Dieses Leuchten
„Erleuchtet oder nicht?“ – diese Frage war eines der viel diskutierten Themen in Wolf Sugata Schneiders mittlerweile eingestelltem Monatsmagazin „connection“. Verbunden auch mit der noch tiefer gehenden Frage, ob es da überhaupt ein „Ich“ gab, das leuchten oder sich eindunkeln konnte. Heute ist der ehemalige „connection“-Herausgeber ein „Ernüchterer“, der die diversen Leuchten der Spiri-Szene scharfzüngig demontiert. Sein Resümee: Ob jemand „leuchtet“, liegt hauptsächlich im Auge des Betrachters. (Wolf Sugata Schneider, www.connection.de)
»Wissenschaftlich ist Magie kaum zu fassen, und doch finden wir Menschen und sogar Dinge faszinierend – oder treffen auf dieses Leuchten in den Augen.«
Heute will ich mal über etwas schreiben, was ich schon gefühlte tausend Jahre lang kenne, was sich aber in den vergangenen Monaten in meinem Leben verstärkt hat: das Leuchten.
Das hat jetzt nichts mit Erleuchtung zu tun. Es ist etwas, das zwischen Menschen jederzeit passieren kann und immer wieder passiert. Manchmal wird es als Glanz in den Augen beschrieben. Du kannst es ganz allein erfahren, am Wasser oder im Wald, mit Pflanzen und Tieren. Im Zusammensein mit Menschen aber entfaltet es seine ganz eigene Magie und Schönheit. Überhaupt Magie … was ist denn das? Wissenschaftlich ist Magie kaum zu beschreiben, und doch weiß jeder Mensch, dass es das gibt: dass man einen Menschen faszinierend findet, charismatisch oder eben dieses Leuchten da ist.
Charisma
Als spirituell Ernüchterter – Ernüchterung ist ja viel eher mein Markenzeichen als Erleuchtung – habe ich Charisma immer als einen unsinnigen Begriff beschrieben, wenn er auf nur ein Objekt verwendet wird, das gerade wahrgenommen wird, nicht auf eine Beziehung. Wenn du sagst, dass die Person X Charisma hat, dann ist das so unvollständig wie die Aussage, dass Augsburg zwischen Ulm liegt. Da fehlt etwas: die dritte Variable. Ohne Nennung eines dritten Ortes ist ein Satz mit »zwischen« weder wahr noch unwahr, sondern unsinnig, es ist eine unkorrekte Anwendung von Sprache. Ebenso bei »X hat Charisma«. Da fehlt der Beobachter des faszinierenden Objektes oder die davon faszinierte Zielgruppe. Nie hat ein Objekt, eine Person oder ein Kraftplatz für sich allein Ausstrahlung oder Charisma, sondern immer nur in den Augen (oder einem anderen Sinn) von X oder einer zu X passend geprägten Zielgruppe.
Schöpfer sein
Diesmal meine ich noch etwas anderes. Etwas, das dem Charisma vielleicht ähnelt. Es ist das, was entsteht, wenn ich »ganz bei mir« bin. Auch wieder so eine luschige Ausdrucksweise, aber auch das kennen die meisten. Wenn das da ist, dann flutscht es, dann bin ich im Flow. Dann kann ich hinnehmen, was geschieht und bin dabei doch kein Opfer der Umstände, sondern Täter, Schöpfer. Bin einverstanden mit der Welt und dabei doch in gewisser Weise ihr Erfinder. Nicht passiv einverstanden, apathisch, sondern in der Mitte zwischen aktiv und passiv. Leidenschaftlich in mir selbst ruhend und dabei eingebunden. Wenn ich so »drauf« bin, haben meine Bewegungen etwas Tänzerisches. Ob ich so aussehe, weiß ich nicht, aber so fühlt es sich an.
Das Netz der Welt
Wenn ich nun auf diese Weise sozial unterwegs bin, mache ich positive Erfahrungen mit den Menschen, manchmal ganz überraschend. Darüber nachdenkend, kommen mir diese Begegnungen seltsam vor, erstaunlich, magisch, wie aus einer anderen Welt. Wenn ich drin bin im Geschehen, erscheinen sie mir als selbstverständlich. Ich fühle mich dabei als Teil des Ganzen. Ich bin nicht draußen, hier ich und dort die Welt, sondern drinnen in der Welt, so dass »die Vögel durch mich hindurchfliegen«, wie Rilke es ausdrückte. Ich bin im Weltinnenraum. Was außen ist, draußen in der Welt, das ist auch innen, in mir. Beim Bahnfahren, sei es in der U-Bahn, S-Bahn oder DB treffe ich dabei auf Menschen, mit denen ich mich wie magisch verbinde. Manchmal tauschen wir danach Kontaktdaten aus, schreiben uns SMS oder Mails und treffen uns vielleicht wieder. Wir fühlen uns als Fäden in einem großen Gewebe oder als Knoten in einem Netz, dem Netz der Welt.
