Erinnerungen an Michail Gorbatschow

 In FEATURED, Politik, Wolf Schneider

Am 30. August ist Michail Gorbatschow gestorben. In Zeiten, da Putin für viele die Verkörperung des Bösen schlechthin ist, tut es gut, an Gorbatschow zu erinnern. In den Jahren um 1989 hatte er unter dem Jubel des Westens und mit immerhin mehrheitlicher Unterstützung seiner Landsleute fast eigenhändig den Kalten Krieg beendet und sich danach mit aller Kraft für atomare Abrüstung und Naturschutz eingesetzt. Mit leider nur geringem Erfolg. Wolf Schneider, www.connection.de

Die Zivilisation des 21. Jahrhunderts vorbereiten

1995 traf ich ihn auf einer Konferenz in San Francisco. Fünf Jahre vor Beginn des neuen Jahrhunderts hatte diese »die Zivilisation des 21. Jahrhunderts« vorbereiten wollen: friedlicher, gerechter, nachhaltiger. Durch ein paar glückliche Zufälle war ich einer der etwa tausend Teilnehmer. Nach einer kurzen Sitzung mit ihm am runden Tisch, in der es um Frieden und Naturschutz ging, traf ich ihn in einer Konferenzpause wieder, zusammen mit seiner Frau Raissa und bat um eine Interview – nicht mit ihm, sondern mit ihr. Er stand ja seit Jahren im Rampenlicht, von ihr hingegen wusste man nicht viel mehr als dass sie für ihn enorm wichtig war und die beiden sich liebten. Beide stimmten zu, und wir vereinbarten einen Termin mit Übersetzer in ihrem Hotel. Überraschend mussten sie jedoch einen Tag früher zurück nach Moskau. Das Interview kam deshalb nicht zustande, aber sie luden mich nach Moskau ein.

Das Desinteresse der Medien

Zurück in Niedertaufkirchen, wo ich die Zeitschrift Connection herausgab, die wirtschaftlich und finanziell immer ein Ritt über den Bodensee war, schrieb ich die Zeit, den Spiegel und die Süddeutsche an mit meinem Angebot eines Bericht von der Konferenz. Dort hatten außer Gorbatschow noch viele andere Koryphäen aus Politik, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft und Religion teilgenommen, darunter der Vize von Nachapartheit-Südafrika, die Schimpansenforscherin Jane Goodall (mit ihr führte ich ein Audio-Interview), der US-Präsidentenberater Zbigniew Brzeziński, Regierungschefs und Ex-Regierungschefs einiger Länder, Tony Robbins, Richard Baker Roshi, die Gründer des Esalen-Instituts und viele andere Vorbereiter einer neuen Welt, aber auch Statthalter der alten. Von den großen deutschen Medien war niemand da. Deshalb wolte ich die Chance ergreifen, dort einen Bericht von mir zu platzieren. Ich schickte einen Text mit eigenen close-up Fotos von einigen der Koryphäen an die Zeit, die SZ und den Spiegel und bot ihnen auch das geplante Interview mit Raissa an. Für das hätte ich nach Moskau hätte fliegen müssen, was vor allem aus finanziellen Gründen mir nicht möglich war, deshalb hoffte ich, dass eines dieser (damals noch) mächtigen Printmedien mir die Reise finanzieren würde. Ich erhielt auf mein Anschreiben jedoch keine Antwort. Die Frau hinter dem Mann, der wie kaum ein anderer eine so positive Spur in der Welt hinterlassen hatte, zu befragen, hätte für die Medien ein Scoop sein müssen, dachte ich. So brachte ich den Bericht nur in meiner eigenen Zeitschrift, leider ohne das Interview mit Raissa.

Es gibt auch gute Russen

Das war damals. Heute wütet auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ein Krieg, den die NATO leicht hätte verhindern können und der in krassen Kontrast steht zu dem, was Gorbatschow als Weltordnung nach 1989 intendiert hatte.

