Erneut Generalstreik in Griechenland – und was sich hinter manchen Zahlen verbirgt
272. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Tatsächlich, mehr und mehr scheint die Behauptung richtig zu sein, daß man HdS lesen muss, um einigermaßen auf dem Laufenden bleiben zu können über die Verhältnisse in Griechenland. Denn ansonsten schweigt sich Europa über Griechenland eher aus: das politische Europa, aber auch die europäische Informationsindustrie. An drei Beispielen führe ich Euch das heute vor. Und darf am Ende eine weitere gute Nachricht verkünden. Holdger Platta
Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,
unverkennbar: dass in Griechenland die sozialen und ökonomischen Bedingungen für Millionen von Menschen immer verzweifelter werden, scheint das sonstige Europa immer weniger zu interessieren. Und ich stellte es ja schon ungezählte Male fest: das gilt für die europäischen Massen-Medien fast im gleichen Maße wie für die Politiker der EU. Auf der europäischen Landkarte existiert Griechenland noch, zur politischen Agenda dieses Europa gehört Griechenland aber schon lange nicht mehr. Immer stärker wird es zur Aufgabe für alternative Informationsmedien wie uns, die Erinnerung wachzuhalten an ein Griechenland, das nach wie vor zu Europa gehört, und Menschen wie Euch auf dem Laufenden zu halten, welche weitere Stufen des Niedergangs die verarmten und verelendeten GriechInnen herabzusteigen haben in immer bedrängender werdende Lebensnot. Ich konkretisiere das heute am Beispiel dreier Meldungen, die mich während der letzten beiden Wochen erreichten:
Meldung eins, fast unscheinbar zu nennen:
Der Privatkonsum in Griechenland ging laut Statistikbehörde ELSTAT während der ersten drei Monate dieses Jahres um weitere 2,4 Prozent zurück (und gleichzeitig zogen die Preise an, vor allem im Bereich der Wohnungskosten. Quelle hierzu: ebenfalls ELSTAT). Man könnte, auf den ersten und oberflächlichen Blick, diesen Rückgang für unbedeutend halten und diesen Widerspruch zwischen Anstieg bei den Verbraucherpreisen und Absacken des Privatverbrauchs für völlig bedeutungslos. Aber beides wäre falsch und begriffe nicht, welche Menschen dieses katastrophale Geschehen besonders dramatisch trifft.
„Natürlich“ sind es die Ärmsten der Armen, die unter dieser Doppelentwicklung vor allem zu leiden haben. Ihnen steht noch weniger Geld pro Monat zur Verfügung, als sie für den Lebensunterhalt eigentlich benötigen. Verschärfung der Lebensnot verbirgt sich demzufolge hinter diesen 2,4 Prozent Rückgang beim Privatkonsum – und da es sich bei diesen 2,4 Prozent um die Globalzahl handelt, die rein rechnerisch die Gesamtbevölkerung in ganz Griechenland betrifft, dürfte der tatsächliche Rückgang der Kaufkraft bei den verarmten Griechinnen und Griechen tatsächlich noch viel höher sein. Diese Zahl, diese wahrhaft wichtige Zahl, ist aber unbekannt. Vielleicht hat daran die staatliche Statistikbehörde ja auch kein Interesse.
Und wenn man sich diese widersprüchliche Entwicklung anschaut, die Tatsache, daß Rückgang bei der Kaufkraft nicht Deflation – Preisrückgang also – in Gang setzt, sondern im Gegenteil Inflation – Geldentwertung mithin -, dann ist dieser Befund zusätzlich besorgniserregend zu nennen. Nicht mal das – scheinbare! – kapitalistische Zwangsgesetz – Nachfrage reguliert den Preis – funktioniert mehr. Konkret also: sinkende Nachfrage senkt nicht die Preise, steigende Nachfrage erhöht das Preisniveau. Die vorliegenden Zahlen lassen nur einen logischen Schluss zu: daß es anderen Bevölkerungsgruppen, den bessergestellten und betuchteren Menschen in Griechenland, gleichzeitig mit der wachsenden Verarmung der „unteren“ Bevölkerungsklassen immer besser geht. Kurz also: hier Verschärfung der Armut, Anstieg des Wohlstands aber dort. Diese Zahlen signalisieren mithin das, was auch bei uns seit einiger Zeit zu beobachten ist: die Schere zwischen arm und reich geht immer mehr auseinander! Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer zahlreicher. Ein zynischer und inhumaner Doppelprozess, gegen den die ultrakonservative Regierung des Herrn Kyriakos Mitsotakis nichts, aber auch gar nichts entgegensetzt.
