Eine Roma-Familie und die „Herren des Morgengrauens“
Ellen Diederich beleuchtet in diesem Artikel einen sehr dunklen Winkel europäischer Zeitgeschichte. Mazedonien in Ex-Jugoslawien ist ohnehin ein Ort, der so gut wie nie im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit steht. Dasselbe gilt für das Schicksal europäischer Roma-Familien, und erst recht gilt es für Flüchtlinge, die durch ein unmenschliches Asylrecht kaum eine Chance auf ein Leben in Frieden und Würde haben. In dieser wahren und erschütternden Geschichte scheinen sich die Unmenschlichkeiten mehrerer europäischer Behörden – auch solcher der „freien Welt“ – verschworen zu haben, um das Leben und die Psyche einer Roma-Familie zu zerstören. Ellen Diederich berichtet dabei aus persönlicher Anschauung und aufgrund persönlicher Bekanntschaft mit den Betroffenen.
Das Schicksal dieser Roma Familie ist kein Einzelfall. In der Familie gibt es 5 Menschen, Eltern und drei Kinder. Sie stammen aus Mazedonien, die Kinder sind dort geboren. Die Eltern sind nach Roma Ritus verheiratet, es gab keine offizielle Heirat am Standesamt, von daher haben sie 2 unterschiedliche Namen, werden von den deutschen Behörden trotz dreier gemeinsamer Kinder nicht als eine Familie gesehen. Die Mutter und Kinder sind zurzeit in einem Flüchtlingslager in Oberhausen, der Vater ist in einem Ort in Niedersachsen angesiedelt worden, er darf Mutter und Kinder in Oberhausen besuchen. Das ist auch notwendig, die Mutter ist psychisch sehr erkrankt, war hier bereits 2 Monate in einer psychiatrischen Klinik.
Wir haben uns bei der Aktion: „Flüchtlinge willkommen heißen“ getroffen. Das ist die zurzeit laufende Floßaktion von Nürnberg nach Berlin, initiiert von dem Musiker Heinz Ratz. Mit der Floßfahrt sollen die Fluchtbedingungen von Flüchtlingen in die und in der EU dokumentiert werden. Die Flöße machen in über 30 Städten Station. Die jeweiligen Initiativen am Ort organisieren Treffen und Veranstaltungen.
Die Familie ist seit März 2014 in Deutschland. Der Vater war mit seiner Herkunftsfamilie schon einmal, vor 20 Jahren von 1991 bis 1996 während es Krieges im ehemaligen Jugoslawien, in Deutschland. Der Aufenthaltsort war im Heidekreis in Niedersachsen. In dieser Zeit lernte er Deutsch, er spricht die Sprache sehr gut.
1996 ging die Familie nach Beendigung der unmittelbaren Kriegshandlungen zurück nach Mazedonien. Der heutige Familienvater engagierte sich in Mazedonien bei Aktionen zur Verhinderung von Diskriminierung der Roma. Der Anteil der Roma an der Bevölkerung Mazedoniens wird offiziell mit 2,5 % angegeben, das wären 50.000 Menschen, de facto sind es aber um die 250.000 Menschen. Die Lage der Roma in Mazedonien ist katastrophal. Im Internet gibt es eine Reihe Berichte, u.a. das Video einer Spiegel-Reportage über das größte Lager der Roma in der Nähe von Skopje.
Eine Form der Aktionen gegen die Diskriminierung war die Installierung Runder Tische, um die verschiedenen Interessen zu verhandeln.
1999 war der Kosovo Krieg, viele Roma Kosovaren kamen nach Mazedonien. Der Familienvater hat sich dort in Initiativen zur Unterstützung der Flüchtlinge engagiert. Er wurde zum Präsidenten der NGO-EU-Roma gewählt, in dieser Funktion war er eine Person, die in der Öffentlichkeit stand.
Das oberste Ziel dieser NGO war: die Verhinderung von Diskriminierung der Roma.
Weiter gab es fünf Ziele, auf die sich die NGO geeinigt hatte:
– Emanzipation für die Frauen
– Schutz der Menschenrechte
– Ausbildung für alle Kinder und Jugendlichen
– Ausreichende gesundheitlicher Versorgung
– Menschenwürdige Wohnsituationen
Die Kampagnen sollten zum Teil in Bürgerzentren stattfinden. Teilweise erhielten die Organisatoren die Erlaubnis, sich dort zu treffen, verschiedenen politischen Gruppen und Parteien passte aber diese Erlaubnis nicht.
Es gab verschiedene Hilfsorganisationen, u.a. die Johanniter, die die Roma Aktionen zeitweilig unterstützten. Nach Beendigung der Unterstützungen, versuchten der Familienvater und andere, Geldgeber im Land zu finden und Aktionen zu organisieren, bei denen u.a. Geld für die Arbeit gesammelt wurde. Diese Kampagne stand unter dem Motto: Von Euch für Euch.
