Ein Urteil gegen den Faschismus, doch auch gegen die Fremdenfeindlichkeit von oben?

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

238. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Man kann schon begrüßen, dass die Faschistenpartei „Goldene Morgenröte“ vor Gericht eine schwere Niederlage hinnehmen musste. Aber wurde damit auch die fremdenfeindliche Politik der griechischen Regierung aus dem Wege geräumt? – Zu diesen und anderen Fragen in meinem heutigen Bericht. Holdger Platta

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

bestimmt erinnert Ihr Euch: schon mehrfach habe ich Euch darüber berichtet, dass RentnerInnen in Griechenland oft lange auf die erste Auszahlung ihrer Rente warten müssen. Das gilt für den von uns betreuten Schauspieler Alexander S. aus Athen, der aufgrund dieser Tatsache schon einige Male in eine derartige Notsituation geriet, dass er nicht einmal mehr in der Lage war, die für sein Überleben nötigen Esswaren einkaufen zu können. Deshalb auch Überweisung eines weiteren Unterstützungsbetrages für ihn vorige Woche in der Höhe von 600,- Euro. Das gilt auch für unseren Helfer Tassos Chatzatoglou, der seit Jahren auf seine erste Rentenzahlung aus Griechenland zu warten hat. Hätte Tassos nicht zusätzlich – über viele Jahre hinweg – in Deutschland und in Österreich gearbeitet und bezöge von dort seine Altersrenten, wäre er womöglich in der gleichen Situation wie Alexander S. aus Athen.

Um so merkwürdiger mutet deswegen ein Kurzbericht aus der neuesten Ausgabe der „Griechenland Zeitung“ an, vom 7. Oktober des Jahres, demzufolge es in Griechenland sogar 27.642 Griechinnen und Griechen geben soll, die nicht mal 25 Jahre alt sind und bereits Rentenzahlungen erhalten. Das offizielle Renteneintrittsalter in Griechenland liegt bei 67 Jahren. Und kaum weniger merkwürdig ist, dass fast ein Viertel der Rentenbezieher in Griechenland, der genannten Quelle zufolge, unter 65 Jahre alt sind – um genau zu sein: 22,48 Prozent beziehungsweise 559.079 „Pensionisten“ (von insgesamt 2.486.053 Rentnern und Rentnerinnen in Griechenland). Was ist da los? Entscheidet das Los über realen Rentenbezug ja oder nein? Wie sind diese seltsamen Ungereimtheiten zu erklären, die vor einigen Tagen vom griechischen Rentenkontrollsystem „Ilios“ bekannt gegeben worden sind? Wir haben deshalb bei unserem landeskundigen Mitarbeiter Tassos Chatzatoglou nachgefragt. Jedenfalls gilt:

Vor diesem Hintergrund stellt sich als noch skandalöser dar, dass zahlreiche Rentnerinnen und Rentner, die zweifelsfrei – schon ihres Alters wegen – Anspruch auf ihr Ruhegeld haben, vom griechischen Staat völlig allein gelassen werden in ihrer Not. Nebenbei: wenn die „Ilios“-Angabe stimmt, dass die monatliche Durchschnittsrente in Griechenland bei 726,70 Euro liegt, bei der in vielen Fällen sogar noch eine Zusatzrente von durchschnittlich 194,37 Euro hinzukommen müsste – müsste! –, wird offenbar, was der griechische Staat an diesen Menschen in größter Lebensnot spart und welchen Umfang dieses völlige Regierungsversagen gegenüber den BürgerInnen zeigt. Alter und Armut, die auch bei uns in Deutschland immer stärker zu einem Synonym geworden sind: in Griechenland scheint es geplantes Staatshandeln zu sein, gewollte Programmatik.

Vor diesem Hintergrund verwundert es übrigens auch nicht, dass immer deutlicher die Anzahl sterbender Menschen in diesem Mittelmeerstaat zunimmt und schon seit längerem die Anzahl der Geburten in Griechenland weit übertrifft. Hellas wird auch insofern zu einem schrumpfenden Land (nicht nur der Arbeitsemigranten wegen, deren Zahl mittlerweile – je nach Quelle – mit 500.000 oder 600.000 Menschen angegeben wird). ELSTA zufolge, nach den Angaben der nationalen Statistikbehörde in Griechenland, starben im vergangenen Jahr 42.202 Menschen mehr als geboren wurden. Und dieser Schrumpfungsprozess beschleunigt sich.

Einen zweiten Blick lasst mich heute noch werfen auf den Prozess, der nach sieben Jahren insgesamt und nach einer Verfahrensdauer von mehr als fünf Jahren gegen die Führung der Neonazipartei „Goldene Morgenröte“ zu Ende gegangen ist. Der griechische Experte Vasiliki Georgiadou gab den Betreibern der Website „Internationale Politik und Gesellschaft“ (IPG) zu diesem Thema ein Interview.

Gegenstand des Prozesses waren drei Gewalttaten gewesen: die Ermordung des antifaschistischen Musikers Pavlos Fyssas, der von einem Funktionär dieser Partei umgebracht worden ist, sowie gewaltsame Angriffe auf Arbeitsvertreter der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) und auf Migranten, die legal in diesem Land lebten und arbeiteten.

Angeklagt waren aber nicht nur die Einzeltäter, sondern vor Gericht standen auch der Vorsitzende der Faschistenpartei, Nikos Michaloliakos, sowie weitere hohe Funktionäre dieser Partei – und zwar wegen Führung einer kriminellen Organisation und Mitgliedschaft in derselben. Denn, so Georgiadou im Interview mit IPG:

„Die Goldene Morgenröte ist eine Partei mit einem eigentümlichen Status…“

… ich füge hinzu: mit einem Doppelcharakter, der auch typisch für die deutsche NSDAP gewesen ist mit ihren Schlägertruppen der SA…

„… Auf der einen Seite nimmt sie als Partei an Wahlen teil und wirbt um Stimmen, auf der anderen Seite aber wirkt sie als Bürgerwehr, das heißt wie eine in ihrer Struktur paramilitärische Partei, die systematisch Gewalt benutzt, um ihre Ziele zu erreichen.“

Nun, die Partei selber ist noch nicht als kriminelle Organisation verurteilt worden, allerdings die Mitglieder des Politischen Rates dieser Partei und die damaligen Abgeordneten dieser Partei. Was konkret heißt: ein Verbot der „Goldenen Morgenröte“ insgesamt steht noch aus. Und im übrigen: auch die Höhe der Strafen wurde noch nicht festgelegt. Gleichwohl:

Vasiliki Georgiadou meint, das Gerichtsurteil habe das Ansehen der Justiz in der Bevölkerung wieder gestärkt. Er glaubt, dass dieses Urteil auch über die griechischen Grenzen hinweg Eindruck hinterlassen werde in der europäischen Öffentlichkeit. Und Georgiadou erhofft sich von diesem Urteil, dass es die „Goldene Morgenröte“ nun schwer haben werde, überleben zu können. Der verbreiteten Gewohnheit in Griechenland, die Ideen der Rechtsextremisten eher zu imitieren statt sie zu isolieren, könne damit womöglich ein Ende gesetzt worden sein. Trotzdem meint Vasiliki Georgiadou am Ende des Interviews:

„Das Phänomen des Rechtsextremismus wird bei Wahlen weiterhin präsent bleiben. Die Gerichtsentscheidung wird natürlich nicht ausreichen, um uns von der Last der Ethnopopulisten aller Art zu befreien.“

Offen muss bleiben, ob der Experte damit auch die griechische Regierung selber gemeint hat, deren Schreckensregiment über die Flüchtlinge auf Lesbos mit aller Brutalität immer noch fortgesetzt wird. Aber dazu vielleicht in meinem nächsten Bericht mehr.

Bleibt zum Schluss, Euch die neuesten Spendenzahlen mitzuteilen – was dieses Mal eine leichte Aufgabe ist, leider aber auch eine traurige Angelegenheit.

In der vorletzten Woche gingen, wie im PS meines Berichtes vor einigen Tagen mitgeteilt, 255,- Euro ein, überwiesen von 7 SpenderInnen an uns – seither aber kein weiterer Cent. Vielleicht hat es daran gelegen, dass mein letzter Bericht erst am vergangenen Donnerstag hier auf HdS erschien und seither nur wenige Tage vergangen sind. Dass die Not weiterhin riesengroß ist in Griechenland, dass es weiterhin unserer Hilfe bedarf, für viele, viele einzelne Menschen in Griechenland, muss ich ganz gewiß nicht erneut betonen.

Hoffen wir alle also auf ein besseres Ergebnis zu Beginn der nächsten Woche und auf einen – zumindest in dieser Hinsicht – erfreulicheren Bericht! Also:

Wer uns in den nächsten Tagen wieder Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“  auf das Konto:

Inhaber: IHW

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49

BIC: NOLADE21GOE

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an unseren Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.

Mit herzlichen Grüßen und allen meinen guten Wünschen

Euer Holdger Platta

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen