Ein unbegründeter Affront
Kann der Einsatz für Menschenrechte antisemitisch sein? Obwohl die Antwort auf diese Frage eigentlich ein klares „Nein“ sein müsste, gibt es diesbezüglich doch immer wieder Streit, wenn die Personen, die Menschenrechtsverletzungen anordnen, der israelischen Regierung angehören. So auch anlässlich der geplanten Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost. Es gab im Vorfeld Versuche, die Verleihung zu verhindern, was auf einen Maulkorb selbst für jüdische Kritiker der israelischen Politik gegenüber Palästinensern hinausliefe. Brief von Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer an den Vorstand des Kuratoriums Göttinger Friedenspreis Prof. Dr. Götz Neuneck.
Sehr geehrter Herr Professor Neuneck,
dieses Schreiben verfasse ich als Preisträger des Göttinger Friedenspreises, da ich mich über die Auseinandersetzungen um den diesjährigen Preisträger „Jüdische Stimme“ informiert habe und informiert worden bin. Zweifellos sind die politischen Konflikte in und zwischen den palästinensischen Gebieten, politischen Organisationen der Palästinenser und dem Staat Israel äußerst kompliziert und unübersichtlich. Gerade deshalb ist es notwendig, die Kernpunkte zu betonen.
Für mich sind es zwei:
Erstens ist es die Position „Der Einsatz für Menschenrechte ist nicht antisemitisch“, die im Offenen Brief der mehr als 90 jüdischen Wissenschaftler und Intellektuellen vom 18. Januar zum Ausdruck gebracht wird. Ich unterstütze diese Position und damit auch den Preisträger „Jüdische Stimme“, denn Menschenrechte sind universell. Es geht um die Gleichwertigkeit und psychische wie physische Unversehrtheit aller Menschen. Meine eigenen Forschungen und Publikationen zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, zu der u.a. Antisemitismus und Islam- bzw. Muslimfeindlichkeit gehören, machen eine solche Positionierung notwendig.
Zweitens ist das Verhältnis von „Jüdischer Stimme“ und BDS anzusprechen. Dass ich selbst BDS in keiner Hinsicht unterstütze, ist zweifelsfrei klar. Wie auch immer im Detail eine Unterstützung von „Jüdischer Stimme“ gegenüber BDS ausfallen mag, so ist nach meinen Informationen an keiner Stelle dokumentiert, dass sich die „Jüdische Stimme“ gegen das Existenzrecht des Staates Israel ausspricht – im Gegenteil.
Das ist der für mich entscheidende Punkt, um auch in diesem Punkt die „Jüdische Stimme“ als Preisträgerin zu unterstützen.
Deshalb wäre es in vielerlei Hinsicht ein unbegründeter Affront, wenn die Preisverleihung an die „Jüdische Stimme“ gestoppt, verzögert oder gar verhindert würde. Meine persönliche Position ist ohnehin klar. Ich werde auch weiterhin Einladungen von israelischen Kolleginnen und Kollegen folgen, wie zuletzt zu einem Vortrag im Mai 2018 an der Universität Haifa zu „Parallel Societies“.
Mit gelassener Hochachtung und freundlichen Grüßen
Wilhelm Heitmeyer