Drei Engel für Angela
Der Schaukampf um den CDU-Vorsitz zeigt vor allem eines: Es ist in Deutschland viel zu einfach, Kanzler zu werden. Wer am kommenden Freitag gewinnt, hat es geschafft: den fast barrierefreien Zugang zur Kanzlerschaft. Merz, Kramp-Karrenbauer oder Spahn werden eines der gewichtigsten Ämter der „freien Welt“ einnehmen. Dem oder der Vorsitzenden ist die Kanzlerkandidatur dann nicht mehr zu nehmen. Und da die SPD als ernsthafte Konkurrenz ausfällt, kann selbst der „Souverän“, also der Wähler, den Durchmarsch dieser Person zur Macht nur noch theoretisch verhindern. Wie konnte es so weit kommen? Und was haben wir von den „fantastischen Drei“ zu erwarten? Roland Rottenfußer
Erinnern Sie sich noch an Gerhard Stoltenberg und Lothar Späth? Dann vielleicht Norbert Röttgen, Roland Koch oder Christian Wulff? Sie alle haben gemeinsam, dass sie einmal als „Kronprinzen“ und angehende Bundeskanzler gehandelt wurden. Dazu kommen natürlich mindestens noch Wolfgang Schäuble und auch eine Prinzessin: Ursula von der Leyen. Nicht zu vergessen auch der Wunderknabe Karl Theodor zu Guttenberg. Hätte der nicht bei seiner Doktorarbeit gemogelt, wäre die große politische Frage, die uns alle in diesen Tagen bewegt, vielleicht gar keine Frage mehr. Es wäre eine pure Selbstverständlichkeit, dass der vor Charisma sprühende Gutti für die amtsmüde Merkel nachrückte.
Warum sind die’s alle nicht geworden? Was haben sie falsch gemacht? Vielleicht gar nichts. Wahrscheinlich ist: Hätte die amtierende Kanzlerin bzw. der Kanzler „rechtzeitig“ geschwächelt, hätten sie alle durchaus die Nachfolge antreten können. Den genannten Personen blieb die Gnade des optimalen Zeitpunkts verwehrt. Die Person auf dem Thron blieb einfach hocken, bis ihre potenziellen Nachfolger – Prinz Charles ähnlich – ein fortgeschrittenes Alter erreicht hatten oder bis ihr Glanz verblasst war. In manchen Fällen half die Amtsinhaberin auch selbst nach, Karrierepläne zum Platzen zu bringen. Und den Sturz wagte von den Genannten niemand – allenfalls noch Heiner Geißler, der sich 1989 bei Helmut Kohl vergeblich als Königsmörder versucht hat.
Was haben die, was andere nicht haben?
Warum sind es jetzt Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz – am Rande noch Jens Spahn –, die übrig geblieben sind? Der Eindruck überragender Brillanz der Kandidaten will sich bei mir nicht so recht einstellen. Na, vielleicht liegt das daran, dass mich die ganze Richtung – diese Neigung der CDU, genau an den falschen Stellen „konservativ“ und an den falschen „liberal“ zu sein – nie so recht begeistern konnte. Ich bin vielleicht nicht der richtige Ansprechpartner, verlangt man mir das „Mitfiebern“ mit einem der Kandidierenden ab.
Manche CDU-Promis wollten bzw. wollen es ja auch gar nicht werden: Julia Klöckner etwa, die lange als „dritte im Bunde“ gehandelt wurde – als an Friedrich Merz noch niemand dachte. Armin Laschet, der innerhalb des – relativ gesehen – mittigen Flügels der Union wohl freiwillig hinter Kramp-Karrenbauer zurücktrat. Daniel Günther, Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, der wie der wiedergeborene Christian Wulff aussieht, brachte sich nicht erst ins Spiel. Peter Altmaier, einer der erfahrensten und beliebtesten Politiker der Union, blieb unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Interessanterweise verzichtete auch Ursula von der Leyen ausdrücklich auf eine Kandidatur, stellte sich in die zweite Reihe und wird der Kanzlerin oder dem Kanzler noch ein paar Jährchen dienen, bevor die Presse verkünden dürften, ihr sei die Bundespräsidentschaft nun nicht mehr zu nehmen. Eine Frau als BuPrä, das sei schließlich überfällig.