Diese Aktivitäten kollidierten mit Interessen verschiedener regionaler Politiker und Parteien, die der Unterstützung von Roma-Anliegen in Mazedonien ablehnend gegenüber standen.
Als Folge der Auseinandersetzungen und des Krieges gab es viele politische Veränderungen im Land selber. Durch den Kosovo-Krieg sind viele Albaner und Kosovaren in Mazedonien gelandet. Es gab große politische Auseinandersetzungen, in denen längere Zeit unter anderen die UCK (paramilitärische Organisation aus der Zeit des Krieges) stark mitmischte, eine Reihe mafioser Strukturen sind entstanden. So ist Mazedonien eines der Länder, aus denen Organe in größerem Stil für den internationalen Organhandel kommen. In diesem Zusammenhang wurden auch immer wieder Kinder entführt und sind verschwunden.
Der Familienvater wurde aufgrund seiner politischen Aktivitäten mehrfach bedroht, er war Gewalt ausgesetzt, musste Geld bezahlen, um die Gewaltdrohungen und Anwendungen nicht weiter gehen zu lassen. Die Lage wurde so bedrohlich, dass er sich entschied, mit seiner Familie Mazedonien zu verlassen. Sie emigrierten, zusammen mit seinen Eltern, in die Schweiz.
Von 2010 bis 2013 war die Familie in der Schweiz, stellte dort einen Asylantrag. Hierüber wurde in mehreren Instanzen verhandelt. Er wurde am 17.2.2014 negativ entschieden. Die Behörden in Mazedonien forderten von der Schweiz die Rückkehr der Familie dort hin. Gegen die Mutter läuft ein Verfahren wegen Überziehung eines Kreditkartenkontos um 300 €. Die Gerichte in Mazedonien sprachen dafür eine Gefängnisstrafe von 6 Monaten aus. Die Schweiz lehnte die Auslieferung wegen Geringfügigkeit ab.
Die Pässe der Familie stammten noch aus der Zeit des ehemaligen Jugoslawiens. Während ihres Aufenthaltes in der Schweiz wurden die Pässe, dadurch dass Jugoslawien aufgeteilt wurde und mehrere eigenständige Staaten entstanden, ungültig. Die Familie fuhr, mit Erlaubnis der Schweizer Behörden, nach Mazedonien, um dort neue Pässe zu beantragen. Die Erlaubnis besagte: 90 Tage Aufenthalt in Mazedonien, um neue Pässe zu bekommen. Die Miete für die Wohnung in der Schweiz wurde für die erlaubte Zeit der Abwesenheit – 90 Tage, vorfinanziert.
Kurz nach ihrer Ankunft in Mazedonien aber wurde der Vater vom dortigen Militär abgeholt und für den Grundwehrdienst, den er noch nicht abgeleistet hatte, für 9 Monate eingezogen. Das kollidierte mit der durch die Schweizer Behörden gesetzte 90 Tage-Frist. Eine Rückkehr in die Schweiz war danach erst mal nicht möglich. Um die Familie zu ernähren, hat der Vater in Mazedonien einen Handel mit Kleidung aus der Türkei aufgebaut. Gleichzeitig hat er sich politisch wieder für die Interessen der Roma engagiert.
Während des Aufenthaltes in der Schweiz hat der Vater verschiedene Arbeiten angenommen, um die Familie versorgen zu können. Für Menschen mit laufendem Asylantrag ist es sehr schwierig, angemessene, bezahlte Arbeit zu finden. Die Mutter wurde durch die ganzen Stresssituationen psychisch krank, war lange Zeit in der Schweiz in verschiedenen psychiatrischen Krankenhäusern. Sie unternahm mehrere Suizid-Versuche. Dieser Zustand hat sich bis heute nicht wesentlich verändert. In Oberhausen war sie in diesem Jahr bereits 2 Monate wieder in der Psychiatrie. Auch zwei der Kinder haben große psychische Probleme, sind traumatisiert und sind auch in psychiatrischer Behandlung
Während eines Aufenthaltes der Mutter in der Psychiatrie in der Schweiz war auch der Vater im Krankenhaus. Durch die Gewaltanwendungen in Mazedonien waren ein Auge und sein Gesicht verletzt, er musste operiert werden. Die Großeltern waren bei den Kindern. Im Juli 2013 kam die Polizei. Die Großeltern wurden verhaftet, in Handschellen abgeführt, in Abschiebehaft genommen und 3 Tage später nach Mazedonien abgeschoben. Dort hatten sie keine Unterkunft. Die Wohnung der Familie in der Heimatstadt Tetow war inzwischen durch die Polizei geräumt und ausgeräumt worden, die Möbel und alle anderen Sachen waren im Müll gelandet. Beide Großeltern sind sehr krank, leben jetzt in einer Notunterkunft.
In der Schweiz blieben die Kinder, da ja beide Eltern noch in verschiedenen Krankenhäusern waren, alleine in der Wohnung zurück.
