„Die Welt ist ohnehin surreal“
Christine Wicht interviewt Mona Harun Mahdevi, die für das Buch „Wir Erdeaner“ sowohl surrealistische Bilder als auch Gedichte beigesteuert hat. Das interessante Gesprächt geht über Kunstdeutungen weit hinaus. Zur Sprache kommen Monas iranische Heimat, fragen des Tierschutzes, des Fleischkonsums und des Pazifismus, der Weltpolitik und Spiritualität. Schließlich die Notwendigkeit, für alle Menschen zu verantwortungsbewussten Erdenbürgern zu werden. „Der Erdeaner ist frei von einem nationalen Verständnis, und sieht sich als globales Wesen. Ein Erdeaner weiß, dass man ohne eine intakte Umwelt und die Achtung jeglicher Lebensform, auf die Dauer nicht überleben kann. Der Mensch hat nur eine begrenzte Zeit auf dieser Welt und sollte sich verhalten wie ein Gast.“
In Ihrem Buch „Wir, Erdeaner“ mit dem Untertitel „Ein Buch für Erdenbewohner, und solche die es werden wollen – Gedichte und Gemälde von Mona Harun-Mahdavi“ sprechen Sie, abgesehen vom kurzen Vor- und Nachwort, ausschließlich in Form einfühlsamer und sanfter Gedichte und selbst gemalter surrealistischer Bilder. Das ist ungewöhnlich für die heutige plakative, schnelllebige Zeit. Was hat Sie bewogen zu diesem Stilmittel zu greifen?
Mein Malstil ermöglicht mir, Realität und Phantasie zu verbinden. Der Stil ähnelt dem Surrealismus, ich nenne meine Richtung jedoch Monrealismus. Sie spiegelt meine ganz persönliche Wahrnehmung von dieser Welt und jene die wir nur mit dem Herzen sehen. In meinen Augen ist die Welt ohnehin surreal. Wir ziehen auf dem Raumschiff Erde irgendwo im unbegreifbaren Universum unsere Bahnen. Aber wissen wir, wer wir sind und was Leben heißt? Alles ist in allem enthalten, so wie in meinem Gedicht „Alles in Allem“. Meine Gedichte spiegeln meine Malerei wieder. Bilder und Worte sind mein Weg um das Unsichtbare auszudrücken. Damit möchte ich anderen Menschen Freude bereiten und ihre Vorstellungskraft anregen.
Wer sind die Erdeaner? Das klingt nach Fantasy. Möchten Sie den Leser in eine Traumwelt locken?
Die Erdeaner haben erkannt, dass sie nur Gast auf der Erde sind. Das hat nichts mit Traumwelt zu tun, wird sind alle reale Existenzen. Und „Wir, Erdeaner“ bezieht sich auch auf die Unterzeile „Ein Buch für Erdenbewohner und solche, die es werden wollen“.
Und wer sind die, die es werden wollten?
Damit meine ich egoistische Menschen, die nicht nachhaltig denken und für den kurzfristigen Profit über Leichen gehen, z.B. Leute aus der Industrie, die sich um die Naturzerstörungen nicht scheren. Oder die ganzen Rüstungsindustriellen, die den Tod zahlreicher unschuldiger Kinder hinnehmen, nur um Geschäfte zu machen. Deshalb ist Aufklärung so wichtig. Ich glaube, wenn man Kindern den Wert jeglichen Lebens und die Liebe zu unserem Planeten Heimat, mit all seinen Facettenreichtum, früh genug auf ihrem Lebensweg mitgibt, wird es unwahrscheinlich, dass sie als Erwachsenen skrupellose und rücksichtslose Handlungen vornehmen. Aber auch profitgierige Egoisten könnten sich noch wandeln und den Erdeaner-Weg beschreiten, wenn sie es nur wollen. Bekanntlich ist dort wo ein Wille ist, auch ein Weg. Und wer diesen Willen nicht verspürt, sollte meiner Meinung nach von der Politik und der Gesetzgebung, dazu gebracht werden, sich an die Regeln der Erdenbewohner zu halten.
