifaschismus. Nach dem Beitritt durfte die von verordneter Renazifizierung über Generationen geprägte Beamtenschaft noch einmal richtig zuschlagen. Welche Signale sandte sie an die überraschte DDR-Bevölkerung? Daniela Dahn

Rechtslastige Signale aus allen staatlichen Institutionen

Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Die rechtslastigen Signale kamen nach dem Beitritt aus so gut wie allen staatlichen Institutionen. Die Beispiele sind zufällig und alles andere als vollzählig.

(Es folgen im Buch Beispiele aus Polizei, Geheimdienst, Justiz, Universitäten, Schulbüchern, der Bundesbahn, dem Auswärtiges Amt, der Bundeswehr)

Staatliche Versorgungsträger: Die Rechtslastigkeit bundesdeutscher Geldgunst kam für viele unerwartet. Nirgends war die Missachtung ostdeutscher Lebensleistung so auf Heller und Pfennig nachrechenbar, wie hier. Wertvoll – wertlos, diese Lektion musste schnell gelernt werden. Das zeitgemäße Jüngste Gericht setzte einen Preis fest, der sich nicht auf dem Markt frei bilden konnte, sondern der sich mit hohem ideologischen Symbolwert an der verordneten Moralität orientiert.

Gesetzlich erworbene Rentenansprüche ersatzlos zu streichen, war eine nie zuvor praktizierte  Strafe – weder unter Bismarcks Sozialistengesetz, noch unter dem „verordneten Antifaschismus“ der DDR. Nun aber wurde ein Rentenstrafrecht für die als staatsnah erachtete DDR-Elite ersonnen, das von einem demonstrativen Rentenbelobigungsrecht für die staatsnahe NS-Elite begleitet wurde. Ging es darum, die Großzügigkeit gegenüber Kriegsverbrechern zu rechtfertigen, hieß es, Sozialversicherungsrecht sei grundsätzlich frei von Sanktionen bei strafrechtlichen Vergehen. Ging es darum, Leute zu sanktionieren, die für Kommunisten und Antifaschisten gehalten wurden, war auch ohne strafrechtliche Vergehen von dem Prinzip der Wertneutralität keine Rede mehr.

Umgehend, als könne man es nicht erwarten, sind nach dem Beitritt den Antifaschisten aus der DDR, die als Kämpfer gegen den Faschismus galten, ihre gesetzlich erworbenen VdN-Renten um 300 Mark gekürzt worden. Etwa zehn Prozent von ihnen waren übrigens Juden. Sie sind damit auf den Status der DDR-Verfolgtenrenten zurückgestuft worden. Die Ostdeutschen hatten jetzt staunend eine Lektion zu lernen: Gegen Widerstand gibt es Widerstand. Kämpfer gegen den Faschismus zu entschädigen, widerspricht bundesdeutscher Praxis. Erst recht, dass sie eine Rente bekommen, die mit der Bezeichnung Ehre verbunden wäre. Dass Widerstandskämpfer für alle ihr Leben riskiert und damit die größte Last auf sich genommen hatten, lag jenseits jeder Erwägung. Der bundesdeutsche Lastenausgleich war ganz auf Entschädigung für verlorenes Eigentum und Vermögen ausgerichtet. Die westdeutsche Entschädigungslogik integrierte alle als Opfer: Kriegsopfer, Versehrte, Bombengeschädigte, Heimatvertriebene, Kriegerwitwen, Heimkehrer. Auf welchem Posten man in diesem Krieg gestanden hatte, spielte keine Rolle. Es sei denn, man war Deserteur – da galt man auch zum Zeitpunkt des DDR-Beitritts noch als defizitärer Charakter, der nicht den Mut hatte, bei der Stange zu bleiben.

Es geht hier nicht darum, zum hundertsten Mal an den fragwürdigen Umgang der Bundesrepublik mit dem NS-Unrecht zu erinnern. Diesem Mangel, besser dieser Camouflage, waren sich auch die damaligen Politiker bewusst und nutzten die Tatsache als Steilvorlage, nunmehr mit dem Umgang des SED-Unrechts nicht dieselben Fehler machen zu wollen. Statt aber die Gelegenheit zu nutzen, mit dem unbesehenen Außerkraftsetzen so gut wie aller DDR-Gesetze, sich endlich auch von der eigenen, skandalösen Rechtslastigkeit vieler Versorgungsgesetze zu trennen, wurde diese Tendenz noch verstärkt. Die Frage ist, welche Botschaft damit an den Teil der Neubundesbürger gesendet wurde, deren Affinität zu rechtsextremem Gedankengut bisher durch Verordnung und soziale Integration gedeckelt war. Und die nun empfänglich für Signale wurden, die sie als ganz neuen Rückhalt durch staatliche Organe missverstehen konnten.