Meldung zwei:
Die Arbeitslosigkeit ist in Griechenland weiter zurückgegangen. Deren Quote „verbesserte“ sich – saisonbereinigt – von 16,6 Prozent im Februar auf 16,3 Prozent im März dieses Jahres. Dass hinter diesem scheinbar positiven Trend aber keinesfalls Mehrbeschäftigung steckt, eine Zunahme verfügbarer, also neuer, Arbeitsplätze, das hatte ich bereits vor zwei, drei Wochen präziser erklärt. Immer mehr Menschen in Griechenland verzichten darauf, ihre Arbeitslosigkeit den Ämtern mitzuteilen, völlige Resignation, dass ein solcher Schritt ja eh nichts mehr bringt, verbirgt sich hinter diesem „Rückgang“ der Arbeitslosenzahl, der nur scheinbar ein Rückgang ist. Zur Erinnerung:
Nach einem Jahr Bezug von Arbeitslosengeld – in der Maximalhöhe von 200,- Euro pro Monat (was eh schon Maximalisierung der Existenznöte bedeutet!) – ist völlig Schluss mit der Finanzhilfe für die Betroffenen. Sozialhilfe – und sei sie noch so erbärmlich –: null! Was mit diesen Menschen – zumeist ganzen Familien – geschieht: Information darüber ebenfalls null! ELSTAT zumindest teilt das der griechischen Öffentlichkeit nicht mit. Man muss vermuten, dass sie diese Verelendungsprozesse statistisch nicht einmal erfaßt. Nur am Rande sei angemerkt, unwichtig wahrlich auch dieses nicht, dass bei der Anzahl der – noch! – registrierten Arbeitslosen sich die Erwerbslosigkeit der Männer auf 12,3 Prozent beläuft, die Arbeitslosigkeit der Frauen hingegen auf 21,2 Prozent (dito im März dieses Jahres). Noch einmal: all das Verhältnisse in Griechenland, die außerhalb dieses Staates kaum einen Politiker und kaum eine Zeitung oder Fernsehstation in Europa interessiert!
Meldung drei:
Diese Meldung betrifft – noch einmal – den Generalstreik, der in Griechenland am 10. Juni dieses Jahres stattgefunden hat. Ohne Übertreibung kann ich sagen – auch auf der Basis der Informationen, die ich dazu von unserem Mitarbeiter Tassos Chatzatoglou telefonisch erhielt –: an diesem Tag stand mehr oder minder vollständig das Leben in Griechenland still. Und ich wiederhole auch hier noch einmal: merkwürdig, dass auch eine solche Nachricht Resteuropa nicht interessierte! Ich erinnere kurz:
An diesem Donnerstag, den 10. Juni, hatten ADENY, der Gewerkschaftsverband für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, sowie die Dachgewerkschaft für die Arbeitnehmer in der Privatindustrie, die GSEE, zur Arbeitsniederlegung aufgerufen. Und ich füge hinzu: auch dreizehn Seemannsgewerkschaften hatten sich am Ende diesem Generalstreik angeschlossen. Was bedeutet: abgesehen von einem Notdienst in den Krankenhäusern lief an diesem Tag in Griechenland gar nichts mehr. Es verkehrten zwischen den Inseln und dem Festland keine Schiffe mehr, Straßenbahnen, U-Bahnen, Eisenbahn standen still. Und natürlich war es beim Ziel geblieben, eine Gesetzesnovelle des Arbeitsministeriums zu verhindern, derzufolge Arbeitnehmer zukünftig 2 Stunden pro Woche mehr zu schuften haben – unbezahlt wohlgemerkt! –, derzufolge eine 6-Tage-Arbeitswoche wiedereingeführt werden soll und derzufolge es für 31 Berufsgruppen in Griechenland auch keinen gesichert arbeitsfreien Sonntag mehr gibt. Außerdem – ich ergänze das heute noch – sollen die Gewerkschaften zukünftig auch nicht mehr gegen Streikbrecherei vorgehen dürfen.
