Ein Land auf dem Weg in die Obdachlosigkeit?
133. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ (Holdger Platta)
Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,
erneut etwas Erfreuliches vorweg: auf unser Hilfskonto für die notleidenden Menschen in Griechenland wurden in der letzten Woche 565,- Euro eingezahlt, überwiesen von 4 Unterstützerinnen und Unterstützern an uns. Das ist viel, wenn man auf das Resultat der Vorwoche blickt, in die ja der Monatswechsel fiel mit einer Vielzahl von DauerspenderInnen. Der Geldeingang betrug da 635,- Euro, die Anzahl der Helferinnen und Helfer belief sich vor einer Woche auf 13. Eine erstaunliche Stabilität also bei unserer Hilfsaktion, nach wie vor, und gerne spreche ich auch in dieser Woche meinen Dank aus an alle Spenderinnen und Spender unter Euch, wie immer – selbstverständlich – im Namen des gesamten Organisationsteams.
Von unserem Reiseteam Uschi und Karl-Heinz Apel, das seit einigen Tagen wieder in Griechenland ist, habe ich noch nichts gehört. Stattdessen erreichten mich …
Nachrichten von Tassos Chatzatoglou (der mit Evi für Ende September eine weitere Hilfsreise nach Griechenland plant). Sie betreffen zum einen die Kabinettsumbildung bei der Regierung von ANEL und SYRIZA, zum anderen die Arbeitswelt „ganz unten“ in Griechenland. Aus beiden Bereichen ist offenkundig nichts Gutes zu berichten. Doch der Reihe nach:
Vor knapp 14 Tagen, am Mittwoch, den 29. August, hat Alexis Tsipras insgesamt 19 neue Mitglieder in sein Kabinett geholt. Deutlich wurde dabei: Tsipras setzt nunmehr auf Vertreter der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ – eine Tatsache, die von der „Griechenland-Zeitung“ (GZ) als „erstaunlicher Kurswechsel“ bezeichnet worden ist, ein Kurswechsel, für den die GZ aber auch einen Grund anzugeben weiß: nach vier Jahren Amtszeit der SYRIZA-Regierung könne Tsipras auf die früheren Wählerinnen und Wähler nicht mehr unbedingt setzen. Protestwähler und Linke hätten der vormals sozialistischen Partei längst den Rücken gekehrt, und Tsipras müsse sich, so die GZ, „nach einer neuen Klientel umsehen“. Die „Nea Demokratia“, die Partei der Konservativen in Griechenland, liege seit langem schon mit zehn Prozentpunkten vor der SYRIZA, und Tsipras versuche mithilfe eines Rechtsrucks, einem mehrfachen Wahldebakel im kommenden Jahr zu entgehen (zur Orientierung: im Mai 2019 finden neben den Europawahlen auch Kommunalwahlen in Griechenland statt, im Herbst 2019 stehen die Neuwahlen zum Parlament an). „Kurswechsel“? „Rechtsruck“? Nun, ich beschränke mich auf jene Personalie bei der Kabinettsumbildung, auf die auch Tassos in seiner Mail an mich hingewiesen hat:
Zur neuen Ministerin „für Heimatschutz“ wurde Olga Gerovassili ernannt – ihr Vorgänger, Nikos Toskas, mußte gehen, weil er nach Auffassung vieler Griechen völlig versagt hatte bei der Waldbrandkatastrophe Ende Juli in Griechenland. – Olga Gerovassili? – Nun, Olga Gerovassili ist zwar Mitglied der SYRIZA, insofern trifft die Feststellung von einem „Rechtsruck“ nicht zu, doch sie ist seit längerem berüchtigt für ihre „faschistischen Äußerungen“, wie Tassos Chatzatoglou in seiner Mail schreibt. Konkret: sie hat, unter anderem, die Migranten, die Flüchtlinge in Griechenland, als „Kakerlaken“ bezeichnet und sich damit einer Ungeziefer-Metaphorik bedient, die schon für Adolf Hitlers „Mein Kampf“ kennzeichnend war (dort – „natürlich“ – gegen die Juden gerichtet). Weiß Tsipras noch, was er tut?
Mindestens so wichtig sind aber auch die anderen Informationen von Tassos Chatzatoglou, seine Mitteilungen nämlich zur Arbeitswelt in Griechenland. Es handelt sich um Tatsachen, die nahezu immer unterhalb der Wahrnehmungsschwelle bleiben im europäischen Ausland. Dazu wörtlich aus Tassos Chatzatoglous Mailbericht:
„Die Ausbeutung der Arbeitskraft steht in Griechenland auf der Tagesordnung. Firmen zwingen Arbeitnehmer zu unvorstellbaren Handlungen, was die Bezahlung angeht. Teilweise werden Löhne willkürlich nur zu einem Teil ausbezahlt. Die Drohung der Entlassung wirkt als Regulierungsmechanismus. Gehen Arbeitnehmer gegen ihre Firma gerichtlich vor, wird in der Regel zugunsten der beklagten Firma entschieden, mit der Begründung, hätte die Firma das Geld gehabt, um Löhne auszuzahlen, so würde sie dieses auch tun. So gehen die Arbeitnehmer zumeist leer aus, und das, obwohl sie monatelang gearbeitet haben. Zurzeit gilt in Griechenland überhaupt das Recht des Stärkeren, in diesem Fall sind es die Unternehmer. Das Paradebeispiel schlechthin ist der Fall der Firma Kostopoulos: An dem Tag, als die Beschäftigten bei den öffentlichen Verkehrsmitteln streikten, gab die Fa. Kostopoulos bekannt, dass diejenigen, die zu spät zur Arbeit kämen, entlassen werden. So ‚entsorgte‘ Kostopoulos die Mehrheit der Belegschaft.“
Nur zur Erinnerung und in Ergänzung dazu: der tatsächliche Durchschnittslohn liegt in Griechenland mittlerweile nur noch bei 550,- Euro pro Monat; den Gewerkschaften wurde verboten, Lohnerhöhungen zu vereinbaren, solange die Arbeitslosigkeit nicht unter 10 Prozent gesunken ist; die Lohn- und Gehaltssteuern wurden angehoben (wie die Mehrwertsteuer); die Arbeitslosenhilfe wurde auf 360,- Euro pro Monat abgesenkt und deren Bezugsdauer auf maximal ein Jahr verkürzt!
