Die Verengung des Korridors

 In FEATURED, Kultur, Medien, Politik

Die Meinungsfreiheit ist von einer puren Selbstverständlichkeit zum Gegenstand erregter Debatten geworden. Meinungsfreiheit ist die Freiheit, innerhalb eines eingeschränkten Spektrums alles zu sagen. Lassen Sie die Menschen über 50 Grauschattierungen debattieren, tun Sie aber so, als ob Schwarz und Weiß, als ob alle Farben gar nicht existierten. Damit erschaffen Sie einen Gedankenkäfig, aus dem Ihre Gefangenen gar nicht ausbrechen wollen, weil sie die Gitterstäbe nicht einmal bemerken. Wir Bürger sind durch Jahrzehnte der „Erziehung“ seitens der großen Medien anspruchslos geworden. Wenn in einer Talkshow neben Karl Lauterbach und Jens Spahn ausnahmsweise mal auch Wolfgang Kubicki und Boris Palmer eingeladen sind, betrachten wir dies als Beweis für die Funktionstüchtigkeit unserer Demokratie und für lebhafte Debattenkultur. Dagegen wäre eine Einladung an Wolfgang Wodarg oder Boris Reitschuster ein Ding der Unmöglichkeit. Nichts dokumentiert den Verfall der Meinungsfreiheit in unserem Land so sehr, wie die Tatsache, dass über deren Gültigkeitsbereich und deren Grenzen derzeit andauernd diskutiert wird — so als sei sie keine schlichte demokratische Selbstverständlichkeit. Wissen wir noch, warum bestimmte Grundrechte so eminent wichtig sind? Auftakt zur neuen Serie über Meinungsfreiheit. Milosz Matuschek

 

Neulich erreichte mich ein Brief von Leser L. aus B. Er hatte sich mit einem Anliegen an den Petitionsausschuss beim Deutschen Bundestag gewandt, über das er mich freundlicherweise meint informieren zu müssen.

„Betr.: Seuche

Sehr geehrte Kommission,

Hiermit fordere ich, Kritik an der Regierungspolitik bzw. den Verantwortlichen in Sachen Corona-Verordnungen mit dem Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte/notfalls sofortiger Ausbürgerung zu ahnden….“

Mit freundlichen Grüßen,

Karl-Friedrich L.“

Es ist sicher nur ein Beispiel von vielen. Aber immer läuft es derzeit auf das Gleiche hinaus.

Die einen meinen, alles wäre gerettet, wenn Diskussionen ausbleiben. Die anderen meinen, dass genau diese Rettung der Untergang wäre.

Es scheint zum Volkssport geworden zu sein, das Selbstverständliche der Meinungsfreiheit zum Privileg umzuformen.

Wir haben ein systemisches Problem. Jede Diskussion über Meinungsfreiheit, die seit Monaten geführt wird, ist im Kern eine Diskussion über Geschmacksfragen bezüglich Äußerungen und daran anknüpfend über die Satisfaktionsfähigkeit der Sprechenden. Journalisten und Gatekeeper der öffentlichen Meinung vergeben B-Noten, statt den Inhalt zu verhandeln. Es ist ein reines moralisches Schattenboxen. Zusammenfassend könnte man sagen:

Man diskutiert gerne und viel über die Meinungsfreiheit — anstatt sie einfach wahrzunehmen. Debatten über Meinungsfreiheit sind Debattenverhinderungsdebatten.

Ein Glasperlenspiel der Feuilletons. Man könnte die Debatten ja zur Abwechslung einfach führen.

Kritische Geister im öffentlichen Raum werden von einigen Journalisten derzeit als Betriebsunfall wahrgenommen, als eine Art Flächenbrand, den die inquisitorische Feuerwehr dann glaubt löschen zu müssen. Die Schauspieler-Aktion #allesdichtmachen war nur die letzte Auflage dieses altbekannten Spiels. Sie zeigt immerhin, dass es jeden treffen kann, egal wie prominent. Nach der lautstarken Diffamierung zieht man sich als Journalist dann einfach kleinlaut auf handwerkliche Fehler zurück, wie soeben der „Tagesspiegel“. Man will wohl sagen: wir sind nicht bösartig, nur dilettantisch.

Es ist Wahnsinn, aber mit Methode. Nicht die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung sind durch #allesdichtmachen in den Medien zum Hauptthema geworden. Sondern die Frage, mit welchem Verdacht man die Künstler als nächstes überziehen könnte. Der gewaltige Zuspruch für die Aktion zeigte, dass der Bürger den Anstandsdamen in den Redaktionen um einiges voraus ist. Es ist trotzdem zu leicht geworden, wirklich brennende Themen zwischen Nebelkerzen und Nebenkriegsschauplätzen zu „beerdigen“. Der Linguist Noam Chomsky beschreibt diese Verengung des Meinungsspektrums machtpolitisch:

„Der schlaueste Weg, Menschen passiv und gehorsam zu halten, ist, das Spektrum an akzeptablen Meinungen streng zu beschränken, aber eine sehr lebhafte Debatte innerhalb dieses Spektrums zu ermöglichen.“

Der Journalismus hat sich von der Abbildung tatsächlicher Meinungskämpfe in das Feld des Showbusiness verlagert. Wir sehen Schaukämpfen zu, wie beim Wrestling.

Die Welt will betrogen sein, sagte einmal ausgerechnet ein Papst. Aber letztlich will der Mensch in Wahrheit leben. Genau diesem Prozess dient die Meinungsfreiheit. Sie hilft, die Realität herauszuschälen. Und wo gehobelt wird, fallen Späne. Das Grundgesetz (und andere freiheitliche Verfassungen) wissen das und gehen im Kern von einem Meinungskampf als Normalzustand aus. Das Bundesverfassungsgericht definiert den Meinungskampf als das Lebenselement der Demokratie.

Wo die Konfrontation von kontroversen Ansichten verhindert wird, stirbt demzufolge ein Stück Demokratie. Wann setzt sich diese Erkenntnis in der Journalistenausbildung durch? In den Redaktionen von Talkshows sind gerade Totengräber der Demokratie am Werk.

Wir leben in einer Zeit, in der Selbstverständliches nicht mehr selbstverständlich ist; in welcher der Wert von Grundrechten nur bruchstückhaft bewusst ist; und in welcher frühere Errungenschaften scheinbar ohne größere Not aufgegeben werden können. In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht den Schutzbereich der Meinungsfreiheit übrigens weit gefasst. Für manche liest sich dies wohl wie Hieroglyphen aus einer vergangenen Zeit.

Wie wäre es, wenn man statt Triggerwarnungen in Zukunft einfach vor allen öffentlichen Diskussion kurz diese Erinnerung an die geltende Rechtslage einblendet? Vielleicht sollte man sie auch noch auf Hauswände sprühen, es scheint sich hier um Geheimwissen zu handeln. Der Petitionsausschuss des Bundestages hat übrigens auf die Eingabe von Leser L. aus B. (wie ich finde) vorbildlich reagiert. Nämlich mit einem Hinweis auf genau diese Grundsätze.

Dies ist der Auftakt zu einer neuen Serie über Meinungsfreiheit und was sie heute bedroht. Es wird um grundsätzliche Fragen gehen.

Was sind die philosophischen Grundlagen der Meinungsfreiheit? Was ist die verfassungsrechtliche Auskleidung? Warum darf Satire mehr und warum müssen Politiker hart im Nehmen sein? Durch welche Phänomene ist die freie Kommunikation und Information gerade akut bedroht? Sind wir mitten in einem Kulturkampf?

Ich freue mich, wenn Sie mit dabei sind.

Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Es flimmert in der Herzkammer der Demokratie“ auf dem Blog Freischwebende Intelligenz von Milosz Matuschek.

Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.

Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuvor erschienen ist.

Anzeigen von 3 Kommentaren
  • Cetzer
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    “Aber letztlich will der Mensch in Wahrheit leben.”