Selbst die „Griechenland Zeitung“ (GZ) kommentierte, am 16. Juni, dieses Gesetzesvorhaben so: „Gleichzeitig bringt das neue Gesetz eine erhebliche Schwächung der Gewerkschaften mit sich“. Wieso derselbe GZ-Kommentator Dimos Chatzichristou, ansonsten ein eher kritischer Geist, am Schluss seiner Stellungnahme von irgendwelchen „heutigen Wirtschaftsverhältnissen“ faselt, mit denen halt diese Gewerkschaftsforderungen nicht „vereinbar“ seien, ist mir allerdings völlig schleierhaft geblieben. Aber sei es, wie es sei:
Neu für mich und sicher auch für die meisten von Euch war oder ist, dass am vergangenen Mittwoch, den 16. Juni, in Griechenland bereits ein weiterer Generalstreik stattgefunden hat. Organisiert von denselben Gewerkschaften wie eine Woche zuvor und, wie ich gehört habe, erneut mit großer Beteiligung der Arbeitnehmer im ganzen Land. Wacht jetzt das bedrängte und kritische Griechenland doch noch auf? Ich kann nur sagen: ich wünsche es diesem Land. Nicht deshalb, weil ich für Krawallmacherei wäre (wie man prompt von konservativ-rechter Seite aus den Streikenden in Griechenland vorgeworfen hat), sondern für Wiederherstellung humaner Verhältnisse in diesem Land! Hat es übrigens Beistand für die kämpfenden GriechInnen gegeben – von Seiten außergriechischer Gewerkschaften auf unserem Kontinent? – Nun, dazu, ich hoffe es, in meinem nächsten Bericht mehr! Abschließend für heute jedoch:
Ich verstehe nicht, daß alle diese drei Meldungen, um die es hier ging, im sonstigen Europa keinerlei Rolle gespielt haben. Wie schon gesagt: Griechenland existiert noch, aber in der europäischen Politik und Berichterstattung findet Griechenland nicht mehr statt! Ich kann nicht erkennen, daß dieses Europa noch mein Europa ist.
Abschließend noch kurz zu unserer Hilfsaktion:
In der Vorwoche durfte ich ja über ein besonders gutes Spendenergebnis berichten: 570,- Euro waren da bei uns eingegangen, überwiesen von 3 SpenderInnen an uns. Nun, auch während der letzten sieben Tage durften wir uns über ein gutes Ergebnis freuen: 350,- Euro landeten auf dem Hilfskonto bei uns. Und es war wieder einmal Renate H., von der dieser hohe Geldbetrag für unsere GriechInnenhilfe kam. Großes Dankeschön, wieder einmal, liebe Renate! Und hoffentlich Ansporn für andere, es Dir gleichzutun! Nein, liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser: es müssen nicht alle in dieser Höhe unsere Hilfsaktion unterstützen. Solche Erwartungen hegen wir wirklich nicht. Unsere Dankbarkeit gilt auch allen anderen SpenderInnen – um so mehr, als wir wissen, daß auch hinter kleinen Beträgen große Hilfsbereitschaft steckt und viele von Euch selber zu den eher Hilfsbedürftigen zählen. Ganz drastisch gesagt: unsere Dankbarkeit fängt nicht erst ab Beträgen in der Höhe von 100,- Euro an! Ihr könnt mir das glauben.
Und damit wieder zu meinem abschließenden Hilfsappell:
Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“ auf das Konto:
IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21GOE
Inhaber: IHW
Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an unseren Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.
Mit herzlichen Grüßen
Euer Holdger Platta
Warum wohl – könnte als Beispiel angesehen werden und Andere auf dumme Gedanken bringen. Generalstreik gleich offen-sichtbare Auflehnung gegen das herrschende System, sozusagen kleine Vorstufe größerer Aufstände.
Nebenbei: Bei uns sind Gewerkschaftsbosse damit beschäftigt ihre eigenen Pfründe zu sichern, und für den kleinen Malocher, der unter Mindestlohn ausgebeutet wird, fühlt sich eh niemand zuständig. Der darf darauf hoffen, das ihm ein paar Cent mehr aus Berlin vor die Füße geworfen werden. Gibt schließlich Hartz IV noch für ganz Unten, und: als Existenzsicherung für das Großkapital.
Gruß – Volker
Das perfide Griechenland „Rettung“, im folgenden am einfachen Beispiel erklärt :
https://youtu.be/pNZiuF_RkRE
und eine persönliche Stellungnahme dazu :
https://youtu.be/FRoXnALBXrE