Hier ein paar Rückblicke und Nachrufe: Franz Alt war mit ihm befreundet und wurde nicht müde, Gorbatschows Friedenswerk zu betonen, auf sonnenseite.com schrieb er über seinen Tod. Darin die heute für viele kaum erträgliche Aussage »Auch Putin hat einen guten Kern«.

Die New York Times schrieb in ihrem ausführlichen, genauen und wunderbar würdigenden Nachruf: »Wenige Staatslenker im 20. Jahrhundert hatten einen so großen Einfluss auf ihre Zeit.«

Die wichtigsten Stationen von Gorbatschow findet ihr in dieser SZ-Chronologie mit Bildern (ohne Paywall) gut zusammengefasst. Auffällig dabei, dass nach dem Aufmacher als erstes ein Bild folgt, dass ihn mit seiner Frau Raissa zeigt. Sie ist dabei so prominent im Vordergrund, dass er aussieht als sei er nur ihr Assistent. Auch die dpa hatte diesem Foto in ihrem Rückblick auf Gorbatschow Vorrang gegeben, gutmöglich aus später Einsicht.

Frauen an die Macht?

Vielleicht lohnt sich ein Vergleich von Raissas Einfluss auf Michail Gorbatschow mit dem von Michele Obama auf ihren Mann. In Zeiten, da die mächtigen Frauen von ihrer Persönlichkeit ja noch keineswegs die Überwindung des Patriarchats verkörpern, sollten wir die im Hintergrund mächtiger Männer nicht übersehen. Bei Liz Truss im UK, Georgia Meloni in Italien und Marine Le Pen in Frankreich fröstelt mich eher als dass ich dort weibliche Kraft im positiven Sinne erkennen könnte und das auch bei unserer zur Kriegerin mutierten Annalena Baerbock.

Übrigens, was Meloni anbelangt, sie ist ja die erste weibliche Regierungschefin Italiens. Solche Leidenschaft im Kritisieren mächtiger Männer könnte mich durchaus begeistern, wenn da nicht ihr Schulterschluss mit den Faschisten wäre.

Der Weg zum Frieden

Auch über einen gangbaren Weg zum Frieden ist schon viel gesagt und einiges dazu getan worden, von vielen klugen Leuten, von Wilhelm Reich, Martin Luther King, Dag Hammarskjöld, Marshall Rosenberg, Michail (und Raissa) Gorbatschow, Joanna Macy, Edward Snowden und vielen anderen. Und gewiss nicht alle Friedensnobelpreisträger verdienen – zumindest rückblickend gesehen – diesen Preis. Es bleibt die Aufgabe: Frieden zu schaffen, weltweit, und zwar nicht durch einen naiven Pazifismus, der das Feld Bullys wie Putin, Trump, Bolsonaro und Xi überlässt, sondern durch Vereinbarungen, deren Einhaltung von einer nicht bestechlichen Exekutive gewährleistet wird. Wie das das ja in einigen Nationalstaaten mit einer gut ausgebildeten Polizei gelingt – innerhalb des jeweiligen Nationalstaates.

…. ist Entmilitarisierung

Die militärischen Oberbefehlshaber der jetzigen Nationalstaaten verhalten sich heute noch wie Warlords in einem rechtsfreien Raum. Die UNO mit ihrem ‚Sicherheitsrat‘ (der keine Sicherheit schafft) und ihrem Blauhelmen schaut dem Geschehen zu, hält Moralpredigten und lässt sich von den Big Players hin und her schubsen. Es gibt ja Modelle für passabel funktionierende Gewaltenteilung innerhalb einiger Staaten! Sowas braucht es auch für die internationale Staatengemeinschaft.

Aufrüstung ist nicht der Weg zum Frieden, sondern Abrüstung. Mit dem Ziel der Abschaffung des gesamten Militärs weltweit.

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