Die Kuppel

 In Kurzgeschichte/Satire, Umwelt/Natur

Für Reiche gibt’s keine Erderwärmung. Wir schreiben das Jahr 2060. Überall in Mitteleuropa herrscht wegen der Erderwärmung Wüstenklima. Im bayerischen Oberland stöhnen die Menschen unter Dürre, Hunger und Überbevölkerung – verursacht auch durch zahlreiche Migranten aus den Küstenregionen, die vor dem rapide angestiegenen Meeresspiegel ins Landesinnere flüchteten. Überall in Mitteleuropa? Nein, eine Gruppe Wohlhabenden hat sich unter die „Kuppel“ geflüchtet, eine riesige Kunststoffglocke, die ein Gebiet von 25 Quadratkilometern umspannt und 5 Kilometer in den Himmel ragt. Innerhalb der Kuppel schaffen gewaltige Klimaanlagen ein erträgliches Klima. Wer es sich leisten kann, lebt komfortabel in einem künstlichen Paradies, vergleichbar einem überdimensionierten Vergnügungsbad mit Restaurant, Wellness-Oasen und Parklandschaften. Eine kleine Armee von Sicherheitskräften schirmt das Paradies vor dem Pöbel ab, der allzu gern der Hölle draußen entfliehen würden. Futuristische Satire von Roland Rottenfußer

 

Jens Schniesel, ein junger Millionenerbe, bewirbt sich um das Wohnrecht innerhalb der Kuppel. Désirée Mayer-Klöbendonck, Managerin für Neuansiedler, führt ihn durch die Anlage. Die Szene spielt im Kontrollraum. Mehrere flimmernde Bildschirme zeigen dort Ansichten von verschiedenen Plätzen innerhalb der Wohnanlage. Désirées Assistent Kleinschmidt sitzt vor einem Computer, der den Zentralbildschirm steuert – eine in die Wand eingelassene Breitleinwand ist. Meyer-Klöbendonck und Schniesel schauen über seine Schulter fasziniert auf den Schirm.

(Auf der Leinwand sieht man ein knutschendes Paar mit nacktem Oberkörper vor dem Swimmingpool, ringsherum Palmen und Blütenstauden).

Schniesel: Mit der Privatsphäre ist es aber hier aber  nicht weit her.

Mayer-Klöbendonck: Der Sicherheit wegen müssen die Bewohner der Kuppel bei der Intimität Abstriche machen. Sie wissen es vielleicht nicht, Sie haben lange in Spitzbergen gelebt wegen des milden Klimas, haben Sie mir erzählt. Aber im Oberland heizen unverantwortliche Populisten momentan eine Neiddebatte an. Es hat immer wieder Zwischenfälle gegeben mit Leuten von draußen, die sich Zutritt verschafft haben.

Schniesel: Verstehe.

Mayer-Klöbendonck: Sie brauchen aber keine Angst zu haben. Wir haben die Sicherheitsvorkehrungen beträchtlich aufgestockt.

(Auf der Leinwand sieht man Soldaten mit MGs und schwerem Kriegsgerät vor einer Appartmentanlage patrouillieren)

Mayer-Klöbendonck: Das Motto unseres Sicherheitschefs ist: Wer die Sicherheit für die Freiheit aufgibt, wird beides verlieren.

Schniesel: Hervorragendes Motto.

Mayer-Klöbendonck: Man gewöhnt sich an die Kameras überall, glauben Sie mir.

Schniesel: Und hier herrscht das ganze Jahr über „gemässigtes toskanisches Klima“

Mayer-Klöbendonck: So hat man das früher genannt, ja. Entspricht ungefähr dem Mai im Mittelitalien um die Jahrtausendwende. Vier Wochen im Jahr schalten wir um auf Hochsommermodus, weil die Bewohner es mögen, wenn’ mal so richtig heiß ist. An Weihnachten fahren unsere Klimaanlagen die Temperaturen dann für zwei Wochen auf 5 Grad minus herunter. Unsere Wettermaschinen lassen es sogar schneien. Die Bewohner schätzen etwas Weihnachtsromantik – allerdings nicht zu lange. Den lästigen Januar und Februar haben wir praktisch abgeschafft. Ab Neujahr ist schlagartig wieder Spätfrühlingsklima. Herr Kleinschmidt, zeigen Sie uns bitte mal ein Weihnachtsbild.

