Ein demokratischer Traum von einer demokratischen Welt

 In Buchtipp, FEATURED, Politik (Inland)

Zum neuesten Buch des HdS-Autors Rainer Thiel. Für aufmerksame HdS-LeserInnen ist Rainer Thiel kein Unbekannter mehr: in zahlreichen Beiträgen für unsere Website hat er sich wieder und wieder für ein radikal-demokratisches, für ein soziales, für ein kapitalismusfreies Deutschland eingesetzt. Dennoch seien einige Informationen über den Autor des neuen Buches „Aufstehn, sammeln, links und nahebei. Was denn sonst?“ vorausgeschickt.  Holdger Platta

Rainer Thiel, dessen Wissenschaftlerkarriere als Philosoph und Mathematiker in der DDR scheiterte – es blieb beim Dr. phil. habil -, steht seit dem Herbst des letzten Jahres in seinem 90. Lebensjahr. Allein dieses erstaunt, wenn man auf die Vielzahl seiner Veröffentlichungen während der letzten Jahre blickt. Rainer Thiel war und ist – obwohl selber unbetroffen davon – ein Kämpfer gegen das Menschenverelendungsgesetz Hartz-IV von Anfang an. Er scheute sich nicht, trotz seines hohen Alters, bis vor kurzem auf dem Berliner Alexanderplatz Woche für Woche Reden zu halten gegen dieses Zerstörungswerk des bundesdeutschen Sozialstaats. Er ist überzeugter, freiheitlich denkender, Marxist, Antimilitarist sowieso (geprägt von furchtbaren Kriegserfahrungen während der letzten zwei, drei Jahre des Dritten Reichs), er ist – nicht zuletzt – ein kreativer Kopf, der auch der DDR mehr Kreativität beizubringen versuchte, als Mitbegründer der sogenannten „Erfinderschulen“ zum Beispiel. Und er scheiterte bei diesem Kampf für freie Köpfe immer wieder an den Betonköpfen, die in diesem ersten Sozialismusversuch auf deutschem Boden das Sagen hatten.

Wichtig und auffällig dabei: Rainer Thiel hat bei diesem Engagement für eine bessere Welt stets die Nähe zu den Menschen ganz unten gesucht, die Nähe zu den Unterdrückten und Ausgebeuteten, die Nähe zu den Fallengelassenen und Opfern des kapitalistischen Systems.

Für mich ist dieses auch die zentrale Botschaft seines neuesten Buches, und an zahlreichen Beispielen aus seinem erfahrungssatten Leben bringt er den Lesern und Leserinnen diese Botschaft nahe. Zu bewundern ist dabei vor allem sein Mut, mit dem er auch so manchen Großkopfeten der Linkspartei Bevölkerungsferne und Treulosigkeit gegenüber den Abgehängten vorwirft.

Bemerkenswert zum Beispiel seine Auseinandersetzung mit Lothar Bisky, dem er ab dem Dezember 2002 mehrfach auch persönlich begegnete, einem – wie der Autor es schildert – durchaus freundlichen und jovialen Herrn, der zunächst starkes Interesse zeigte am Kampf der Brandenburger BürgerInnen um den Erhalt der Schulen auf diesem Ex-Territorium der DDR. Akribisch zeichnet der Autor nach, wie Lothar Bisky, seinerzeit noch Politiker der PDS, dann aber die SchülerInnen und Eltern fallenließ und von seinen früheren Versprechungen nichts mehr wissen wollte. Es zählt zur Grundmethode dieser Veröffentlichung von Rainer Thiel: er teilt seine Wahrheit mit, indem er die Wahrheit erzählt.

Doch Thiel wäre nicht der Theoretiker, der er auch ist, wenn er solche Alltagserfahrungen nicht einmünden ließe in den Entwurf eines großen politischen Konzeptes. Um es auf den Punkt zu bringen: Thiel plädiert im Kern für einen rätedemokratischen Weg, der aus dem Versagen linker Kräfte herausführen könnte. Der Begriff der „Rätedemokratie“ fällt in Thiels Veröffentlichung zwar kein einziges Mal. Aber seine großangelegte Untersuchung der Menschenrechtsversprechungen aus unserem Grundgesetz landet plausiblerweise bei genau diesem Punkt: statt einer „repräsentativen“ Demokratie, deren Realisierung repräsentative Demokratie in Wahrheit zerstört hat und in Wirklichkeit wirkliche Demokratie gerade nicht zu etablieren vermochte, spricht sich der Autor für Vernetzungen ganz unten aus – und ganz oben (wenn man so will) für das Konzept eines „Volkskongresses“, das die Verheißungen realer Demokratie einzulösen vermöchte.