Neue Gerechtigkeit vor der Geschichte sollte, ganz in der Logik des römischen Rechts – Erhalt und Rückgabe von Eigentum bringen. Denn Eigentum ist heilig und vergeht nie, was immer vor der Geschichte untergegangen ist. Die „gerechte Entschädigung materieller Verluste“ war daher oberstes Gebot. Auf diese Rechtlichkeit hatte allerdings eine Gruppe von Aussätzigen gleich nach Gründung der Bundesrepublik keinen Anspruch: Kommunisten. Und daran änderte sich auch nach 1989 nichts. Ich habe das Anfang der 90er Jahre aus der Nähe erlebt bei unserem Freund Fritz Teppich, Vorsitzender des Jüdischen Runden Tisches in Westberlin und damals neben einem schwerkranken Londoner Onkel der einziger Überlebender der einstigen Kempinski-Dynastie. Da ging es nicht um Peanuts – aber Teppichs Mitgliedschaft in der SEW erübrigte jede Diskussion, er bekam keine Entschädigung. Nach der Zwangsarisierung der Familie Kempinski 1937 folgte Vertreibung und KZ. Mit den neuen Hotelbesitzern konnte er sich nicht einmal über den Text einer Gedenktafel einigen.

Im Westen war der Antikommunismus immer eine verlässlichere Größe als der Philosemitismus. Er hatte in vielen Fällen Priorität gegenüber der immer wieder beteuerten Absicht, gerade den Juden geschehenes Unrecht ausgleichen zu wollen. Das nahm mitunter groteske Ausmaße an. Kaum hatte Lettland seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärt, sprach sich wohl unbeabsichtigt herum, dass nun aus dem Topf des gesamtdeutschen Steuerzahlers auch Renten an die einstigen Legionäre der lettischen Waffen-SS gezahlt werden. Dieser Anspruch geht auf einen ins Bundesversorgungsgesetz übernommenen Führererlass zurück, der ausländischen Freiwilligen bei der SS Versorgungsleistungen wie den Wehrmachtsangehörigen zusprach. Die 1500 noch lebenden SS-Letten brauchten nur eine nunmehr fast 50 Jahre zurück liegende Verletzung angeben, die ihre Unversehrtheit um ganze vier Prozent beeinträchtigt, schon waren alle Bedingungen erfüllt. Ohne Einzahlung ins Rentensystem, ohne Einzelfallprüfung zu eventuellen Kriegsverbrechen, ging monatlich ein Betrag zwischen 425 € und 1275 € bei ihnen ein.

Dieser Anspruch war auch nicht durch Medienberichte zu erschüttern, die daran erinnerten, dass gerade mit Hilfe solcher Freiwilliger in Litauen 220 000 und in Lettland 70 00 Juden ermordet wurden – in vorauseilendem Gehorsam oft schon, bevor die Deutschen überhaupt eintrafen. Nicht nur 94 Prozent der einheimischen Juden verloren ihr Leben, sondern wegen der besonderen Eignung der eifrigen Helfer wurden Juden aus ganz Europa vor die lettischen Exekutionskommandos geführt. Das war den frühen Gesetzgebern und den späten Gesetzgaranten durchaus bekannt – Generalmajor Walter Bruns, nur eine von hunderten Quellen, hatte das Vorgehen der SS Ende 1941 im Wald nahe dem Ghetto von Riga, vor dem Nürnberger Tribunal beschrieben:

„Jede Stunde hat etwa 1200 bis 1500 Frauen und Kindern das Leben gekostet, und die Erschießung ging zehn Stunden am Tage … Das Exekutionskommando in Riga rühmte sich selbst, in der Ukraine mehrere hunderttausend und zuletzt bei Minsk 67000 `erledigt´ zu haben.“ [1] Und dafür nun per Gesetz verordnete Rentenzahlungen – ist denn eine so unfassbare Kälte gegenüber den Opfern und die Absenz aller historischer Verantwortlichkeit jenseits von strukturellem Antisemitismus erklärbar?  Unverschämt wurde noch im Januar 1994 von einem Vertreter des Bundesfinanzministeriums behauptet, eine Entschädigung der baltischen NS-Opfer hätte bei der „geringen Zahl“ (die übrig geblieben war), zu „unangemessen hohen Verwaltungskosten“ geführt.[2]