Die Gesetze beispielsweise in der Landwirtschaft, sind ziemlich wirtschaftsfreundlich
Ja, aber die Gesetze müssten sich den modernen Gegebenheiten anpassen, und sich nicht vom stetigen technischen Fortschritt überrennen lassen. Die Türen für skrupellose, nur auf den kurzfristigen Profit ausgerichtete Handlungen, müssen geschlossen werden.
In ihrem Nachwort appellieren sie an den dichtenden Zeitgenossen die „schöne große Seele“ zu finden, zu erkennen und zur Nachahmung zu empfehlen. Was ist die Schöne große Seele“.
Die muss jeder in sich selber finden. Für mich geht es darum, dass man die Vielfalt, die Natur, das Leben an sich, sensibel wahrnimmt. Diese Wahrnehmung ist durch die schnelle Welt, die Hektik, den Konsum, das ständige Wachstum bei vielen leider untergegangen. Jeder kann die große Seele finden. Man muss sich nur die Zeit nehmen um das Geschenk namens „Leben“ zu erfassen und tief in sich hineinhorchen.
In „Stimme der Tiere“ beschreiben Sie den Menschen als schrecklichstes Tier, als Schande für alles Leben, die es besser nie gegeben hätte. Das ist so pauschal wie brutal. Tun sie damit nicht den meisten ihrer Leser Unrecht?
Ich habe versucht das Gedicht aus der Sicht der Tiere zu schreiben. Ihnen eine Stimme zu geben. Tiere würden wohl so denken, wenn man sieht, was Menschen ihnen antun. Ich musste mich drastisch ausdrücken um Gehör zu finden, damit eine Veränderung in Gang gesetzt wird. Damit der Mensch zu seinem eigenen Wohl verzichten lernt. Das kommt ja dem Menschen früher oder später zu Gute. Ich wollte zum Nachdenken anregen, was der Fleischkonsum anrichtet. Fleischkonsum ist beispielsweise auch mitverantwortlich für den drastischen Klimawandel. Würden die Menschen weniger Fleisch essen, hätten wir weniger Probleme auf der Welt. Ich habe im Buch die Extrem-Beispiele der Gänsestopfleber und der Haifischflossen aufgeführt. Der Konsum von dieser Art tierischem Fleisch bedeutet absolute Tierquälerei und der Verzehr ist total unnötig. Leider kommt das ganze Leid, für die der Mensch verantwortlich ist, meist nur kurzfristig an.
Warum kommt das bei den Menschen nicht an?
Weil sie nicht verzichten können. Die Menschen können sich wohl nicht vorstellen, zwei Schnitzel weniger in der Woche zu essen. Obwohl es gesünder wäre. Viele Menschen wissen auch nicht, was sie essen. Welchen Leidensweg die Tiere gegangen sind, was diese gegessen haben, wie viel Wasser für ein Kilo Rindfleisch, Schweinefleisch nötig ist. Für ein kg Zuchtlachs, den wir konsumieren, wurden 7 Kg Fisch verfüttert. Das ist doch der absolute Wahnsinn.
Als Sie 4 Jahre alt waren, hat ihre Familie aus politischen Gründen den Iran verlassen müssen. Das danach etablierte Mullahregime haben sie nicht mehr persönlich erlebt. Besuchen Sie den heutigen Iran häufiger?
In war vor 14 Jahren das letzte Mal im Iran. Aus politischen Gründen ist es für unsere Familie mit Risiken verbunden in den Iran zu reisen. Ich halte telefonischen Kontakt zu meinen Familienangehörigen, die mir über die Geschehnisse im Iran erzählen. Leider sehr viel Trauriges. Die Menschen leiden sehr unter den unfreien und zum Teil unsagbar brutalen Lebensbedingungen. Auch hier, schaut die restliche Welt nur zu.