Natürlich: an dieser Stelle bleiben so manche Fragen auch offen – wer soll das organisieren und finanzieren, wie überwindet man auf diesem Wege den Widerstand der alteingesessenen Parteien, was wäre zu tun, um einen solchen „Volkskongress“ vor internen Hierarchisierungsprozessen zu schützen -, aber sympathisch ist dieser demokratische Traum vom demokratischen Weg, der eine demokratische Welt realisieren soll, auf jeden Fall. Und daß ein Autor in seinem 90. Lebensjahr diesen Traum immer noch träumt, spricht für, nicht gegen ihn!

Eine kleine Nachbemerkung an dieser Stelle noch – wichtig für alle, die sich dieses Buch kaufen möchten: beim Erwerb dieser Publikation muss man etwas Geduld aufbringen, um endlich im Besitz dieser Veröffentlichung zu sein (meine eigene Erfahrung!). Der Berliner Novum-Verlag wartet mit langen Lieferfristen – bis zu drei Wochen – auf. Beim Konkurrenzkampf mit den großen, mit den etablierten Verlagen vermag dieser Kleinverlag nicht mitzuhalten. Aber spricht das gegen dieses Buch?

Ich meine nicht!

 

Bibliografische Angabe:

Rainer Thiel: Aufstehn, sammeln, links und nahebei. Was denn sonst?

Analysen jüngster Geschichte zur Überwindung tiefliegender Folgen sowie Vorschläge für Gegenwart und Zukunft.

Novum-Verlag Berlin 2019,

204 Seiten, ISBN 978-3-95840-914-9

Ladenverkaufspreis: 17,90 Euro

Kommentare
  • Gerold Flock
    Antworten
    Spendet…Spendet…Spendet…Ja. Spendet für Leute wie mich, die 13 Stunden mit Bahn, Radel unterwegs sind um dann in 8 Stunden 60,- Euro netto zu verdienen. Thanks.

    Wenn mich jetzt nochmal irgendwer fragen möchte, warum ich denn nicht mehr Tage in meinem Bullshitjob malochen möchte, um dann doch noch ärmeren Mitmenschen  zu helfen und lieber zu Hause bleibe , um ein gutes Buch zu Lesen und meinen Konsum ansonsten auf Lebensmittel ohne Fleisch und Fisch und Zucker usw. zu Beschränken? Dann kann mensch das gerne machen, aber ob Der/Diejenige das notwendige Mitleid bei mir erreicht, steht auf einem anderen Blatt. Ja. Es gibt Mitmenschen auf diesem Planeten denen es noch viel schlechter geht als mir. STIMMT! – Aber warum soll ich mich mit meinem angeblich “Jammern auf hohen Niveau” bei den Ärmeren orientieren? Warum? Sollte ich mich nicht mal Kucken dürfen, was die Reicheren so verdienen und hamstern? – Warum verdammt noch mal soll ich mich bei der Armut umkucken? – Wenn es doch den Reichtum gibt, bei dem ich mir alles was ich so gern haben möchte holen könnte, wenn man mich ließe? Aber ich will ja eigentlich gar nicht viel. – Zeit ist das einzige was ich möchte und ein gutes Buch. Darf ich das noch haben dürfen? – Oder muß ich bei all dem Reichtum, um mich herum in diesem Scheissdorf und diesem Scheissland, wirklich noch mehr Malochen, damit ich mich kaputt schufte, damit ein paar Mitmenschen weniger ver-recken? – Ja. Ich bin schlecht, schlecht, schlecht. Schlecht für den Profit. Schlecht für den Staatsapparat, schlecht für die Reichen und schlecht für die Armen und schlecht für Hinterdenschlagzeilen. Ja. Ja.

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