Wie wenig Rücksicht auf Verwaltungskosten genommen wird, wenn es um Wohltaten für die Täter geht, machte am 20. Februar 2019 ein eher versteckter Bericht der Deutschen Welle deutlich. Seit drei Jahren fordern die Abgeordneten des Belgischen Parlaments die „völlig unannehmbare Situation“ zu beenden, wonach auch für die Freiwilligen der belgischen Waffen-SS  steuerfrei Renten aus Deutschland fließen. „Die Namen der Personen sind dem deutschen Botschafter hier bekannt, aber sie werden nicht an die belgische Zentralregierung weitergegeben.“ [3] Damit wurde schlagartig klar, dass längst nicht nur die lettische SS entschädigt wird, sondern getreu dem Führererlass alle ausländischen SS-Kämpfer weltweit, oft ohne Wissen und entgegen dem Willen der jeweiligen Regierungen.

Die Alliierten hatten die Angehörigen der Verbrecherorganisation SS von allen Versorgungsansprüchen ausgeschlossen. Daran hatte man sich in der DDR auch gehalten. 2014 fand der rbb heraus, dass die bisherige Annahme falsch sei, nur Verwundete hätten Anspruch auf Opferrente. Für die Zeit bei der Waffen-SS gibt es von Globkes Zeiten im Kanzleramt an bis heute einen grundsätzlichen Anspruch auf Altersversorgung. Und nicht nur das, es gibt für diese Ausländer auch einen Anspruch auf Kuraufenthalte in Deutschland und letztendlich auf Erstattung der Beerdigungskosten.[4] Kein Hauch von Fremdenfeindlichkeit bei so viel Verdienst ums Vaterland.

Die Versorgungsbesessenheit des bundesdeutschen Gesetzgebers gegenüber der SS ist auch formaljuristisch nicht nachvollziehbar. Schließlich ist die SS in Nürnberg zur verbrecherischen Organisation erklärt worden. Diese Urteile sind geltendes Völkerrecht, welches nach dem Grundgesetz nationalem Recht übergeordnet ist. Dass sich aus den Prinzipien des Völkerrechts laut Art. 25 GG „Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes“ ergeben, war auch anderen Gesetzen schwerlich anzumerken.

Sicher haben die Neubundesbürger nicht jedes Detail jeder Verordnung wahrgenommen, aber niemand soll glauben, dass die Grundtendenz unbemerkt geblieben wäre. Die neuen Rechten lachten sich ins Fäustchen, die davon befremdeten hatten nicht mehr viele Bühnen, sich bemerkbar zu machen. Die neuen Podien wurden meist handverlesen. Eines davon war für ausgewählte Fachleute die Enquete-Kommission des Bundestages zur „Aufarbeitung der SED-Diktatur“. Während der öffentlichen Anhörung  im Mai 1994 ergriff der Mitbegründer von Demokratie Jetzt, Ludwig Mehlhorn, das Wort: „Es ist bis heute, jedenfalls für mich, eine Verletzung des Rechtsempfindens, wenn etwa Angehörige der Deutschen Wehrmacht, sogar der SS, auch wenn sie Bürger anderer Staaten sind, eine reguläre Rente der Bundesrepublik beziehen, während ehemalige KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter bestenfalls mit einer symbolischen Einmalzahlung abgefunden werden.“ Das Wort von Vertretern von Bündnis 90 hatte zu dem Zeitpunkt kein Gewicht mehr…

Im Einigungsvertrag ist schon das „wording“ verräterisch. Grundsätzlich ist von NS-Regime die Rede und im Gegensatz dazu von SED-Unrechtsregime. Das nun auch die politischen Häftlinge der DDR rehabilitiert und entschädigt werden sollten, war ein allseits begrüßtes Anliegen – die erste Unabhängige Untersuchungskommission der DDR, deren stellvertretende Vorsitzende ich war, erhob diese Forderung sehr früh.[5] Die Maßeinheit für staatlich anerkanntes Leid hatten wir uns allerdings anders vorgestellt. Nach der Einheit brachte ein Haftmonat in einem DDR-Gefängnis eine einmalige Entschädigung von 550 Mark. Ein Monat KZ-Haft wurde mit ganzen 150 Mark abgegolten. Und das auch nur, wenn man unter der dortigen Knute zu westlicher Vernunft gekommen war.

