Die Rache des Mainstreams an sich selbst

 In FEATURED, Kultur, Politik

»Die Anstalt« feiert in diesen Tagen ihren fünften Geburtstag und hat sich inzwischen als die Institution etabliert, deren Insassen sich um Aufklärung und Durchblick im alltäglichen Wahnsinn von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hervortun. »Die Anstalt« leistet Journalismusersatz und ist politisches Theater – stets mit scharfem und hintergründigem Humor im Dienste der Augen öffnenden Wahrheitsfindung. Zum Geburtstag ist nun ein von Dietrich Krauß – neben Max Uthoff und Claus von Wagner der dritte Kopf hinter der Anstalt – im Westend-Verlag herausgegebenes Buch über die Anstalt erschienen, »Die Rache des Mainstreams an sich selbst«, aus dem wir einen Auszug bringen. Interview mit Max Uthoff und Claus von Wagner

Westend:

Was ich immer wieder höre, ist das Staunen darüber, dass das ZDF bei allem so schön mitmacht, es offensichtlich ja auch stützt und möglicherweise sogar so will. Eine ketzerische Frage vielleicht an dieser Stelle: Tut es möglicherweise nicht weh genug, wenn alles so harmonisch im ZDF verläuft? Kann man das überhaupt noch weiterdrehen, gibt es Punkte, wo ihr sagen würdet: »Jetzt könnte es doch eng werden«? Wie damals, als der Bayerische Rundfunk den »Scheibenwischer« abgeknipst hat?

von Wagner:
Ich glaube man würde niemals mehr so aussteigen wie damals der BR – mit der ganz klaren Ansage: so was könne man nicht zeigen. Das würde heute niemand mehr machen. Wenn, dann läuft eine Sendung einfach aus, wird nicht mehr verlängert …

Westend:

Es liefe subtiler.

von Wagner:

Viel subtiler. Da geht es dann um Formalitäten.

Uthoff:
Oder wir sind zu harmlos, Herr von Wagner. Sagen Sie doch mal: Sind wir zu harmlos?!

von Wagner:
Ich würde sagen: Wir sind differenziert …

Uthoff:
Ich nicht, also wenn ich das sagen darf, ICH nicht!

von Wagner:
Dieses Erstaunen darüber, dass es uns gibt und dass wir unsere Sendung so gestalten können, wie wir das tun, das muss man ja ernst nehmen und sich fragen: Warum haben die Leute das Gefühl, dass das, was wir da machen, »gefährlich« oder »besonders« ist? Weil wir ja eigentlich in einer freien Gesellschaft leben. Da muss man sich ja fragen: Was ist da los? Also zunächst mal: kann ich jetzt auch keine erschöpfende Antwort liefern, aber man kann ja mal drauflosüberlegen. Vielleicht gibt es einfach nicht genug von dem, was wir machen – ich meine, es gibt zwar viel Satire, aber in der dezidiert politischen Form vielleicht noch zu wenig. Insofern ist das, was wir machen, etwas »Besonderes« …

Uthoff:
Also ich glaube, dass das Besondere sich aus der Form und aus dem Inhalt ergibt. Also formal machen wir etwas, was wir uns erarbeitet haben, was es so nicht gibt. Das Pendant wäre die klassische »Nummern-Revue«, das soll jetzt nicht despektierlich sein: wo ein Gastgeber in regelmäßigen Abständen eben nur drei Gäste präsentiert, die ihr Solo machen, und fertig. Also formal machen wir was Eigenes, weil wir ja jedes Mal unter großer Freude und unter relativen Mühen ein kleines Theaterstück inszenieren. Inhaltlich ist dann schon eher der Punkt, an dem man sich fragen sollte: Warum scheint das hervor? Warum wundern sich die Leute, wenn sie Claus Kleber gucken und danach unsere Sendung, ob sie sich nicht aus Versehen auf die Fernbedienung gelegt haben? Dass wir die Ausnahme bilden – sowohl inhaltlich als auch von der politischen Ausrichtung her –, sagt natürlich einiges über den Zustand der Mehrheit und des restlichen Programms aus …

von Wagner:
Ja. Wir merken bei vielen Themen, die wir angehen, dass die Menschen, die sich intensiv mit dem jeweiligen Thema beschäftigen, oft schon viel weiter sind in der Problembeschreibung und den Lösungsansätzen als der Rest der Gesellschaft. Stichwort: Pflegenotstand. Ich meine, klar gibt es vereinzelte gute Artikel dazu, die werden aber eben nicht in eine große gesamtgesellschaftliche und informierte Debatte überführt. Im Gegenteil: Man hat das Gefühl, dass das, was viele Leute von einem Thema mitbekommen, sehr dünn ist. Ist aber vielleicht kein Wunder: Die allgemeine Behandlung eines Themas besteht mal aus einer Schlagzeile hier, mal einem Artikel da und bewegt sich auf einer recht einfachen Ebene. Jetzt kommen wir und machen monothematisch was zum Thema: Wir entdecken Leute, die schon jahre- oder jahrzehntelang auf die Probleme hinweisen und Bücher schreiben oder tolle kritische Artikel. So, jetzt fügen wir die Artikel zusammen und die Bücher und machen das Ganze eben durch Humor auch noch zugänglich und dann denken sich die Leute: »Sag mal, das ist ja unglaublich – das habe ich noch NIE gehört!« Das sagt weniger über unsere »Besonderheit« aus oder unsere »Gefährlichkeit«, sondern eher darüber, dass die meisten Debatten eben auf einem zu niedrigen Niveau vor sich hin simmern … man könnte sogar sagen: Wir leben davon!

Westend:
Da sind wir aber doch bei dem Punkt, den du eben noch vor unserem Gespräch hattest, dann ist es doch ein Stück weit auch Journalismus, was ihr da macht.

von Wagner:
Aber kein Ersatz, das ist mir ganz wichtig, kein Journalismus-Ersatz, weil wir ja auch den Journalismus und seine Recherchen verwenden …

Westend:
Ja, wenn man so will, fehlt aber das Zusammenfügen.

Uthoff:
Wir kochen Journalismus ein und destillieren aus vielen Meinungen ein Konzentrat und das wird dann so wuchtig, weil es so informationsgesättigt ist. Dann wird das Ganze auch noch spielerisch aufbereitet, sodass es zugänglicher ist.

von Wagner:
Ich verstehe prinzipiell den Wunsch, Satire zum neuen Journalismus zu erklären. Max hat recht: Was die Satire kann und sie gleichzeitig so verführerisch macht, ist, dass sie die Eintrittsschwelle für gewisse Themen senkt. Wir haben mal eine ganze Sendung bestritten mit Nummern über das Betriebsrentenstärkungsgesetz, die Autobahnprivatisierung und das Effizienzlabel. Mit Komik fällt es da natürlich leichter, Menschen an solche Themen heranzuführen. Wir wollen also den Journalismus nicht ersetzen, im Gegenteil, aber wir haben natürlich nichts dagegen, wenn sich einige Journalisten bei uns abschauten, wie man Menschen an Themen heranführt …

 

Dietrich Krauß (Hg.): Die Rache des Mainstreams an sich selbst. Mit Max Uthoff, Claus von Wagner, Mely Kiyak, Norbert Blüm, HG Butzko, Gabriele Krone-Schmalz und vielen anderen. Westend Verlag. 312 Seiten, € 20,-

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen