Ein zweiter Brief von Tassos Chatzatoglou über sein Heimatland
Dass unsere Hilfsaktion für die Menschen in Griechenland bitter notwendig ist (und natürlich niemals umfassend genug sein kann), zeigen erschütternde Lageberichte von Beobachtern vor Ort. Tassos Chatzantoglou, der für die Initiative von “Hinter den Schlagzeilen” in Griechenland Härtefälle aufzuspüren versucht, schrieb an Holdger Platta und Karl-Heinz Apel diesen Brief. U.a. geht es darin um einen zu wenig beleuchteten “Randbereich”: Wie geht es afrikanischen Flüchtlingen, den Ärmsten, in einem ohnehin schon armen Land?
Lieber Kalle, lieber Holdger,
habe heute mit Takis in Molai telefoniert. Er meinte, in der Erstversorgung gibt es einen massiven Mangel an Verbandsstoffen (elastische Binden, Desinfektionsmittel wie z.B. Betaisodona etc.). Er schickt mir per Mail eine exakte Aufstellung der benötigen Güter. Er möchte noch in den anderen Abteilungen fragen, was Mangelware ist.
Habe heute noch viel telefoniert und folgende Erfahrungen gemacht: Besitzt jemand zum Beispiel ein Haus oder eine Wohnung, in der er auch lebt, wird diese Person nicht als arm bezeichnet, auch wenn sie kein Geld und/oder kein Einkommen hat. Erschütternd ist die Schilderung einer Architektin, die vor der Krise 3 Häuser gebaut hatte, um diese zu verkaufen, die seit 5 Jahren kein Einkommen hat, die Firma nicht liquidieren kann und trotzdem 3200 €/Jahr Steuern abliefern muss. Hier springen Eltern und Geschwister ein. Dies ist in Griechenland kein Einzelfall, sondern die Regel.
Ein anderer Fall, von dem ich heute Kenntnis erlangte und der mich emotional aus der Bahn geworfen hat, ist die Lage der Immigranten aus Syrien, Afganistan etc. Nach ihrem Aufenthalt in diversen Auffanglagern werden diese mit Papieren versehen und dann einfach auf die Straße geschickt.Sie sammeln sich in einem Park in Athen, darunter viele Kinder und Neugeborene, die unter erbärmlichen Zuständen in Zelten leben müssen, nur mit einem einzigen Wasserhahn im Park. Die Athener Bevölkerung hilft ihnen. Was ich nicht in Erfahrung bringen konnte war, ob die Gemeinde wenigstens chemische Toiletten aufgestellt hat. Ärzte ohne Grenzen, Rotes Kreuz und freiwillige Pfleger übernehmen die Versorgung der kranken Kinder an diesem Ort des Elends. Über diese Zustände wollte ich via Internet und staatliches Fernsehen Näheres in Erfahrung bringen, ich habe aber bis auf die Bestätigung, dass es stimmt, nichts weiteres herausbekommen. Die Temperaturen in Athen steigen und steigen, man erwartet Spitzentemperaturen bis 39°C.
Jenny, unsere Ärztin, die uns auch unterstützt (ich hatte bereits berichtet), erzählte uns von einem alten Mann in Chrysoupoli, dessen Arm auf traumatische Weise amputiert wurde. Er hat zusätzlich Parkinson und einen neuen Schenkelhalsbruch hinter sich. Sein Sohn unterstützt ihn so gut es geht, aber für z.B. physikalische Therapien reicht dessen Einkommen (ca. 200 €) nicht.
Wir haben mehrere Freunde in Griechenland gebeten, um Härtefälle für unsere Hilfsaktion ausfindig zu machen, auch über Apotheken.
Ich bin heute derart deprimiert, dass ich nicht mehr weiterschreiben kann.
Herzliche Grüße, auch von Evi,
Euer Tassos