Die vier von der bajuwarischen Anti-Think-Tank-Stelle

 In FEATURED, Politik (Inland)

Der Feldzug der CSU gegen die 68er und andere Feindbilder. Bavaria rules. Mit autoritären und xenophoben Parolen treiben CSU-Politiker derzeit nicht nur die Kanzlerin, sondern das ganze Land vor sich her. Schlagstock und Lederhose – diese Mischung scheint derzeit unschlagbar, zumal sie kollektiv an tief verankertes gesundes Volksempfinden anknüpft. Der Autor nutzt die Steilvorlagen aus der hohen Politik für eine launige, äußerst beredte Abrechnung. (Klaus Strohmeyer)

Immer wieder weht ein Lüftchen stallproduzierten Natur-Düngers, von ursprünglichen, echten Misthaufen vor Haus und Hof, von Ausscheidungen noch direkt aus dem Anus der Kuh, aus den letzten urdeutschen Landschaften wahrer traditionsverhafteter Heimat, ganz besonders aus dem Alpenvor- und –hochland über das Land. Die am Ursprungsort vorherrschende Duftnote liegt oft verdächtig nahe am Gestank völkisch brauner Heimatideologie. Dass auch Reinheitsgebote und rassische Säuberungsbemühungen für Ganz-Deutschland vom Süden ausgingen, kann nur oberflächlich ein Widerspruch sein.

In diesem Geruch steckt das Umschlagen der ein für allemal befriedet geglaubten Siedlungsideologie des „Volk(s) ohne Raum“, nach der sich das deutsche Volk naturgemäß in die Weiten des Umlands, schlechter bestellter Nachbarländer auszudehnen sehnte, ein Akt kolonisatorischer Fürsorge, nach innen. Es ist eine Umkehrung dieses Missionsdrangs auf Kaperfahrt, zu einer Art mentaler, „innerer Kolonisation“, der sich die CSU verschrieben hat. Getarnt als Heilungsversprechen für das ganze von Flüchtlingsproblemen gebeugte, unter Fremdeinfluss siechende, auf Erlösung von Kopftuchmädchen und Trieb gestauten, notgeilen Jungmuslimen hoffende Land. Nach dem Willen der professionell dauerbesorgten vier gerade führenden CSU-Politiker Seehofer, Söder, Scheuer, Dobrindt soll jetzt vorzugsweise am bayerischen Wesen das deutsche Volk genesen, eine spezielle krachlederne Variante der Steigerung und Ausbreitung des Identitätskerns „deutsch“ über das ganze Land.

Nach innen gerichtet ist dieses Ansinnen vermutlich nur, weil außerhalb der Ökonomie ein expansionsorientiertes Ziel sich von selbst verbietet, aufgrund der historischen Vorstrafen und der mühsamen Einhegungen, die der deutsche Ausdehnungstrieb erfahren musste. Nachdem so viel Heimat bereits verloren und verspielt worden ist und der zu schützende Restbestand jetzt von mancherlei Artfremdheiten verdorben zu werden droht, richtet sich die neue deutsche Befreiungsideologie also nach innen: Innere Kolonisation bedeutet Rückbesinnung auf das Land und seine angestammten Leute, auf Heimat schlechthin.
Dabei war Heimat nicht von vornherein ein rechtslastiger, rückwärtsgewandter Begriff, Ernst Bloch hatte 1933 beklagt, wie der Nationalsozialismus der uneinheitlichen Linken die Farbe, die Straße, die Begriffe entwendete, sie okkupierte. Deshalb sollte sich Restdeutschland heute die Deutungshoheit für den Heimatbegriff nicht so leichtfertig von den bayerischen Manns-Bildern entwinden lassen, auch wenn die Armdrücker und Bierseidel-Stemmer hier dichter gesät sein sollten.

Das propagierte Zurück zur deutschen Natur zielt wieder auf Reinigung von Leib und Seele, Reinhaltung des Volkskörpers. Mentale Kolonisation heißt: Befreiung der deutschen Seele von Parasiten, Besiedlung der Seele mit deutschesten Eigenschaften und Sehnsüchten. Das Myzel bayerischer Selbstüberzeugtheit soll sich flächendeckend und werbewirksam ausbreiten.