Ein Teil des Rätsels um die drei verbleibenden Kandidierenden kann man also vielleicht so lösen:
- Sie haben zum richtigen Zeitpunkt das richtige Alter und eine passende Startposition erreicht.
- Viele, die ihnen hätten gefährlich werden können, sind zu alt oder traten gar nicht erst an.
- Teilweise handelt es sich um eine Negativauswahl, die durch den Wegfall von vielleicht Geeigneteren getroffen wurde.
- Alle drei haben sich getraut, besitzen eine gewisse Frechheit und wollen die Macht.
Die Kunst des richtigen Zeitpunkts
Alles, was es braucht, um Kanzlerin oder Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden, ist also: sich zum richtigen Zeitpunkt hinzustellen und zu sagen: ich will den CDU-Vorsitz. Dann stehen die Chancen, bald auch die Richtlinienkompetenz im Land inne zu haben und mit den Mächtigen von Trump bis Putin zu dinieren, mitunter 1 : 2 oder gar 1 : 1. Man denke zum Vergleich nur daran, welchen Prozess Willy Brandt oder François Mitterrand durchlaufen mussten, bevor sie das mächtigste Amt erobern konnten. Jahre als Oppositionsführer und – bei Brandt – als Minister gingen dem voraus. Eine ähnliche Heldinnenreise durchlief auch Angela Merkel, die Ministerin unter Kohl war und als Oppositionsführerin zuerst einmal die gescheiterte Kanzlerkandidatur Edmund Stoibers aussitzen musste, bevor sie kanzlerfähig schien. Wir wissen, welche Stahlgewitter US-Präsidentschaftskandidaten durchlaufen müssen, bevor sie sich Chancen auf das Weiße Haus ausrechnen können. Dagegen wäre die Wahl der drei jetzigen CDU-Kandidaten fast eine inthronisatio praecox gewesen, das Amt würde einem der Bewerber quasi in den Schoß fallen. Ist das gut für Deutschland?
Um es klar zu sagen: Mir gefällt die Kandidatenkür an und für sich recht gut, weil Vorsitzende in der Vergangenheit und in allen Parteien eher in Hinterzimmern ausgekungelt wurden. Auf rätselhafte Weise schien es bei Nachfolgeentscheidungen auf einmal klar, dass oder sie „es“ werden sollte. Das Wahlvolk konnte diesen göttlichen Ratschluss nur noch staunend zur Kenntnis nehmen. Meist gab es bei Wahlen – ob Union oder SPD – keinen Gegenkandidaten. Die wesentlichen Weichen wurden suböffentlich gestellt, und die Presse konnte über die Gründe nur orakeln. Gerhard Schröder etwa wurde von der Mainstreampresse systematisch nach oben geschrieben, bevor er 1998 tatsächlich Kanzlerkandidat wurde. Man sah in ihm – durchaus zu Recht – einen für das neoliberale Projekt optimalen Kandidaten. Peer Steinbrück und Martin Schulz wurden jeweils durch den Verzicht des SPD-Vorsitzenden Gabriel in Zwei-Mann-Gesprächen auserkoren und in Durchwink-Parteitagen ins Rennen geschickt.
