Die Stille des Lärms

 In FEATURED, Kultur

Bruder Thomas Quartier mit Stephen O’Malley

Resonanz der amerikanischen Drone-Metal-Band Sunn O))). Es gibt kaum etwas, was dem “mönchischen” Wesen mehr zu widersprechen scheint als Hardrock. Die einen suchen Gott in der Stille, die anderen produzieren einen für Außenstehende teilweise unerträglichen Lärm. Und auch das Image des Rocksängers als “wilder Kerl” unterscheidet sich stark von jenem, das man von einem Mönch hat. Die Metal-Band Sunn O))) (die Schreibweise mit drei Klammern ist korrekt) tritt auf der Bühne in Mönchskutten auf. Für den Frontmann der Band Stephen O’Malley ist seine Musik Meditation. Sie ist Ritual und stiftet Gemeinschaft. Überraschend fand Bruder Thomas Quartier in dem Musiker einen introvertieren, nachdenklichen Mann vor, mit dem man trefflich philosophieren kann. “Für uns geht es um den Gedanken, dass das Ganze größer ist als die einzelnen Personen.”  Thomas Quartier osb

Viele Menschen suchen an Orten, wo der Geräuschpegel minimalisiert wird, nach innerer Stille, nicht zuletzt in Klöstern. Stille wird in unserer Zeit zur Mangelware, die Reizüberflutung scheint beinahe unausweichlich zu sein. Aber gibt es vielleicht auch Anlässe, zu denen gerade eine Geräuschmaximalisierung zu innerer Stille führt? Das hört sich zunächst widersprüchlich an, ist aber ein interessantes Experiment. Es gibt kulturelle Performances, bei denen Lärm Menschen still macht. Ein Beispiel ist die amerikanische Avantgarde-Metal-Gruppe Sunn O))). Die Musiker spielen extrem langsame, tiefe und vor allem laute Musik, inspiriert von subkulturellen Strömungen und der “Minimal Music”. Sie treten in Kutten auf, die an Mönche erinnern, verbergen ihre Gesichter unter den Kapuzen. Die Bühne ist bei ihren Konzerten in Nebel gehüllt. Ganz unterschiedliche Besucher kommen: junge Metal-Freaks stehen neben intellektuell wirkenden Kunstliebhabern mittleren Alters. Sie werden sowohl in Metalmagazinen als auch im Feuilleton rezipiert. Schon seit mehr als zwanzig Jahren fabriziert die Band einen einzigartigen Sound: zwei Gitarren und eine ganze Reihe von Verstärkern, die durch Rückkopplungen einen scheinbar undefinierbaren Lärm produzieren. Wer sich darauf einlässt, entdeckt Finessen und meditative Kraft. Vor Konzertbeginn sind die hunderten Besucher mucksmäuschenstill, beinahe andächtig. Wenn die Geräuschlawine losbricht, ist das eine körperliche Erfahrung, man spürt es am ganzen Leib. Ganz anders als in der Klosterkirche, wo man vor dem Lärm flieht, oder doch auch verwandt? Beim Konzert am 22.10.209 in Nijmegen konnte ich dem nachspüren und vorher backstage einen Dialog mit dem künstlerischen Direktor und Gitarrist der Band, Stephen O’Malley, geboren 1974 in Seattle, führen.