Dass dort unten schon lange, seit ihrer Nachkriegsverlagerung, die Standorte der Auto- und Maschinenindustrie ganz ungleichzeitig neben den grünsten Almen gedeihen, soll kein Widerspruch sein, im Gegenteil, es zeugt nur von den besonderen bayerischen Fähigkeiten, beides unter einen Hut, den Sepplhut, zu bringen. Hier befindet sich das Pantheon der klarsten und hellsten deutschen Köpfe, die sich auf allen Gebieten tummeln: der besten Fußballer, der besten Autohersteller, der erfolgreichsten Waffenexporteure, und eben der aufrichtigsten Heimatverfechter, -versteher und -bewahrer!

Gerade jetzt, wo es noch eine lange Zeit für unwahrscheinlich gehaltene Steigerungsmöglichkeit von Heimatwächtern rechts der CSU gibt, die AFD, möchten die vier Scharfmacher vom Dienst, Söder, Seehofer, Scheuer und Dobrindt die verlorene rechte Randzone ihres Alleinvertretungsanspruchs auf Heimat gerne zurückerobern; deshalb wird jetzt das Heimatparfum besonders stark aufgetragen, die Backenfarbe christlich-sittlicher Unschuld besonders rosig geschminkt, das bayerische Deutschsein mit Eichenlaub-Janker, Haferlschuhen und Gamsbart am Hut, letzteres noch eine Reminiszenz an die Zeiten, als wir alle noch Jäger waren, besonders kernig akzentuiert.

Polternde Gemütlichkeit, derber, manchmal auch schlitzohriger Humor und widersprüchlicherweise leichte Erregbarkeit werden den Bayern als charakterliche Grundzüge zugeschrieben in einem oft exotisch anmutenden Heimatverschnitt (ob in den Weißblauen Geschichten oder bei den Rosenheim-Cops); es geht um Identitäts-Reklame. um ein schweinsledernes oder dirndlpralles. leinengestärktes Selbstwertgefühl, um grauen Filz allüberall besonders gern mit grünem Stehkragen.

Wenn es doch nur mit den Gründen des Aufstiegs der fabelhaften Vier so einfach wäre wie mit der Auferstehung Donald Trumps aus gekränkter Eitelkeit, aus gefühlter Erniedrigung, hervorgerufen ausgerechnet durch Barack Obama, von dem man sonst so viel mehr selbstbewusstes Einschreiten und Durchgreifen erwartet hatte. Wie oft wird Obama schon bedauert haben, die fatale Rede gehalten zu haben, mit der er sein Mütchen an Trump gekühlt hatte! Dass er damit ausgerechnet den inneren egomanen und fremdwütigen Schweinehund in Trump geweckt hatte, mit dem er es allen, vor allem aber Obama, zeigen wollte und sich fatalerweise tatsächlich zum Präsidenten küren ließ!

Nein, die Kränkungen, die aus einem etwas machen, was man sich vorher selber nicht zutraute, liegen meist nicht so an der Oberfläche, rühren viel tiefer, wären durch ein profundes Projekt wie „Elternhaus und Schule“ und darüber hinaus durch die Analyse Resilienz stärkender Traumatisierungen ans Tageslicht zu fördern. Woher kommen die eingefleischten Vorurteils-, Denk- und Fühlmuster, mit denen z.B. bayerische Eingeborene aufgezogen werden: die volkstümlichen Erzählungen vom Schnackseln, Fensterln und Raufen, mythenähnliche, die Persönlichkeit hebende Selbstmissverständnisse, so ganz ungefiltert und bodensatz-ständig, all diese selbstverliebten sich feiernden Machismen und Fruchtbarkeitsriten?

Die unerschrockenen Vier von der Anti-Think-Tank-Stelle glauben sich in ihren Gauen besonders fernhalten und absetzen zu müssen von allen Schattierungen andrängender, überspülender Fremdheit, gemessen an einer unheimlichen, da unsichtbaren „Orbanitätsskala“, nach der im Volk gewarnt wird vor dunkleren Hautfarben, schmaleren, schrägeren Augenstellungen, „Schlitzaugen“ assistierte ein gleichgestimmter Schwabe, vor slawischen, mongolischen Backenknochen, vor wulstigeren Lippen und breiteren Nasen und ausladenderen Hinterteilen. Vor Rosigkeit und Reinheit, Blondheit und Blauäugigkeit bedrohenden, durch Mischung und Verfälschung von Rassen und Religionen, Überzeugungen und Lebenskonzepten, die sich ungewünscht bei uns einnisten wollen. Ein Schreckbild, als lebe man in Zeiten der Vor-Aufklärung und Feindbild-Propaganda, als noch stereotyp den Engländern Nachtblindheit als Kriegsnachteil attestiert werden konnte.