Vom Hinterzimmer-Gekungel zum „offenen Wettstreit“
An andere solch hochrangige Kandidatenküren erinnern sich nur noch die Älteren von uns. Angela Merkel hatte wohl die Parteispendenaffäre genutzt, um ihren Rivalen und Übergangs-Vorgänger Wolfgang Schäuble zu Fall zu bringen. Der Posten der Generalsekretärin erwies sich schon damals als tauglich, um „Hausmacht“ anzusammeln und „mit der Partei vertraut zu werden.“ Rudolf Scharping setzte sich 1993 per Urwahl als SPD-Vorsitzender gegen Gerhard Schröder und Heidemarie Wieczorek-Zeul durch. Das Ereignis bleibt im Gedächtnis haften, weil es so einzigartig ist – aber nicht sein sollte –, dass tatsächlich die Parteibasis über ihren Vorsitzenden bestimmen durfte. Ebensolchen Eventcharakter hatte der SPD-Parteitag von Mannheim, 1995, in dem Oskar Lafontaine Scharping durch eine furiose Rede den Parteivorsitz entriss. Es reicht aber mitunter auch Jahre lange beharrliche Machttaktik, unterstützt durch die Vorzüge eines „jugendlichen“ Alters. Durch diese Kombination von Eigenschaften erwühlte sich Markus Söder schließlich auch ohne Wahlerfolg beide Ämter seines Rivalen Horst Seehofer.
Der Dreikampf von AKK, FM und JS hat nun tatsächlich den Vorzug, dass er für die Öffentlichkeit einigermaßen transparent ist. Dennoch sorgt die unsichtbare Hand des Neoliberalismus natürlich auch hier dafür, dass wirkliche Alternativen gar nicht erst zur Wahl stehen. Forsa-Chef Manfred Güllner, jener aufdringliche Augur, der jedes Wahlergebnis im Sinne kapitalistischer Herrschaftsfestigung auszudeuten weiß und der SPD über Jahrzehnte einredete, ihr Niedergang habe nichts mit dem Verrat an sozialer Demokratie zu tun – dieser Manfred Güllner also verkündete unlängst https://www.rtl.de/cms/kuenftiger-cdu-vorsitz-kramp-karrenbauer-beliebter-als-merz-4260338.html, die Mehrheit der Deutschen wolle am ehesten Annegret Kramp-Karrenbauer zur Vorsitzenden. Das mag sein.
Den rechten Rand schonen, die Mitte besetzen
Da Meinungsforschung immer auch meinungssteuernde Funktion hat, kann man mutmaßen, dass diese Präferenz für die Dame im Gruppenbild einen strategischen Grund hat. Reden Medien und Meinungsforscher den CDU-Delegierten massiv ein, dass sie mit einem bestimmten Kandidaten oder einer Kandidatin Wahlen gewinnen könnten, werden diese wohl auch entsprechend votieren. Und AKK verspricht: Wahlen werden weiter in der „Mitte“ gewonnen. Ein neoliberaler Hardliner Merz, dem die Dollarzeichen allzu offensichtlich in den Augen blinken, könnte Mitte-Wähler abschrecken und einen Platz frei machen, auf dem sich dann Grüne und FDP tummeln würden. Vielleicht auch – selbst wenn das heute unwahrscheinlich erscheint – eine wiedererstarkte SPD. Merz oder Spahn würden die AfD durch Angleichung „klein“ kriegen, aber in der Mitte verlieren. Das wollen viele Politstrategen nicht. Denn intendiert sind österreichische Verhältnisse, d.h. der pendelnde Wechsel zwischen schwarz-roten und schwarz-braunen Regierungskoalitionen, wobei die Union als „Herz unserer Demokratie“ (Jens Spahn) das Scharnier bildet. Wenn statt der SPD in Deutschland gelegentlich die Grünen zum Zug kämen, würde das vom Prinzip her wenig Unterschied machen.
Friedrich Merz hat seine Duftmarke gesetzt, als er der CDU vorwarf, „dem Aufstieg der AfD mit einem Achselzucken zugesehen“ zu haben. Wie aber hätte dieser Aufstieg verhindert werden können? Doch nur durch Zugeständnisse an den Geist, die politischen Forderungen und die Formulierungsgewohnheiten der Ultra-Rechten. Die AfD müsste dann gar nicht mehr selbst mitregieren, ihre Weltanschauung wäre ohnehin stets mit im Regierungsboot. Dies wären die politischen Wetteraussichten für eine Regierung unter Merz oder Spahn.