Wie hat Ihre persische Herkunft und das Schicksal ihrer Familie Ihr Menschenbild geprägt?
Seit meinem 4. Lebensjahr ist Bayern meine Heimat. Das Menschenbild wurde demnach eher hier geprägt. Allerdings meine ich, dass mein Herz mehr den persischen Gefühlen folgt. Das kann man, glaube ich, selber schwer beurteilen.
In „An alle Krisengebiete dieser Welt‘ appellieren Sie an die Machthaber, auch an den Iran.
Die Menschen müssen wieder gut sein zu sich selber. Durch das religiöse Regime findet eine Unterdrückung statt. Die Menschen im Iran haben keine Freiheit, sie können sich kaum mehr Lebensmittel leisten, es wird nichts in Wasserleitungen investiert, die Rosenzüchter arbeiten heute wieder wie vor hundert Jahren. Die Hauptstadt Teheran mit seinen über 12 Millionen Einwohnern, erstickt im Smog der veralteten Fahrzeuge. Iraner arbeiten quasi gegen ihre eigenen Landsleute und schaden dem Land. Andere Staaten haben natürlich auch ihren Einfluss. Würde der Iran Menschenrechte achten, könnten die Menschen wieder zu sich selber finden. So könnten sie wieder ein Teil der Weltgemeinschaft werden. Der erste Schritt muss von den Machthabern selber kommen. Im jetzigen Regime traut sich niemand etwas zu sagen, aus Angst zu sterben. Das ist ein unmenschliches Regime, das die Religion als Macht missbraucht. Hier sagt man gerne, die Iraner müssen sich selber helfen, das ist einfach gesagt, aber die Menschen haben Angst um ihre Kinder und ihre Familienangehörigen. Die Angst, ins Gefängnis zu kommen, dort gefoltert zu werden oder umgebracht zu werden ist groß. Deshalb nehmen die Menschen die Situation so hin und leiden. Sicher fehlt ihnen, nach dieser seit 35 Jahren bestehenden Situation, auch die Kraft und die Hoffnung für einen Wandel.
Ihre Bilder sind meist surrealistisch. Woher kommt das? Gibt es Vorbilder?
Ja, Salvador Dali. Er war ein Genie in meinen Augen. Er konnte realistisch malen und hatte dennoch eine unglaubliche Phantasie, das finde ich sehr ansprechend. Dali habe ich schon als Kind entdeckt, auch seine Farbgebung hat mich damals schon beeindruckt. Der Surrealismus ermöglicht die Darstellung von Seelenbildern.
„Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Quintessenz aus „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint Exupéry. Ist das eine Pflichtlektüre für Erdeaner?
Das habe ich zwar nicht geschrieben, aber ich freue mich, wenn dies so rüberkommt. Der kleine Prinz ist keine Lyrik, aber von der Aussage der Geschichten sehe ich mein Buch als kleine Weiterführung, aus heutiger Sicht. Ich stelle mich nicht mit Antoine de Saint Exupéry auf eine Stufe, aber es freut mich, wenn Sie das in einem Zusammenhang sehen.
Der Insel Madagaskar ist ein langes Gedicht gewidmet, „viele hindern dich am Erwachen“. Wen meinen Sie damit?