Im Feindbild wimmelt es nur so von äußerlichen und inneren Aussonderungsmerkmalen, von befremdenden Kopfbedeckungen, unterschiedlich blickdichten Verschleierungen und unzünftigem Schuhzeug wie von verstörendem Brauchtum aus dem Morgenland. Dass ausgerechnet der AFD der freizügige Bikini, dessen besonders textilarme brasilianische Variante nicht ohne Grund als „Zahnseide“ verspottet wird, einmal als westliche Errungenschaft verteidigenswert erscheinen könnte, wie im letzten Wahlkampf mit Zielrichtung gegen Nikab und Burka plakatiert, hätte man kaum für möglich gehalten!

Die Protagonisten der Anti-Think-Tank-Stelle im Einzelnen: Alexander Dobrindt z.B. als Landesgruppen-Chef vom Verkehrsminister zur Abteilung Ideologieproduktion versetzt, hatte selbst noch dann sein naiv-selbstgenügsames Lächeln beibehalten, als Marietta Slomka ihm die angestrebte „Konservative Revolution“ um die Ohren schlug. So als hätte er es gerade allen gezeigt. Dabei hatte seine angriffslustige ZDF-Interviewerin ihm gerade seine Wissenslücken über Herkunft und völkische Verwendung seines neuen Kampfbegriffs vor Augen geführt und er konnte nur noch ohne Pein seiner Unwissenheit Ausdruck verleihen, nach dem Motto „eh schon egal“.

Ob „Abschiebe-Industrie“ oder „Konservative Revolution“, instinktsicher tritt er in jedes Fettnäpfchen, das sich ihm verbal bietet, nur um seinen tief wurzelnden Bauchgefühlen gegen all das nachzugeben, was ihn gegen die fremdgesteuerte fünfte Kolonne marxistisch infizierter Intellektueller umtreibt. Wenn man ihm doch nur schonend beibringen könnte, dass die oft mit der ganzen Familie, mit Kleinkindern zu uns Flüchtenden das nicht aus Jux und Tollerei, aus Abenteuerlust und Leichtfertigkeit tun, so wie man bei uns Bungee-Jumping oder S-Bahn-Surfen betreibt, um der Seele einen Adrenalinkick zukommen zu lassen. Klar, dass nicht alle Flüchtlinge der Welt zu uns kommen können, wollen ja auch gar nicht alle, viele wollen sogar wieder zurück, obwohl ihre Heimat z.T. auch mit deutschen Waffen zusammengeschossen und unbewohnbar gemacht worden ist. Viele wollen noch nicht einmal nach Bayern…

Ob man Dobrindt die ausgeklügelte Strategie zutrauen kann, dass mit Verweigerung von Hardware-Nachrüstung beim Diesel ein Umsatz steigernder Abwrackeffekt entsteht, ist fraglich. Vermutlich hat ihm diesen genialen Schachzug die Autoindustrie höchstpersönlich eingegeben. Die Einsicht, dass saubere Luft ein so hohes Gut ist, das es über allem Wirtschaftsinteresse zu stehen hat, war ihm leider nicht abzuringen.

Markus Söder glaubt, mit seinem Kreuz-Zug das Abendland durch staatschristliche Symbolik festigen zu können Dabei kann er beim Ellenbogengerangel auf sein Gewicht und auf stocksteife Selbstgefälligkeit und Selbstbehauptung setzen, gern denunziatorisch durch Abwertung des Anderen, auch durch die Dickfelligkeit, nur solche Fragen zu hören oder zu beantworten, die genehm oder leicht zu beantworten sind. Angriff ist ihm noch immer die beste Verteidigung. Jetzt endlich in Stellung gebracht, repräsentiert er, was er schon lange gern repräsentiert hätte: die patriarchalische Ausstrahlung eines Stammeshäuptlings. Ursprünglich ein umtriebiger polternder Heimatgeist, ähnlich wie Rübezahl, jetzt, nach Erreichen seiner Lebensrolle um altersweise Zurückhaltung bemüht. Wobei er sich öfter auf die zu unkontrollierter Selbsttätigkeit neigende Zunge beißen muss. Sein hintersinniges Lächeln zeichnet sich dadurch aus, dass es etwas vorzutäuschen scheint, was es bei näherem Hinsehen gar nicht gibt.