Bei Kramp-Karrenbauer indes: Alles Kalter Kaffee. Sie würde nach gewonnener Wahl versichern, die Vorsitzende aller CDU-Mitglieder zu sein, auch der „Konservativen“, die sie nicht gewählt haben. Sie würde rechts blinken, wie schon geschehen als sie sich gegen die Homoehe und für eine allgemeine Dienstpflicht aussprach. Sie würde es dabei aber nicht zu weit treiben und schauen, dass SPD, FDP und Grüne neben ihr nicht zu groß werden. Was Alter und Wesensart betrifft, wäre sie gut für 16 weitere bleierne Jahre.
Jugendfrische „Antwort auf Armut“
Die CDU ist eigentlich die Partei der bis zum Äußersten ausgedehnten Mittelschicht. Schon der Millionär Merz positionierte sich selbst überraschend in der „Mitte“. Wenigstens das brachte ihm zum Glück viel Pressespott ein. Stellt man dann in Rechnung, dass für seinen Gegenkandidaten Jens Spahn auch Hartz IV-Empfänger eigentlich Mittelschicht sind, ist da verdammt viel Mitte. „Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut“, sagte der Jung-Ehrgeizling. Und: „Jeder Job ist zumutbar“.
Nun, der Posten des Bundeskanzlers dürfte ihm vorerst nicht zugemutet werden. In den Meinungsumfragen wird Spahn regelmäßig abgestraft. Nachdem sich der heutige Bundesgesundheitsminister bei der Bilderbergerkonferenz am 1. Bis 4. Juni 2017 in höchsten Kreisen empfahl, wurde er – damals noch Staatssekretär – von einigen Medien in absurder Weise gehypt. Ich habe diesen Vorgang in meinem Artikel „Diesen Möchtegern-Kanzler können wir uns Spahn!“ https://hinter-den-schlagzeilen.de/diesen-moechtegern-kanzler-koennen-wir-uns-spahn ausführlich dokumentiert. Seine Unterstützer vergaßen in ihrem Eifer völlig, dass CDU-Vorsitz und Kanzlerschaft auch die Zustimmung vieler Menschen in der Partei und im Wahlvolk voraussetzen. Spahn aber bleibt seltsam unbeliebt, was vielleicht eine gute Nachricht ist, weil es gewissen Grenzen der Medienmanipulation aufzeigt.
Wir sollten uns aber nicht zu früh freuen, denn Spahn hat im Gegensatz zu den beiden anderen Kandidaten Zeit. Vielleicht ist seine frühe Kandidatur ohnehin nur eine kalkulierte Niederlage mit der Absicht, sich als die Nachwuchshoffnung der Union ins Spiel zu bringen. Schon signalisiert Kramp-Karrenbauer, dass sie im Falle eines Sieges keinesfalls auf Spahn verzichten wolle. Vermutlich wird dem Jüngling binnen drei Jahren eines der klassischen Ministerressorts zufallen – das Sprungbrett zu höherem. Spahn setzt auf den Sebastian-Kurz-Effekt, selbst wenn er vorerst im Dreikampf den Kürzeren ziehen sollte. Sein Karriere-Versuch ist ein Musterbeispiel für die knallhart kalkulierte, marktgerechte Kreation von „Identität“.
Die erste Frage bei postideologischen Aufsteigern wie Spahn oder auch Lindner ist: Wie verschaffe ich mir Profil? Wie simuliere ich also eine Prägnanz, die mir von Natur aus nun mal nicht gegeben ist? Die vorläufige Antwort lautet: indem ich schlagzeilenfähige Akzente setze, aus denen die Presse dann ein „Narrativ“ („Exponent des rechten Flügels“, „schärfster Merkel-Kritiker“ usw.) zusammenmontieren kann. Spahn, der die verheerende Wirkung des Hartz IV-Systems leugnet; Spahn, der den EU-Flüchtlingspakt noch mal aufschnüren will; Spahn der Organspenden verpflichtend machen will, so dass man nur durch expliziten Widerspruch sicher sein kann, nicht nach dem Hirntod „ausgenommen“ zu werden. Und so weiter.