(Die Leinwand zeigt den Pool und die Palmen, allerdings jetzt schneebedeckt und mit elektrisch beleuchteten Weihnachtssternen behängt)

Schniesel: Fantastisch! Aber sagen Sie, verbrauchen diese Wettermaschinen nicht sehr viel Energie? Der CO²-Ausstoß muss doch enorm hoch sein.

Mayer-Klöbendonck: Naja, ich will ehrlich zu Ihnen sein. Die Kuppel gibt ungefähr das 87-fache an CO² an die Atmosphäre ab wie eine vergleichbare Kleinstadt mit 5000 Einwohnern draußen. Machen Sie sich deswegen aber keine Sorgen. Die Verschmutzungsrechte, die wir eingekauft haben, reichen bis 2090. So viel Schmutz können wir gar nicht fabrizieren wie die Rechte uns erlauben (lacht).

Schniesel: Ja schon, aber es gibt doch Klimaziele, an die sich jede Region halten muss. Bekommen Sie keine Schwierigkeiten mit den Behörden?

Mayer-Klöbendonck: Die Klimaziele gelten für die ganze Verwaltungseinheit, in unserem Fall die Region Pfaffenwinkel, ungefähr von Tölz bis Füssen, von Starnberg bis Garmisch. Was wir in der Kuppel an CO² ausstoßen, muss eben woanders wieder eingespart werden. Die Menschen draußen sind deshalb auch gerade fleißig am Energie sparen.

Schniesel: Warum sollten die sparsam sein, wo wir uns hier drin doch geradezu als Dreckschleuder aufführen?

Mayer-Klöbendonck: Herr Schniesel, entspannen Sie sich. Genau dafür wurden doch die Kuppel-Paradise-Ressorts gegründet: Finanzstarke Kunden wie Sie müssen endlich keine Angst mehr haben, mit den Folgen der Klimakatastrophe konfrontiert zu werden, nur weil sie diese mit verursacht haben. Die Kuppel AG hält Mehrheitsanteile am Heimatverlag, der in jedem Landkreis die Tageszeit „Unsa Hoamat“ herausgibt. Wir haben damit praktisch das Monopol auf Regionalnachrichten im Oberland. Die „Hoamat“-Zeitungen bringen derzeit eine Kampagne unter dem Motto: „Wer ist verantwortlich? Du!“. Prominente geben Spartipps, was jeder selbst tun kann, um den CO²-Ausstoß zu vermindern.

Nebenbei gesagt unterhält unser internatinaler Mutterkonzern The Dome Inc. beste Beziehungen zu den europäischen Umweltbehörden. Es wird in nächster Zeit drastische Zwangsmaßnahmen geben, um den Energieverbrauch zu drosseln. Die Menschen draußen werden z.B. ihre Herdplatten nur noch um die Mittagszeit und zwischen 18 und 20 Uhr benutzen dürfen. Jeder Haushalt darf pro Monat nur noch bis zu 500 Liter Wasser erhitzen. Ist das verbraucht, muss kalt geduscht werden. Die Raumbeleuchtung wird nach 22 Uhr in der ganzen Region zentral abgeschaltet. Danach müssen Kerzen angezündet werden.

Schniesel: Aber das gilt selbstverständlich nur für draußen. Wir in der Kuppel werden mit dergleichen nicht behelligt!?

Mayer-Klöbendonck: Selbstverständlich nicht. Die Sparmaßnahmen draußen sorgen ja gerade dafür, dass die Energiebilanz in der Region insgesamt im grünen Bereich bleibt.

Schniesel: Und es hat sich bei niemandem in der Kuppel deswegen ein schlechtes Gewissen geregt!?