Im Flow
Und dann ist da dieses Leuchten! Ich sehe es vor allem in dem Augenpaar mir gegenüber. Es erinnert mich daran, dass vor vielen Jahren meine damaligen Bioenergetik-Lehrer sagten, dass man das Erwecken der Energie (Kundalini? Prana? Lebensenergie?) eines Menschen am Leuchten in den Augen sehen könne. Jedenfalls glänzen diese Augen da! Die von Kindern sowieso, viel eher als die von Erwachsenen. Aber wenn ich so im Flow bin, begegne ich lauter schönen Menschen, die leuchten. Ich bin neugierig, offen, zugewandt und dabei trotzdem ganz bei mir. Bei längeren Bahnfahrten arbeite ich immer auf meinem Laptop, da bin ich dann still. Und wenn ich mich Menschen zuwende, sehe ich da sehr oft dieses Leuchten, fühle mich empathisch mit ihnen verbunden und erinnere mich dann das, was in den Upanishaden »tat twam asi« hieß, auch das bin ich. Auch du bist ich.
Das Subjekt
Würde ich das philosophisch erklären wollen, würde ich vielleicht sagen: Ich verstehe mich als Subjekt. Und auch dich verstehe ich als Subjekt. Wir verbinden uns miteinander von Subjekt zu Subjekt, und dabei ist für mich völlig klar, dass du die Mitte deiner Welt bist. Aus dir heraus quillt ohne Unterlass eine Welt – deine Welt. Die in gewisser Hinsicht auch die meine ist. Auch die meine? Leben wir in einer gemeinsamen, »objektiven« Welt? Ja, annähernd. Aus praktischen Gründen erscheint es mir als sinnvoll, vom Vorhandensein einer objektiv erfahrbaren Außenwelt auszugehen und sich zu bemühen, diese zu erkennen, so gut es eben geht.
Das Objektive ist annäherbar, das Subjektive aber in einer noch fundamentaleren Weise wirklich. Es ist schon da, wir brauchen uns ihm nicht erst anzunähern. Dass ich fühle und wahrnehme, das ist die Mitte meiner Welt. Das ist noch grundlegender als das Vorhandensein einer objektiven Welt »da draußen«, und von dieser Grundtatsache der Subjektivität ausgehend, können wir einander verstehen, etwas vereinbaren, gemeinsam Ziele erreichen. Wir können Beziehungen, Projekte und Netzwerke gestalten. Wir können Konflikte reduzieren und Frieden schaffen.
Ich ist etwas Soziales
So gesehen ist auch die Ich-Konstruktion, also die Persönlichkeit, mit der ich mich dir vorstelle, um von dir wiedererkannt werden zu können – ich als Adresse im Universum, als ID – etwas Soziales. Wir nennen es Ich (oder du, alias er, sie, es), Persönlichkeit oder Charakter, Ego oder Individuum, aber eigentlich ist es ein Partikel im Gewebe einer Gesellschaft. Ohne meine Beziehungen bin ich nicht definierbar. Ich ist ein Gewebe aus Schichten, in dem Wir-Strukturen einander überlagern. Sich das bewusst zu machen, bindet ein. Dann braucht man nicht mehr Beziehungen zu knüpfen, sondern ist schon in Beziehung ehe man irgend etwas tut. Allein schon, indem ich mich selbst erkenne, bin ich in Beziehung. Durch den Einblick in uns selbst und in die Schichten dieser Identifikationen sind wir miteinander verbunden, einbezogen, ein Teil des Gewebes. Das ist das Ende der Einsamkeit und der Anfang des Friedens.
Die Mutter aller Illusionen
»Im Ich« zu sein, d.h. mit sich selbst identifiziert, ist keineswegs generell schlecht – und dementsprechend ist »selbstlos« zu sein auch nicht generell gut. Nur, wenn man diese Identifikation nicht kennt, also »ich-blind« ist, können die Auswirkungen gewaltig destruktiv sein, nach innen wie nach außen. Egoismus könnte man definieren als die Blindheit gegenüber den Ich-Identifikationen in diesem Gewebe. Sie ist nicht nur weit verbreitet, sondern ganz normal, üblich. Auffällig ist, wer nur wenig davon hat.
Diese Blindheit hat auch positive Seiten, das vergessen Spiris leicht, denn bei Konfrontation mit der ganzen Wahrheit bricht das Ich in der Regel zusammen oder fällt auseinander, es ist dann nicht mehr im üblichen Maß sozial lebensfähig. Dennoch ist dieses Ich so etwas wie »die Mutter aller Illusionen«, der Kernirrtum im Weltbild von jedem von uns. Alle menschenverursachten Übel haben damit zu tun. Einsicht in dieses Gewebe ist der unentbehrliche Kick im persönlichen Wachstum, Voraussetzung für spirituelle Befreiung und die Basis von Altruismus.