Endlich: „Mehr Kapitalismus“
Friedrich Merz Kandidatur, so ein weiteres Presse-Narrativ, habe Jens Spahn „kalt erwischt“. Mag sein, dass er damit nicht gerechnet hat. Der Ältere ist derzeit besser im Rennen, weil er das CDU-Volk an die schlechten alte Zeit vor Merkel erinnert. Gleichzeitig wird dem gereiften Wunderknaben zugetraut, gleichzeitig mit kühlem Kopf den Kapitalismus auf die Spitze zu treiben und die „konservative Seele“ der Partei zu wärmen. So jüngst sein Vorschlag, Arbeitnehmer zum Kauf von Aktien für die Alterssicherung zu verleiten. Dies würde weiteres Spielgeld in die Depots von Zockern spülen und wäre selbst in dem günstigen Fall, dass niemand um sein Erspartes geprellt wird, ein völlig falsches Signal gegen Altersarmut. Ein Vorstoß, der die Daseinsfürsorge weiter privatisieren und die Gesellschaft entsolidarisieren würde.
So was ist typisch Merz. Man geht nicht zu Blackrock – einer der schlimmsten Investment-Heuschrecken – ohne eine gewisse Skrupellosigkeit. „Warum Geld verdienen in Deutschland ein Makel ist“ polemisierte der systemtreue „Spiegel“ und suggerierte damit: es ist natürlich kein Makel, die Deutschen sind nur neidisch und verklemmt. In der Tat geht es aber nicht ums Geldverdienen – nicht mal so sehr um die Höhe des Verdienstes –, sondern darum, ob man sein Einkommen tatsächlich verdient oder eher legal und auf Kosten der Systemverlierer errafft hat. „Wir zahlen Steuern, und sie setzen ab. Wir legen Hand an, und sie spekulieren“, sang Konstantin Wecker in „Empört Euch“ über besagten Menschentypus.
Weniger Grundrechte wagen!
Friedrich Merz verkörpert eine Politik des steinernen Herzens – dies aber mit „Leidenschaft“. Seine Rückkehr in die Politik hat im Grunde so viel Charme wie die Vorstellung, dass sich Hans-Ulrich Klose (Fraktionsvorsitzender von 1991-1994) als Nachfolger von Andrea Nahles um den SPD-Vorsitz bewürbe. Der Mann hat nicht 16 Jahre während des Spiels auf der Ersatzbank gesessen, er weilte außerhalb des „Stadions“, weil dort mehr Kohle zu verdienen war. Er hat sich um seine Leute und um das Volk keine Spur gekümmert und beansprucht nun, beide zu führen. Eine geneigte Presse kann natürlich auch diesen eigentlich absurden Comebackversuch zum Event aufblähen. „Friedrich der Große“, der eigentlich ein „Klein Zaches“ der Politik ist. In E.T.A. Hoffmanns Erzählung verzaubert eine Fee einen Gnom so wirkungsvoll, dass er von jedermann geliebt und für schön gehalten wird. In der Realität übernimmt die Mainstream-Presse die Rolle der „Fee“.
Zum Glück nehmen ihm selbst die „Leitmedien“ nicht mehr alles ab, und es gibt immer wieder auch kritische Artikel, die besorgt fragen, ob die lange Abwesenheit des Wiederkömmlings und seine „Vergangenheit in der Privatwirtschaft“ dem Wahlvolk überhaupt vermittelbar sei. Merz, der im Oktober 2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, mit dem unsäglichen Buchtitel „Mehr Kapitalismus wagen“ hervortrat. Merz, von dem Klaus Wowereit in einer Plasberg-Sendung erzählte: „Als ich 2001 gewählt wurde, hat Merz gesagt: ‚Solange der Wowereit sich mir nicht nähert, ist mir das egal.’“ Merz, der sogar das heute ohnehin eingeschränkte Asylrecht in Frage stellte. („Ich bin schon seit langer Zeit der Meinung, dass wir bereit sein müssten, über dieses Asylgrundrecht offen zu reden, ob es in dieser Form Fortbestand haben kann, wenn wir ernsthaft eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik haben.“) Mehr Kapitalismus wagen, weniger Grundrechte wagen – wird so das Regierungsprogramm unseres vielleicht nächsten Kanzlers aussehen.