Horst Seehofer dagegen hat fast immer ein dauerverschmitztes, wissendes Lächeln aufgesetzt, das von unter-gründigem Humor zeugt. Ein Lächeln, das er nur ablegt, wenn er – wie jetzt im BAMF-Skandal – theatralisch werbewirksam für andere zu Kreuze kriecht. Er scheint sich in seinem Modelleisenbahnkeller als Heim- und Stellwerker viel wohler zu fühlen als in seiner neuen Rolle als Leiter des Heimatministeriums. So wohl, dass man ihm jetzt schon für die nachpolitische Karriere einen Job bei der Bahn anbieten sollte, am besten als Schrankenwärter, der die hier blauweiß gestrichenen Schlagbäume immer rechtzeitig genüsslich her-unterkurbelt, wenn wieder Migranten und Fremdeinflüsse in Sichtweite geraten.

Eine nicht gestellte europakritische Frage von ihm könnte lauten: Warum machen das eigentlich die Italiener falsch, dass sie so viele Flüchtlinge bei sich anlanden lassen. Würden die italienischen Strände, das ganze Mittelmeer, beispielsweise zu Bayern gehören, würden die Flüchtlinge als erstes schwimmen lernen, um nicht so viel Aufmerksamkeitspotential durch Ertrinken auf sich zu ziehen! Und um im Überlebensfall wieder zurückschwimmen zu können. Dass Seehofer insgeheim die Leitung des Heimat-Museums lieber wäre, kann man nur allzugut nachvollziehen.

Ankerzentren hier, Auffanglager dort, nein, es geht um Ausbildungszentren vor Ort, in den Ländern der Dritten Welt, dort, wo der größte Mangel an Bildung und Ausbildung grassiert. Falls die EU wirklich das Elend der Migration noch vor der Auslese- und Todeszone des Mittel-meers bei der Wurzel packen und aufhalten wollte! Wo übrigens bekanntermaßen die Ressourcen der Zukunft lagern, sie aber erpresserisch den zum Teil hilf- und machtlosen, zum Teil unfähigen, zum Teil korrupten Regierungen dieser „Räume defizitärer Staatlichkeit“ abgezwungen werden. (Es würde ihm gut tun, wenn er in dieser Frage auf seinen Kollegen, den Entwicklungsminister, hören würde, der unter so vielen Entwicklungs-Verhinderern dem Namen seines Ressorts angenehm gerecht wird, nicht nur hinterher-, sondern vorausdenkt.)

Andreas Scheuer schließlich, er hatte als Generalsekretär ein aasig-mephistophelisches Gesicht eingeübt, als könne er die Rolle des Faust-Versuchers lässig aus dem Ärmel schütteln. Obwohl er von Dobrindt ein schwieriges Erbe angetreten hat, das Verkehrsministerium, dessen Minenfelder und Fallstricke nur dadurch etwas entschärft werden, dass er seinem Vorgänger im Amt über die Schulter schauen und sich ihm schon charakterlich angleichen durfte. In Amt und Würden ist er jetzt nicht mehr ganz so verkniffen, schenkt auch mal seinen Widersachern ein kantiges Lächeln; dabei hilft ihm sein bayerisches Naturell, dass ihm jetzt sowieso keiner mehr kann…, außer der Autoindustrie.

Man liest, er habe Herrn Zetsche zu sich kommen lassen. Oder war es umgekehrt: Hat sich Herr Zetsche womöglich bei ihm angemeldet, um ihm noch den Schein von politischer Autonomie zu lassen? Will er vielleicht nur darüber sprechen, wie man die Autoindustrie am besten nach Afrika oder in andere Billiggefilde verlagern kann, wenn jetzt kostenungünstige Maßnahmen und Einschränkungen ins Haus stehen? Verhandlungen führen über geheime Abschaltprogramme und wirksame Luft- und Klimaverbesserung?

