Eine Frau fragt nach

 In FEATURED, Kurzgeschichte/Satire, Politik (Inland)

Man möchte die Mitglieder der Partei “Die Linke” gern mögen. Schließlich klingt vieles in deren Parteiprogramm noch immer besser als bei den anderen. Aber mögen die eigentlich “uns”, also die so genannten einfachen Leute? Haben sie noch Kontakt mit uns, hören sie wirklich zu? Oder sind sie schon so verwickelt in das Spiel der Parteien um Macht und Posten, dass von einer “Machtübernahme” – selbst wenn es so weit käme – nicht viel zu erwarten wäre? Der Autor bringt eine “ganz normale” Frau zum Reden. Sie spricht sicher vielen von uns aus der Seele. Georg Rammer

Lena M., 38 Jahre, alleinerziehende Mutter zweier Söhne, Verkäuferin in einem Kaufhauskonzern, der etwa die Hälfte der Filialen schließen und tausende MitarbeiterInnen entlassen will. Der »Strukturwandel« trifft Frau L. persönlich:

Seit Wochen hören wir nur, Tausende sollen entlassen werden. Das macht mich ganz fertig. Keine Ahnung, wie es dann weitergehen soll. Die Unsicherheit finde ich schlimm. Ich habe viele Zweifel und Selbstzweifel und Fragen – auf Antworten hoffe ich gar nicht mehr. Wenn ich überlege, ist das immer schlimmer geworden; früher, da hatte ich Ziele und war voller Zuversicht. Jetzt habe ich überhaupt kein Vertrauen mehr, das ist das Schlimmste. Kein Vertrauen, dass die Politiker tatsächlich tun, was sie sagen. Kein Vertrauen, dass man da irgendwie Einfluss darauf hat. Kein Vertrauen, dass es für mich besser wird und für die Kinder erst recht nicht. Dass es für uns ein bisschen sicherer, unbelasteter, fröhlicher wird.

Nachts verfolgt mich das schlechte Gewissen: Mit den Kindern bin ich nervös, nörgelig, wir nehmen uns kaum noch in den Arm. Sie haben auch kein schönes Leben. Und meine Aussichten? Wenn ich in Rente gehe, liegen meine Bezüge unterhalb der Grundsicherung. Arm nennt man das. So eine Perspektive verschafft einem einen anderen Blick auf das Leben, auf die Zukunft. Und man weiß, dass kein einziger Politiker das nachvollziehen kann. Keiner von ihnen kennt das: die Unsicherheit, das Gefühl der Ungerechtigkeit, die Angst.

Man ist so ausgeliefert. Hat gar keinen Adressaten für all die Sorgen. Anerkennung? Woher denn? Ich bin nur noch am Kämpfen, aber die Hoffnung, ich könnte was ändern, habe ich längst aufgegeben. Wäre ja eigentlich Sache der Politik, oder? Aber ändert sich was durch Wahlen? Das habe ich noch nie erlebt, halte ich für eine Illusion. Ich wollte das letzte Mal die Linke wählen, immerhin will sie soziale Gerechtigkeit, etwas für die einfachen Leute tun und gegen die wilde Profitmacherei. Aber tun ihre Abgeordneten das dann auch? Schon klar, sie können keine Wunder bewirken, und immer nur Opposition bewegt wenig. Aber mitregieren und dann die alte Politik fortsetzen ist schlimmer.

Angenommen, da wäre jetzt einer von den Linken hier, und ich könnte ihn befragen. Ich würde einiges loswerden wollen. Also fangen wir mal an: Die wichtigste Frage vorweg: Kennen Sie überhaupt mein Leben? Kennen Sie die Sorgen der einfachen Leute? Wissen Sie, wie sich das anfühlt, den Kindern keine bessere Zukunft bieten zu können? Sie sagen, Sie sind links. Okay. Wissen Sie, wer für mich links ist? Einer, der sich um mich und meine Probleme kümmert. Hören Sie mir mit meinen Sorgen, meiner Angst überhaupt zu? Das wäre mir wichtig, weil ich bei Politikerreden immer den Eindruck habe, ich soll mich ändern, ich bin irgendwie nicht in Ordnung, so wie ich bin. Denken Sie das auch?