Mayer-Klöbendonck: Wie viel schlechtes Gewissen jemand hat, ist eine Frage seiner finanziellen Möglichkeiten. Wir haben das schlechte Gewissen praktisch outgesourced.

Schniesel: Outgesourced?

Mayer-Klöbendonck: Ja, die Menschen draußen fühlen sich stellvertretend für uns schlecht, wenn sie mal im Klo den Abzug zu lange eingeschaltet lassen. Dafür starten uns nahe stehende Politiker und Presseorgane ja gerade ihre Kampagne für mehr Eigenverantwortung.

Schniesel: Aber das befreit mich nicht unbedingt von meinen Selbstzweifeln.

Mayer-Klöbendonck: Schauen Sie, genau dafür haben wir in der Kuppel unser Conscience-Coaching, geleitet von einem international renommierten Mentaltrainer, Der. Jonathan Sunday. Nehmen Sie bei ihm Einzelcoachings, und Sie werden begreifen, dass Ihr Reichtum keine Schande ist, sondern Ihr Verdienst.

Schniesel: Ich habe mein Geld geerbt. Mein Großvater ist der Begründer einer global erfolgreichen E-Book-Dynastie.

Mayer-Klöbendonck: Sie haben die Fülle in ihrem Leben realisiert, weil Sie in Ihrem Geist ein Füllebewusstsein erschaffen haben. Seien Sie stolz darauf und vergessen sie die Menschen draußen, die wegen ihres Mangelbewusstseins verdientermaßen leiden. Sie sind reich, und das bedeutet, dass vieles, womit sich andere herumschlagen, Sie nicht berühren muss.

Schniesel: Wie meinen Sie das?

Mayer-Klöbendonck: Einen hässlichen Reichen gibt es nicht, denn das einzige was uns an Hässlichkeit stört, ist die Angst, von attraktiven Personen des anderen Geschlechts zurückgewiesen zu werden. Einen Reichen betrifft das nicht. Sein Geld kompensiert anderweitige Mängel, also gibt es keine hässlichen Reichen.

Schniesel: Einleuchtend.

Für Reiche  gibt es auch keine Klimaerwärmung. Sie kaufen sich ein Grundstück unter der Kuppel und haben es immer angenehm kühl.

Schniesel: Verstehe.

Mayer-Klöbendonck: Und ebenso wenig muss es einen Reichen mit schlechtem Gewissen geben. Er kauft sich Experten, die helfen, sein Gewissen aufzupolieren, und schon schläft er friedlich wie ein Neugeborenes.

Schniesel: Apropos „Es gibt keine hässlichen Reichen“ …

Mayer-Klöbendonck (kokett lächelnd): Aber damit habe ich doch nicht Sie gemeint, Herr Schniesel …

Schniesel: Danke, ist schon klar. Aber Sie wissen, ich bin allein stehend. Wie stehen die Aussichten, hier unter der Kuppel … naja, Sie wissen schon: jemanden kennen zu lernen?

Mayer-Klöbendonck: Herr Kleinschmidt, zeigen Sie uns mal Kamera 8 in den Venus-Thermen.

(Die Leinwand zeigt eine schummrig beleuchtete künstliche Grotte, in der sich teilweise dickleibige, hässliche und alte Männer mit reizvollen jungen Frauen beim Liebesspiel tummeln)

Schniesel: Sehr ansehnlich. Ich wusste nicht, dass sich unter den Bewohnerinnen der Kuppel so viele überaus attraktive Damen …

Mayer-Klöbendonck: Das sind keine Bewohnerinnen. Es sind Gast-Animateurinnen … naja, es sind Frauen von draußen.

Schniesel: Prostituierte?

Mayer-Klöbendonck: Wo denken Sie hin? Empfängerinnen von Transferleistungen. Die Sozialämter machen jetzt ernst mit dem Motto „Keine Leistung ohne Gegenleistung“. Wer Unterstützung vom Staat bezieht, muss heute jede Arbeit annehmen. Jede!

Schniesel: Verstehe. Aber ist das nicht irgendwie unwürdig?