Die bayerische Anti-Think-Tank-Stelle (der Dobrindts, Seehofers, Scheuers, Söders) ließe sich mühelos doppelt und dreifach besetzen; da scheint genug nachzuwachsen. Das aufs Auswendig-Lernen besonderen Wert legende bayerische Schulsystem scheint erfolgreich beim Einpflanzen von Vorurteilen und Abwehrzaubern: Einer der tiefsten Stachel im Fleisch der treubayerischen Heimatseelen waren wohl die 68er mit ihrem über den bundesdeutschen Tellerrand schauenden, die Grenzen überschreitenden kosmopolitischen Blick, mit Kapitalismus-, Kolonialismus- und Erziehungskritik. Mit ihrem Aufbegehren gegen Autoritätshörigkeit und restriktive Sexualmoral.

Kein Wunder, dass mit einer „konservativen Revolution“ der Geist, der da aus der Flasche gelassen wurde, wieder zurückgestopft werden soll. Was, wie man weiß, ein Ding der Unmöglichkeit ist, frei gelassene Gase lassen sich nicht wieder zurückfüllen. Auch bei freigelassenen Abgasen gelingt das ja nur sehr unvollkommen…

Die Wut auf die 68er entspringt offenbar einer untergründig wirkenden Milch der frommen Denkungsart, einer womöglich schon mit der Dirndl geschmückten Mutterbrust eingesogenen bayerischen Sozialisation, dem tief verankerten antiaufklärerischen Impuls, ja Ressentiment: Würde man nämlich die von diesen freizügigen, wild gewordenen, Chaos verbreitenden kritischen Geistern in die Welt gesetzten Proteste und Einwände, sogar Argumente, gegen den Status quo des gedankenlosen Weitermachens ernst nehmen, müsste man bei sich selber anfangen. Und müsste auf vielerlei Bequemlichkeiten und Eitelkeiten verzichten, allem voran auf den automobilen Komfort der Produkte hier angesiedelter Fabrikationsstätten, auf die den Narzissmus stützenden Status-Primemarken, müsste man am Ende sogar die verhasste „Dialektik“ der marxistischen Kapitalismus-kritik annehmen, dass unsere Bequemlichkeit, sprich der „Wohl-Stand“, auf den Schultern der Menschen der Dritten Welt ruht und mit all seinen sichtbaren und unsichtbaren Kriegen, mit all seiner Unterdrückung und modernen Sklaverei konsequent aufrecht erhalten wird.

Das Fatale aber ist, dass auch bei Nichtbeachtung dieser Kritik der Prozess der inneren Verschärfung, des Selbstwiderspruchs des kapitalistischen Systems weiter voranschreitet und früher oder später auch die Kritikresistenten erreicht: Ob Weltklimaüberhitzung oder Plastikmüll-Armageddon, die ungehemmte Fortführung kapitalistischer, Natur verschleudernder Wahnwitz-Fabrikation und systematischer Selbstzerstörung der Ressourcen, die Auflösung der Regenerationsfundamente, wird letztlich auch die Einsichtsverweigerer erreichen und ereilen.

Was Sven Regener, der Frontmann von Element of Crime, schon vor Jahren mit melancholischer Ohnmacht besang: „Der ganze alte Schrott muss raus und neuer Schrott muss rein!“. Der Kreislauf des immer nur umgeschichteten Wahnwitzes schreitet auch bei chronischer Ignoranz und Bewusstwerdungsverachtung, bei Vernunft- und Realitätsverweigerung, weiter voran.

Und hinter aller Einsichtsbehinderung passiert genau das, was die uneinsichtigen Vier, und mit ihnen andere, die ihnen die Botschaft vom Mund ablesen, mit allem Mitteln zu verhindern suchen: weltweite Fluchtbewegungen aus den abgehängten Regionen in die Kernzonen kapitalistischer Ignoranzverwaltung. Politische Rechtfertigung durch Adepten solcher unkontrollierter, bewusstloser Produktionslogik. Mag sein, dass es schon längst zu spät ist, dass die Einsichtsfähigkeit der Politik per se begrenzt ist, trotzdem haben wir – alternativlos – keine Wahl. Unsere erste Wahl muss die „Abwahl“ solcher Anti-Aufklärer sein! Wollen wir uns wirklich von so viel Uneinsichtigkeit repräsentieren und regieren lassen?