Keine Entschädigung bis heute – das gilt für viele Kommunisten aus den Konzentrationslagern – auf dieses anhaltende Nachwende-Unrecht ging das NDR-Magazin Panorama seit 1993 mehrfach ein. Etwa auf den Fall des Grafikers Kurt Baumgarte, der wegen kommunistischer Umtriebe vom Volksgerichtshof zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Er verbrachte 10 Jahre in Einzelhaft, oft geschlagen und an Händen und Füßen angekettet, zuletzt im KZ Fuhlsbüttel. Wiedergutmachungsleistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz stehen ihm aber nicht zu, weil er 1946 Mitglied der KPD-Landtagsfraktion in Hannover war.[6]

Was in der Sendung nicht erwähnt wurde: Das Landgericht Lüneburg verurteilte Kurt Baumgarte 1966 wegen fortgesetzter Tätigkeit in der verbotenen KPD und wegen Rädelsführerschaft zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und zehn Monaten. Für diese Art politischer Häftlinge gibt es bis heute weder Rehabilitation, noch Entschädigung.

In einem anderen Haft-Fall war man großzügiger. Nachdem Margot Pietzner öffentlich aus einem Manuskript über ihre zehnjährige DDR-Haft in Bautzen gelesen hatte, bekam sie Post von einem unbekannten Anwalt. „Wir hatten uns auf Anregung des Bundesministers der Justiz, Dr. Kinkel, bereit erklärt, unentgeltlich Ihre Rehabilitation zu betreiben und Entschädigungsansprüche geltend zu machen und durchzusetzen“, zitierte die taz am 1.12.1994 aus dem Brief. Unentgeltlich – ein Anwalt, und das bis die Sache durchgesetzt ist! Frau Pietzner hatte in ihrem Manuskript keinen Hehl aus ihrer Tätigkeit als SS-KZ-Aufseherin in Ravensbrück gemacht. Es gab sogar eine Broschüre mit Aussagen von Überlebenden des KZ, nach denen sie für Quälereien, Bestialitäten und Schläge bekannt gewesen sein soll. Aber außer an eine Backpfeife, wollte sie sich an nichts erinnern. Die behördliche Bearbeitungszeit für den von dem unbekannten Anwalt gestellten Antrag betrug ganze zwölf Tage. Dann bekam Margot Pietzner 64 350,- DM überwiesen. Als rechtsstaatlicher Beleg dafür, dass KZ-Aufseherinnen nicht, wie in der DDR, ins Gefängnis gehört hätten. Keinen einzigen Tag.

Da immerhin gab es doch öffentliche Aufregung. Schließlich wurde Pietzner nach längerem hin und her aufgefordert, das Geld wieder herauszurücken. Aber da war es schon zum großen Teil verbraucht oder an ihre Gönner verschenkt … Man sollte sich das auch nachträglich noch einmal bewusst machen. Hinter diesem Vorgang steckte nicht irgendeine alte Seilschaft, sondern der damals neue FDP-Justizminister. Kam denn von den dafür Zuständigen niemand auf die Idee, dass es hier nicht nur um die Exekution ihres eigenen Rechtsempfindens ging, sondern darüber hinaus um die Gefahr, dass diese sogenannte Liberalität auf einen Nährboden treffen könnte, der waberndes, fremdenfeindliches und rechtsnationales Verhalten ermutigt und bestärkt?

Die Opferrenten, die der deutsche Steuerzahler jährlich an Kriegsverbrecher zu zahlen hat, schätze der Spiegel auf über 600 Millionen DM. Keine Einwanderung ins deutsche Sozialsystem? Eben dieses postfaschistische Finanzgebaren der Bundesrepublik hat viele Ostdeutsche in ihrem Rechtsempfinden verletzt. Die Debatte sollte Sache der ganzen Gesellschaft sein, hat aber als Dauerthema speziell die Antifa übernommen. Und genau deshalb, so muss es sich für Rechtsextreme mit Genugtuung darstellen, wird sie vom Staat verfolgt.