Mayer-Klöbendonck: Da Sie so lange in Spitzbergen waren, haben Sie offenbar wirklich einiges nicht mitbekommen, Herr Schniesel. Es gibt draußen kaum noch Arbeit, und die Leute sind nicht gerade verwöhnt. Wenn ein Mädchen hübsch ist, wird es vom Amt gern an die Kuppel vermittelt. Und die reißen sich um den Job, glauben Sie mir. Ein angenehmes Ambiente, kühle Außentemperaturen und gute Ernährung – was glauben Sie, was das für jemanden, der von draußen kommt, bedeutet? Jenseits dieser Plastikwand ist buchstäblich verbrannte Erde.

(Kleinschmidt „surft“ zwischen verschiedenen Bildern der Kuppelanlage, bis er bei einer Nahaufnahme der Kuppelwand angelangt ist, in der sich Luxusappartments spiegeln)

Also machen Sie sich wegen der Frauen keine Sorgen, genießen Sie!

Schniesel (starrt erschrocken auf den Bildschirm): Aber was ist das?

(Auf der Leinwand sind jetzt etwa 20 schwitzende Männer mit nacktem Oberkörper zu sehen. In einer fensterlosen, spärlich beleuchteten Halle stemmen sie sich mit aller Kraft gegen ein Drehkreuz, das offenbar eine in der Mitte angebrachte Turbine antreibt. Ein Aufseher knallt manchmal mit einer langen Peitsche über die Rücken der Arbeitenden.)

Mayer-Klöbendonck: Nicht das, Herr Kleinschmidt, sind Sie wahnsinnig? Das ist doch nichts, was Neuansiedler sehen sollen!

Kleinschmidt: Es tut mir furchtbar leid, Frau Mayer-Klöbendonck, es war unbeabsichtigt. Ich habe da aus Versehen Kamera 16 im dritten Untergeschoss, angewählt statt Kamera 16 im dritten Obergeschoss.

Mayer-Klöbendonck: „Tut mir furchbar leid“ – davon können wir uns nichts kaufen, Herr Kleinschmidt. Übernehmen Sie endlich die Verantwortung für Ihr Versagen. Ich glaube, wenn ich das Ihrem Arbeitsvermittler melde, wird er nicht begeistert sein.

Kleinschmidt (mit Tränen in den Augen): Bitte nicht, Frau Mayer-Klöbendonck. Er streicht mir die Stütze, wenn ich noch mal wo rausfliege – ersatzlos.

Mayer-Klöbendonck: Wir sprechen später noch drüber, Herr Kleinschmidt. Herr Schniesel, es tut mir furchtbar leid, dass Sie das sehen mussten. Wir zeigen bei Erstbesichtigungen der Kuppel normalerweise keine Bilder aus der Unterstadt.

Schniesel: Der Unterstadt?

Mayer-Klöbendonck: Ja, was Sie auf der Erdoberfläche sehen, ist nur ein kleiner Teil der Anlage, der weitaus größere liegt unter der Erde. Ich bitte Sie nur, die Bilder, die Sie gerade gesehen haben, nicht miss zu verstehen.

Schniesel: Was gibt es da miss zu verstehen? Diese Männer werden geschunden und gequält.

Mayer-Klöbendonck: So würde ich es nicht ausdrücken. Diese Menschen sind froh, überhaupt eine Arbeit zu haben, und sozial ist, was Arbeit schafft, finden Sie nicht?

Schniesel: Es sind also Leute, die Ihnen vom Sozialamt vermittelt wurden – so wie die Frauen in den Venus-Thermen.

Mayer-Klöbendonck: Teilweise ja. Teilweise sind es auch Leute, die bei unserer hauseigenen Dome-Bank verschuldet sind. Sie bekommen für ordentliche Arbeit von uns partiellen Schuldenerlass gewährt.

Schniesel: Und wenn sie ihre Schulden abgearbeitet haben, dürfen sie wieder nach Hause!?