Madagaskar hat ca. 20 Millionen Einwohner, die von der Welt vergessen sind. Es leben noch viele Franzosen dort, die sich Verhalten wie Kolonialisten. Auch viele Chinesen und Deutsche. Aber kaum jemand hilft den Menschen dort, sagen wir mal mit Solaranlagen oder dem Bau von Wasserleitungen. Die Einheimischen werden von den Ausländern skrupellos unterdrückt und vieler Orts findet massiver Raubbau an der Natur statt. Ohne Mitgefühl für die zahlreichen armen Kinder, die die kostenpflichtigen Schulen nicht besuchen können. Ohne Rücksicht auf die wunderbare endemische Tier- und Pflanzenwelt. Die ausländischen Arbeitgeber, nutzen die Menschen aus. Die Arbeitsbedingungen sind zum Teil absolut menschenunwürdig. Die Einheimischen verdienen meist nicht einmal genug für ihren Lebensunterhalt. Ihre Kinder können sie nicht in die vergleichsweise teuren Schulen schicken. Die Schulen sind alle kostenpflichtig und werden vom Staat nicht finanziert. Die Insel im Indischen Ozean hat leider große politische Probleme. Korruption ist auf der Tagesordnung und wird von den europäischen Ländern leider ausgenutzt. Zum Beispiel durch Landgrabbing. Ländereien werden von ausländischen Firmen aufgekauft und den Leuten wird ihre Grundlage genommen. Sie können nichts mehr anbauen. Ausländische Firmen wollen jetzt Meeresgrund ausbeuten. Dann können die Fischer nicht mehr fischen und werden ihrer Grundlage beraubt. Die Einheimischen haben nichts davon. Madagaskar ist nur ein Beispiel für die rücksichtslose Ausbeutung der ärmsten Menschen auf unserer Erde. Die reichen Industrieländer machen nirgendwo halt. Das meine ich mit „viele hindern dich, Madagaskar, am Erwachen“.
„Denker dieser Welt gebt acht“. An wen richtet sich dieses Gedicht.
Es richtet sich hauptsächlich an die Wissenschaftler. Häufig werden aus anfänglich gut gemeinten Forschungen, Ideen weiterentwickelt die dem Leben widersprechen. Wie es zum Beispiel mit der Entwicklung der Atombombe, oder aktueller, bei der Klon- und Gentechnik passiert ist. Viel zu viel wird in die Weiterentwicklung der Rüstungsindustrie investiert. Gedankengut und Erfindungen sollten nicht die Existenz der Menschheit bedrohen und unseren Lebensraum zerstören, sondern nachhaltig sein und den Menschen essenziell zugute kommen. Auch ethisch und moralisch betrachtet.
Menschenwürde ist ein Thema für Sie, hat dies etwas mit ihren iranischen Wurzeln zu tun?
Nein damit hat es nichts zu tun. Ist es den Menschen nicht angeboren, Menschenrechte zu achten?
Nicht unbedingt, sonst wäre die Welt ja nicht so wie sie ist.
Vielleicht hat das Empfinden für ein würdevolles Verhalten neben der ganz persönlichen Eigenschaften auch mit der Erziehung zu tun, weniger mit der Herkunft. Ungerechtigkeiten haben mich auf jeden Fall schon immer gestört und ich lehne mich massiv dagegen auf. Ich wünsche mir eine friedliche Welt mit einer Menschheit die das Verständnis für Gerechtigkeit vorlebt. Toleranz und ein warmes Miteinander. Das kann doch nicht so schwer sein. Der Erdeaner ist frei von einem nationalen Verständnis, und sieht sich als globales Wesen. Ein Erdeaner weiß, dass man ohne eine intakte Umwelt und die Achtung jeglicher Lebensform, auf die Dauer nicht überleben kann. Der Mensch hat nur eine begrenzte Zeit auf dieser Welt und sollte sich verhalten wie ein Gast. Das heißt, er hat die Verantwortung, diesen wunderbaren Planeten mit all seinem Facettenreichtum wieder heil zu verlassen. Das ist man den nächsten Generationen schuldig, sie sind die neuen Gäste…
Wir sind ein großes Rad, und jede Bewegung des Einzelnen gibt dem Nächsten einen Impuls. Sowohl für das Gute, als auch für das Destruktive. Die Bewusstheit über diese große Verantwortung liegt bei uns. In diesem Sinne erhoffe ich mir für alle Menschen, die Beschreitung des Erdeaner-Weges.