Wissen Sie, ich will nicht ständig belehrt werden von Besserwissern. Was ich brauche und was ich wollen soll. Ich traue mich ja kaum zu sagen: Erst mal brauche ich Sicherheit. Wenn ich das sage, denken Sie gleich, ich wähle CDU oder SPD. Nein, was haben die schon jemals für mich gemacht. Aber ich denke: Wenn ihr an der Regierung seid, was ist dann wirklich anders? Es ist mir schon klar, dass man da Kompromisse schließen muss und dass man die ganzen Medien gegen sich hat. Aber das wisst ihr doch auch schon vorher. So wie es derzeit läuft, wo ihr mitregiert, überzeugt es nicht.

Ihr habt euch auf das Spiel der Parteien eingelassen, aber so könnt ihr nur verlieren. Am Ende habt ihr alle gegen euch, die Reichen und die Rechten sowieso, die anderen Parteien auch, alle, die euch gewählt haben, und die Medien auch. Ihr solltet mal überlegen, wen ihr wie überzeugen wollt. Was ich über eure Ziele weiß, finde ich richtig: Gerechtigkeit, Menschenrechte, Frieden. Aber wie wollt ihr das eigentlich umsetzen? Mit wem? Ich glaube, da habt ihr auch keine Ahnung. Vielleicht solltet ihr euch nicht nur auf Wahlen und das Parlament verlassen, eher Druck machen, mit Bündnissen arbeiten? Dort, wo die Menschen leben. Eine Niederlage in einer Koalition zugeben, statt ein schlechtes Ergebnis als Erfolg zu verkaufen. Notfalls eine Koalition platzen lassen, statt an Posten zu kleben und die eigenen Ziele zu verraten.

Untereinander seid ihr spinnefeind und respektlos, seid ihr es gegen uns auch? Ich will kein Mitleid und kein geheucheltes Verständnis. Ich will Respekt und dass man mir zuhört und sich die Mühe macht zu verstehen, was mich fertigmacht!

Die Frage klingt blöd, aber jetzt stelle ich sie trotzdem mal, wenn wir schon dabei sind: Habt ihr mich eigentlich gern? Nein, nicht persönlich – ich meine unsereinen? Die anderen haben doch nur Verachtung für uns übrig. Das spürt man doch. Ich will nicht mit schönen Worten abgespeist werden, ich will spüren, dass ich geachtet und was wert bin. Ich habe neulich einen Film von dem linken englischen Regisseur Ken Loach im Fernsehen angeschaut, »Sorry, we missed you«, da kamen mir die Tränen. Weil ich gespürt habe, dass er mich versteht, mich mag. Ja. Schau dir Merz und Schäuble und die ganzen Typen an, das ist doch das krasse Gegenteil: Verachtung. Sie sagen nicht, wir verachten euch, sie lassen es einen immer spüren: Ihr seid uns sowas von egal. Aber bei euch bin ich mir manchmal auch nicht sicher.

Das geht jetzt etwas durcheinander, mir schwirrt so viel durch den Kopf, und ich kann es nie loswerden. Wo auch, bei wem. Ich bin eine Einzelkämpferin in dieser Welt, und ich habe Angst. Und kein Selbstbewusstsein und nicht mehr viel Kraft. Würde ich alles anders machen, wenn ich neu anfangen könnte? Ich glaube, das geht gar nicht, man ist so festgelegt durch die Umstände, wie man aufwächst. Und das war kein Zuckerschlecken. Tja, und wo kriege ich jetzt ein bisschen Hoffnung?

Ich bin müde, ich gehe schlafen.

 

Frau M. ist erfunden, ihre Gedanken sind es nicht. Auch der Kaufhauskonzern mit den Kündigungsplänen ist real. Leseempfehlung: Didier Eribon: »Rückkehr nach Reims«, übersetzt von Tobias Haberkorn, 240 Seiten, 18 €. Robert Misik: »Die falschen Freunde der einfachen Leute«, 138 Seiten, 14 € (beide Suhrkamp)

Anzeigen von 3 Kommentaren
  • Freiherr von Anarch
    Antworten
    Tja – Frau M. –

    …was tut eine Volksherrschaft ( Demokratie ) eigentlich fürs Volk ? – unherzlich wenig.

