Endlich wieder Geige spielen

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Angelina Matevosyan und Osama Albernawi musizieren zusammen im Unterrichtsraum von WiMu. Foto: WiMu

Die Solidarische Musikschule „Willkommen mit Musik“ wird als Verein neu aufgestellt. Vor allem Kinder aus geflüchteten Familien werden bei “WiMu” musikalisch gefördert. (Jonas Hermes)

Mitten in der Nacht wurde Angelina Matevosyan von ihrem Papa geweckt. „Steh auf!“, sagte der leise: „Es geht los!“ Schlaftrunken packte die Zwölfjährige ein paar Klamotten zusammen. Vieles, was sie liebte, musste sie in der Ukraine zurücklassen: „Vor allem meine Geige.“ Dass sie, in Würzburg angekommen, sehr bald wieder Geige spielen konnte, hat die junge Armenierin der solidarischen Musikschule „Willkommen mit Musik“ (WiMu) im Theater am Neunerplatz zu verdanken.

Angelina Matevosyan ist eine von 35 Schülerinnen und Schülern, die derzeit von WiMu im Einzelunterricht gefördert werden. „Wobei die Förderung weit über das Musikalische hinausgeht“, sagt die 16-Jährige. Zwar hat sie durch WiMu-Musiklehrerin Anna Mavrommatis-Karaaslan sehr gut Geige zu spielen gelernt. „Doch WiMu hat mir auch privat ungeheuer geholfen“, erzählt die junge Frau, die seit einem Jahr den Beruf der Steuerfachangestellten erlernt.

An keinem anderen Ort fand Matevosyan so viel Solidarität. Gerade in jener schlimmen Zeit, als die Familie nicht wusste, ob sie abgeschoben würde. Aus diesem Grund beschloss die junge Frau, sich nun ihrerseits für WiMu zu engagieren – und zwar im neuen WiMu-Verein, der gerade gegründet wird.

Vier Jahre, nachdem WiMu ins Leben gerufen wurde, erscheint ein Verein notwendig, um die Arbeit auf solidere Füße zu stellen. Vor allem die finanzielle Situation ist prekär. „Was daran liegt, dass die Anschubfinanzierung weggefallen ist“, berichtet Jonas Hermes, Koordinator des Projekts. Die öffentlichen Mittel reichen nicht mehr aus, um das Hauptziel von WiMu zu erfüllen: Jedes Kind, das ein Musikinstrument erlernen möchte, soll dies tun dürfen. Völlig unabhängig vom Geldbeutel der Eltern.

Niemals, bestätigt Angelina Matevosyan, hätten ihre Eltern das Geld gehabt, um ihr in Würzburg Geigenunterricht zu finanzieren. Wie teuer Musikunterricht hierzulande ist, hatte sich die Jugendliche gar nicht vorstellen können. Wenige Monate nach ihrer Ankunft in Würzburg hatte sie sich in Würzburg auf die Suche nach einer Musikschule gemacht. Ihr Traum war, beide Instrumente, die sie in der Ukraine zu lernen begonnen hatte, nämlich Geige und Klavier, in Würzburg zu vervollkommnen: „Doch das war unbezahlbar gewesen.“

Es sind vor allem, aber nicht nur Kinder aus geflüchteten Familien, die bei WiMu musikalisch gefördert werden. Sie erfahren auf ganz unterschiedliche Weise von dem Angebot. „Ich lernte WiMu in der Schule kennen“, erzählt Angelina Matevosyan. Eines Tages seien WiMu-Musiker erschienen und hätten ihr Projekt vorgestellt. Matevosyan war begeistert: „WiMu baute in unserer Schule eine Band auf, bei der ich mitmachen durfte.“ Außerdem erhielt sie Einzelstunden sowohl in Geige als auch in Klavier. Nach so langer Zeit endlich wieder einmal an einem Klavier sitzen zu dürfen, machte die Jugendliche glücklich.

Inzwischen hat Matevosyan große Fortschritte erzielt. Aber nicht nur das. Sie erwarb Kompetenzen, die sie nun in ihre Lehre einbringen kann. Durch die Band- und Ensemblearbeit kann sie sich gut in Gruppen einfügen. „Das beste aber ist, dass ich durch unsere Konzerte viel selbstbewusster wurde“, sagt sie. Einmal trat sie sogar in der Posthalle auf. Über 100 Leute hörten zu. Matevosyan war aufgeregt. Und schwelgte hinterher in dem Gefühl, wirklich gut gewesen zu sein.

Auch Osama Albernawi wüsste nicht, wie die ersten Monate in Würzburg ausgesehen hätten, wäre er nicht durch Zufall auf WiMu gestoßen. „Die Musiker kamen zu uns in die Unterkunft“, sagte er. Einer erfuhr, dass Albernawi eine Geige mit im Fluchtgepäck hatte: „Die stammt von meinem Onkel aus Amerika.“ Viele Jahre hatte sich Albernawi als Kind gewünscht, eine Geige zu erhalten: „Doch schon in Syrien hatten meine Eltern weder das Geld für das Instrument, noch hätten sie den Unterricht bezahlen können.“

Irgendwann kam der Onkel zu Besuch. Und er brachte tatsächlich eine Geige mit. Albernawi war selig: „Über YouTube-Videos versuchte ich, mir das Geigenspielen beizubringen.“ Durch WiMu erlebte er, was einen richtig guten Instrumentalunterricht mit professionellen Musikpädagogen ausmacht: „Erstmals erlernte ich mein Instrument auf eine strukturierte Weise.“

Inzwischen studiert Albernawi Physik. Doch seine musikalische Leidenschaft will er auf keinen Fall aufgeben – obwohl das Studium sehr anspruchsvoll ist. Außerdem möchte er sich, ebenso wie Angelina Matevosyan, im neuen Verein von WiMu engagieren. Hat doch auch er erfahren, wie unersetzlich die WiMu-Arbeit für Menschen ist, die, mangels Geld kaum Chancen auf kulturelle Teilhabe haben.

Wer WiMu durch Spenden oder als Mitglied des in Gründung befindlichen Vereins unterstützen möchte, kann sich unter http://wimu.neunerplatz.de an die solidarische Musikschule wenden.

 

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