Kein Wunder deshalb, daß am vergangenen Samstag, den 8. September, die Gewerkschaft der Angestellten im öffentlichen Dienst (ADEDY) gegen diese Politik in Thessaloniki demonstriert hat, aus Anlaß der Internationalen Messe dort, und zwar gegen den Eröffnungsredner Alexis Tsipras. Eine der Forderungen der ADEDY: Gehalts- und Rentenerhöhungen (wie bekannt: die Renten wurden in Griechenland während der letzten Jahre um 60 Prozent gekürzt, eine weitere Kürzung, in der Höhe von 19 Prozent, ist für den Januar des kommenden Jahres geplant). Und weiter: Schluß mit den Zwangsversteigerungen von Immobilienbesitz! Eine Forderung, die ebenfalls mehr oder minder direkt mit der Lohn- und Rentensituation der Menschen in Griechenland zu tun hat. Zur Erläuterung: etwa 80 Prozent der Griechinnen und Griechen leben in selbstgenutzten Wohnungseigentum. Doch viele von ihnen können, seit längerem schon, ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen, aufgrund der Lohn- und Rentenkürzungen oder aufgrund der Arbeitslosigkeit. Die SYRIZA-Regierung interessiert das nicht sonderlich. Und schon gar nicht die europäischen Länder. Ganz im Gegenteil: die EU-Kommission besteht auf Fortsetzung dieser Enteignungspolitik und verlangt, daß innerhalb der nächsten drei Jahre 120.000 weitere Zwangsversteigerungen durchgeführt werden sollen. Heißt, das Motto der westeuropäischen Demokratien lautet ganz offenbar: haben wir bereits Millionen von Griechinnen und Griechen den Hunger beschert, mit großem Erfolg, so bescheren wir ihnen jetzt auch noch die Obdachlosigkeit!
Und was ist herausgekommen bei den Protestdemonstrationen am vergangenen Samstag? – Nun, bis jetzt liegen mir noch keine Informationen vor, vor allem auch dazu nicht, wie Tsipras auf die Proteste der Angestelltengewerkschaft (und anderer Organisationen) reagiert hat. Lediglich dieses habe ich herausgebracht: am vergangenen Samstag sollen in Thessaloniki rund 3.600 Polizisten im Einsatz gewesen sein – 15 Prozent mehr als im vorigen Jahr. Was die Frage aufwirft: soll das etwa alles sein, was der SYRIZA zu solchen sozialen Protesten noch einfällt? Will die griechische Regierung nur noch auf diesem Wege weitergehen? Und was die EU-Kommission betrifft: sieht so ein humanes Europa aus?
Fakt dürfte jedenfalls sein: bestimmt werden bei all diesen Zwangsversteigerungen irgendwelche Reichen ihren Reibach machen, Reiche aus Westeuropa wie aus Griechenland. Und das Unglück nimmt dadurch zu in Griechenland. Das aber drängt eigentlich nur eine Schlußfolgerung noch auf: längst schon ist aus der „Wertegemeinschaft“ Europa, die ihre Menschen vor Armut, Not und Obdachlosigkeit schützt, eine „Verwertungsgemeinschaft“ geworden, die ihre Menschen in Armut, Not und Obdachlosigkeit stürzt. Was in Griechenland passiert, geschieht auch in unserem Namen dort! Und es sind gerade auch deutsche Politiker, die für das Elend in Griechenland verantwortlich sind! Was gestern für die Griechen ein Wolfgang Schäuble war, das ist für die Griechen heute ein Olaf Scholz. Denn dessen „pacta sunt servanda“, mit dem ich mich in meinem letzten Bericht auseinandergesetzt habe, dieses „Verträge müssen gehalten werden“, schließt auch diesen Zwang zu Zwangsversteigerungen mit ein. Vergessen wir es nicht!
Und damit, erneut und wie immer an dieser Stelle, meine Bitte um Spendengelder von Euch.
Wer uns bei unserer Hilfe für Menschen in Griechenland unterstützen will, unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“, der überweise uns bitte Spendengelder auf das Konto:
Inhaber: IHW
IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21GOE
Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 200,- Euro erforderlich -, wende sich bitte an unseren neuen Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.
Und wer noch etwas mehr tun will: auch unser gemeinnütziger Verein, die „Initiative für eine humane Welt (IHW) e. V“, ist immer wieder erneut auf neue Hilfsgelder angewiesen, zur finanziellen Absicherung unserer Arbeit ganz generell. Diese Spenden bitte dann an dasselbe Konto, wie oben angegeben, jedoch mit dem Stichwort „IHW“ versehen. Wir würden uns riesig auch über diese Unterstützung freuen.
Mit herzlichen Grüßen wie stets
Euer Holdger Platta