Mayer-Klöbendonck: Theoretisch ja. Die Sache ist nur die: Die meisten dieser Männer werden ihre Schulden nie abarbeiten können, weil sich die Summe durch Zins und Zinseszins ständig erhöht. Bei manchen ist es sogar so, dass sie ihre Schuldsumme bei jeder Umdrehung des Rades, das sie in Bewegung setzen, um Cent- oder sogar um Eurobeträge erhöhen.

Schniesel: Aber was um Himmels willen machen die da unten?

Mayer-Klöbendonck: Sie erzeugen Strom durch eine Turbine. Es ist sozusagen ein Windkraftwerk, nur dass es statt von Wind von Muskelkraft angetrieben wird.

Schniesel: Aber das ist doch absurd – angesichts der fortgeschrittenen Technik der Energiegewinnung. Wir leben im 21. Jahrhundert!

Mayer-Klöbendonck: Schon, aber die Zeiten haben sich wieder gedreht. Menschliche Muskelkraft ist seit den Sozialreformen der Regierung die bei weitem billigste Form der Energiegewinnung – billiger noch als Solar- oder Windkraft.

Schniesel: Aber ich dachte Sie haben sich Verschmutzungsrechte gekauft. Warum noch Energie sparen?

Mayer-Klöbendonck: Wir haben nichts zu verschenken. Einen Teil unserer Energie erzeugen wir billig mit Menschenkraft. Was wir darüber hinaus benötigen, holen wir uns über externe Kraftwerke und lassen dies durch den Erwerb von Verschmutzungsrechten absegnen. Die Anlage mag Ihnen verschwenderisch vorkommen, Herr Schniesel, aber wenn wir nicht auch ökonomisch denken würden, würde unser Nebengeschäft nicht so gut laufen.

Schniesel: Nebengeschäft?

Mayer-Klöbendonck: Aktienpakete. Herr Kleinschmidt, zeigen Sie Herrn Schniesel bitte das Allerheiligste?

Schniesel: Das Allerheiligste?

Mayer-Klöbendonck: Unsere kleine Kapelle, sozusagen unser spirituelles Kraftzentrum.

Schniesel: Damit habe ich nichts am Hut. Ich halte nicht viel von Pfaffen.

Mayer-Klöbendonck: Keine Sorge, sehen Sie selbst.

(Die Leinwand zeigt zunächst einen kleinen, kapellenähnlichen Bau auf einem Hügel. Die Kamera zoomt heran und zeigt den Kapelleneingang. Dann zeigt eine andere Kamera den Innenraum. Auf einem Altar steht eine riesige digitale Uhr. Auf dem Display ist eine 13-stellige Zahl zu sehen. Die Ziffer ganz rechts bewegt sich mir rasender Geschwindigkeit weiter. Die zweite Ziffer von rechts bewegt sich langsam, aber stetig nach oben.)

Schniesel: Die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler?

Mayer-Klöbendonck: So ähnlich. Es ist eigentlich das Gegenstück der Schuldenuhr: eine Renditeuhr. Die Uhr zeigt das Vermögenswachstum der Anlegergemeinschaft der Kuppel in jedem Moment an. Sie können das jetzt nicht auf die Schnelle überblicken. Aber so viel kann ich Ihnen verraten: Es geht rapide aufwärts.

Schniesel: Was passiert aber mit den armen Männern in der Unterstadt. Welche Perspektive haben sie überhaupt?

Mayer-Klöbendonck: Herr Kleinschmidt, bitte den Friedhof für Externe.

(Die Leinwand zeigt einen höhlenartigen Raum mit einem großflächigen, flachen Erdhaufen. Dahinter ein glatt polierter Felsen von gewaltiger Größe. Als die Kamera heranzoomt, sieht man, dass auf der Platte tausende von Namen mit Geburts- und Todesdatum in kleiner Schrift eingeritzt sind.)