Skins mit Schlips und Scheitel

Welches Fazit drängt sich auf aus dem Verhalten dieser neun zentralen staatlichen Institutionen, die, wenn auch in unterschiedlichem Grad, sich auf dem rechten Auge durch Sehschwäche auszeichnen? Rechtsextreme und Neonazis sind als eher Ich-schwache Personen bekannt, nicht als couragierte Einzelkämpfer. Wenn nicht im Osten selbst in prekäre Verhältnisse geratenen, so doch oft von verunsicherten Eltern sich selbst überlassen, sind sie als Stützungsbedürftige auf sinn- und kraftgebende Gruppen angewiesen. Wenn es aber statt gefährdeter, sympathisierender Gruppen gleich ein ungefährdeter, sympathisierender Staat ist, drückt sich ihr sonst angekrümmtes Rückgrat kerzengerade durch. Stillgestanden. Augen nach rechts … rührt euch.

Das Kommando für ihr gewalttätiges Rühren kam von den ihr Mandat missbrauchenden Politikern und Beamten, den verantwortlichen „Skins mit Schlips und Scheitel“,  wie Günter Grass sie 1993 in seinem Sonette-Band „Novemberland“ nannte. Meine These: Bevor der Rechtsextremismus die Mitte der Gesellschaft erreicht hat, kam er aus der Mitte des Staates. Der Antifaschismus war in der Bundesrepublik nie Staatsraison. Die Hauptverantwortung für das Erstarken des Rechtsextremismus im Osten trägt die politische Klasse im Westen. Ihr antikommunistisches roll back hat darüber hinaus ganz Deutschland erfasst, und im Verbund mit Gleichgesinnten weite Teile Europas.

Die Notwenigkeit dieses Anti muss durch eine Erinnerungs- und Gedächtniskultur bestärkt werden, die keinen Zweifel daran lässt, dass in Deutschland für Antisemitismus, Rassismus und Kriegshetze kein Platz mehr ist. Es gilt die Grenzen von Toleranz zu diskutieren, Tabus zu setzen und wenn es sein muss auch zu verordnen: Die braunen Umtriebe in Armee, Geheimdiensten und Polizei gehören vor Gericht. Denn in den Einrichtungen, die die Bürger bezahlen, um sich sicher fühlen zu können, muss der Verhaltenskodex besonders streng sein.

Die Aufgabe von Antifaschismus.: „Skins mit Schlips und Scheitel“ daran hindern, die Skins mit Consdaple Klamotten und Wolfsangel-Tatoos solange zu ermutigen, bis schließlich die Nazis die Oberhand haben, Wahlen gewinnen und die Macht, wie gehabt, demokratisch an sie abgegeben werden muss.

Mythos DDR-Antifaschismus

Alle Verantwortung für den Rechtsruck nur im Westen, keine im DDR-Erbe? Nach der Wende sind ganze Bibliotheken vollgeschrieben worden über die Instrumentalisierung des Antifaschismus in der DDR, der nun zu einem Mythos degradiert wurde. Für mich war der angreifbarste Punkt des DDR-Antifaschismus immer, dass er es versäumt hat, auch die totalitären Tendenzen der eigenen Ordnung zu kritisieren und die eher niedrigen Motive der verführten Massen im Dunklen ließ. Das hätte zu grundsätzlichen Fragen von stalinistischem Umgang mit Widerspruch geführt, zu dem verfluchten und paranoiden Zwang, hinter jeder Ecke Renegaten, Verräter, Agenten und Klassenfeinde aufspüren zu müssen.

Ein über den Antifaschismus im engeren Sinne hinaus gehendes Denken hätte also Fragen der Demokratie im eigenen Lande behandeln müssen und das war hoch subversiv und selbstverständlich unerwünscht. Und ist, wenn auch nicht hinreichend genug, dennoch gegen heftige Widerstände immer wieder versucht worden, von einstigen Parteiintellektuellen bis zu Dissidenten aller Art. Gerade auch in der Kunst, wo unter dem Deckmantel des Antifaschismus Geschichten von Courage und Widerstand erzählt wurden. Oft von Autoren und Filmemachern, die es selbst durchlitten hatten. Die wiederholte Begegnung mit diesen, um den menschengegebenen Anspruch auf Zufall und Fügung Gebrachten, den schicksallos der industriellen Vernichtung Preisgegebenen, hat mitunter zu moralischem Rigorismus geführt, zumindest bei mir.