    Und die ‘Volksparteien’ ? – noch weniger.

    Und eine ja eigentlich sozialistsich ausgerichtete ‘Linke Partei’ – gleich gar nichts.

    Und die Verfassung, die keinen einzigen Mißstand erlauben würde – hat keine Gültigkeit.

    Und das Volk selbst ? – es wählt seine eigene Entrechtung wieder und wieder.

    Kann man sowas noch verstehen ?

    Nein Frau M. – das Volk muss sich selbst helfen, von einem Volksverräterbundestag ist nichts mehr zu erwarten, nicht mal die Einhaltung der Verfassung.

    Man nennt es Revolution, mittels Generalstreik herbeigeführter Sturz der kompletten Regierung, Machtübernahme durch den verfassungsmäßig garantierten Souverän, dem Volk selbst.

    Aber: schon bei diesem Gedanken hat das’ Deutsche Volk’ die Hosen voll… ein erbärmlich obrigkeitshöriges Duckmäuservolk.

     

     

     

     

  • Volker
    Antworten

    Wenn ich in Rente gehe, liegen meine Bezüge unterhalb der Grundsicherung. Arm nennt man das.

    Auch als aufgestockte Armut bekannt. Also arm, aber nicht unverhältnismäßig arm, nur ein wenig ärmlich, weil schützende Hände sich ausbreiten über uns – der Staat, seine Engel, Götter der Barmherzigkeit. ++quietsch++. Und überhaupt: Wer Armut beklagt, dessen Lebenssinn hatte keinen Griff, oder griff sinnlos daneben, schlingerte malocherjahrelang auf seifigen Boden, ohne Durchhaltevermögen, ein planloses Herumeiern ohne Navigation auf kernseifigen Staatsboden.

    Habt ihr mich eigentlich gern? Nein, nicht persönlich – ich meine unsereinen?

    Öhm… hust… naja … also… hust …
    Wen wir gerne haben, wer uns gerne mal könnte, dies sind unzulässige Fragen politischer Intimsphären, die kein Profie politischer Kunst mal so an die öffentliche Glocke hängt. Bim bam, und schon stünde man nackt wie hilflos vor fragendem Volk, das es irgendwie zu vertreten gilt, das Hände ergreift, wenn Finger winken, unersättlich gierig nach Wahrnehmungsbeweise des Gernhabens. Lover gesucht.
    Wobei, als logische Betrachtung aller Möglichkeiten… naja.. die Unmöglichkeit des Prinzips der Gießkannenausschüttung Liebe … hust… als fataler Irrtum eingeschliffener Denkmuster zutage tritt. Linkshänder haben’s besonders schwer, nehmen verkehrt herum wahr, was wiederum zu Wahrnehmungsstörungen führt, Blick und Richtung auf das Volk zu fokussieren. Wir, die Linke, sind behindert, ein Gendefekt, weshalb politische Schaffenskräfte – als Therapieform – geradezu als unverzichtbar sich anbieten. Das Volk von links zu betrachten, ist wie auf dem Kopf stehen, verzerrt die Perspektive und verursacht Kopfschmerzen. Wollen sie das? Nehmen sie etwas Rücksicht bitte.

    Ich bin müde, ich gehe schlafen.

    Typisch. Sie möchten schlafen, alle schlafen, weit und breit kein Weckruf. Bei uns wird links gepennt, seitenverkehrt zum Positiv. Ihr seid das Volk – na und. Bussi.

  • Die A N N A loge
    Antworten
    Ich kann die Sorgen und Gedanken von Frau Lena M. gut nachvollziehen. Es wird vielen so gehen, und der Druck auf dem Arbeitsmarkt wird immer größer. Was bleibt denn, wenn die Hoffnung auf eine halbwegs gesicherte Existenz versiegt? Die Aussicht auf den täglichen Kampf ums existentielle überleben, auf Harz IV oder Grundsicherungsrente? Das soziale Netz ist voller Löcher. Nur wer stark ist, kann sich oben halten. Die schwachen hingegen liegen unten und werden nach und nach erdrückt von der Last.

     

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