Einheit

Ein Merkmal von Ritualen ist, dass das Maximalisieren oder Minimalisieren von sinnlichen Reizen manchmal zu einem Durchbruch des Gegenteils führen kann. Ein Stakkato Rhythmus lässt auf einmal Langsamkeit in unserer Wahrnehmung entstehen, und umgekehrt kann ein langsamer Rhythmus plözlich eine innere Extase auslösen. Sollte das auch für Stille und Lärm gelten? Stephen erkennt diese Theorie wieder: “Ich selber praktiziere tägliche verschiedene Formen tibetanischer Meditation. Wenn man Stille im Geist durch Meditation sucht, kann das sehr viel Lärm machen. Der Geist füllt durch seine Gedankenströme den ganzen Raum, indem er Ideen hervorbringt, Dinge abwägt oder verarbeitet”. Die Musik von Sunn O))) bewirkt seiner Meinung nach dasselbe: “Durch unsere Musik möchte ich genau wie durch die Meditation mehr zu einer Einheit werden. Der mentale Geist ist Teil unserer Identität, aber wenn er vom Körper, von unserem Nervensystem, vom Unbewussten, losgelöst ist, finde ich das problematisch. Meditationstechniken sind auf Kontemplation oder Leere gerichtet. Das hat mir geholfen, die Erfahrung unseres Sounds im Sinne einer Suche nach Einheit neu zu erleben. Erst in letzter Zeit kann ich die Bedeutung dessen erahnen, was ich musikalisch schon lange tue. Das Physische ist eine Quelle für den Geist, und das ist überwältigend. Was Lärm und Stille betrifft, erfahre ich in diesem Sinne also keinen großen Unterschied. Wir können innerhalb eines bestimmten Intervalls etwas wahrnehmen, die höchsten Frequenzen sind wie violette Farben, die niedrigsten sind zwanzig Hertz. Diese Extreme anzustreben, von Null bis in unendliche Höhen, ist für mich eine meditative Art, meine Einheit wiederzufinden”.

Als Mönch gibt mir diese Analyse Stephens zu denken. Das Ungewohnte der Stille, das auch in der Klosterkirche immer da ist, macht etwas mit unserem Körper. Die Gitarrenriffs beim abendlichen Konzert tun das auch. Ich bin überrascht, wie still man durch die Erfahrung von Lärm werden kann (noise). Wahrnehmung bestimmt unsere spirituelle Erfahrung. Damit zu arbeiten, ist eine der Aufgaben, die wir Benediktiner haben, wenn unsere Regel uns im neunzehnten Kapitel zur Harmonie zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit, Geis und Körper aufruft (RB 19).

Gemeinschaft

Trotzdem gibt es natürlich einen offensichtlichen Unterschied zwischen einer monastischen Umgebung und einem Metal-Konzert. Was könnte das Motiv des buntgemischten Publikums sein, sich anderthalb Stunden einer ohrenbetäubenden Meditation mit Sunn O))) auszusetzen? “Ein Grund ist sicher die körperliche Erfahrung”, meint Stephen. “Ein zweiter Grund ist die Gelegenheit, die eigene Wahrnehmung von Raum und Zeit für die Dauer des Konzerts zu verändern. Ein dritter besteht darin, dass ein Erleben ermöglicht wird, das in unserer Generation zu einem Vakuum geworden ist: das menschliche Bedürfnis nach sozialer Kohäsion, indem man zusammenkommt, durch Zeremonien und Wiederholung“. Genau dieser dritte Grund stimmt mit meiner Erfahrung im Kloster und beim Konzert überein. Dort erfährt man eine Gemeinschaft, die – rituell gesehen – nur zustande kommen kann, wenn man gemeinsam Grenzen aufsucht, vielleicht überschreitet. Im Falle des Konzerts geht es um eine akustische Grenze. Hat das auch für Stephen mit der Gemeinschaft zu tun? “Für uns geht es um den Gedanken, dass das Ganze größer ist als die einzelnen Personen. Wir sind alle auch in anderen Projekten involviert. Wenn ich Solokonzerte gebe, ähnelt das musikalisch durchaus Sunn O))), aber es ist trotzdem etwas ganz anderes. Die Leute nehmen es anders wahr. Diese Band ist nicht mehr unser Design, sondern sie hat ein eigenes Leben, das durch die unterschiedlichen Menschen, die auf unterschiedliche Art daran teilnehmen, zustande kommt. Das gilt auch für unseren Tour-Manager, die Gastmusiker, mit denen wir arbeiten, die Künstler. Es ist wirklich eine Kommunität”.

Das klingt einem Mönch natürlich wir Musik in den Ohren, erinnert es doch an die Regel Benedikts, die uns im achtzehnten Kapitel daran erinnert, dass ein Konvent sich vor allem in rituellen Momenten manifestiert (RB 18). Ich merke, dass Stephen bei diesem Gedanken ein wenig zögert: “Ich würde Sunn O))) nicht als Kult bezeichnen. Manchmal wird Künstlern nämlich unterstellt, sie seien sektiererisch, wenn sie Gruppenmeditation betreiben und gemeinsam an ihrem Geist-Körper-Verhältnis arbeiten”. Das ist sicher nicht die Konnotation, die ein Konvent im benediktinischen Sinne hat. Vielmehr geht es um einen Rahmen, der gemeinschaftliche Energie freisetzt. Stephen sieht hier einen interessanten Zusammenhang: “Unser neuestes Album enthält Aufnahmen von Improvisationen, mit denen wir jeden Tag im Studio begannen und beendeten. Sie waren alle genau auf elf Minuten begrenzt. Das war sehr intensiv und kraftvoll. Anfangs war es gar nicht so beabsichtigt. Wir waren Freunde und wollten gemeinsam Musik machen. Aber es wurde allmählich zu einem Grundmotiv der ganzen Session”. So komisch es klingen mag: Gitarrenfeedback kann zu einer Art lärmendem und doch meditativem Offizium werden.

Erfahrung

Liegt den Riten von Sunn O))) jedoch auch ein Mythos zugrunde, den sie mit den Zuhörern teilen – ein Grundmerkmal rituellen Handelns? Auf den Alben der Band stehen die Doom-Sounds im Mittelpunkt, der sogenannte “Drone”, aber es gibt auch Textfragmente, manchmal aus östlichen Religionen, manchmal von feministischen Autorinnen und manchmal abstrakt. Für Stephen geht es hier um die Frage, ob Kunst nicht auch etwas für rituelle Traditionen bedeuten kann: “Die Riten und Zeremonien, die die Kultur hervorgebracht hat, sind natürlich nicht verlorengegangen. Dennoch frage ich mich, warum es in unserer Gesellschaft bestimmte Riten für bestimmte Momente gibt, z.B. Übergangsriten. Warum gibt es keine künstlerischen Formen davon?” Zu diesen künstlerischen Formen gehört für die Gruppe vor allem Freiheit: “Unsere Regeln in der Gruppe sind, was Glaube und Erfahrung angeht, sehr offen, selbst anarchistisch. Sunn O))) ist in erster Linie ein Musikprojekt. Das passt zu unserer Ideologie des freien Denkens. Die Erfahrung der Zuhörer wird sowieso immer wieder anders sein als die jedes Mitglieds. Wenn wir versuchen würden, unserer abstrakten Arbeit einen festen inhaltlichen Rahmen zu geben, würde das nicht funktionieren. Wir können manchmal etwas andeuten. Damit habe ich irgendwann angefangen, weil ich mich als Künstler unvollständig fühlte, wenn ich bei meinem Sound gar keinen inhaltlichen Anhaltspunkt hatte. Indem ich dennoch akzeptiere, dass es abstrakt ist, lasse ich Menschen die Möglichkeit für ihre eigene ursprüngliche Erfahrung davon, worum es ihnen geht. Denn es ist eben einfach nur Musik. Das bietet viel Freiheit“.

Wie reagiert er dann darauf, wenn ich mich als Mönch mit seiner Musik beschäftige? “Das fügt dem Ganzen für mich etwas hinzu. In gewissem Sinne bestätigt es meine persönliche Intention, mich mit Menschen zu verbinden, die eine tiefere Erfahrung und größere Kenntnis von Themen haben als ich selber. Und ich lerne viel darüber, was wir de facto in unserer Abstraktion tun. Ich kann mit den angereichten Rahmen spielen. Oft verwenden wir nur ein paar Wörter, die zu unserem Leben gehören. Es ist sehr tiefsinnig, diese Energie kreieren zu können, durch die ganze Welt zu reisen, interessante, zuweilen auch ganz normale Menschen zu treffen und mit verschiedenen Kulturen in Berührung zu kommen“. Ich selber kann als Mönch mit dem abstrakten Rahmen spielen, den die Soundwellen und Assoziationen der Band mir anreichen. Ist das nicht ein interessanter Berührungspunkt? “Sicher! Es klingt vielleicht etwas naiv, aber Sunn O))) bietet ungeahnte Möglichkeiten, weil wir mit abstraktem Minimalismus arbeiten. Der erste Schritt besteht darin, zu erkennen, dass darin viel Information enthalten ist. Diese Information birgt ein Potential für subjektive Erfahrung und für Interpretation durch uns selber oder jemand anderen. Und das setzt wiederum ein Potential für reflexive Information frei“.

Monastisch

Zwischen Geräuschmaximalisierung und -minimalisierung suchen Stephen und ich also gemeinsam nach Einheit (monos), sei es auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Aber es gibt neben dieser reflexiven auch noch eine sichtbare Gemeinsamkeit: das Tragen einer Mönchskutte. Wie ist die Gruppe dazu gekommen? “Die Mönchskutte war ursprünglich schlicht eine Art, uns zu verbergen. Als wir anfingen, Konzerte zu geben, verwendeten wir Feedback-Effekte, und das Publikum war ganz und gar nicht begeistert. Wir dachten: Warum verwirren wir die Leute optisch nicht einfach ein bisschen? Das gelang mit den Gewändern. Später spürte ich, dass eine solche Kleidung eine kleine Veränderung im eigenen Bewusstsein zustande bringt. Das haben wir weiterentwickelt. Als wir bekannter wurden, spielten wir mit vielen in der Szene berühmten Musikern zusammen. Wir wollten nicht, dass unsere Musik von ihrem Ruhm abhing. Die Gewänder verhinderten, dass wir in einer egoistischen Präsentation landeten. Man lässt seine eigene Identität los. Wenn jeder eine Kutte trägt, sind wir alle ein Teil des Ganzen. In der Musik geht es viel zu oft um verschiedene Formen von Egoprojektion. Darum ist, was wir machen, ziemlich einzigartig. Später kamen andere rituelle Elemente hinzu: der Wein, den wir auf der Bühne trinken und der Neben aus der Nebelmaschine, um das Ganze noch zwielichtiger zu machen. Es wurde ein Aspekt von Sunn O))), um die Atmosphäre zu transformieren. Heute geht es eigentlich nicht mehr um die Zwielichtigkeit, sondern um die Transformation in ein größeres Ganzes”.

Welcher Mönch sollte sich nicht in den Gedanken Stephens wiedererkennen? Dennoch gibt es einen wesentlichen Unterschied: als Mönch zieht man sein Ordensgewand nicht aus, wenn das Ritual zu Ende ist. Das ganze Leben steht im Zeichen der Reizreduzierung. Bei einem Konzert von Sunn O))) wäre das allein physisch ohne Gehörschaden schon nicht möglich. Stephen ist selber eher ein stiller, introvertierter Typ. Die Intensität seiner Erfahrungen von Selbstverlust und Selbstverwirklichung basiert auf Höhepunkten. Als Mönch richtet man sich eher auf einen gleichmäßigen Erfahrungsstrom. Aber ist es wirklich so eindeutig? Ich kann und will nicht leugnen, dass das Konzert der Band für mich eine intensive – ja, ich wage zu sagen: monastische – Erfahrung bedeutet. Ich habe nicht das Gefühl, dass es nicht zur monastischen Wahrnehmung der Wirklichkeit passt, nach der ich suche, auch wenn ich zur Sicherheit doch Ohrstöpsel in der Tasche habe. Stephen erklärt den Hintergrund der intensiven Erfahrungsmomente wie folgt: “Es geht dabei um strukturierte und halbstrukturierte Veränderungen des Bewusstsein. Genau das passiert in einer intensiven musikalischen Erfahrung”.

Sollte eine solche Veränderung auch durch den stillen Gesang einer Mönchsgemeinschaft zustande kommen? Wenn die Stille den Raum der Geräuschkulisse füllt, wird es in der Tat buchstäblich mucksmäuschenstill. Aber ein lauter Sound kann auch so kultiviert werden, dass er Stille hervorbringt. So schrieb eine örtliche Zeitung nach dem Konzert, das ich besucht habe: „Noch nie sind die Menschen aus diesem Club so still nach Hause gegangen“. Wenn man Stille mit anderen teilen kann, ist das eben immer eine Bereicherung. Ich genieße den Dialog und die Performance in vollen Zügen. Das tut auch Stephen: “Jede Erfahrung entsteht in deinem eigenen Geist, und es ist faszinierend, wie mehrere Erfahrungen am selben Ort entstehen können”. Vielleicht kommt er ja mal in unsere Abtei, dann werden wir wieder Erfahrungen teilen, nur dann am anderen Ende des Geräuschspektrums, und doch in der Stille des Lärms.

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