    Gedankenexperiment: Aus den Tiefen des Weltalls taucht unerwartet ein riesiger, feuriger Komet auf, der unbedingt die Erde küssen will. Wollen die Menschen wirklich, dass Mutti Merkel dann festen Schrittes vor die Kamera tritt und erklärt: Liebe Kind-Bürger, in drei Tagen ist leider alles vorbei, aber bis dahin darf jeder machen, was er schon immer wollte. Ich z.B. werde die Hoden vom Seehofer in den Schraubstock spannen und ihm endlich die Flötentöne beibringen…

    Der Lügen-Muskel ist sowas von trainiert durch die Ich-Unsterblich-Lüge. Wahrheit ist ein Randphänomen, das nur Mutti Merkel verzweifelt verteidigt (auf Kosten vom armen Seehofer).

  • Freiherr
    Antworten
    …furchtbares ist passiert –

    gestern beim Herumirren im TV bemerkt:

    Petra Gerster, unsere Nachrichtensprecherin im ZDF –

    hört auf !

    Sie bedankt sich für jahrelanges Vertrauen und dieses Vertrauen wäre ja das wichtigste ! – meinte sie !

    Und : ” S’Lebbe geht weiter… ” fügt sie hinzu –

    damit beruhigt sie uns freilich, das Leben geht auch ohne sie weiter…

    …da konnte ich mir eine kleine Träne nicht verdrücken… kam spontan !

     

     

     

     

     

  • Freiherr
    Antworten
    Den Boris Reitschuster wollen sie nun auf die feine Art kaltstellen – Banken kündigem ihm sein Konto ohne wirkliche Begründungen dafür zu liefern.

    Da ist er nicht der einzige, das System arbeitet längst mit Stasi-Methoden – man bekommt einfach keine Erklärungen, Aufklärungen,

    wer die Befehe dafür gibt ? – kann man nur vermuten, Geheimdienste sicherlich, Seehofer persönlich möglich oder sehr wahrscheinlich.

    Bei Ausreise als “Verdächtiger ” Sonderbehandlung, bei Einreise ebenso…

    er macht genau das richtige, macht alles öffentlich – sehr wichtig !

    Straftaten haben sie alle nicht begangen, die nun auf diese Weise verfolgt werden –

    lediglich eine kritische Meinung und tja – die ist inzwischen wohl strafbar.

    Man hat inzwischen ein wirklich engmaschiges Überwachungsnetz installiert – um “Feinde der demokratischen Grundordnung ” auf allen Ebenen zu erfassen, witziger Weise ja alle Bewegungen die eine Wiederherstellung der Demokratie fordern, dieBasis ist da freilich nicht ausgenommen.

    Wer betroffen ist, dem kann ich nur empfehlen darüber zu reden, unbedingt – sich erst recht offenbaren, damit kann man auch einen Köder auslegen und zack – geht der Staatsschutz in diese Falle, dann hat man Gewissheit.

    Aus Angst verstecken ist der falsche Weg.

    Ich prophezeihe dass diese Stasi-Methodik unter Grüner Herrschaft noch schlimmer wird, die werden alle Machtmittel einsetzen um die Macht zu behalten, dann ist Staatsfeind wer nicht grün denkt.

    Wir müssen ein weltweites unabhängiges Netzsystem schaffen, uns von den Giganten abkoppeln, die sind fest in der Hand der NSA und des Great-Reset.

    Solange Stephan Harbarth als Verfassungsvernichter agiert, wird es sehr schwer sein eine unabhängige Justiz wieder herzustellen – eine die auch die Geheimdienste wieder in die Schranken weist.

    Momentan – und ist wohl noch schlimmer zu erwarten, agiert nicht nur ein allmächtiger Polizeistaat, auch ein mit allen Befugnissen ausgestatteter Überwachungsapparat, vom Innenminister gesteuert, von Merkel gedeckt.

    Sich darunter wegducken wäre der fatal falsche Weg.

    Sich strikt auf Verfassung und Grundgesetz berufen – der einzig richtige und mögliche Weg.

    Die Verfassungsfeinde sitzen in dieser Regierung, erwiesenermaßen.

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

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