Alles Krude Konzepte
Friedrich Merz hat nur diese eine Chance. Er ist mehr Blendrakete als solider Dauerläufer, mehr Steinbrück als Merkel. Wird er CDU-Vorsitzender, dürfte er es schon aus Altersgründen eilig haben, Angela Merkel abzusägen. Einen Kanzler Merz werden wir – wie einen König Charles – nur für kurze Zeit genießen können. Diese kurze Frist würde der Ehrgeizling jedoch nutzen, um ein maximales Zerstörungswerk am Sozialstaat und im schlimmsten Fall sogar an den Grundrechten voranzutreiben. Machen wir uns nichts vor. Ein Kanzler Merz brächte der SPD und den Grünen zwar mehr Stimmen – die würden aus der zweiten Reihe dann etwas lauter nörgeln –, allein er würde jedoch die Richtlinien der Politik bestimmen.
Bleibt Annegret Kramp-Karrenbauer. Heutzutage geht ja schon ein erleichtertes Aufatmen durch die Menge, wenn man von einer Politikerin sagen kann, gegen sie sei etwas weniger einzuwenden als gegen andere Kandidaten. Auch die Saarländerin wird klug genug sein, sich nicht gegen den „notwendigen“ Rechtstrend zu stellen. Befragt nach ihrer politischen Richtung, antwortet sie meist „differenziert“ und nennt drei Komponenten: Konservativ sei sie in „Gesellschaftspolitik und Lebensschutz“. Die Ehe sei z.B. eine Sache zwischen Mann und Frau. Von der „christlichen Arbeitnehmerschaft“ geprägt sei sie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. „Hart“ jedoch in Fragen der inneren Sicherheit. Siehe hierzu auch ihr Interview mit dem Münchner Merkur https://www.merkur.de/politik/cdu-kandidatin-annegret-kramp-karrenbauer-im-interview-ich-mache-asyl-zur-chefsache-10789891.html
Man fragt sich, wie christlich diese Sozialpolitik sein wird in einer Partei, die bis heute jede Abmilderung des Verelendungsprogramms Hartz IV ablehnt. Man fragt sich, was eine harte Hand in der Sicherheitspolitik bedeuten kann. Man hätte ja annehmen können, Deutschland sei nach dem harten Anti-Terror-Paket von 2016, nach dem harten Polizeieinsatz beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg und nach einer Serie von harten Polizeigesetzen in den Bundesländern schon hart genug. Allzu große Weichlichkeit wäre auch ohne die jüngste Erklärung der Kandidatin nicht zu befürchten gewesen.
Auf dem Weg in die Härte-Republik
Auf der Zielgerade zum wahrscheinlichen Parteivorsitz hielt es „AKK“ überdies für nötig zu betonen, sie stehe für eine harte Haltung in der Einwanderungspolitik. „Wir brauchen ein intelligentes Grenzregime: Transitzentren, Schleierfahndung, bilaterale Abkommen zur schnellen Rückführung.“ Reichte es noch nicht, dass der Rechtsruck Deutschland jetzt schon seit mindestens drei Jahren schwarz-braun überschattet? Musste auch noch die vermeintlich moderateste Kandidatin um den CDU-Vorsitz mit ihren Gegnern in einen Wettbewerb um den härtesten migrationspolitischen Spruch treten, während Menschen in vielen Teilen der Welt so dringend der Milde, der Hilfe und einer freundlich ausgestreckten Hand bedürfen?
Ich würde wirklich gern dieser „liberalen“ Kandidatin morgen die Daumen drücken und ein bisschen an sie glauben. Zumal wir von der wahrscheinlichen nächsten Kanzlerin sprechen. Doch dieser völlig zauberlose Anfang birgt wenig Hoffnung. Er enthält eher den Keim zu Schlimmerem. Quo vadis, Annegret?“