Ein Meilenstein für die Meinungsfreiheit

 In FEATURED, Politik (Inland)

„Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein?” Es ist schon traurig, dass über dieses Thema überhaupt diskutiert werden muss. Die Stadt München hat sich aber in den letzten Jahren leider einen Namen als Verbotsstadt und Rammbock gegen die Meinungsfreiheit gemacht. Speziell wenn es um Veranstaltungen zur Israel-Palästina-Frage geht, in welchem Zusammenhang offenbar nur im Rahmen eines sehr engen “Meinungskorridors” diskutiert werden darf. Nun wollte die Stadt München sogar eine Diskussion über ihre eigene Verbotspolitik verbieten – ein Gipfelpunkt versuchter Repression. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 17. November 2020 im Rechtsstreit zwischen dem Münchner Bürger Klaus Ried und der Stadt München („Ried-Urteil“) ist daher ein Meilenstein im Kampf für das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Peter Vonnahme

Der VGH hat mit großer Klarheit ausgesprochen, dass der Kläger einen Anspruch auf Überlassung eines städtischen Veranstaltungssaales („öffentliche Einrichtung“ im Sinne des Art. 21 Absatz 1 Satz 1 GO) für eine geplante öffentliche Podiumsdiskussion hat. Als Thema der Veranstaltung war vorgesehen „Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein? – Der Stadtratsbeschluss vom 13. Dezember 2017 und seine Folgen“. Nach diesem Beschluss sollen alle Bewerber, die sich in einer geplanten Veranstaltung „mit den Inhalten, Themen und Zielen der BDS-Kampagne befassen, diese unterstützen, diese verfolgen oder für diese werben“ zwingend von der Raumvergabe in städtischen Einrichtungen ausgeschlossen sein.
Die weltweite BDS-Kampagne (Boykott, Divestment and Sanctions) wird von vielen Personen und Organisationen getragen. Sie weist keine festen organisatorischen Strukturen auf. Ihr erklärtes Ziel ist es, mit gewaltfreien Mitteln den Palästinensern zu ihrem Recht zu verhelfen, insbesondere die israelische Besatzung und Kolonialisierung zu beenden.

Der VGH hat nun klargestellt, dass die vom Kläger beantragte Raumüberlassung durch den besagten Stadtratsbeschluss vom 13. Dezember 2017 nicht ausgeschlossen wird. Nach Auffassung des Gerichts verstößt dieser Beschluss gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Absatz 1 Satz 1 GG) und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Absatz 1 GG). Die Stadt sei nicht befugt, „Bewerbern allein wegen zu erwartender unerwünschter Meinungsäußerungen den Zugang zu ihren öffentlichen Einrichtungen zu verwehren.“ Dies hätte nämlich zur Folge, dass zur Streitfrage überhaupt kein Meinungsaustausch mehr stattfinden könne.

Der von der Stadt verfügte generelle Ausschluss von Veranstaltungen zur BDS-Kampagne sei rechtswidrig, weil nicht erkennbar sei, dass solche Veranstaltungen mit der Gefahr der Begehung von strafbaren Handlungen verbunden seien. Von einer konkreten Rechtsgutgefährdung, die eine staatliche Schutzpflicht auslösen würde, könne bei der BDS-Kampagne nicht gesprochen werden. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Kampagne eine „gezielte Stimmungsmache gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland oder gar ein Aufstacheln zum Hass gegen diese Bevölkerungsgruppe umfassen könnte.“ Allein eine nach Einschätzung der Stadt bestehende antisemitische Grundtendenz könne den Zugang zu kommunalen Einrichtungen nicht ausschließen.

Außerdem liege ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor. Werde nämlich eine öffentliche Einrichtung für Veranstaltungen zu allgemeinpolitischen Fragen zur Verfügung gestellt, so dürften nicht nur – nach Art eines Tendenzbetriebs – die vom Einrichtungsträger gebilligten Themen und Meinungen zugelassen werden.

Es ist dem Gericht hoch anzurechnen, dass es der Versuchung widerstanden hat, sich dem politischen Mainstream anzupassen. Bekanntlich hat der Deutsche Bundestag am 17. Mai 2019 einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ angenommen. Länder, Städte und Gemeinden sowie alle öffentlichen Akteure wurden aufgerufen, sich dieser Haltung anzuschließen. Bereits im Vorfeld hatten zahlreiche Städte beschlossen, der BDS-Kampagne oder Gruppierungen, die deren Ziele verfolgen, jede finanzielle Unterstützung zu entziehen und die Vergabe von kommunalen Räumen zu verweigern.

In dieser politisch aufgeladenen Situation bedarf es eines hohen Maßes an richterlicher Unabhängigkeit, sich sachfremden Einflüssen zu entziehen. Das „Ried-Urteil“ zeigt, dass sich der erkennende Senat streng am Recht orientiert haben. Damit hat er das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gestärkt. Insofern ist Urteil wegweisend für andere anstehende Verfahren.

Verwunderlich ist nur, dass das Urteil davon ausgeht, der Kläger habe eine Veranstaltung zum Thema BDS geplant. Der Kläger hat nämlich durchgehend und unmissverständlich betont, dass eine Podiumsdiskussion zur Meinungsfreiheit und zur Problematik des Stadtratsbeschlusses vom 13. Dezember 2017 vorgesehen sei. Diese Veränderung des Sachverhaltes (Tatbestand des Urteils) durch das Gericht ist jedoch im Ergebnis unschädlich. Denn wenn es in städtischen Räumen erlaubt ist, sogar über den „heiklen“ Streitstoff BDS zu diskutieren, dann gilt das erst recht für eine Diskussion über die vergleichsweise „harmlosen“ Themen Meinungsfreiheit und Stadtratsbeschluss. Der Kläger ist hierdurch nicht beschwert, so dass seine Beanstandung der gerichtlichen Pressemitteilung letztlich ins Leere geht.

Unerfreulich aus Klägersicht ist, dass ihn das Gericht auf den verkehrstechnisch ungünstigen Veranstaltungsort Bürgersaal Fürstenried verwiesen hat. Allerdings entspricht diese Entscheidung einem nachträglich gestellten Hilfsantrag des Klägers.

Es ist nachvollziehbar, dass das Gericht den vorrangig gestellten Antrag auf Vermietung eines Saals „in einem anderen städtischen Raum“ abgewiesen hat. Der Senat hat den anwaltlich vertretenen Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es diesen Antrag als „zu unbestimmt“ erachte. Es wurde offensichtlich versäumt, den Antrag inhaltlich zu konkretisieren. Das wäre dringend angeraten gewesen, weil insoweit bereits das Verwaltungsgericht Bedenken geäußert hatte.
Diese Nachlässigkeit ändert jedoch nichts daran, dass mit dem Urteil eine wichtige grundsätzliche Klärung erzielt worden ist: Der Kläger hat einen Rechtsanspruch auf Raumüberlassung.

Es ist befremdlich, dass die Stadt München sofort Revision angekündigt hat, ohne die Urteilsgründe im Detail zu überprüfen. Letzteres wäre von einer mit Steuermitteln prozessierenden Partei zu erwarten. Eine sorgfältige Prüfung wäre nicht zuletzt deshalb angebracht, weil das Urteil sehr eingehend begründet ist und vor allem deshalb, weil die Erfolgsaussichten einer Revision als gering einzuschätzen sind. Dies ergibt sich aus folgender Überlegung:

Der VGH hat den Rechtsanspruch des Klägers entscheidend auf den Art. 21 Abs. 1 Satz 1 der Bayerischen Gemeindeordnung gestützt. Hierbei handelt es sich um „Landesrecht“. § 137 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) besagt jedoch, dass die Revision nur darauf gestützt werden kann, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von „Bundesrecht“ beruht. Das bedeutet, dass die tragenden Überlegungen des VGH einer Überprüfung im Revisionsverfahren von vorneherein nicht zugänglich sind.

Soweit im Urteil ergänzend auf die Grundrechte (Art. 5 GG, Art. 3 GG) Bezug genommen worden ist, handelt es sich um Hilfserwägungen, die nicht zum Erfolg des Rechtsmittels führen können. Diese Urteilsbegründungen stehen zudem mit einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts im Einklang.

So gesehen wäre es ein Zeichen bürgerschaftlichen und demokratischen Denkens, wenn die Stadt ihre Rechthaberei zurückstellt und dem Kläger nach fast drei Jahren des Streitens endlich das gibt, was ihm rechtlich zusteht, einen Raum für eine Veranstaltung.

Dies liegt auch im wohlverstandenen Interesse der jüdischen und israelischen Mitbürger Münchens. Ein wilder Parforceritt der Stadt am Rande oder jenseits der Legalität trägt nicht zur Deeskalation etwaiger Spannungen bei. Daran sollte aber den Stadtratsfraktionen und dem Oberbürgermeister mehr gelegen sein als an einem erkennbar unwahrscheinlichen Prozesserfolg in ferner Zukunft.

Peter Vonnahme
Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof i. R.

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