Mayer-Klöbendonck: Manche kommen schon als Jugendliche her, weil sie verschuldet sind oder keine Arbeit finden. Sie leben und arbeiten in der Unterstadt. Die Unterstadt ist ihr Leben, und in der Unterstadt werden sie auch begraben. Traurig aber unvermeidlich. Schließlich ist jeder seines Glückes Schmied, oder? Und unser schönes kleines Paradies hat eben seinen Preis – den selbstverständlich nicht wir bezahlen müssen, keine Angst.

Schniesel: Ist die Sterberate hoch in der Unterstadt?

Mayer-Klöbendonck: Es wird gestorben, Herr Schniesel, damit müssen wir uns abfinden. In der Unterstadt wird gestorben. Draußen jenseits der Kuppelwand wird gestorben. In anderen Ländern ist es teilweise sogar noch schlimmer als hier. Der Pfaffenwinkel ist eine Oase im weltweiten Vergleich. Und seien wir ehrlich: Das Massensterben ist bedauernswert, aber auch notwendig. Sehen Sie: Was sollten wir denn mit all den Menschen anfangen? Für den Betrieb der Kuppel brauchen wir, wenn’s hoch kommt, 15.000 Bedienstete auf 5000 Bewohner: Arbeiter, Kellner, Zimmermädchen, sexuelle Dienstleistungen … Draußen aber laufen Millionen rum – Menschen, die keine Aussichten haben außer auf ein Leben in unerträglicher Hitze, in Dürre, in Mühsal und Elend. Manchmal ist der Tod nicht das Schlimmste, Herr Schniesel. So hart es klingen mag, aber was hier stattfindet, ist Teil eines globalen Selbstreinigungsprozesses. Es ist gut und notwendig, dass die Natur selbst nun mit harter Hand selektiert zwischen denen, die überlebensfähig sind und denen, die es eben nicht mehr sind.

(Schniesel schweigt)

Mayer-Klöbendonck: Sie sind mit dem Hubschrauber durch die Schleuse eingeflogen, oder, Herr Schniesel?

Schniesel: Ja.

Mayer-Klöbendonck: Dann wissen Sie gar nicht, wie es draußen aussieht und machen sich über einige Dinge vielleicht noch Illusionen. Herr Kleinschmidt, schalten Sie doch bitte mal auf eine Außenkamera.

(Die Leinwand zeigt die berühmte barocke Wieskirche, jedoch verwahrlost und mit bröckelndem Putz. Direkt neben der Kirche ragt eine riesige spiegelnde Glaswand in den Himmel. Im Blickfeld der Kamera ist kein einziger Baum, keine Pflanze zu sehen. Verdorrtes Gras auf ausgezehrter Erde, über die der Wind Nebenschwaden von Ruß und Staub fegt: Eine Mutter, dicht in braune Lumpen gehüllt, die sie sich zum Schutz vor dem Staub ein Kopftuch vors Gesicht hält. An ihrer Hand ein Kind, ebenfalls ärmlich gekleidet, das Gesicht unter einer Kapuze versteckt. Beide nähern sich der Kirchenpforte, offensichtlich in der Absicht, einzutreten. Sie machen vor einem Schild halt: „Betreten wegen Einsturzgefahr verboten“.)

Anzeigen von 3 Kommentaren
  • Gerlinde Hopfenstedt-Zopf
    Antworten
    Ein Meilenstein, ein denkwürdiger, ein wichtiger Impuls, für unsere Diskussion darüber, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen. Vielen Dank! Muskelbetriebene Stromturbinen sind die Zukunft., soviel steht fest, ich denke wir brauchen hier mehr  Public-Private-Partnership, flächendeckende Kooperationen mit den großen Fitness-Ketten, selbstverständlich unter strikter Beachtung aller Hygienevorschriften. Es müssten ja nur entsprechende Kabel und Speicher angeschlossen werden.  Frau Mayer-Köbendonck handelt  im Grunde genommen  sciencebased und hat nur die Interessen der Stakeholder im Blick. Das ist vorbildlich, ich wüsset nicht, was daran verwerflich sein könnte. Die ethisches Leitlinien für die großartige, grüne und klimagerechte  Zukunft, die das WEF für uns alle gestaltet,  die hat Yuval Noah Harari ja bereits abgesteckt, mir ist nicht bekannt,  dass es größeren Widerspruch aus der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin wecker  oder der WDR-Quarks-Redaktion dazu gab.  Und “Qurks” ist bekanntlich ein seriöses Wissenschaftsmagazin, das sich immer wieder auch mit wichtigen Zukunftsfragen beschäftigt. Also, warum immer alles so schwarz sehen? Transhumanismus ist die Zukunft!  Let’s go, guys, get your booster, and get your neuralink implanted.  Es wird great. Ich schwör!
  • Volker
    Antworten