Der Lobbyismus kommt, wie man weiß, ja nicht von außen mit Scheinen winkend auf die Politik zu (das auch …), das Böse (und das Dumme, Naivität mit und ohne Berechnung), sprich: der Keim von wirtschaftsegomaner Denk- und Handelsweise und von einer unsichtbaren ökonomistischen Durchdringungsstrategie in die Politik hinein steckt immer schon in den Institutionen des Parlaments, wenn die nächste Generation der „Volksvertreter“ einzieht. Sie ist immer schon im Haus anwesend, metastasiert im Innern der Gremien, nistet sich in den „Beratungsgesprächen“ und Diskussionen ein, bevor die Entscheidungen getroffen werden.

So wie das Böse mit dem Panik getriebenen „buckligen Koukol“ auf der Flucht vor dem nach Blut geifernden Vampir-Grafen von Krolock in Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ auf dem Schlitten schon mit ins Tal fährt.
Was ist bloß schief gelaufen in der bayerischen Sozialisation? Hatte der Märchenkönig, der noch heute im Dunst über dem Chiemsee schwebt, den Blick vernebelt auf die damals dort vorherrschende Armseligkeit der Bergbevölkerung? Wer lässt eigentlich heute seinen Mythos und zu wessen Nutzen so gern wieder aufleben? Außer der Tourismus- und Andenken-Industrie?

Manchmal kann man vielleicht sogar nachempfinden, dass – wenn die Kopftuchdichte zu groß wird – manche sich womöglich fremd im eignen Land fühlen. Aber was mochten denn die afrikanischen und amerikanischen Eingeborenen angesichts der bewaffnet in ihre Heimat vordringenden Gold- und Diamantenschürfer gedacht haben? Hat Humanitätsgefühl am Ende doch regionale, rassisch-ethnische, mentale Grenzen? „Identitäre“ Begrenztheiten ja wohl allemal!

Wo bleibt bei dieser Einstellung der furchtbaren Vier, die man getrost auch als Vertreter weiterer schlimmer Aufklärungsverächter, namentlich der AFD, nehmen kann, am Ende die Idee von Europa? Die EU scheint inzwischen den Reinhaltern, Bewahrern, Scharfmachern ja der Anfang des Übels, der Anfang auch von Globalisierung zu sein, die von außen zu uns hereinschwappt, von viel weiter her kommend als nur aus Europa. Als sei das Übel ein unabwendbarer Tsunami, eine unaufhaltsame Naturgewalt, der man nicht denk- und tatkräftig entgegentreten könnte und müsste. Ausgerechnet! Denn sie selber sind es doch, die stillschweigend mehr oder weniger behaglich im Karussell der Globalisierung, im Strudel seines Sogs, mitschwimmen! Ohne einen Fuß breit von ihren Pfründen und vorgefassten Überzeugungen opfern zu wollen!

Dabei müsste doch ein Verkehrsminister allein schon qua Amt eher der Luftreinhaltung für alle Menschen das Wort reden als dem Dieselmotor, selbst wenn daran Arbeitsplätze hängen, müsste ein Heimatminister allein schon qua Amt dafür sorgen, dass Heimat für alle, die hier legal leben oder legitim sich aufhalten, lebenswert ist.

Wer von Kapitalismus nicht reden will, sollte auch von Globalisierung und Wanderungsbewegungen schweigen! (Von Faschismus sowieso!) Die europäische Idee verkommt auch, weil die Politiker, die für Europa eintreten, offenbar nicht oder zu wenig in der Lage sind, für Europa zu werben, für das Ideenpotential von Toleranz und Aufklärung und Menschenrechten! Sie unterlassen es, immer von neuem vor Augen zu führen, wie es in Europa ohne diese Geistestraditionen und ohne den europäischen Gedanken aussehen würde. Das betrifft ja nicht nur die Grenzenlosigkeit, es betrifft auch die Stimmung eines freundlichen, nachbarschaftlichen Umgangs ehemals verfeindeter Nachbarländer miteinander, die sich füreinander interessieren, umeinander Sorgen machen: Allein die Idee, von einem europäischen Trump regiert zu werden, der Mauern bauen will, müsste ein wachrüttelndes Schreckgespenst sein.

Man kann nur hoffen, dass der Trump-Effekt nicht eintritt, dass am Ende sich noch einer der vier, gekränkt, zu Höherem berufen fühlt, gar Kanzler werden will!

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