Nachdem der Vater aus dem Krankenhaus kam, hat die Schweizer Gemeinde, in der sie wohnten, gleich nach der Abschiebung der Großeltern Druck gemacht, dass sie die Wohnung, in der sie drei Jahre gelebt haben, in vier Stunden verlassen sollten. Nach Absprache gab man ihnen dann zwei Tage Frist. Sollten sie die Wohnung innerhalb dieser Zeit nicht verlassen, wurde gedroht, die Polizei komme und sie würden gewaltsam fortgebracht. Nach dem, was die Familie an Stress bei der Abschiebung der Großeltern erlebt hatte, konnten sie sich den erneuten Stress nicht zumuten. Der Vater holte seine Frau aus der psychiatrischen Klinik, die Familie floh nach Belgien.
In Belgien verschlimmerte sich die gesundheitliche Situation der Mutter. Es waren nicht die richtigen Medikamente zu bekommen. Einen Monat später ging die Familie zurück in die Schweiz. Die Mutter wurde vom Hausarzt sofort wieder in die psychiatrische Klinik überwiesen. Ein Amtsarzt bestätigte den kritischen Zustand, Suizid-Gefährdung und dass sie in jedem Fall fachpsychiatrische Behandlung braucht. In der Zeit hatte der Vater zwei große Gesichtsoperationen, bei den ersten Operationen war etwas schief gelaufen. Das Schweizer Migrationsamt drohte, dass der Vater und die Kinder bis zum 24.12.2013 (Frohe Weihnachten!) abgeschoben werden sollten. Die Mutter sollte dann einige Monate später abgeschoben werden. Als sie davon erfuhr, war sie so verzweifelt, dass sie drohte, sich umzubringen. Die Familie floh dann aus der Schweiz durch verschiedene Länder nach Mazedonien. Es war eine illegale Reise, die einzelnen Stationen – Ungarn, Serbien, Mazedonien – sind also auch nicht nachzuweisen. In Mazedonien trafen sie einen von früher bekannten Polizisten. Er teilte ihnen mit, dass der Vater wegen seiner früheren politischen Tätigkeiten, die Mutter wegen der Kreditkartengeschichte gesucht würden und dass er sie, sollte er sie noch einmal sehen, verhaften müsse.
Die Familie floh wieder aus Mazedonien und landete über viele Umwege am 17.3.2014 in Deutschland. Nach einigen Zwischenstationen in Trier, Dortmund, Gelsenkirchen, Unna-Massen wurden die Mutter und die Kinder nach Oberhausen geschickt. Der Vater kam nach Niedersachen, in den Ort, in dem er in den neunziger Jahre mit seinen Eltern schon mal gelebt hatte. Die Familie konnte nicht zusammen bleiben, weil die deutschen Behörden trotz der drei gemeinsamen Kinder die Verbindung des Ehepaares nach Roma-Recht nicht anerkannte.
Der Vater hat ein Bleiberecht in Deutschland bis zum 21.8.2014, bescheinigt durch Papier A 4. Die Mutter und die Kinder haben Duldung bis zum 30.8.2014. Sie sollen in die Schweiz abgeschoben werden. Das eigentliche Asylverfahren in der Schweiz wurde am 17.2.2014 unter Verweis auf die Dublin-Regelung negativ abgeschlossen. Die Mutter sollte, falls sie in die Schweiz zurückkehrt, nach Mazedonien abgeschoben werden. Seit dem die Familie in Deutschland ist, gab es hier mehrere Befragungen und Verhandlungen, u.a. bei der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm. Die deutschen Behörden sprachen sich gegen eine Auslieferung der Mutter nach Mazedonien aus, da die Frau sehr krank ist. Die Gefängnisbedingungen in Mazedonien erlauben keine fachpsychiatrische Behandlung. Abschiebung könnte nur unter der Bedingung erfolgen, dass das Urteil in Mazedonien: 6 Monate Gefängnis wegen eines Scheckkartenvergehens aufgehoben würde.
Die Angst vor Abschiebung ist in der Familie sehr groß. Vor allem fürchten sie, dass sie aus der Schweiz doch nach Mazedonien abgeschoben werden könnten, die Mutter im Gefängnis landet. Der Vater fürchtet aus seinen früheren politischen Erfahrungen, dass er sofort verhaftet und auch, dass man ihn umbringen wird. Mazedonien ist für die Familie bestimmt kein „sicheres Herkunftsland“.
Soweit wir wissen, gab es in den letzten Jahren keinen Fall, in dem eine Abschiebung verhindert werden konnte. Die Familie findet kaum Schlaf, sie stehen vor Angst nachts im Bett. Wir zittern jede Nacht mit ihnen, ob die „Herren des Morgengrauens“ kommen und ob wir uns am nächsten Morgen wieder verständigen können.
Hat jemand einen Rat?
Ellen Diederich – Internationales Frauenfriedensarchiv Fasia Jansen
Tel.: 0208/853607
Email: Friedensa@aol.com