Die eigentliche Botschaft des Antifaschismus ist nicht, dass man die wenigen Mutigen verehren, sondern dass man im Leben mutig sein muss. Diese Botschaft kam durchaus an und in ihrem Windschatten haben sich im Laufe der Jahre die selbstbewussten Überzeugungen und Methoden entwickelt, die zu dem führten, was als friedliche Revolution gedacht war. Deren „Waffen“ sind ganz wesentlich unter dem Schutzschild des Antifaschismus geschmiedet worden und haben sich letztlich folgerichtig gegen diejenigen gewendet, die einstige Ideale nicht eingelöst haben. Ohne diese verinnerlichte Zivilcourage wären Wende-Herbst und Mauerfall so nicht möglich gewesen.

Den Zusammenhang von Antifaschismus und Zivilcourage zu erforschen, wäre eine lohnende Aufgabe für die postmauerale bundesdeutsche Forschung gewesen. Aber daran bestand nicht das geringste Interesse. Warum sollten sich Sieger im Moment des größten Triumpfes mit so subversiven Fragen beschäftigen. Der Politikwissenschaftler Joachim Perels hat in seinem wenig bemerkten, aber bemerkenswerten Buch „Entsorgung der NS-Herrschaft“ 2004 eine Erklärung gegeben, weshalb sich der Westen mit dem emanzipatorischen Aspekt des sozialistischen und kommunistischen Widerstandes so schwer tut: „Starke Kräfte der politischen Opposition gegen Hitler hatten das Ziel, das privatkapitalistische System des Dritten Reiches durch eine Wirtschaftsordnung zu ersetzen, in der durch Formen demokratisch kontrollierten öffentlichen Eigentums das Wohl aller institutionell gesichert werden sollte.“ [7] Das Grundgesetz öffnet gerade diesem Ziel Tür und Tor – aber eine solche Debatte war nun das allerletzte, was im Moment des größten Privatisierungsfeldzuges der Geschichte angesagt war.

Wie von unsichtbarer (Geber)Hand gelenkt, haben die meisten Zeithistoriker, übrigens in Ost und West, solche Themen gemieden und mit umso größerem Enthusiasmus die wohl stärkste Identität stiftende Säule im Selbstverständnis der DDR zu demontieren gewusst. Die Historikerin Annette Weinke sprach von der „oftmals übertriebenen, insgesamt jedoch überaus notwendigen Entzauberung des Antifaschismus“. [8] Wäre es nicht angesichts der sehr bald nach Mauerfall verübten rassistischen Überfälle in Ost und West, „überaus notwendig“ gewesen, die konstruktiven Elemente des Antifaschismus beider Seiten mit zu vereinen und somit dem aufkommenden Übel zu bedeuten, dass da kein Blatt und kein Stiefel passt, zwischen die vereinten Demokraten aus Ost und West?

Stattdessen wurde mit der zwar nicht restlos erfolgreichen, aber auch nicht unwirksamen Ausgrenzung von rechtsextremem Verhalten in der DDR, wie gewohnt unbedacht umgegangen: Deckel auf, was aufsteigt alles zu Opfern kommunistischer Herrschaft erklären, staatliche Ermutigung für Neonazis und kein Konzept für die Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut – das ist ein explosives Gemisch. Das bekommt eine autoritäre Dynamik und führt zu einer Form von Herrschaft, in der ein freiwilliger Antrieb zur Unterwerfung  konterkariert wird durch mangelnde Möglichkeit der Selbstoptimierung für den Markt. Dieser Mix führt zu populistischen Bedürfnissen, die oft wenig rational sind.

Da wäre alles andere sinnvoll gewesen, als den eigenen Antifaschismus wie gehabt weiter zu ächten und den mitgebrachten zum Blendwerk zu erklären, zu trickreichem Betrug. Statt auch wissenschaftlich den rationalen Kern, also die Bekämpfung von Rechtsextremismus, zu stabilisieren und herauszufinden, wie sich beide Seiten ergänzen und bereichern könnten, wurde geradezu lustvoll an den Fundamenten gesägt.

Auszug aus:

Daniela Dahn:

Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute

Die Einheit – eine Abrechnung

Rowohlt Verlag

288 Seiten, € 14,-

 

 

 

 

[1] http://www.hagalil.com/archiv/2002/01/riga.htm

[2] Der Spiegel 6/1997 S. 37

[3] https://www.dw.com/de/deutsche-renten-an-belgische-ss-freiwillige/a-47604523

[4] https://www.rbb-online.de/kontraste/ueber_den_tag_hinaus/diktaturen/rentenskandal–juedische-opfer-kaempfen-um-anerkennung–ss-leute.html

[5] Siehe „Und diese verdammte Ohnmacht, Report der Untersuchungskommission zu den Ereignissen im Oktober 1989, Hrg. Daniela Dahn und Fritz- Jochen Kopka, BasisDruck 1991

[6][6] Panorama-Sendung vom 30.1.1997. Zum selben Thema auch die Sendungen vom 29.3.1993 und 28.8.1997.

[7] Joachim Perels: Entsorgung der NS-Herrschaft?, Hannover 2004, S. 265

[8] Annette Weinke: Bundesrepublik und DDR: NS-Prozesse als Katalysator kollektiver Lernprozesse? Konferenzvortrag Tübingen 19.4.2008

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  • heike
    Antworten
    Eine kluge Frau hat über die Wendezeit der DDR geschrieben, dass “die Bürgerrechtsbewegung sehr schnell zur bürgerlichen Rechtsbewegung verkommen ist”.

    Nicht jeder hat die vielen geschwenkten Deutschlandfahnen auf den Montagsdemonstartionen unbedingt als einen Rückfall in nationalsozialistische Zeiten gewertet – und so war es ja auch nicht. Aber Ausländerhass und Rechtfertigungen für den Nazikrieg waren zeitgleich überall in der DDR präsent.

    Aber dass von staatlicher Seite der Bundesrepublik Renten für Verfolgte des Naziregimes gestrichen, aber  für Naziverbrecher gezahlt wurden . lese ich hier das erste Mal … und das erleuchtet mir so manchen Hintergrund.

    Danke für diesen Artikel.

     

  • Mike B.
    Antworten

    Hallo,

    auch wenn ich das hier inserierte Buch nicht kenne – Aufsatz zur erfolgten und bis heute erfolgreichen Renazifizierung der frühen Bundesrepublik von D. Dahn ist instruktiv und wichtig, wird auch von quellenbezogen arbeitenden und  publizierenden Westhistorikern vertreten, s. z.B. http://d-nb.info/1163609803 -Nachkriegsgeschichte/n : Sozialwissenschaftliche Beiträge zur Zeit(geschichte) / Wilma R Albrecht.

    Mike

  • Joachim Groß
    Antworten
    Als hätte man den (bewusst) versäumten Antifaschismus übertünchen wollen, wurde geradezu hysterisch der Antikommunismus gepflegt, der freilich auf den noch immer vorhandenen Boden fiel, der auch nach dem Ende des Kriegs gedüngt wurde.

    Ob das Rote Kreuz einen seinerzeit in Italien einsitzenden SS-Führer mit einer enormen Summe dadurch unterstütze, dass seine Familie in ihn dort besuchen konnte. Ob die Witwen der faschistischen Generäle hohe Pensionen beziehen und ein angenehmes Leben führen konnten. Ob die (ehemaligen?) Faschisten in der Regierung und in den Parteien (vorwiegend FDP und CDU) wieder gesellschaftsfähig wurden: Diejenigen, die aktiv Antifaschismus lebten, wurde Berufsverbot erteilt, verurteilt und die Rente gekürzt.

    Da konnte man doch wahrhaftige Rechtsstaatlichkeit gegen den „Unrechtsstaat“ DDR demonstrieren. Und kaum jemand wollte an die Anfänge der BRD erinnern, die zuhauf mit Faschisten aufgebaut wurde. Während die Menschen der ersten Stunde, ob als Minister, Bürgermeister oder anderen Stellen „vom Hofe gejagt wurden“, weil sie Kommunisten waren.

    So auch die offizielle „antifaschistische“ Erinnerungskultur, die anscheinend nur im Widerstand um Graf von Stauffenberg und vielleicht noch aus der Weißen Rose bestand. Kein Wort über die  wirklichen Widerstandskämpfer, die bereits von Anfang Ihr Leben aufs Spiel setzten, und gegen ein verbrecherisches System zu kämpfen, statt nur einen Krieg zu beenden, der nicht mehr zu gewinnen war.

    Was Daniela Dahn jetzt veröffentlicht, dass die schrecklichsten SS-Chargen noch heute Renten beziehen, ist derart skandalös, dass die Frage gestellt werden muss: Wer ist der Unrechtsstaat?

    Einen herzlichen Dank an Daniela Dahn für ihr unermüdliches Eintreten für das Recht auf aufrichtiges Erinnern.

  • jürgen meyer
    Antworten
    und da wird mp ramelow von rechts dafür gegeißelt, die ddr nicht unrechtsstaat nennen zu wollen! schade, daß er offensichtlich bei a. will die rentenschweinereien der hiesigen zu- und aberkenner nicht benannte, weil ihm wohl danielas untersuchng nicht bekannt war.
  • Ruth
    Antworten
    Es wäre interessant, was Hubertus Heil dazu einfallen würde!

    Seine Rentenreform, die auf ein Reförmchen geschrumpft wurde und dann diese Information!

    Ein Schlag in die Magengrube für arme Rentner*innen, die Jahrzehnte gearbeitet haben, aber jeden Cent umdrehen müssen, um über den Monat zu kommen!

    Ihre Wut ist so berechtigt!

  • Peter Boettel
    Antworten
    Und die Mütterrente, die alle für jedes vor 1992 geborene Kind erhalten, egal ob es sich um Millionäre*innen oder arme Schlucker*innen handelt, erhalten, wird aus der Rentenkasse gezahlt, auch wenn diese nie Beiträge dort eingezahlt haben. Eine Bedürftigkeitsprüfung wie bei der Grundrente findet nicht statt.

    Und eine aus der neuen Mütterrentenregelung resultierende höhere Rente wird bei Personen, die Grundsicherung erhalten, – wie bei jeder Erhöhung der Rente – auf den jeweiligen Aufstockungsbetrag angerechnet, während die Millionärsgattinnen den vollen Betrag bekommen.

    • Ruth
      Antworten
      Peter@

      Mütterrente – ein Antrag der CSU und 2013 Priorität im Wahlkampf!

      Grundrente – zentrales Thema der SPD im Koalitionsvertrag! Jetzt massiver Widerstand der CDU/CSU!

      Parteipolitik, die uns die CDU/CSU in Reinform präsentiert!

       

  • ert_ertrus
    Antworten

    Der Zynismus der Herrschenden scheut auch vor Nickeligkeiten und schmutzigstem Geiz nicht zurück: einige Überlebende der 900+-Tageblockade von Leningrad (damals noch Kinder und besonders in Mitleidenschaft gezogen) leben in der BRD (teils Russlanddeutsche, teils jüdischen Glaubens). Die Russische Föderation hat ihnen eine zusätzliche Ehrenrente von umgerechnet 10 €/ mtl. zugesprochen. Da Viele von ihnen Grundsicherungsrentner sind, wird dieser geringe Zuschuss voll auf die Grusi angerechnet!! Gruselig, nicht wahr – wenn man bedenkt, dass ehemalige Kriegsverbrecher aus Deutschland Renten beziehen, von denen ihre verrenteten Mitbürger nur träumen können. Entnazifizierung? Wohl ein Schreibfehler, Endnazifizierung sollte es wohl heißen, was seither im Untergrund schwelte.

  • Brigitta Küster-Sartori
    Antworten
    Das Buch von Daniela Dahn sollte jeder lesen. Wie die Bürgerbewegung, die die DDR in einen antifaschistischen basisdemokratischen Vorbildstaat hätte umwandeln können, statt dessen einfach beseitegeschoben wurde, das Volkseigentum enteignet ohne den Eigentümer zu fragen, die Bürger der DDR ihrer Würde und ihrer Rechte beraubt wurden, gehört zu den größten Ungeheuerlichkeiten dieser Vasallenrepublik. Dass Geschichte inzwischen von Parlamenten per Gesetz westwerteangepasst umgeschrieben werden soll, zeigt, wie buchstabengetreu Orwells 1984 Schritt für Schritt umgesetzt wird. Ein Beispiel aus den vielen beachtenswerten von Daniela Dahn betrifft eine Dresdner Gedenkstätte für Zwangsarbeiter auf dem Friedhof Meußlitzer Straße. Die DDR gedachte der Zwangsarbeiter: “Hier ruhen 33 sowjetische, 7 französische, 3 italienische, 1 österreichischer und 1 tschechoslowakischer Zwangsrabeiter der MIAG, die in den Jahren 1944 /45 ums Leben kamen.” Die MIAG beteiligte sich an der Produktion von Sturmgeschützen und Jagdpanzern, für die sie mehr als 1000 Zwangsarbeiter aus KZs einsetzte. Nach der Wertewende änderte man den Text: “Hier ruhen französische, italienische, polnische, tschechoslowakische Bürger 1944-1945.”

     

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