    Herr Kleinschmidt, schalten Sie doch bitte mal auf eine Außenkamera.

    Wanderer zwischen den Dingen: »Oh, eine Milka-Kuh in dezentem Blau, inmitten ergrünendem Grase, durchsaftet von Kräften, eine Glöckchen um den Hals,  dessen Klänge gleich Nebelschwaden über Berge streicheln, auf dessen Gipfeln sich vereint: das letzte Einhorn mit dem Ötzie.«

    Milka-Kuh: »Muhu …. ein Auerhuhn hat festgestellt, dass Söderkost viel Fett enthällt … «

    Auerhuhn: »Bäh… voll fettes Söder ess ich nicht, nein, deine Suppe schmeckt mir nicht.«

    Theoretiker: »Am dritten Tag, o weh und ach, da wurde Margarine schwach. Nun essen wir auf jeder Reisen, eimerweise … bäh … «

    Söders Eimer: »Sie wiegen nur ein halbes Lot, am fünften Tage sind sie tot.«

    Mein Putzeimer: »Weia … pfui! ruft da ein jeder, garst’ger Eimerpeter.

    Kleine Fledermaus: ».Na und … beim Spaziergang über Gassen, bringt es nichts Gut’s genug, außer schönes Bilderbuch.«

    Gassenhauer: »Die Sonne scheint mir aufs Gehirn, wo bist Du hin, mein Sonnenschirm?

    Sonne pur: »Solange ich noch glühe, gibt es noch Klima – von Lima bis Berlin.

    Prima Klima: »Röchelt still und leise vor sich hin…«

    Milka-Wurst aus Fledermäusen, Putzeimern oder sonstigen Zutaten: »Mahlzeit … ein Doktor sitzt dabei und spricht von bitt’re Arzenei. «

    Karl die Pille: »Kann er haben, im goldnen Muschelgrund … hau Nadel rein rein …«

    Wilder Erdbeermund: »Da blüht ein süßer Zeitvertreib mit deinem Leib die lange Nacht, da will ich sein im tiefen Tal, ein Nachtgebet und auch dein Sterngemahl.«

    Nachtgebet: »Weia Alder, mach mich fromm, dass ich in Himmel komm. Im Himmel sind wir alle gleich, sogar auch als Leich. «

    Mister Gott: ».Hallo Volker … alles gut ?…«

    NöNixGut«… mist…  schick mir bitte einen Engel.

    • Egon K.
      Antworten
      Milka-Kuh und  Auer-Huhn?;-) Angeblich sollen bestimmte Fachabteilungen früher  DDR-Witze gesammelt haben, also gesichtet, dokumentiert und ausgewertet. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was das heute für ein Aufwand sein muss, KI hin oder her, bei diesen enigmatischen Leserkommentaren. Meine Cousine sagte, dass Bildungsniveau sei doch so abgeflacht,  viele Mitarbeiter, auch im Staatsdienst hätten zwar Abitur, aber kaum eine Ahnung, wie man diese Art von Humor dechiffriert. Die würden eben nur Netflix gucken, und gelegentlich evtl. mal die Kebekus. Un ddie Bezahlung wäre auch längst nicht mehr das gelbe vom ei.  Naja, soviel steht fest, es hat ja  vielleicht auch etwas Gutes!  😉 https://www.dw.com/de/lachhaft-bnd-sammelte-ddr-witze/a-18707888

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